Grenzpolizisten gehen an den europäischen Außengrenzen mit aller Härte gegen Flüchtlinge vor, die in die Europäische Union gelangen wollen. Hetzjagden im Wald, illegale Zurückschiebungen und massive Schlagstockeinsätze sind an der Tagesordnung.
Beteiligt sind nicht nur die als notorisch gewalttätig bekannten Grenzpolizisten in Ungarn, Kroatien, Griechenland und Bulgarien. Die schweren Menschenrechtsverletzungen finden vor den Augen von Beamten statt, die von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex entsandt worden sind. Das zeigen Frontex-eigene Dokumente, die von Journalisten des britischen Guardian, des ARD-Fernsehmagazins Report München und des Recherchebüros Correctiv gemeinsam ausgewertet worden sind.
Danach haben Frontex-Beamte, die zur Unterstützung der jeweiligen nationalen Grenzpolizeien abgestellt worden sind und offiziell die Einhaltung rechtlicher Mindeststandards im Umgang mit Flüchtlingen sicherstellen sollen, in hunderten Fällen die Misshandlung von Flüchtlingen toleriert. Darüber hinaus haben sich Frontex-Beamte bei Abschiebungen wiederholt rechtswidrig verhalten, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge abgeschoben und massive körperliche Gewalt eingesetzt, um Flüchtlinge während des Abschiebefluges ruhig zu stellen.
Die Journalisten berichten von einem Fall an der ungarisch-serbischen Grenze, bei dem zehn jugendliche Flüchtlinge aus Afghanistan nahe der serbischen Stadt Horgos von ungarischen Grenzpolizisten entdeckt wurden, die einen Hund auf die Flüchtlinge hetzten. Drei Flüchtlinge wurden gebissen. Danach drangen die Grenzschützer auf serbisches Territorium vor, um die Afghanen mit Pfefferspray und Schlagstöcken zu attackieren. Vier Flüchtlinge wurden dabei bewusstlos geschlagen.
In anderen von Frontex selbst dokumentierten Fällen wurden Flüchtlinge von Grenzpolizisten geschlagen und ausgeraubt. Wurden diese schweren Menschenrechtsverletzungen der Frontex-Zentrale in Warschau vorgelegt, blieb das stets ohne Folgen. Untersuchungen wurden innerhalb kürzester Zeit eingestellt.
Mit den Vorwürfen konfrontiert, wich Frontex-Sprecher Krysztof Borowski den Anschuldigungen aus. Er behauptete: „Wir haben einen speziellen Mechanismus, wie uns Beamte auf so etwas hinweisen können. Dann treten wir mit dem Staat in Kontakt, um die Situation zu diskutieren. Wir informieren sie, was los ist, und haben dann eigene Wege, damit umzugehen. Es hat Konsequenzen, potenzielle Konsequenzen. Am Ende können wir die Operation beenden, wenn nötig.“
Tatsächlich wurde jedoch noch nie eine Operation von Frontex-Beamten an den EU-Außengrenzen abgebrochen. Frontex-Direktor Fabrice Leggeri argumentierte in einem Schreiben an Nichtregierungsorganisationen, die den sofortigen Abzug der Frontex-Grenzschutzbeamten aus Ungarn forderten, sogar zynisch, dass die Anwesenheit von Frontex das Risiko minimiere, dass ungarische Grenzpolizisten gewalttätig würden.
Leggeri verhöhnt damit nicht nur die Opfer der verbrecherischen Flüchtlingspolitik an den Grenzen Europas, er bringt angesichts der zahlreichen, bekannt gewordenen Fällen von Misshandlungen und Rechtsbrüchen auch klar zum Ausdruck, dass die Frontex-Zentrale das brutale Vorgehen an den EU-Außengrenzen toleriert.
Es ist daher nicht überraschend, dass Frontex-Beamte selbst an Misshandlungen beteiligt sind. Die Grundrechtsbeauftragte von Frontex, Annegret Kohler, berichtete im März 2019 dem Frontex-Verwaltungsrat, dass bei Abschiebeflügen, die von Frontex organisiert, koordiniert und durchgeführt werden, immer wieder gegen Menschenrechtsstandards und EU-Richtlinien verstoßen wird.
