„Wettlauf um die Arktis“: Russland setzt schwimmendes Atomkraftwerk in Kraft

Russland hat am 23. August ein schwimmendes Kernkraftwerk, die „Akademik Lomonossow“ in die arktische See vom Hafen in Murmansk ausgesandt. Das Schiff soll Siedlungen und Unternehmen mit Strom versorgen, die Kohlenwasserstoffe und Edelsteine in der Tschuktschen-Region fördern.

Die 144-Meter lange Plattform ist mit zwei KLT-40 Atomreaktoren ausgestattet. Die Reaktoren können bis zu 100.000 Menschen im Autonomen Kreis der Tschuktschen und die Unternehmen, die dort Rohstoffe fördern, mit Energie versorgen. Das Schiff wird zunächst 5000 Kilometer entlang der arktischen Küste bis in die Tschuktschen-Region überqueren, wo es dann küstennah Strom liefern wird.

Der Start des schwimmenden Atomkraftwerks ist Teil der Bemühungen des Kremls, die Infrastruktur in der Region signifikant auszubauen. Dazu gehören die Elektrifizierung, der Bau von Häfen und der weitere Ausbau der russischen Eisbrecherflotte.

Es ist das erste Mal seit den 1960er Jahren, dass ein Atomkraftwerk auf See eingesetzt wird. Zuletzt hatten damals die USA ein schwimmendes Atomkraftwerk im Panama-Kanal eingesetzt. Zwei chinesische Staatsunternehmen verfolgen nun ebenfalls Pläne für mindestens zwanzig schwimmende Atomkraftwerke. Auch amerikanische Wissenschaftler arbeiten Berichten zufolge an ähnlichen Projekten. Die Akademik Lomonossow ist als „schwimmendes Tschernobyl“ von Greenpeace kritisiert worden – in Anspielung auf das nukleare Desaster in Tschernobyl – und wurde auch als „nukleare Titanic“ bezeichnet.

Ängste vor einem nuklearen Unfall sind nicht zuletzt deshalb groß, weil der Start der Akademik Lomonossow nur wenige Wochen nach zwei bedeutenden militärischen Unfällen in der Region erfolgte. Im Juli brach auf dem nuklearen U-Boot Loscharik in der arktischen Barentssee ein Feuer aus, das 14 hochrangigen russischen Marineoffizieren das Leben kostete. Ein führender Marineoffizier verkündete auf der Beerdigung unheilvoll, dass die Offiziere ihr Leben gegeben hätten, um eine „planetarische Katastrophe“ zu verhindern.

Im August folgte dann ein Unfall in einem Atomkraftwerk in der Nähe der russischen Stadt Njonoksa. Sieben Menschen, davon fünf Atomwissenschaftler, wurden dabei getötet. Radioaktive Strahlung, die den akzeptierten Durchschnitt um das 16-fache überstieg, wurde freigegeben. Spekulationen zufolge ist die Ursache für den Unfall ein fehlgeschlagener nuklearer Raketentest. In beiden Fällen hat der Kreml versucht das Ausmaß der Unfälle zu vertuschen.

Ärzte des örtlichen Krankenhauses in Archangelsk, die Opfer des Njonoksa-Unfalls behandelten, sprachen mit der Online-Ausgabe Meduza, die der russischen liberalen Opposition nahesteht, über das wahre Ausmaß des Unglücks. Demnach war das ärztliche Personal nicht darüber informiert worden, dass die Verletzten hoher radioaktiver Strahlung ausgesetzt worden waren. Die Ärzte und Krankenschwester nahmen daher keine der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen vor, sodass sowohl das Personal als auch andere Patienten in der Notaufnahme gefährlicher Strahlung ausgesetzt wurden. Ein Arzt berichtete zudem, dass Krankenakten der zivilen Patienten, die im Krankenhaus für durch die Explosion verursachten Verletzungen behandelt worden waren, später vernichtet wurden. Darüber hinaus deuten Berichte darauf hin, dass vier Stationen, die in der Region Strahlung vermessen, kurz nach dem Unfall abgestellt wurden.

Die Gefahr weiterer Atomunglücke ist äußerst real. Sie kann jedoch nur vor dem Hintergrund des neuen internationalen nuklearen Wettrüstens verstanden werden. Die treibende Kraft hinter diesem Wettrüsten ist in erster Linie der US-Imperialismus. Washington ist dieses Jahr aus dem INF-Vertrag ausgestiegen. Zudem kreisen Washington und die europäischen imperialistischen Mächte Russland und China gezielt militärisch ein. Der „Wettlauf um die Arktis“ ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Entwicklung.

Die Arktis enthält Schätzungen zufolge 13 Prozent der unentdeckten Ölressourcen und 30 Prozent aller natürlichen Gasreserven der Erde. Dazu kommen gewaltige Vorkommen an seltenen Erden und andere Mineralien wie Nickel, Uran und Diamanten. Der Klimawandel hat seit den späten 1970ern zum einem Rückgang des arktischen See-Eises um 40 Prozent geführt. Damit wird zunehmend auch ein bedeutender Teil dieser Ressourcen zugänglich.

