Bei den gestrigen Landtagswahlen in Thüringen wiederholte sich eine Entwicklung, die bereits die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen prägte. Die Regierungsparteien auf Bundes- und Landesebene werden aufgrund ihrer rechten und arbeiterfeindlichen Politik abgestraft. Profiteur ist die rechtsextreme AfD, die Proteststimmen mobilisiert und von der herrschenden Klasse gezielt aufgebaut und gefördert wird, um die wachsende Opposition in rechte Kanäle zu lenken und zu unterdrücken.
Nach fünf Jahren im Amt verlor die rot-rot-grüne Landesregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) ihre Mehrheit. Während die Linkspartei mit 31 Prozent der Stimmen ihr Ergebnis von 2014 leicht verbessern konnte (+2,8 Prozent), fuhr die SPD mit 8,2 Prozent (-4,2) ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis ein. Die Grünen schafften mit 5,3 Prozent (-0,4) nur knapp den Wiedereinzug in den Landtag, und die CDU brach mit Verlusten von fast 12 Prozent (21,8 Prozent) ebenfalls massiv ein.
Zum Sieger der Wahl erklärte sich der faschistische AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke, dessen Partei ihren Stimmenanteil mit 23,4 Prozent mehr als verdoppeln konnte (+12,8).
Eingerahmt vom AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland und dem außenpolitischen Sprecher der AfD, Armin-Paul Hampel, verkündete Höcke vor jubelnden AfD-Mitgliedern auf einer Wahlparty in Erfurt: „Der Mief und der Muff werden jetzt abgeräumt werden, liebe Freunde. Wir werden uns unser Land jetzt weiter zurückholen. Das Alte und Morsche zerfällt vor unseren Augen, und das ist gut so.“ Man habe „den Osten blau gemacht und in wenigen Jahren“ werde man „eine gesamtdeutsche Volkspartei sein“ und eine „neue Demokratie“ schaffen.
Am späten Abend erklärte Höcke in den Tagesthemen mit der gleichen aggressiven Arroganz, er und seine Partei hätten den „Regierungsauftrag gekriegt“ und stünden nun für einen „Neuanfang zur Verfügung“.
Was Höcke und die AfD darunter verstehen, ist bekannt. In öffentlichen Reden verlangt Höcke eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ und klagt mit Verweis auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin, die Deutschen seien „das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“. In seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“, einer modernen Version von Hitlers „Mein Kampf“, schwadroniert er von einem „Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“ und fordert die gewaltsame Deportation von „kulturfremden“ Menschen aus Deutschland in einem „groß angelegten Remigrationsprojekt“. Man werde dabei „nicht um eine Politik der ‚wohltemperierten Grausamkeit‘ herumkommen“.
Dass Figuren wie Höcke und Gauland, der seinerseits die Wehrmacht verherrlicht und Hitler und die Nazis als „Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnet, politisch den Ton angeben können, ist die Verantwortung der etablierten Parteien. Auch wenn CDU, SPD, Grüne, FDP und Die Linke eine offene Regierungszusammenarbeit mit der AfD offiziell (noch) ausschließen, schaffen sie systematisch die sozialen, ideologischen und politischen Bedingungen für den Aufstieg der rechtsextremen Partei.
Für die SPD trat im Thüringer Wahlkampf unter anderem der sozialdemokratische Rassist Thilo Sarrazin auf, um sein jüngstes Buch „Feindliche Übernahme“ – eine bösartige anti-islamische Hetzschrift – vorzustellen. Eingeladen wurde Sarrazin dabei vom früheren AfD-Mitglied Oskar Helmerich, der erst 2016 in die Landtagsfraktion der SPD gewechselt war. Für die CDU griff der frühere Verfassungsschutzpräsident und AfD-Sympathisant Hans-Georg Maaßen in den Wahlkampf ein.
Auch die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen hat in den vergangenen fünf Jahren de facto die flüchtlings- und arbeiterfeindliche Politik der AfD übernommen. Seitdem Ramelow im Dezember 2014 die Regierungsgeschäfte übernahm, präsidiert er über die zweithöchste Abschiebequote in ganz Deutschland. Allein im vergangenen Jahr leitete seine Regierung 1650 Abschiebungen ein. Ihre brutale Abschiebepraxis wurde immer wieder von Flüchtlingsorganisationen kritisiert.
