Eine Antwort an den Zeit-Redakteur Jochen Bittner

Am 30. Juli veröffentlichte die WSWS den Kommentar Zeit-Redakteur Jochen Bittner wettert in der New York Times gegen den „deutschen Pazifismus“. Bittner verlangte daraufhin einen Kontakt zum Autor des Artikels, WSWS-Redakteur Johannes Stern. Wir dokumentieren hier den folgenden E-Mail-Austausch zwischen Bittner und Stern.

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Sehr geehrter Herr Stern,

vielen Dank, dass Sie sich melden. Ich habe nur eine kurze Frage: Wie alt sind Sie?

Dass Sie in der NS-Diktatur sozialisiert worden sind, erscheint mir unwahrscheinlich. Vielleicht haben Sie aber eine Karriere im SED-Regime hinter sich, etwa beim MfS? Oder sind Sie sehr jung und geschichtsblind.

Ich frage deshalb, weil die Bezeichnung von politisch Andersdenkenden als psychisch krank ein Merkmal beider deutscher Diktaturen war.

Mit freundlichen Grüßen,
Jochen Bittner

Dr. Jochen Bittner
DIE ZEIT
Politische Redaktion

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Sehr geehrter Herr Dr. Bittner,

Sie wollen wissen, wie alt ich bin? Ich sehe keinen Grund, Ihnen mein genaues Geburtsdatum mitzuteilen. Aber so viel verrate ich Ihnen, ich bin alt genug, um mich an die deutsche Wiedervereinigung zu erinnern und an all die feierlichen Proklamationen, damit sei eine neue Ära des Friedens und der Demokratie angebrochen. Seitdem habe ich wie viele andere meiner Generation erlebt, wie all diese Versprechungen durch endlose Kriege, die Zunahme des Militarismus und, zu meinem großen Entsetzen, die immer aggressiveren Forderungen nach einer neuen deutschen Kriegspolitik widerlegt wurden.

Meine Kritik an dem, was Sie geschrieben haben, ist keine persönliche Beleidigung, sondern politisch. Sie nutzen ihren Einfluss als politischer Redakteur der Zeit und als Autor der New York Times, um Militarismus und Krieg zu propagieren, was schreckliche Konsequenzen hat. Das ist die Lehre aus den zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert und den illegalen Angriffskriegen im Nahen und Mittleren Osten in diesem Jahrhundert. Pazifismus und Antimilitarismus gerade in Deutschland als „moralische Arroganz“ zu verurteilen, ist dabei nicht einfach die Meinung eines „politisch Andersdenkenden“.

Wie Sie sicherlich wissen, lauteten die ersten beiden Anklagepunkte bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen 1945/46: „Verbrechen gegen den Frieden“ und „Teilnahme an der Planung, Vorbereitung, Entfesselung und Führung von Angriffskriegen“. Dies fand auch seine Berücksichtigung im Grundgesetz. So heißt es etwa in Artikel 26, dass alle „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, […] verfassungswidrig“ und „unter Strafe zu stellen“ sind.

Was Ihr Kommentar widerspiegelt, ist eine mittlerweile weit fortgeschrittene Tendenz in Politik und Medien, wieder offen für eine aggressive Außen- und Großmachtpolitik und für Krieg einzutreten. Dazu gehört die systematische Verharmlosung der Verbrechen des deutschen Imperialismus im Ersten und Zweiten Weltkrieg, bei denen die Humboldt-Professoren Herfried Münkler („Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem schuld gewesen.“) und Jörg Baberowski („Hitler war nicht grausam“) eine zentrale Rolle spielen.

Gestatten Sie mir am Ende, auch Ihnen eine Frage zu stellen. Haben Sie im Zuge Ihrer zahlreichen Strategiediskussionen mit Vertretern des außenpolitischen Establishments und Thinktanks – wie dem German Marshall Fund und der Stiftung Wissenschaft und Politik – jemals die Konsequenzen Ihrer Forderungen durchgesprochen? Wie würde die Welt aussehen, wenn sie wieder den deutschen Militarismus „fürchten“ müsste? Wie viele Länder sollen diesmal überfallen und wie viele Menschenleben für die Interessen des deutschen Imperialismus und Kapitalismus geopfert werden? Was wären die Folgen eines Kriegs gegen den Iran oder gar gegen die Nuklearmacht Russland, für den Sie und die Zeit so fleißig agitieren?

„Geschichtsblind“ ist derjenige, der zynisch und provokativ mit diesen Fragen umgeht und 80 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wieder die Kriegstrommel rührt.

Mit freundlichen Grüßen

Johannes Stern

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