Außerdem ermöglicht dies eine direkte Seeroute von Europa nach Asien. Das schmelzende Eis verstärkt damit die seit langem schwelende Konflikte zwischen den benachbarten Ländern über Territorialansprüche auf die Landmassen und Gewässer der Arktis.

In den vergangen Jahren fanden in der Arktis die größten Militärübungen seit Ende des Kalten Krieges statt. Im September 2017 nahmen 70 000 russische Truppen an einer Militärübung in der Arktis teil und im Oktober 2018 veranstaltete die NATO eine umfassende militärische Machtdemonstration, die 50 000 Truppen umfasste, darunter 20 000 amerikanische.

Die Arktis ist für Russland von zentraler geostrategischer und ökonomischer Bedeutung. Durch seine geographische Lage besitzt Russland eine umfangreiche Grenze, die sich über weite Teile des arktischen Meeres erstreckt. Schätzungen zufolge befinden sich bis zu zwei Drittel von Russlands Öl- und Gasreserven in der russischen Wirtschaftssonderzone in der Arktis. Obwohl die Region nur durch 2 Millionen von 140 Millionen Russen besiedelt ist, kommt sie für 20 Prozent des russischen Bruttoinlandprodukts auf, welches in hohem Maße von der Förderung und dem Export von Rohstoffen abhängt.

Angesichts des militärischen und wirtschaftlichen Drucks des Imperialismus hat Russland den Großteil seiner militärischen Ausgaben für die Modernisierung der Nordflotte und die Erweiterung der militärischen Kapazitäten in der Arktis investiert. Am 24. August hat das russische Verteidigungsministerium auf Twitter verkündet, dass zwei erfolgreiche Interkontinentalraketentests von zwei Atom-U-Booten im arktischen Ozean und in der Barentssee durchgeführt wurden.

Die USA sind sich der zentralen ökonomischen Bedeutung der Arktis für die fragile russische Wirtschaft, die schwer von den Wirtschaftssanktionen der USA und EU getroffen wurde, und ihrer Bedeutung für China sehr wohl bewusst. Washington versucht daher intensiv, den chinesischen und russischen Einfluss in der Region zurückzudrängen.

In einer Rede im letzten Mai drohte US-Außenminister Mike Pompeo: „Unter Präsident Trump verstärken wir die Sicherheit und die diplomatische Präsenz der USA in der Arktis …wir halten militärische Übungen ab, stärken unsere Kräfte vor Ort, bauen unsere Eisbrecherflotte aus, erweitern die Finanzierung der Küstenwache und gründen einen neuen Militärstab für arktische Angelegenheiten.“

Pompeo verkündete ebenfalls, dass die USA ihre Präsenz in Grönland verstärken würden, um wieder „Führung in der Region“ zu übernehmen. Die Zeitschrift Politico schrieb im Mai, dass Grönland ein „Kernstück der Bemühungen des amerikanischen Außenministeriums geworden ist, die arktischen Träume Chinas zu vereiteln“. Dank seiner geostrategischen Lage ist Grönland ein wichtiger Korridor für den Schiffsverkehr zwischen der Arktis und dem Nordatlantik. Zudem befinden sich dort Schätzungen zufolge die weltweit zweitgrößten Vorkommen an seltene Mineralien, die für Batterien und Handys gebraucht werden. Das US-Innenministerium hat letztes Jahr erklärt, dass diese Mineralien maßgebend für die wirtschaftliche und nationale Sicherheit der USA sind.

Im Jahr 2018 haben die USA Druck auf Dänemark ausgeübt, damit es die Angebote aus China ablehnt, drei internationale Flughafen in Grönland zu bauen, die direkte Flüge in die USA und Europa ermöglicht hätten. Vor einigen Wochen hat Trump dann Dänemark ein erfolgsloses Angebot für den Kauf Grönlands gemacht. Im August kündigten die USA an, dass sie in Grönland für das erste Mal seit Jahrzehnten ein Konsulat eröffnen würden.

Russland und China, die vom US-Imperialismus in die Ecke gedrängt werden, arbeiten in einem gewissen Umfang in außenpolitischen und Energiefragen zusammen, unter anderem in der Arktis. Auf dem Internationalen Arktischen Forum in St. Petersburg im Juni dieses Jahres hat sich der russische Präsident Wladimir Putin offizielle hinter die chinesischen Pläne einer „polaren Seidenstraße“ als Teil der chinesischen „One Belt, One Road“-Initiative gestellt.

Die Pläne für die „polare Seidenstraße“ wurden erstmals in einem Weißbuch Pekings im Januar 2018 enthüllt. Momentan liegt Chinas bedeutendster Zugang zu Rohstoffressourcen der Arktis in der Beteiligung an der russischen Flüssiggasanlage auf der Halbinsel Jamal.

Bei dem gleichen Forum verkündete Putin zudem, dass Russland zusätzlich zu den vier bereits existierenden nuklear betriebenen Eisbrechern drei weitere plant. Bis 2035 will Russland eine Flotte mit 13 schweren Eisbrechern bauen, von denen neun nuklear betrieben würden. Russland plant auch eine dramatische Erhöhung des Frachtschifftransports über die Arktis von 20 Millionen Tonnen im Jahr 2018 auf 80 Millionen Tonnen im Jahr 2025.

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