Trotz Verbots werden immer wieder Minderjährige ohne Begleitung von Erwachsenen abgeschoben. Handschellen und Körperfesseln werden „nicht so genutzt, wie es notwendig und verhältnismäßig ist“. Flüchtlingen werden bei Abschiebeflügeln die Augen zugedrückt. In einem Fall sollen sieben (!) Frontex-Beamte einen Flüchtlinge mit aller Gewalt in seinen Sitz gepresst haben. Ein Vorgehen, bei dem Flüchtlinge schon zu Tode gekommen sind.
Der vom griechischen Parlament eingesetzte unabhängige Beauftragte für Menschenrechte, Andreas Pottakis, beobachtet auch von Frontex organisierte und koordinierte Abschiebeflüge. Er kritisiert die fehlende unabhängige Kontrolle der europäischen Grenzschutzagentur: „Ich finde es sehr schwer zu akzeptieren, dass eine EU-Agentur niedrigere Standards zur Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit anwendet, als das, was die EU ihren Mitgliedsstaaten vorschreibt.Das kann so nicht sein.“
Das Problem von Frontex ist jedoch nicht die fehlende Kontrolle. Die Institution ist von Grund auf reaktionär und undemokratisch. Als Frontex 2004 von der EU ins Leben gerufen wurde, sollte die Agentur vor allem „Risikoanalysen“ von weltweiten Fluchtbewegungen erstellen und die EU-Mitgliedsstaaten bei der technischen Aufrüstung der Grenzsicherungsanlagen beratend unterstützen. Frontex stand beim Bau der „Festung Europa“ damit von Beginn an an vorderster Front.
2004 belief sich das Budget von Frontex noch auf 6 Millionen Euro. Seither wurde es ebenso rasch erweitert, wie die Befugnisse der Grenzschutzagentur gewachsen sind. Aus unterstützenden Analyse- und Beratungstätigkeiten wurden Eingreifkommandos, die in Grenzregionen mit hohem Flüchtlingsandrang aktiv die Einreise in die EU verhindern. Frontex konnte dazu auf eine wachsende Zahl von Schiffen, Fahrzeugen und Hubschraubern zurückgreifen. Das Budget stieg bis 2011 auf 118 Millionen Euro und ist seither kontinuierlich auf 330 Millionen gewachsen. In diesem Jahr sendet Frontex ständig 1500 Grenzpolizisten in die EU-Mitgliedsstaaten.
Frontex wird zu einer mächtigen europäischen Polizeibehörde ausgebaut. Im April dieses Jahres wurde die neue Frontex-Verordnung nach nur sechsmonatigen Verhandlungen zwischen Europaparlament, Kommission und Rat im Eilverfahren durch die Institutionen gepeitscht. Frontex-Grenzschützer dürfen danach zukünftig selbständig an den Außengrenzen tätig werden, Kontrollen durchführen und Daten sammeln. Die Behörde darf für mehr als 2 Milliarden Euro eigene Schiffe, Flugzeuge, Drohnen und Fahrzeuge kaufen und wird unabhängiger von den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten.
Die Auslandseinsätze von Frontex werden auch auf Staaten außerhalb der EU ausgeweitet. Als Testballon sind 50 Frontex-Beamte samt Ausrüstung nach Albanien beordert worden, um dort die Balkanroute für Flüchtlinge noch undurchdringlicher zu machen. Das Besondere daran ist, dass die EU-Grenzpolizisten vor zivil- und strafrechtlicher Verfolgung durch albanische Behörden geschützt sind, was einem Freibrief für Menschenrechtsverletzungen gleichkommt. Frontex hat zudem Befugnisse erhalten, ohne jede demokratische Legitimation und Kontrolle eigene Vereinbarungen mit Nicht-EU-Ländern wie Serbien, Nigeria oder den Kap Verden zu schließen.
