Die Konfrontation zwischen Großbritannien und dem Iran erhöht die Gefahr eines katastrophalen Kriegs im Nahen Osten. Anlass ist die Beschlagnahme eines britischen Öltankers durch den Iran in der Straße von Hormus.
Am Freitag, 19. Juli, hatten iranische Revolutionsgarden das schwedische Schiff Stena Impero gekapert, das unter britischer Flagge fährt. Es soll angeblich gegen internationale Seefahrtsregeln verstoßen haben.
Die krisengeschüttelte britische Tory-Regierung reagierte darauf mit Drohungen gegen den Iran und warnte vor „ernsthaften Konsequenzen“. Vor fast drei Wochen hatte sie in einem Akt der Piraterie einen iranischen Öltanker vor Gibraltar gekapert, den sie seither in Gewahrsam hält.
Am Dienstag verkündete der britische Außenminister Jeremy Hunt nach einer Dringlichkeitssitzung des nationalen Sicherheitskabinetts (Cobra), „eine Schutzkoalition unter europäischer Führung“ zusammenzustellen. Sie solle „dafür sorgen, dass in dieser so wichtigen Region freie Fahrt herrscht.“ Man habe „darüber schon in den vergangenen zwei Tagen konstruktive Gespräche mit einer ganzen Reihe von Ländern geführt“ und „werde später in der Woche besprechen, wie das am besten auf die neuesten US-Vorschläge für diese Gegend abgestimmt werden kann.“
Bereits zuvor hatte sich das Sicherheitskabinett mehrmals getroffen und beschlossen, Großbritanniens militärische Präsenz in der Region und besonders in der Straße von Hormus zu verstärken. Durch diesen nur 33 Kilometer breiten, stark frequentierten Seeweg werden ein Fünftel aller weltweiten Öllieferungen und ein Drittel des flüssigen Erdgases der Welt transportiert.
Am Sonntag erklärte der britische Verteidigungsminister Tobias Ellwood, Großbritannien erwäge „mehrere Optionen“, u.a. die Beschlagnahme aller iranischen Auslandskonten, wenn der schwedische Tanker nicht freigegeben wird.
Laut der Zeitung The Sun wurde bereits die „Entsendung eines britischen Atom-U-Boots der Astute-Klasse beschlossen, das sich vermutlich bereits auf dem Weg befindet und in wenigen Tagen in der Region eintreffen wird“.
Die Sun berichtete außerdem, die Royal Marines würden „die Erlaubnis zum Einsatz großkalibriger Maschinengewehre, von Scharfschützen und leichten Panzerabwehrraketen erhalten, um die iranischen Streitkräfte abzuschrecken“.
Auch die HMS Duncan, ein Luftabwehrzerstörer vom Typ 45, wird als Unterstützung für das bereits in der Region stationierte britische Kriegsschiff HMS Montrose entsandt. In Bahrain befindet sich ein Unterstützungsschiff der Royal Navy, die RFA Cardigan Bay. Die Zeitung berichtete außerdem: „Die HMS Kent, eine weitere U-Boot-Abwehr-Fregatte des Typs 23, wird in fünf Wochen in Richtung Golf auslaufen.“
Obwohl offiziell „alle Optionen auf dem Tisch liegen“, berichtete der Daily Telegraph am Samstagabend: „Großbritannien hat seine Verbündeten, die USA, vermutlich darum gebeten, sich anfangs mit provokanten Äußerungen über die Beschlagnahme der Stena Impero durch den Iran zurückzuhalten, da eine diplomatische Lösung der Krise gesucht wird.“
Weiter hieß es: „Jeremy Hunt … hat am Freitagabend mit seinem US-Amtskollegen Mike Pompeo gesprochen, der sich in Argentinien befand. Britische und amerikanische Regierungsvertreter diskutierten die ganze Nacht von Freitag auf Samstag. Vertreter des Weißen Hauses haben die Berichte nicht dementiert, laut denen Großbritannien den USA mitgeteilt hat, es versuche die Lage zu deeskalieren.“
Die Ereignisse in der Straße von Hormus haben die politische Krise in Großbritannien massiv verschärft. Premierministerin Theresa May ist seit Monaten politisch gelähmt und wird nahezu mit Sicherheit noch diese Woche von Hunts Herausforderer, dem Brexit-Befürworter Boris Johnson, als Tory-Parteichefin und Premierministerin abgelöst.
