Der Ruf der deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nach einer internationalen Sicherheitszone in Nordsyrien markiert ein neues Stadium des deutschen Militarismus. Diskutiert wird über die Entsendung von mindestens 30 bis 40.000 Soldaten unter deutsch-europäischer Führung. Es wäre der größte deutsche Militäreinsatz seit dem Ende Zweiten Weltkriegs.
Kramp-Karrenbauers Vorschlag, den sie heute auf dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel vorstellen wird, kann in seiner politischen und historischen Dimension gar nicht überschätzt werden. Seit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs sind erst achtzig Jahre vergangen. In den Eroberungs- und Vernichtungsfeldzügen der Nazis verwüsteten deutsche Truppen damals Europa, die Sowjetunion und weite Teile Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens.
Die Initiative der deutschen Verteidigungsministerin und möglichen Nachfolgerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht in dieser Tradition. Der deutsche Kriegseinsatz in Syrien dient nicht dem „Kampf gegen den Terror“, der „Deeskalation“ oder dem „Frieden“ – wie es die offizielle Propaganda glauben machen will. Das wirkliche Kriegsziel ist die neokoloniale Unterwerfung des Landes und der rohstoffreichen und geostrategisch wichtigen Region sowie die Deportation von hunderttausenden Flüchtlingen zurück in die Kriegsgebiete.
Es ist wichtig, die Konsequenzen von Kramp-Karrenbauers völkerrechtswidrigem Plan klar zu benennen. Deutschland träte mit eigenen Kampftruppen in einen Krieg ein, der in Syrien seit acht und in der Region seit 28 Jahren tobt und bereits Millionen Tote, Verwundete und Vertriebene gefordert hat. Ziel wäre es, das Vernichtungswerk der USA, an dem sich die Bundeswehr bisher nur als Hilfstruppe beteiligt hat, in eigener Verantwortung fortzusetzen und den Einfluss der europäischen imperialistischen Mächte in der Region zu verteidigen.
Dieser Einfluss reicht im Falle Frankreichs und Großbritanniens bis zur die Aufteilung des Osmanischen Reichs unter den Siegermächten des Ersten Weltkriegs zurück. Im Falle Deutschlands ist er noch älter. Berlin war im Ersten Weltkrieg mit Istanbul verbündet und u.a. direkt am Völkermord an den Armeniern beteiligt.
Heute ist die Region – wie der Balkan vor dem Ersten Weltkrieg – zum Brennpunkt internationaler Konflikte und Interessengegensätze geworden. Die Errichtung einer deutsch-europäischen Sicherheitszone wäre nicht nur eine schwere Verletzung der syrischen Souveränität, sie würde auch die Gefahr eines direkten Zusammenstoßes zwischen den Großmächten erhöhen und die deutsche Gesellschaft transformieren.
Die Mobilisierung von tausenden Soldaten erfordert die Wiedereinführung der Wehrpflicht und die Unterdrückung von Widerstand in der Bevölkerung. Der Militärhaushalt, der im nächsten Jahr ohnehin schon auf über 50 Milliarden Euro ansteigen soll, würde weiter explodieren. Arbeiter und Jugendliche müssten die Kriegskosten gleich in mehrfacher Hinsicht tragen – in Form von Sozialkürzungen zur Finanzierung der Aufrüstung, als Kanonenfutter auf den Schlachtfeldern und durch die Zerschlagung ihrer demokratischen Rechte.
Bereits 2014 hatte die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) auf einer Sonderkonferenz gegen Krieg vor den weitreichenden Folgen der Rückkehr des deutschen Militarismus gewarnt. Nur wenige Monate nachdem der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf der Münchner Sicherheitskonferenz verkündet hatte, Deutschland sei „zu groß und wirtschaftlich zu stark, als dass wir die Weltpolitik nur von der Seitenlinie kommentieren könnten“, schrieben wir:
Die Geschichte meldet sich stürmisch zurück. Knapp 70 Jahre nach den Verbrechen der Nazis und der Niederlage im Zweiten Weltkrieg knüpft die herrschende Klasse Deutschlands wieder an die imperialistische Großmachtpolitik des Kaiserreichs und Hitlers an… Die Propaganda der Nachkriegsjahrzehnte – Deutschland habe aus den ungeheuren Verbrechen der Nazis gelernt, sei ‚im Westen angekommen‘, habe zu einer friedlichen Außenpolitik gefunden und sich zu einer stabilen Demokratie entwickelt – entpuppt sich als Mythos. Der deutsche Imperialismus zeigt sich wieder so, wie er historisch entstanden ist, mit all seiner Aggressivität nach innen und nach außen.
Fünf Jahre später zeigt sich, wie korrekt diese Einschätzung war. Trotz ihrer historischen Verbrechen im 20. Jahrhundert gibt es für die herrschende Klasse auch im 21. Jahrhundert keine Grenzen bei der Verfolgung ihrer imperialistischen Interessen. Bürgerliche Politiker und Medien liefern sich einen Wettbewerb in Sachen Kriegspropaganda und versuchen der Bevölkerung einzutrichtern, dass sie nach 70 Jahren relativer außenpolitischer Zurückhaltung wieder große Kriege für geopolitische und wirtschaftliche Interessen führen muss. Die Forderungen reichen bis zur atomaren Bewaffnung.
„Man muss die Militarisierung Europas als progressives Projekt begreifen“, heißt es in einer Kolumne der Zeit. Aus dem Rückzug der Amerikaner gelte es „für die Europäer“ folgende Schlussfolgerung zu ziehen: „Sie müssen selbst zum machtpolitischen Akteur werden… Europa sollte entweder auf eine gemeinsame Armee setzen oder zumindest die nationalen Armeen stärken und einen glaubwürdigen nuklearen Abschreckungsschirm aufbauen.“ Das sei „unumgänglich in einer Welt, in der sich alte Bündnisse auflösen“.
