Die Bundesregierung will den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Syrien fortführen und die Luftwaffe entgegen der Bestimmung im aktuellen Mandat auch über den 31. Oktober hinaus in der gesamten Region einsetzen. Dies verkündete Regierungssprecher Steffen Seibert im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin Anfang dieser Woche.
Deutschland leiste „seit Jahren einen erheblichen und auch international anerkannten Beitrag zur Anti-IS-Koalition“, erklärte Seibert. Die Bundeswehr sei „in der Luftaufklärung tätig, in der Luftbetankung und auch bei der Ausbildung von irakischen Einheiten“. Nun sei die deutsche Regierung „gemeinsam mit unseren Verbündeten, mit der amerikanischen Seite, im Gespräch, wie sich das Engagement in der Region weiter entwickeln soll“.
Die Entsendung deutscher Bodentruppen, wie sie die US-Regierung und ihr Sonderbeauftragter für Syrien, James Jeffrey, am Wochenende für die Ausbildung kurdischer Kämpfer in Nordsyrien ins Spiel gebracht hatten, ist laut Seibert angeblich nicht geplant. Gleichzeitig machte er deutlich, dass die Bundesregierung hinter dem Rücken der Bevölkerung eine Ausweitung ihres Engagements in der US-geführten Anti-IS-Koalition vorbereitet.
Dabei gehe es „um eine ganze Reihe von sowohl militärischen als auch zivilen Komponenten, die geeignet sein könnten, um vor Ort in der Region eine Stabilisierung zu erreichen“. Der deutsche Ansatz sei, „dass wir unsere bisherigen Maßnahmen möglichst fortführen wollen“. Denn eines sei klar: „Die Herausforderung durch den sogenannten Islamischen Staat ist noch keineswegs verschwunden. Es ist gelungen, ihm Gebiete abzunehmen, die er vormals in Syrien und Irak gehalten hat. Aber die Gefahr durch den Islamischen Staat besteht weiterhin.“
Das ist die bekannte Propaganda. In Wirklichkeit geht es den imperialistischen Mächten nicht um den Kampf gegen den IS, der selbst ein Produkt des brutalen Regimewechselkriegs in Syrien ist, der 400.000 Menschen das Leben gekostet und große Teile des Landes zerstört hat. Das eigentliche Kriegsziel war und ist der Sturz des Regimes von Baschar al-Assad und die Installation eines pro-westlichen Marionettenregimes in Damaskus.
Anders als noch beim Überfall auf den Irak 2003 und im Libyen-Krieg 2011 hat sich Deutschland daran von Anfang an beteiligt. Bereits 2012 hatte das Auswärtige Amt gemeinsam mit dem regierungsnahen Think Tank Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) das Projekt „The Day After“ ins Leben gerufen und eine „Vision für eine Nach-Assad-Ordnung“ veröffentlicht.
Nun, da Assad und seine russischen und iranischen Verbündeten vor einem militärischen Sieg stehen und die USA ihre Kriegsvorbereitungen gegen den Iran eskalieren, rüsten auch die europäischen Mächte weiter auf, um ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen in der Region durchzusetzen.
Medienberichten zufolge haben Frankreich und Großbritannien der Bitte der US-Regierung entsprochen und sich bereit erklärt, zusätzliche Soldaten nach Syrien zu schicken. Paris und London würden ihre Truppen „geringfügig“ um 10 bis 15 Prozent aufstocken, zitierte das Magazin Foreign Policy am Mittwoch einen US-Regierungsvertreter. Auch Italien stehe kurz davor, zusätzliche Streitkräfte zu mobilisieren. Ebenso seien eine Reihe von Balkan- und baltischen Staaten „fast sicher“ dass sie Soldaten entsenden, um US-Truppen zu ersetzen, zitiert das Magazin eine andere Quelle.
Auch in Deutschland plädieren führende Politiker der Regierungsparteien für die Entsendung von Bodentruppen nach Syrien. So erklärte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer am Sonntag im ZDF-Sommerinterview, deutsche Bodentruppen in Syrien wären „für uns ein ganz großer Sprung“. Man müsse sich aber „immer bewusst machen: es geht hier auch ein gutes Stück um unsere eigene Sicherheit in Deutschland, nicht nur um das, was die Vereinigten Staaten möchten“.
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Johann Wadephul erklärte gegenüber Vertretern der Deutschen Presse-Agentur, dass die Anfrage aus Washington „nicht reflexartig zurückgewiesen werden“ dürfe. Schließlich gehe es „in dieser Region um unsere Sicherheit und nicht die amerikanische“.