May wurde so stark ausgegrenzt, dass sie laut Sky News an dem Cobra-Treffen am Freitag „nicht einmal über eine gesicherte Videoverbindung“ teilnahm, obwohl sie als Premierministerin normalerweise den Vorsitz über diese Treffen führt.
Johnson ist letzten Juli nach weniger als einem Jahr als Mays Außenminister zurückgetreten. Da er damit kein Mitglied des Kabinetts mehr ist, nahm er ebenfalls nicht teil. Als wichtigster Brexit-Befürworter unter den Tories steht Johnson für den Ausbau der Beziehungen mit den USA, um nach dem Brexit ein Freihandelsabkommen aushandeln zu können. Er hat eine enge Beziehung zu dem EU-feindlichen US-Präsidenten Trump aufgebaut und steht schon vor seinem Amtsantritt als Premierminister in engem Kontakt zu diesem. Laut Sky News hat „Boris Johnson am Donnerstag ein geheimes Gespräch mit Trump geführt …“
Angesichts der immensen geopolitischen Auswirkungen von Großbritanniens Unterstützung für die Trump-Regierung bei einer Militäraktion gegen den Iran – und weil die britische Bevölkerung einen weiteren imperialistischen Raubzug im Nahen Osten entschieden ablehnt – sahen sich Johnson und Hunt in ihren Wahlkampfreden zu dem Versprechen gezwungen, sie würden keine US-Militärschläge unterstützen.
Mehrere Kolumnisten der nominell liberalen und der rechten Medien haben solche Bedenken geäußert und erklärt, es wäre schädlich für das „nationale Interesse“, wenn Großbritannien in einen weiteren Krieg im Nahen Osten hineingezogen würde.
Simon Tisdall schrieb im Guardian einen Artikel mit dem Titel: „Wie Trumps Erzfalke [Pompeo] Großbritannien in eine gefährliche Falle gelockt hat, um den Iran zu bestrafen“. Darin erklärte er, Großbritannien sei aufgrund der Beschlagnahme des iranischen Tankers „mitten in eine internationale Krise gestürzt, auf die es schlecht vorbereitet ist. Das Timing könnte kaum schlechter sein. Ein noch unerfahrener Premierminister, vermutlich Boris Johnson, wird diese Woche in der Downing Street einziehen. Großbritannien steht kurz vor einem ungeordneten Austritt aus der EU, durch den es seine engsten europäischen Partner verlieren könnte. Und seine Beziehung zu Trumps Amerika ist auf einzigartige Weise angespannt.“
Gideon Rachman warnte in der Financial Times, Johnson „steht möglicherweise vor einer schweren diplomatischen Krise mit dem Iran, die sich zu einem militärischen Konflikt entwickeln könnte“.
Die Beziehungen zwischen den USA, Großbritannien und der Europäischen Union stünden vor dem Zusammenbruch, da „die Entscheidung Großbritanniens, sich in seiner Iran-Politik an die Seite Washingtons zu stellen, vermutlich das Ende der Bemühungen der EU bedeuten würde, das Atomabkommen mit dem Iran am Leben zu erhalten“. Rachman fügte hinzu: „Es würde auch das Ende einer seit langem bestehenden außenpolitischen Haltung Großbritanniens bedeuten und könnte die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen militärischen Konfrontation erhöhen.“
Teile des Militärs und des Großkapitals unterstützen offen die Aufrüstung gegen den Iran. Zum Beispiel erklärte der ehemalige First Sea Lord und Ex-Minister einer Labour-Regierung, Lord West: „Sie [die Iraner] sind es, die mit einem Angriff auf eins unserer Handelsschiffe die Lage eskaliert haben. Wenn sie also eines unserer Handelsschiffe angreifen, bekommen sie die Quittung dafür.“
Allerdings warnte West am Samstag in einer Kolumne im Guardian auch: „Ein Militärschlag gegen den Iran ist nicht angemessen, und es übersteigt außerdem die Kapazitäten unserer Streitkräfte, alleine zu handeln.