Zahlreiche weitere Kommentare bejubeln Kramp-Karrenbauers Initiative als längst überfällige Umsetzung der außenpolitischen Wende. Ihr Vorschlag sei „nichts weniger als eine außenpolitische Sensation, eine Zäsur in der deutschen Sicherheitspolitik, ein Bruch mit Deutschlands ‚Kultur der militärischen Zurückhaltung‘, die bisher trotz aller Forderungen nach größerer Verantwortung in der Welt seine Politik bestimmt hat“, heißt es unter dem Titel „Endlich Engagement“ auf Spiegel Online. Europa müsse „sich nach dem Rückzug der USA in Syrien stärker engagieren“ und dürfe die „Krisenregion südlich von Europa“ nicht „sich selbst oder den Putins und Erdogans dieser Welt überlassen“. Deutschland sei „zu reich, zu groß und, ja, zu mächtig, um sich weiter vor seiner Verantwortung zu drücken“.
Die Kriegsoffensive wird auch von allen etablierten Parteien unterstützt, die wie die Medien vor Kriegsbegeisterung schäumen. Wenn es Kritik an Kramp-Karrenbauers Vorstoß gibt, dann dreht sie sich lediglich um die strategische Ausrichtung und eine professionellere Vorbereitung und Umsetzung der Sicherheitszone.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die rechtsextreme AfD bezeichnet die Bundesregierung in ihrem offiziellen Statement als „Chaostruppe“, inhaltlich stimmt sie mit dem Vorstoß der Verteidigungsministerin jedoch überein. So hatte der außenpolitische Sprecher der AfD, Armin-Paulus Hampel, bereits in der vergangenen Woche im Bundestag gefordert, Deutschland müsse „in den Vereinten Nationen darauf drängen, dass eine Schutzzone geschaffen wird, … versehen mit einem robusten Mandat der Vereinten Nationen, mit einer internationalen Truppe, die auch bereit“ sei, „zu schießen, wenn einer in diese Schutzzone eindringen möchte“.
Die SPD signalisiert ebenfalls ihre Unterstützung, auch wenn sich führende Sozialdemokraten immer wieder beklagen, dass Kramp-Karrenbauers Vorstoß nicht mit ihnen abgestimmt worden sei. „Dass wir hier in Deutschland darüber diskutieren, was können wir selber tun, um die Lage zu stabilisieren, das ist jetzt erstmal nicht illegitim“, sagte der Obmann der SPD im Verteidigungsausschuss Fritz Felgentreu im Deutschlandfunk. Die „Diskussion“ über eine Schutzzone „sollten wir führen, aber es muss natürlich dann auch am Ende etwas Realistisches dabei herauskommen“.
Auch Linkspartei und Grüne unterstützen ein aggressiveres Auftrumpfen des deutschen Imperialismus in der Region und fordern, es müsse sich vor allem gegen die türkische Militäroffensive richten.
„Im Vordergrund“ müsse „jetzt weiterer Druck auf die Türkei stehen, sich aus Nordsyrien zurückzuziehen und die Vertreibung der Kurdinnen und Kurden aus dieser Region zu beenden“, schreibt der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, in einem Statement. Die Bundesregierung habe „viel zu zögerlich auf die völkerrechtswidrige Militäroffensive der Türkei reagiert“ und versuche nun, „diese Leisetreterei gegenüber Erdogan zu verdecken“.
Die Linke, die von Anfang an Kriegspartei im Syrienkrieg war, stößt ins gleiche Horn. Die Bundesregierung habe „bis dato längst nicht alle politischen Möglichkeiten ausgeschöpft, um den Einmarsch des türkischen Präsidenten Erdogan in Nordsyrien zu stoppen“, klagt Özlem Alev Demirel, Vize-Vorsitzende im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments. „Bevor Kramp-Karrenbauer laut über eine militärische Operation nachdenkt, sollte die Bundesregierung ihre politischen Hausaufgaben machen.“
Die Sozialistische Gleichheitspartei ist die einzige Partei, die den Kriegsplänen der Großen Koalition entgegen tritt und die enorme Opposition unter Arbeitern und Jugendlichen dagegen mobilisiert. Um zu verhindern, dass die herrschende Klasse ihr Programm von Militarismus und Krieg erneut mit faschistischen Methoden durchsetzt, muss die wachsende Opposition auf einer bewussten politischen Grundlage mobilisiert werden. Notwendig ist der Aufbau einer Antikriegsbewegung, die auf den Grundsätzen beruht, die das Internationale Komitee der Vierten Internationale in seiner Erklärung „Sozialismus und der Kampf gegen Krieg“ aufgestellt hat:
- Der Kampf gegen Krieg muss von der Arbeiterklasse ausgehen, die als revolutionäre gesellschaftliche Kraft alle fortschrittlichen Teile der Bevölkerung hinter sich vereint.
- Die neue Bewegung gegen Krieg muss antikapitalistisch und sozialistisch sein, denn man kann nicht ernsthaft gegen Krieg kämpfen ohne danach zu streben, der Diktatur des Finanzkapitals und dem Wirtschaftssystem, das die Ursache für Militarismus und Krieg bildet, ein Ende zu setzen.
- Aus diesem Grund muss die neue Antikriegsbewegung unbedingt vollkommen unabhängig sein von allen politischen Parteien und Organisationen der Kapitalistenklasse und diese ablehnen.
- Vor allem muss die neue Antikriegsbewegung international sein und dem Imperialismus in einem vereinten globalen Kampf die enorme Kraft der Arbeiterklasse entgegenstellen.