Der CDU-Verteidigungsexperte und Vorsitzende der Reservistenarbeitsgemeinschaft des Bundestags, Patrick Sensburg, betonte in einem Interview mit dem Focus, dass die Forderung der USA nach Bodentruppen keineswegs vom Tisch sei. Es sei auch „unsere Verpflichtung, in der Region für Frieden zu sorgen“ und „eine größere Verantwortung [zu] übernehmen“. Schließlich sei „der Kampf gegen den IS weit weg von den USA und nah dran an Europa“. Man könne „nicht immer sagen: ‚Das sollen mal schön die Amerikaner machen‘.“
Führende Sozialdemokraten, die die US-amerikanischen Rückzugspläne aus Syrien bereits in der Vergangenheit scharf verurteilt hatten, haben ebenfalls deutlich gemacht, dass sie die Anfrage aus Washington im Kern unterstützen.
Die USA seien „unter anderem wegen der internationalen Kritik von ihren Abzugsplänen wieder abgerückt. Denn der IS ist in der Region weiterhin eine reale Gefahr“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Fritz Felgentreu. „Jetzt erwarten die USA von den gleichen Ländern Unterstützung. Das ist nachvollziehbar.“ Man solle „deshalb mit den anderen Ländern der Anti-IS-Koalition bewerten, was jetzt noch notwendig ist und welches Land dabei welche Aufgabe übernehmen kann“.
Auch die Oppositionsparteien im Bundestag sind nicht grundsätzlich gegen eine Ausweitung des Einsatzes und die Entsendung von Truppen. Sie betonen allerdings, dass er stärker den deutschen und europäischen Interessen in der Region dienen müsse.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff erklärte gegenüber der Welt: „Solange es keine politische Lösung für Syrien gibt, brauchen wir über deutsche Bodentruppen nicht zu reden.“ Die Anfrage der USA zeige allerdings, dass es mittelfristig ohne einen europäischen Beitrag nicht gehen werde. „Die Bedingung dafür muss sein, dass Europa an der Erarbeitung einer neuen politischen Ordnung in Syrien gleichberechtigt beteiligt wird. Beim bisherigen Ansatz kann es jedenfalls nicht bleiben.“
Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Tobias Lindner, äußerte sich gegenüber der Welt ähnlich. „Deutsche Bodentruppen in Syrien wären überhaupt nur dann denkbar, wenn es ein Mandat des UN-Sicherheitsrates und eine glaubwürdige Friedensperspektive gibt.“
Am aggressivsten drängt die Linke, die von Anfang an Kriegspartei im Syrienkrieg war, auf eine größere außenpolitische Unabhängigkeit von den USA. Deutschland dürfe kein „Befehlsempfänger der Vereinigten Staaten“ sein, forderte Dietmar Bartsch, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Tobias Pflüger, der verteidigungspolitische Sprecher der Linkspartei, warnte, der US-Administration gehe es „nur um Ersatz für ihre Soldatinnen und Soldaten, auch damit sie auf anderen Feldern freie Hand haben“. Deutschland dürfe sich „nicht noch weiter in den Syrienkrieg ziehen lassen“.
Tatsächlich beschränken sich die deutsch-europäischen Militärplanungen nicht auf Syrien. Am Donnerstag plädierte die Süddeutsche Zeitung in einem Kommentar dafür, dem von US-Präsident Donald Trump anvisierten anti-iranischen Militärbündnis für die Straße von Hormus beizutreten. „Die Freiheit der Schifffahrt“ sei „ein hohes Gut, gerade für eine derart vom Export abhängige Nation wie Deutschland“, heißt es dort. Sie müsse „auch in Krisenregionen wie dem Persischen Golf verteidigt werden“.
Der Vorschlag des Blatts: Auch „Kriegsschiffe aus Europa oder aus Asien“ sollten „das Nadelöhr vom Golf von Oman zum Persischen Golf“, durch das „40 Prozent des weltweit verschifften Erdöls“ gehen, sichern. Sie „wären für Iran weniger provokativ als amerikanische oder saudische Patrouillenboote“ und zugleich „ein weiteres Signal an Teheran, dass Europa zwar das Atomabkommen aufrechterhalten will, nicht aber die aggressive Regionalpolitik der Islamischen Republik widerspruchslos hinnimmt“.
Die Behauptung der SZ, eine weitere Armada von Kriegsschiffen im Pulverfass Naher Osten sei „ein Beitrag zur Krisenprävention“, ist offensichtlich absurd. Sie würde die Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation mit dem Iran erhöhen, die sich auf die gesamte Region ausweiten und zu einer möglichen Konfrontation mit den Nuklearmächten Russland und China und damit in einen dritten Weltkrieg führen könnte.