Atomunfall in Russland: Nach wie vor ungeklärte Fragen

Zu dem Atomunfall im hohen Norden Russlands letzte Woche bestehen weiterhin ungeklärte Fragen. Am 8. August wurden bei einer Explosion in einer Militäreinrichtung nahe Nyonoska sieben Menschen getötet und mehr als ein Dutzend weitere verletzt.

Regierungsvertreter dementierten zunächst, dass radioaktives Material in die Umwelt gelangt ist. Später mussten sie jedoch zugeben, dass im nahegelegenen Sewerodwinsk eine ungewöhnlich hohe Hintergrundstrahlung herrscht, bis zu 16-mal so hoch wie normal. Im Dwinabusen, wo der Unfall vermutlich passiert ist, dürfen sich einen Monat lang keine Schiffe aufhalten. Mittlerweile sind Marineschiffe in der Region eingetroffen, die für den Umgang mit radioaktivem Müll ausgestattet sind.

Am Dienstag, ganze fünf Tage nach der Explosion, gaben staatliche Stellen Anweisung, alle Anwohner aus dem näheren Umkreis des Unfalls zu evakuieren. Dieser Befehl wurde später zurückgenommen. Einwohner von Nyonoska berichteten, dass in den folgenden Tagen Personen in Militäruniformen auftauchten, um Informationen darüber zu sammeln, wer sich am 8. August in der Stadt befand. Auch Ärzte trafen ein, möglicherweise aus Moskau. Lokale Behörden erklärten gegenüber Journalisten, die sich nach diesen Äußerungen erkundigten, für derartige Angelegenheiten sei das staatliche Gesundheitsministerium zuständig, sie selbst hätten keine weiteren Informationen.

Greenpeace Russland wirft der Regierung vor, die Höhe und die Reichweite der Strahlungsspitze in dem Gebiet nach der Explosion zu verschweigen. Laut der Umweltschutzorganisation haben die Behörden der Bevölkerung verschwiegen, dass Beta- und Gammastrahlen freigesetzt wurden. Auch in Archangelsk, einer Stadt mit 350.000 Einwohnern, etwa 90 Kilometer von Nyonoksa entfernt, war die Strahlung vom 9. bis zum 11. August beträchtlich angestiegen.

Die norwegische Regierung hat im grenznahen Svanhovd winzige Mengen von radioaktivem Jod entdeckt, allerdings ist nicht klar, ob dieser Fund in Zusammenhang mit dem Vorfall in Nyonoska steht.

Die Bewohner der Dörfer und Städte in der Nähe des Unfalls sind verängstigt und erbost über die staatlichen Vertuschungsversuche und die fehlenden Informationen darüber, was passiert ist und welche Gefahren für die Bevölkerung bestehen. Verstärkt werden die Ängste durch die Nachricht, dass die Rettungskräfte, die die ersten Opfer behandelt haben, selbst zur medizinischen Behandlung nach Moskau mussten. In den Apotheken in Archangelsk, wo das durchschnittliche monatliche Pro-Kopf-Einkommen bei umgerechnet etwa 500 Dollar liegt, sind die Jodprodukte zur Behandlung von bestimmten Strahlenbelastungen ausverkauft.

Ein Anwohner erklärte gegenüber der Presse: „Wir erinnern uns noch an Tschernobyl.“

Während die Bedenken wegen der Gefahren zunehmen, mehren sich die Spekulationen darüber, was in der Militäreinrichtung wirklich passiert ist. Der Kreml hat nur sehr spärliche Informationen veröffentlicht und erklärt, die Explosion sei Teil bei einem Test mit Flüssigtreibstoff aufgetreten.

In den letzten Jahren hat die Putin-Regierung aufgrund der militärischen und geopolitischen Drohungen der USA die Modernisierung ihres Atomarsenals forciert, damit sie in der Lage ist, auf einen Erstschlag zu reagieren oder ihn selbst durchzuführen.

Die Medien in den USA und Russland konzentrierten sich auf die Frage, ob der Unfall etwas mit Tests des neuen atombetriebenen Raketentyps Burewestnik zu tun hat, der auch als Skyfall bezeichnet wird. Sollte es gelingen, eine solche Waffe herzustellen, hätte sie eine unbegrenzte Reichweite, sodass alle geografischen Beschränkungen für ihre Ziele in einem nuklearen Schlagabtausch wegfallen würden. Eine andere Erklärung für die Explosion wäre ein Experiment mit atombetriebenen Batterien oder mit mobilen Mini-Atomreaktoren, wie sie bisweilen beschrieben wurden. An der Entwicklung solcher atomarer Kapazitäten wird bereits seit Jahrzehnten gearbeitet. Allerdings haben Militärwissenschaftler diese Versuche wegen der damit verbundenen Gefahren und Kosten wiederholt eingestellt.

Unabhängig von der Ursache der Ereignisse am 8. August ist klar, dass die korrupte herrschende Klasse Russlands, die keinerlei Rückhalt in der Bevölkerung hat, rücksichtslos und wahnwitzig nach immer tödlicheren Waffen strebt. Diese betrachtet sie als einzige Möglichkeit, sich dem Kriegskurs der USA gegen Moskau entgegenzustellen.

Etwa zeitgleich mit dem Unfall nahe Nyonoska kam es im Verlauf mehrerer Tage zu zwei Explosionen in einem Munitionslager in Sibirien. Dabei wurde eine Person getötet und mehr als 30 wurden verletzt. Trümmer wurden mehrere Kilometer weit geschleudert, und Massen von Anwohnern mussten evakuiert werden. Anfang Juli wurden bei einem Unfall auf einem Atom-U-Boot in der Barentssee 14 Menschen getötet, die Besatzung konnte eine „planetare Katastrophe“, wie es ein Marineoffizier formulierte, nur knapp verhindern.

Die US-Regierung und ihre Medien haben den jüngsten Vorfall benutzt, um ihre anti-russische Kampagne zu verstärken und die Grundlagen für den Austritt aus dem letzten nuklearen Abrüstungsabkommen mit Moskau zu schaffen, dem New-START-Vertrag, der 2021 auslaufen soll.

Der amerikanische Botschafter in Russland, Jon Huntsman, erklärte am 14. August gegenüber dem Radiosender Echo Moskwy: „Einige wollen das New-START-Abkommen verlängern. Einige wollen etwas Neues schaffen. Ich bin mir nicht sicher, was passieren wird.“

US-Sicherheitsberater John Bolton beschuldigte Russland Anfang letzter Woche gegenüber Voice of America, es habe die Technologie, die es für den gescheiterten Atomtest benutzt hat, von den USA gestohlen.

„Russlands Wirtschaftsleistung entspricht nur knapp derjenigen der Niederlande. Aber trotzdem gibt das Land genug für seine Verteidigung aus, um nicht nur sein Atomarsenal zu modernisieren, sondern auch neue Arten von Trägersystemen zu entwickeln – Überschall-Gleitflugzeuge, Marschflugkörper mit Überschallgeschwindigkeit – die größtenteils auf gestohlener amerikanischer Technologie basieren.“

Kaum hatte er solchermaßen den Ursprung der russischen Nukleartechnologie in die USA verlegt, erklärte Bolton im nächsten Atemzug: „Und wir sollten uns klar sein, dass nur die USA Länder davon abhalten kann, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen.“

Anfang August hatten die USA den INF-Vertrag aus dem Jahr aufgekündigt. Jetzt werden sie beginnen, die bisher verbotenen Raketen zu testen.

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