In der Innenpolitik verfolgen Ramelow und die Linkspartei einen straffen Law-and-Order-Kurs und brüsten sich, damit sogar die CDU in den Schatten zu stellen. „Während die CDU die Ausbildungszahlen bis 2014 auf 120 Polizeianwärterinnen und -anwärter pro Jahr reduzierte, haben wir den Abwärtstrend umgekehrt“, heißt es in ihrem Wahlprogramm. „Wir haben die Ausbildungszahlen sukzessive auf 300 Polizeianwärterinnen und -anwärter im Jahr 2019 angehoben.“
Im gleichen Abschnitt unter der Überschrift „Für eine bürgerfreundliche Polizei mit einer angemessenen und verhältnismäßigen Ausstattung“ ist zu lesen: „Damit Thüringen auch in Zukunft zu einem der sichersten Länder gehört, braucht es eine gut ausgestattete und funktionierende Polizei mit effizienten Strukturen. Vor allem braucht es motivierte und bürgernah agierende Polizistinnen und Polizisten, die ihren Dienst gern und professionell ausüben.“ Bürgernah bedeute dabei, „flächendeckend präsent und einsatzbereit zu sein“.
Wie im Bund richtet sich die Staatsaufrüstung gegen die wachsende Opposition in der Arbeiterklasse. Die soziale Lage in Thüringen ist explosiv. Der Freistaat gehört zu den ärmsten Bundesländern. Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts ist jeder sechste Haushalt (16,4 Prozent) im Freistaat armutsgefährdet, und ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahre sind von Armut bedroht. Im Wahlkampf prahlte Ramelow offen damit, Politik für die Interessen des Kapitals zu machen. Er habe „von Unternehmern gehört: So nah an Unternehmern wäre ein Ministerpräsident noch nie dran gewesen“, sagte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Die bürgerliche Presse, die noch vor fünf Jahren zum Teil kritische Artikel über die Aussicht auf den ersten „linken“ Ministerpräsidenten in Deutschland veröffentlicht hatte, feiert Ramelows Regierungspolitik. In einem Kommentar mit dem Titel „Der Sozialismus musste warten“ stellt etwa die Zeit zufrieden fest: „Nach fünf Jahren [lässt] sich eine … unaufgeregte Bilanz ziehen… Die linken Parteitagsansprachen, in denen lauter progressive und sozial gerechte Errungenschaften aufgezählt werden, gehören in dieselbe Kategorie wie das oppositionelle Untergangsgerede von CDU und AfD. In beiden Fällen handelt es sich um Propaganda.“
Besonders zufrieden stimmt die Zeit, dass auch die Forderung der Linkspartei nach der Auflösung des Verfassungsschutzes reine Propaganda war. Ramelow hatte bereits kurz vor den Landtagswahlen im Jahr 2014 die Forderung ad acta gelegt, obwohl der thüringische Verfassungsschutz ihn selbst jahrelang bespitzelt hatte und beim Aufbau der rechtsextremen Strukturen, aus denen der Nationalsozialistische Untergrund hervorging, eine zentrale Rolle spielte.
Um die faschistische Gefahr zu bekämpfen, ist es notwendig, die Rolle der Linkspartei klar zu benennen: mit ihrer im Kern rechten und pro-kapitalistischen Politik trägt die Partei, deren Vorläuferin vor 30 Jahren den Kapitalismus in Ostdeutschland wieder eingeführt hat, in Wirklichkeit die zentrale Verantwortung für den Aufstieg der AfD. Vor allem die Tatsache, dass sie als nominell „linke“ Kraft eine soziale Katastrophe angerichtet hat, verstärkt den sozialen Frust und die politische Verwirrung, die von der extremen Rechten ausgeschlachtet werden. Ersten Wahlauswertungen zufolge konnte die AfD nicht nur die meisten Nichtwähler (77.000) mobilisieren, sondern erhielt auch 17.000 Stimmen von früheren Wählern der Linkspartei.
Ramelow und Die Linke reagieren auf das Wahlergebnis mit einem weiteren Rechtsruck. Nachdem es für eine Koalition mit den Hartz-IV- und Kriegsparteien SPD und Grüne nicht mehr reicht, arbeitet Ramelow auf eine Zusammenarbeit mit der CDU hin, deren rechts-konservativer Flügel seinerseits in Richtung AfD und Höcke drängt.
Arbeiter und Jugendliche müssen daraus die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen. Unter Bedingungen der tiefsten Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren schließen alle Parteien die Reihen und orientieren sich politisch auf die AfD. Gestoppt werden kann die Rückkehr der herrschenden Klasse zu Militarismus, Faschismus und Krieg nur durch die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Die entscheidende Frage ist der Aufbau der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale als neue revolutionäre Führung der Arbeiterklasse.