Ursula von der Leyen, die neue Präsidentin der Europäischen Kommission und frühere deutsche Verteidigungsministerin, hat am 10. September auf einer Pressekonferenz ihr neues Kommissions-Team vorgestellt.
Die neuen Nominierungen und Titel sind ein weiteres Anzeichen für das außerordentliche Tempo, mit dem sich die europäische herrschende Klasse nach rechts bewegt. Die neue EU-Kommission wird den Militarismus ausweiten, die Flüchtlinge noch schlimmer behandeln und überall in der EU faschistische und rechtsextreme Kräfte gegen die Arbeiterklasse mobilisieren.
Die Änderung, die in den Medien am häufigsten kommentiert wird, betrifft den Fachbereich für Einwanderung und Flüchtlinge. Das bisherige Ressort „Migration, Inneres und Bürgerschaft“ wird künftig den Namen tragen: „Schützen, was Europa ausmacht“ (auf Englisch: „Protecting the European way of life“). Sein künftiger Ressortleiter wird nicht nur für die Einwanderung und Überwachung der europäischen Außengrenzen, sondern neben der Bildungs- und Beschäftigungspolitik auch für die innere Sicherheit zuständig sein.
Der neue Titel, der die Abschottung Europas mit dem Schutz einer so genannten europäischen „Lebensweise“ verbindet, bezieht sich unmittelbar auf Themen der faschistischen Rechten. Das hätte selbst dem nationalsozialistischen Propagandaleiter Joseph Goebbels gefallen.
Ein wichtiges Thema des französischen faschistischen Ideologen Renaud Camus in seinem „Großen Austausch“ ist zum Beispiel die Vorstellung, dass die Einwanderung die „Identität“ und Kultur Europas austauschen, d.h. vernichten könnte. Brenton Tarrant, der faschistische Terrorist, der am 15. März fünfzig muslimische Besucher zweier Kirchen in Christchurch, Neuseeland, erschoss, zitierte diese „Theorie“ von Camus in dem Manifest, das er kurz vor dem Angriff veröffentlichte. Tarrants Manifest richtete sich gegen das, was er eine „Invasion“ von Immigranten in den Westen nannte.
Von der Leyen stellte ihren künftigen Vizepräsidenten Margaritis Schinas (Vertreter der konservativen Nea Dimokratia, früher Mitglied des Europäischen Parlaments) in Worten vor, die direkt aus den Publikationen der extremen Rechten hätten stammen können. „Unsere europäische Lebensart zu schützen“, betonte von der Leyen in ihrem Begleitbrief für Schinas, „das hebt auch die Bedeutung einer gut verwalteten legalen Migration hervor, mit einem Schwerpunkt auf Integration und auf den starken Zusammenhalt in unseren Gemeinden.“
Weiter schreibt sie: „Wir müssen die legitimen Ängste und Befürchtungen wegen der Folgen ungeordneter Migration auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft ernst nehmen.“ Es unterliegt keinem Zweifel, wessen „legitime Ängste“ von der Leyen dabei im Sinn hat; es sind zweifellos die extrem rechten Kräfte, mit denen sie in der EU-Kommission offensichtlich zusammenarbeiten will, um, wie sie schreibt, „einen Konsens für einen Neuanfang in der Migrationsfrage zu finden“. Schinas werde bei der Leitung dieser Arbeit „Brücken bauen“.
Von der Leyens Offenbarungen stehen im Einklang mit der aktuellen Politik der Europäischen Union, die auf dem ganzen Kontinent die Rechten fördert, und der Großen Koalition in Berlin, der sie selbst angehört hat.
Unter der Großen Koalition konnte die faschistische Alternative für Deutschland (AfD) zur größten parlamentarischen Oppositionspartei aufsteigen. Die Berliner Regierung hat auch den rechtsradikalen Professor der Humboldt-Universität, Jorg Baberowski, der wegen seines Ausspruchs, „Hitler war nicht grausam“, zu trauriger Berühmtheit gelangte, gegen die Kritik der Studierenden verteidigt, als er den deutschen Militarismus durch Verharmlosung der Nazi-Verbrechen rechtfertigte. Der deutsche Verfassungsschutz listet die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) als „linksextremistisch“, weil sie sich gegen Kapitalismus, Militarismus und Faschismus wendet und in der Arbeiterklasse für eine sozialistische Perspektive kämpft.
Die europäische Bourgeoisie geht so weit nach rechts, dass sie sogar ihre „humanitäre“ Fassade fallen lässt. Dies hat selbst bei den Journalisten der bürgerlichen Medien und im politischen Establishment eine gewisse Bestürzung hervorgerufen.
Sogar der scheidende Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, brachte seine Besorgnis über die Umbenennung des Einwanderungsressorts zum Ausdruck. Mehrere Mitglieder des Europäischen Parlaments widersprachen von der Leyens Ausführungen, und am 11. September stimmte das Europäische Parlament für einen Antrag der französischen Grünen-Abgeordneten, Karima Delli, der sich dagegen verwahrt.