Allerdings sollten wir den Iranern deutlich machen, dass wir zwar bisher versucht haben, mit Washington über eine Lockerung der Sanktionen zu reden, wir uns jetzt aber auf die Seite der USA stellen und die Sanktionen verschärfen werden, wenn der Iran unser Schiff und seine Besatzung nicht freilässt.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Er warnte: „Gewisse einflussreiche Gruppen in Israel, Saudi-Arabien und den USA wollen einen Krieg und glauben, ein Präzisionsschlag gegen wichtige Teile der militärischen Kapazitäten des Iran werde zu einem Regimewechsel führen. Damit irren sie sich. Das Ergebnis wäre ein unbefristeter Krieg mit katastrophalen Folgen für die Region und die Welt.“
Er fuhr fort: „Es besteht ein sehr reales Risiko, dass eine Fehleinschätzung oder eine voreilige Aktion zu einem Krieg führen könnte.“ An die Adresse von Johnson und Hunt schrieb er: „Wenn es dort zum Krieg kommt, muss sich Großbritannien uneingeschränkt auf die Seite der USA stellen – egal was manche Leute denken.“
Die Eskalation der Spannungen in den letzten Wochen zeigt, dass die allgemeine Tendenz sich auf einen militärischen Konflikt zubewegt. Großbritannien kommt einem Krieg mit jedem Tag näher. Nun versuchen die Befürworter einer drastischen Erhöhung des britischen Militäretats und einer Verstärkung der Streitkräfte, aus der Krise Kapital zu schlagen.
Die Medien des milliardenschweren Oligarchen Rupert Murdoch machen sich schon seit langer Zeit zum Sprachrohr für diese Positionen. Deborah Haynes, die bei Sky News für Außenpolitik und zuvor bei Murdochs Times für Verteidigungspolitik zuständig war, wurde als Mitglied einer Gruppe britischer Journalisten enttarnt, die dem „Cluster“ der Integritätsinitiative (II) angehören. Diese II wurde von der Londoner Denkfabrik Institute of Statecraft gegründet, um Propaganda für den britischen Imperialismus zu verbreiten.
Haynes schrieb am Wochenende in einem Sky-News-Leitartikel: „Tatsache ist, dass die Royal Navy nicht mehr genug Kriegsschiffe hat, um den Schiffsverkehr durch den Golf zu begleiten und gleichzeitig ihren Verpflichtungen im Rest der Welt nachzukommen.“
Sie klagte über die Verringerung des britischen Militärarsenals: „Der Niedergang der Royal Navy und der anderen Streitkräfte war eine politische Entscheidung nach dem Ende des Kalten Kriegs.“
Weiter hieß es: „Verteidigungsexperten haben seit Jahren gewarnt, dass Großbritannien erst im Falle einer Niederlage oder eines katastrophalen Versagens auf internationaler Bühne erkennen wird, dass die Kosteneinsparungen beim Militär ein selbst verschuldeter Akt des nationalen Vandalismus waren.
Könnte die Beschlagnahme des Tankers Stena Impero dieser Weckruf sein?
Längerfristig sollten die Beschränkungen der britischen Verteidigungsfähigkeit, die die Golf-Krise enthüllt hat, den nächsten Premierminister dazu bringen, ausreichend Geld, strategisches Denken und Innovationen in den Wiederaufbau der Streitkräfte zu investieren, damit sich Großbritannien nicht nochmals in einer so misslichen Lage wiederfindet.“
Haynes betonte: „Unmittelbar müssen die Verteidigungschefs von ihren politischen Führern die Möglichkeit bekommen, eine härtere Haltung gegenüber dem Iran einzunehmen.“