Als US-Präsident Donald Trump am 9. September seinen nationalen Sicherheitsberater John Bolten entließ, brachte er damit das Ausmaß der Regierungskrise ans Licht. Nach mehreren außenpolitischen Misserfolgen zeigt sich im Washingtoner Apparat ein tiefer Riss.
Noch kurz bevor Trump die Entlassung auf Twitter bekanntgab, hatte das Weiße Haus für den Nachmittag eine Pressekonferenz mit Bolton, Außenminister Mike Pompeo und Finanzminister Steven Mnuchin angekündigt. Die drei hätten dort über neue Finanzsanktionen gegen „Terrororganisationen“ und ihre angeblichen Unterstützer sprechen sollen.
Die abrupte Entscheidung, der scharfe Ton von Trumps Tweets sowie Boltons Behauptung, er sei nicht entlassen worden, sondern zurückgetreten, verdeutlichen die Schärfe der internen Auseinandersetzungen im Weißen Haus.
Die seit Langem bestehenden Differenzen zwischen Trump und Bolton über das geplante Abkommen mit den afghanischen Taliban haben sich offenbar letzte Woche noch einmal zugespitzt. Das Abkommen sollte wohl ursprünglich am Wochenende bei einem Geheimtreffen mit Vertretern der Taliban und dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani in Camp David unterzeichnet werden.
Das hatte Trump erst am Samstag bekanntgegeben, und zwar, als er das Treffen bereits abgesagt hatte – beides auf Twitter. Als Grund für die Absage nannte er einen Autobombenanschlag der Taliban am Donnerstag, bei dem ein US-Soldat getötet wurde. Allerdings ist mittlerweile klar, dass der wahre Grund für die Absage nicht der Konflikt in Kabul, sondern der in Washington war.
Die Washington Post schrieb am 30. August, Bolton sei von den Beratungen der Regierung zu Afghanistan ausgeschlossen worden, weil er jedes Abkommen mit den Taliban ablehne:
„Wie Regierungsvertreter erklärten, habe seine [Boltons] Ablehnung einer diplomatischen Lösung in Afghanistan Präsident Trump irritiert. Berater sollen den Nationalen Sicherheitsrat aus vertraulichen Diskussionen über das Abkommen ausgeschlossen haben (…)
Boltons Ausschluss aus Afghanistan sei laut Regierungsvertretern letzten Monat besonders augenfällig geworden, als sich die obersten Regierungsbeamten des Präsidenten am 16. August in Trumps privatem Golfclub in New Jersey versammelten, um über das Friedensabkommen zu sprechen, das Vertretern der afghanischen Regierung und der Taliban in Doha (Katar) vorgelegt werden sollte. Außer Trump selbst nahmen an dem Treffen Verteidigungsminister Mark T. Esper, Generalstabschef Joseph F. Dunford Jr., Vizepräsident Pence, Außenminister Pompeo, CIA-Direktorin Gina Haspel und [der US-Chefunterhändler in Afghanistan Zalmay] Khalilzad teil. Laut Regierungsvertretern habe man Bolton von Anfang an nicht eingeladen, weil man befürchtete, dass sein Team den Plan ablehnen und die Details später an die Öffentlichkeit durchreichen könnte.“
Nach Boltons Entlassung wurde in den Medien spekuliert, er könnte Informationen über die regierungsinternen Differenzen wegen Afghanistan an die Presse gegeben haben. Er soll Trump außerdem durch die Andeutung besonders verärgert haben, Vizepräsident Mike Pence lehne das Abkommen mit den Taliban ebenfalls ab. Letzte Woche hieß es in einem Artikel, Bolton und Außenminister Pompeo würden nicht mehr miteinander reden.
Bolton war in der Trump-Regierung derjenige Politiker, den man am stärksten mit einer Politik der Militärinterventionen, Wirtschaftssanktionen und diplomatischen Drohungen identifizierte – eine Politik, die darauf abzielt, in Ländern, die sich im Fadenkreuz Washingtons befinden, einen Regimewechsel durchzusetzen. Dies betrifft vor allem den Iran, Nordkorea und Venezuela. Schon in George W. Bushs Regierung war Bolton einer der lautesten Kriegstreiber, und bis heute verteidigt er nachdrücklich die US-Invasion und Besetzung Afghanistans und des Irak.
Bolton hat sich mit großem Nachdruck für die Politik eines Regimewechsels in Venezuela eingesetzt, die unter Trump seit Januar verfolgt wird. Im Rahmen dieser Politik wurde der bis dahin so gut wie unbekannte Juan Guaido als legitimer Präsident dargestellt und das Militär zu einem Putsch gegen Präsident Nicolas Maduro ermutigt. Acht Monate später ist Maduro noch immer an der Macht, und Trump soll das Vertrauen in die Operation verloren haben, nachdem der schnelle politische Sieg ausgeblieben ist, den Bolton offenbar versprochen hatte.
Trump und Bolton haben sich auch wegen des Kurses gegen den Iran entzweit. Trump soll sich nur zehn Minuten vor Abschuss der Raketen gegen Angriffe auf den Iran entschieden haben, nachdem Streitkräfte der Revolutionsgarde eine unbemannte US-Drohne über iranischem Hoheitsgewässer im Persischen Golf abgeschossen hatten. Berichten zufolge lehnte Bolton auch Trumps Entscheidung ab, sich am 30. Juni in der entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea mit dem nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-un zu treffen. Dabei machte Trump einen symbolischen Schritt über die Grenze hinweg auf nordkoreanisches Staatsgebiet.