Diese Proteste sind völlig zynisch und betrügerisch. Seit Jahren betreibt die Europäische Union eine Politik des Massenmords an Flüchtlingen. Dazu gehört das ausdrückliche Verbot der privaten Seenotrettung im Mittelmeer, das Tausende Geflüchtete dem Ertrinkungstod überlässt, um weitere Asylbewerber abzuschrecken. Alle Parteien, die jetzt gegen die jüngste Namensänderung protestieren, haben diese Angriffe auf Migranten unterstützt. Sie ziehen es nur vor, ihrer Politik einen etwas weniger deutlichen Namen zu geben, denn sie wissen, wie unbeliebt sie in der Bevölkerung ist, und befürchten, dass dagegen offener Widerstand ausbricht.
Von der Leyen gab auch bekannt, dass das Ressort für die Außen- und Sicherheitspolitik der Kommission künftig „Ein stärkeres Europa in der Welt“ heißen solle. Es wird vom derzeitigen Außenminister der sozialdemokratischen Regierung in Spanien, Josep Borrell, geleitet werden.
Borrell wird für den räuberischen Anspruch des europäischen Imperialismus auf Märkte und Ressourcen zuständig sein und dafür sorgen, dass die EU gegen ihre wichtigsten geopolitischen Rivalen (Russland, China und die Vereinigten Staaten) eine aggressivere Militärpolitik einschlägt.
Wir werden „unsere Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten ausbauen, unsere Beziehungen zu einem selbstbewussteren China definieren und ein verlässlicher Nachbar sein, beispielsweise für die Länder Afrikas“, sagte von der Leyen. Sie fügte hinzu: „Meine Kommission wird eine geopolitische Kommission sein“. Mehrmals betonte sie, notwendig sei ein „stärkeres Europa in der Welt“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Mit ihren Phrasen vom „verlässlichen Nachbarn“ für Afrika meint von der Leyen vor allem die auf sieben Jahre hinaus beschlossene Militärbesetzung des rohstoffreichen Mali und der Sahelzone unter französischer und deutscher Führung. Die EU unterstützt auch afrikanische Diktatoren wie Abdel Fatah al-Sisi in Ägypten, beteiligt sich militärisch an Regimewechsel-Operationen, wie im Jahr 2011 in Libyen, und finanziert und organisiert weitere Konzentrationslager für Flüchtlinge auf dem ganzen Kontinent.
Die Außenpolitik des europäischen Imperialismus führt in ihrer logischen Konsequenz zum Krieg mit den geopolitischen Rivalen, der leicht zum Atomkrieg werden könnte. Für diese Politik gibt es keinerlei Unterstützung in der Arbeiterklasse. Die Arbeiter werden gezwungen sein, den Militarismus der herrschenden Elite durch Kürzungen ihres Lebensstandards und ihrer sozialen Rechte zu bezahlen. Das ist der Grund, warum sich die herrschende Klasse – wie schon in den 1930er Jahren – erneut den rechtsextremen und faschistischen Kräften zuwendet.
Andere Nominierungen für die Europäische Kommission deuten ebenfalls auf die zunehmend aggressive Politik der großen EU-Mächte hin.
Margrethe Vestager soll als weitere Vizepräsidentin „die gesamte Agenda für ein Europa, das für das digitale Zeitalter gerüstet ist, koordinieren“. Sie wird als Kommissarin weiterhin für den Wettbewerb zuständig sein und die Regulierung des Technologiesektors überwachen. Dies deutet darauf hin, dass die EU ihre Maßnahmen gegen das Vordringen der großen US-amerikanischen Technologieunternehmen in Europa, wie Facebook, Google und Twitter, verstärken möchte.
Als Vestager amerikanische Technologieunternehmen mit Geldbußen belegte und von Google acht Milliarden Euro forderte, bezeichnete US-Präsident Donald Trump sie als „Steuer-Lady, die die USA hasst“. Am letzten Wochenende kündigte der französische Finanzminister Bruno Le Maire an, Frankreich werde Facebook daran hindern, seine neue Kryptowährung Libra auf dem Kontinent einzusetzen.
Die EU-Restriktionen für amerikanische Technologieunternehmen richten sich nicht nur gegen die US-Regierung, sondern sie zielen auch darauf ab, einzelne EU-Mitgliedstaaten zu ermächtigen, das Internet zu zensieren. Damit werden sie versuchen, den wachsenden Widerstand in der Arbeiterklasse zu unterdrücken. Als weiteres Zeichen für die Hinwendung zu autoritäre Staatsformen und den Aufbau von Polizeistaaten muss die Tatsache verstanden werden, dass die „Kommission für Nachbarschaft und Erweiterung“, die für die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten zuständig ist, von László Trócsányi geleitet wird, einem Verbündeten des rechtsradikalen Ministerpräsidenten Ungarns, Viktor Orbán. Trócsányi hat an der Umsetzung von Orbáns „Reformen“ mitgewirkt, die die Justiz völlig der Kontrolle der Regierung unterstellen.
Die Präsentation der neuen Europäischen Kommissare ist eine weitere Bestätigung dafür, dass es im bürgerlichen Establishment keine progressive Fraktion gibt. Die Arbeiterklasse steht in ganz Europa einer herrschenden Elite gegenüber, die rasch nach rechts geht und sich auf Krieg vorbereitet. Gegen die wachsende internationale Bewegung der Arbeiterklasse stützt sie sich mehr und mehr auf diktatorische Herrschaftsformen.