Das Budget von Frontex wird gleichzeitig verfünffacht und steigt 2021 auf 1,6 Milliarden Euro. Insgesamt sind in der kommenden Haushaltsperiode der EU mehr als 11 Milliarden Euro für Frontex vorgesehen. Die Zahl der Grenzschutzbeamten soll bis zum Jahr 2024 von derzeit 1500 auf 10.000 steigen.
Seit einem Jahr benutzt Frontex Drohnen zur Überwachung der Außengrenzen, die vor allem über dem Mittelmeer eingesetzt werden. Diese Drohnen sind die Antwort der EU auf eine selbst verursachte humanitäre Katastrophe. Täglich ertrinken Flüchtlinge, die in Europa nach Schutz und einem menschenwürdigen Leben suchen, oder werden in libyschen Internierungslagern versklavt und misshandelt. Die Mission Sophia, die dem internationalen Seerecht unterworfen und damit gezwungen war, Flüchtlingen in Seenot zu helfen und sie nach Europa zu bringen, ist eingestellt worden.
Die Drohnen, die das Mittelmeer lückenlos absuchen, melden Flüchtlingsboote nur noch der libyschen Küstenwache, die die Flüchtlinge zurück nach Libyen in die entsetzlichen Internierungslager bringt. Die EU betreibt dadurch eine illegale Pushback-Politik, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen.
Gegenüber dem britischen Guardian erklärte Gabriele Iacovino, der Direktor des Center for International Studies, eines führenden italienischen Thinktanks, dass der Umstieg auf Drohnen einen Weg darstelle, „Geld auszugeben, ohne die Verantwortung zu haben, Leben zu retten“. Zudem könne man dadurch die regelmäßig wiederkehrenden Auseinandersetzungen innerhalb der EU vermeiden, wohin die geretteten Flüchtlinge gebracht werden.
Opfer dieser zynischen Politik sind die Flüchtlinge. Das Mittelmeer zwischen Libyen und Italien ist schon seit Jahren die tödlichste Seeregion der Welt. Seit dem Rückzug der EU und der Kriminalisierung und Verfolgung privater Seenotrettungsschiffe ist das Risiko, auf der Überfahrt nach Europa zu ertrinken, für die Flüchtlinge noch einmal drastisch gestiegen. Von den rund 8500 Flüchtlingen, die in diesem Jahr versucht haben, Italien über das Mittelmeer zu erreichen, sind 567 ertrunken.
Die Drohnen, die auch bewaffnet werden können, sind zudem ein weiterer wichtiger Mosaikstein für die lückenlose Überwachung der EU-Außengrenzen, der jeder Reisende unterworfen werden kann.
Trotz der massiven Vorwürfe gegen Frontex versuchen die Grünen im Europaparlament, der Behörde durch ein paar kosmetische Änderungen den Schein demokratischer Legitimation zu verleihen. So erklärte der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt gegenüber Report München: „Ich glaube, das ist immer eine Gefahr, wenn eine Institution so schnell wächst. Wir haben versucht, dass dann zumindest ein Prozent der Gelder auch in Grund- und Menschenrechte fließt, haben uns da aber nicht durchsetzen können. Wahrscheinlich werden es jetzt ungefähr 0,2 Prozent sein. Das ist natürlich zu wenig.“
Es ist mehr als zynisch, Frontex und Menschenrechte in einem Atemzug zu nennen. Die Grenzschutzbehörde treibt den Ausbau der Festung Europa voran, geht bei der Flüchtlingsabwehr buchstäblich über Leichen und missachtet deren demokratische Rechte. Die Grünen wollen der Öffentlichkeit Sand in die Augen streuen, indem sie ernsthaft behaupten, dass Frontex – und implizit die gesamte EU – reformierbar seien. Tatsächlich ist die Entwicklung von Frontex nur ein Ausdruck der scharfen Rechtswende der herrschenden Eliten, die auch innerhalb der EU zu autoritären Herrschaftsformen greifen, um den wachsenden sozialen Spannungen zu begegnen.