Boltons Entlassung bedeutet jedoch keineswegs, dass Trump vom Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung seiner außenpolitischen Ziele abrücken würde. Noch vor einem Monat hatte er erklärt, er könne den Krieg in Afghanistan in ein paar Tagen gewinnen, wenn er sich dazu entschließe, zehn Millionen Menschen zu töten. Diese Äußerung verdeutlicht, was für Diskussionen im Weißen Haus hinter den Kulissen geführt werden.
Die Demokratische Partei reagierte auf Boltons Entlassung zunächst hauptsächlich mit der Sorge, dass das offensichtliche Chaos im Weißen Haus den weltweiten Interessen des amerikanischen Imperialismus schaden könnte. Die Instabilität der Trump-Regierung zeigt sich an der Fluktuation ihres Personals: Sie hat bisher drei nationale Sicherheitsberater, zwei Außenminister, drei Verteidigungsminister und die amtierenden Chefs von einem halben Dutzend Spitzenämtern entlassen.
Bolton war nur 17 Monate als nationaler Sicherheitsberater tätig, sein Vorgänger, General H.R. McMaster, nur 13 Monate, und der ehemalige General Michael Flynn nur 23 Tage. In einem Pressekommentar wurde nachgerechnet, dass Trump einschließlich der amtierenden nationalen Sicherheitsberater, die für Flynn und Bolton eingesprungen sind, mittlerweile in weniger als drei Jahren fünf nationale Sicherheitsberater eingesetzt hatte. Die Präsidenten Clinton, Bush und Obama hatten zusammen in 24 Jahren sieben nationale Sicherheitsberater.
Der Konflikt zwischen Trump und Bolton ist kein Kampf zwischen „Falken“ und „Tauben“ in der Regierung, sondern Teil eines Konflikts um die imperialistische Strategie. Dieser Konflikt dominiert Washington bereits seit drei Jahren.
Trump betrachtet die Konflikte im Irak, Syrien und Afghanistan, die er von Bush und Obama geerbt hat, als Ablenkung von seinem zentralen Thema: der Gefahr für die wirtschaftliche Vorherrschaft Amerikas, die von China ausgeht. Seine Politik des Handelskriegs und der militärischen Provokationen im Südchinesischen Meer sowie seine Annäherungsversuche an Nordkorea entspringen seiner gegen China gerichteten Orientierung.
Doch das außenpolitische Establishment der USA, einschließlich der Demokraten, betrachtet Afghanistan als entscheidenden Test für den globalen Führungsanspruch Amerikas. Sein Verlust hätte in ihren Augen genauso verheerende Folgen für die globale Stellung des US-Imperialismus wie die Niederlage in Vietnam.
Die USA sind seit mehr als 40 Jahren in Afghanistan engagiert. Die demokratische Regierung von Jimmy Carter hatte islamisch-fundamentalistische Guerillas mobilisiert, aus denen später die Taliban und Al-Qaida hervorgingen. Präsident Obama nannte Afghanistan – im Gegensatz zum Irak – den „guten Krieg“ und verschärfte den Konflikt durch die Stationierung von mehr als 100.000 US-Soldaten.
Trump handelt auf der Grundlage von Transaktionen. Er glaubt, er könne mit der richtigen Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche einen „Deal“ mit den Taliban, Kim Jong-un oder sogar der iranischen Theokratie abschließen. Die Demokraten und Bolton lehnen eine Vereinbarung ab, die dazu führen würde, dass die Taliban als Gegenleistung für das Versprechen, „sich gut zu benehmen“, Kabul erhalten würden.
Einflussreiche Außenpolitiker sind der Meinung, dass diese Politik das zentrale strategische Ziel untergrabe, das die amerikanische Außenpolitik seit Jahrzehnten verfolgt: die Herrschaft über die eurasische Landmasse. Deshalb fordern die Demokraten, den Konflikt mit Russland zu verschärfen und den Krieg in Afghanistan fortzuführen. Allen Wahlkampfreden der demokratischen Präsidentschaftskandidaten zum Trotz haben sie nicht die Absicht, sich aus Afghanistan zurückzuziehen. In dieser Hinsicht stehen die Demokraten Boltons Außenpolitik näher als der von Trump.
Seit Trumps Amtsübernahme, und schon davor, konzentrierte sich der Widerstand der Demokraten auf sein Bestreben, sich aus dem Nahen Osten und vor allem aus Syrien zurückzuziehen, um die Anstrengungen der USA auf China zu richten. Trump ist dabei auf Russland zugegangen, woraufhin die Demokraten die betrügerische Anti-Russland-Kampagne und die Mueller-Untersuchung angezettelt haben, um jedes Abweichen vom Konfrontationskurs gegen Russland als Verrat zu brandmarken. Der Versuch, sich mit den Taliban in Afghanistan zu arrangieren, hat den Konflikt über die Stoßrichtung der US-Außenpolitik auf die Spitze getrieben.