Am 14. Oktober verurteilte das Amtsgericht Bonn einen inzwischen 21 Jahre alten Deutschen mit palästinensischen Wurzeln wegen Volksverhetzung zu viereinhalb Jahren Jugendhaft, weil er den US-amerikanischen Professor Yitzhak Melamed antisemitisch angegriffen hat. In das Urteil wurde eine frühere Verurteilung von drei Jahren und neun Monaten wegen eines Raubüberfalls eingerechnet.
Nicht vor Gericht standen vier Bonner Polizeibeamten, die Professor Melamed am Tag des Überfalls weit brutaler als der nun Verurteilte behandelt hatten, obwohl er durch eine Kippa deutlich als Jude erkennbar war. Melamed selbst nahm nicht persönlich an dem Prozess teil, weil er nach den Worten seiner Anwälte das Vertrauen in das deutsche Justizsystem verloren hat.
Was war geschehen?
Zu dem antisemitischen Angriff war es gekommen, als der an der Universität Baltimore lehrende Philosophieprofessor im Juli letzten Jahres im Bonner Hofgarten spazieren ging. Der damals 20-jährige Angreifer fragte ihn, ob er Jude sei, riss ihm mehrmals die Kippa vom Kopf, schubste ihn und beschimpfte Juden in deutscher und englischer Sprache. Während des Prozesses bekannte sich der Angeklagte zu den Taten und erklärte: „Ich schäme mich sehr dafür.“
Als die von Passanten herbeigerufene Polizei im Hofgarten eintraf, versuchte der Angreifer zu fliehen, und der Professor folgte ihm, um der Polizei mitteilen zu können, in welche Richtung er gelaufen sei. Nach seiner Einschätzung machte der Angreifer einen psychisch verwirrten Eindruck.
Die Polizisten folgten aber nicht etwa dem Angreifer, sondern überwältigten den 50-jährigen Professor, der noch immer seine Kippa trug. Vier Polizisten warfen ihn zu Boden, sprangen auf ihn und schlugen ihn brutal ins Gesicht. Obwohl er immer wieder beteuerte, er sei die falsche Person, wurde er nach eigenen Angaben „ungefähr 50, 60, 70 Mal” geschlagen.
Als die Polizisten endlich von Melamed abließen und den Angreifer verfolgten, drohte ihm einer der Polizisten: „Machen Sie der deutschen Polizei keinen Ärger.“ Er erwiderte, er habe keine Angst vor der deutschen Polizei. Deutsche Polizisten hätten seine Großeltern, seine Tante und sein Onkel ermordet, alle an einem Tag im September 1942.
Professor Melamed fuhr schließlich mit den Polizisten auf das Revier, schilderte dort, was vorgefallen war, und versuchte Anzeige gegen die Polizisten zu erstatten, die ihn so brutal zusammengeschlagen hatten. Die Polizisten rechtfertigten ihr Vorgehen damit, dass das Opfer Widerstand geleistet habe – eine Falschmeldung, die auch in der Presse verbreitet wurde. Die Polizeibeamten versuchten, ihn von einer Beschwerde abzubringen.
Die Bonner Staatsanwalt stellte Ermittlungen gegen die vier Polizisten wegen des Verdachts der Körperverletzung und versuchten Strafvereitelung im Amt im März dieses Jahres „mangels Tatverdacht” ein. In einer ersten Reaktion darauf bezeichnete Melamed das deutsche Polizeisystem als „rassistisch und korrupt“ und forderte eine unabhängige Untersuchung.
Die Staatsanwaltschaft Bonn zeigte sich dagegen – wie in unzähligen anderen Fällen von Polizeigewalt auch – sicher, dass das Vorgehen der vier Polizeibeamten im Juli 2018 nach Polizeirecht gerechtfertigt war. Die Polizisten hätten sich im Rahmen ihrer Befugnisse bewegt. Auch die Staatsanwaltschaft versuchte dem Professor zu unterstellen, er habe Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet. Die Ermittlungen wegen dieses Verdachts sind ebenfalls eingestellt worden.
Diese Erfahrungen trugen dazu bei, dass Professor Melamed das Vertrauen in das deutsche Justizsystem verlor. Den Angriff des jetzt verurteilten 21-Jährigen, der ihn antisemitisch beschimpft und attackiert hatte, betrachtet er dagegen als zweitrangig. „Wenn es hier um Antisemitismus geht, dann geht es für unseren Mandanten vor allem um den Antisemitismus, den er von den Behörden erlebt hat”, sagte seine Anwältin Franziska Nedelmann.
In einer Erklärung, die seine Anwälte vor Gericht verlasen, kritisierte Melamed, die Polizei und die politischen Autoritäten hätten alles in ihrer Macht stehende getan, um von der Brutalität des Polizeieinsatzes abzulenken. Verletzt worden sei er nicht von dem Angeklagten, sondern „von einer Gang von vier Bonner Polizisten”.
Er zeigte sich auch nicht überrascht, dass die Untersuchung gegen die Polizeibeamten ergebnislos abgeschlossen wurde. Das sei im heutigen Deutschland Normalität, wenn es um Gewalt- und Rassismusvorwürfe gegen die Polizeibehörden gehe.
Diese Einschätzung wird auch durch Studien über Polizeigewalt bestätigt. So gibt es bundesweit jährlich mehr als 2000 Anzeigen gegen Polizisten wegen rechtswidriger Gewalt. Fast 90 Prozent der Verfahren werden aber wieder eingestellt. Zu einer Anklage vor Gericht kommt es nur in knapp drei Prozent der Fälle, und die enden meistens zugunsten der Staatsgewalt.