Perspektive

Massenhinrichtungen in Saudi-Arabien wecken Appetit der Wall Street

Die abscheulichen öffentlichen Enthauptungen vom 23. April in Saudi-Arabien haben kaum Protest ausgelöst. Weder die westlichen Regierungen noch die bürgerlichen Medien stören sich vernehmlich daran, dass an einem einzigen Tag 37 Männer enthauptet wurden.

Dieselben Zeitungen und Rundfunknetze, die mit lauter moralischer Empörung auf Missbräuche – seien sie erfunden oder real – reagieren, wenn es um die Regierungen in Russland, China, Iran, Syrien oder Venezuela geht, bleiben völlig ungerührt, wenn es um Hinrichtungen in Saudi-Arabien geht. Sie bewahren ihr kaltes Stillschweigen, obwohl auch drei junge Männer mit dem Schwert enthauptet wurden, die als Minderjährige verhaftet worden waren. Unter Folter zu einem Geständnis gezwungen, wurden sie wegen „Terrorismus“ verurteilt und hingerichtet. Ihr einziges Verbrechen bestand darin, dass sie bereit waren, sich an Protesten gegen die diktatorische Monarchie zu beteiligen.

Einer dieser Enthaupteten war Abdulkarim al-Hawaj. Ihn verhafteten die saudischen Sicherheitskräfte, als er gerade 16 war, weil er an einem Protest in der Ostprovinz teilgenommen hatte, wo der Großteil der schiitischen Minderheitsbevölkerung lebt. Seit 2011 kommt es in der ölreichen Provinz im Osten Saudi-Arabiens zu Protesten gegen die systematische Diskriminierung und Unterdrückung der Schiiten durch die Monarchie. Deren Herrschaft stützt sich auf die offizielle und staatlich geförderte religiöse Doktrin des Wahabismus, einer ultrakonservativen sunnitischen Sekte.

Abdulkarems wahres „Verbrechen“ bestand offenbar darin, dass er auf den sozialen Medien zur Teilnahme an einer Demonstration aufrief. Er kam in Einzelhaft und wurde geschlagen, mit Stromkabeln gefoltert und an den Handgelenken aufgehängt, bis er bereit war, ein falsches Geständnis zu unterschreiben.

Ebenfalls in der barbarischen Hinrichtungsorgie umgebracht wurde Mujtaba al-Sweikat, der als Siebzehnjähriger am Flughafen verhaftet wurde, als er gerade ein Flugzeug in die Vereinigten Staaten besteigen wollte. Dort wollte er an der Western Michigan University studieren. Auch sein Verbrechen bestand darin, dass er den Mut hatte, gegen die saudische Königsdiktatur zu demonstrieren.

Sein Vater, der ihn im Scheinprozess vertrat, beschuldigte den Staat, die „Illusion“ einer „terroristischen Zelle“ zu schaffen, wo es gar keine gebe. „Er war psychischen und physischen Misshandlungen ausgesetzt, die an seinen Kräften zehrten“, sagte Sweikats Vater vor Gericht. „Der Vernehmungsbeamte diktierte Sweikat das Geständnis und zwang ihn, es zu unterschreiben, damit die Folter aufhört. Er hat es unterschrieben.“

Wie in allen Fällen ignorierte das Gericht die Beweise für Folter und erzwungene Geständnisse und verhängte die Todesstrafe durch Enthauptung, die schon zuvor vom Hause Saud beschlossen war.

Die US-Regierung äußert sich zu diesen Gräueltaten praktisch gar nicht. Ein Sprecher des Außenministeriums gab eine Standarderklärung mit folgendem Inhalt heraus: „Wir haben diese Berichte gesehen. Wir fordern die Regierung Saudi-Arabiens und alle Regierungen auf, zu garantieren, dass die Prozesse frei von willkürlichen und außergerichtlichen Inhaftierungen sind, und dass sie Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und Religions- und Glaubensfreiheit gewährleisten.“

Bei den Enthauptungen wurde ein Opfer gekreuzigt und ein abgetrennter Kopf öffentlich aufgespießt, um jeden einzuschüchtern, der Widerspruch gegen den de-facto-Herrscher des Königreichs, Kronprinz Mohammed bin Salman, auch nur in Erwägung ziehen sollte.

Ausgerechnet in den zwei Tagen nach den öffentlichen Enthauptungen in Saudi-Arabien schaffte es das US-Außenministerium, Russland wegen „schwerer Menschenrechtsverletzungen“ in Tschetschenien öffentlich zu brandmarken, Venezuela wegen „Einschüchterung und Inhaftierung“ der von den USA finanzierten rechten Opposition zu verurteilen und Kuba die „Unterdrückung von Menschenrechten“ vorzuwerfen.

Die Gleichgültigkeit der Washingtoner Elite gegenüber den Massenhinrichtungen in Saudi-Arabien entlarvt den Zynismus und die Heuchelei sämtlicher „Menschenrechtsansprüche“ des US-Imperialismus. Er empört sich nur, wenn die angeblichen Verbrechen von Regierungen begangen werden, die er als strategische Rivalen betrachtet oder zu stürzen versucht. Saudi-Arabien dagegen gilt für die Vereinigten Staaten seit langem als Säule der imperialistischen Herrschaft im Nahen Osten. Schon die Obama-Regierung reagierte im Januar 2016 ähnlich kalt auf die Massenhinrichtung von 47 Männern.

Mehr noch: während die US-Regierung unverhohlen mit den Verbrechen des saudischen Regimes paktiert, umarmen die Wall Street und das globale Finanzkapital die blutige monarchische Diktatur in Riad.

Im Oktober letzten Jahres haben viele Wall Street Banker und Top-Manager ihre Reise zur jährlichen saudischen Investment-Konferenz namens „Davos in der Wüste“ abgesagt. Das Treffen – zu dem dieselben Konzerne untergeordnete Mitarbeiter schickten – fand nur wenige Wochen nach der brutalen Ermordung und Zerstückelung des bekannten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul statt.

Khashoggi war ein Insider des Regimes gewesen, der als Assistent des saudischen Geheimdienstchefs und als halboffizieller Gesprächspartner zwischen dem Hause Saud und den westlichen Medien vermittelte, bevor er sich mit Riad überwarf. Khashoggi wurde von einem Hinrichtungskommando des saudischen Militär- und Geheimdienstes ermordet. Die CIA und andere Geheimdienste führten seinen Tod unmittelbar auf einen Befehl von Kronprinz bin Salman zurück.

Der Mord an dem gut vernetzten Journalisten, der in seinem selbst gewählten US-Exil eine Kolumne in der Washington Post unterhalten hatte, rief kurzzeitig Proteste hervor und erregte die Aufmerksamkeit von US-Medien und Politikern. Seither sind sechs Monate vergangen, und das Verbrechen ist weitgehend vergessen. US-Beamte sprechen vage über die Notwendigkeit, Rechenschaft abzulegen. Sie ignorieren dabei, dass der Auftraggeber des grausamen Attentats niemand Geringerer als ihr engster Verbündeter, bin Salman, ist.

Sechs Monate waren mehr als genug Zeit für die Wall Street, um alle Hemmungen zu überwinden und voll und ganz an der jüngsten saudischen Finanzkonferenz teilzunehmen, die im King Abdul Aziz International Conference Center stattfand. Die Konferenz wurde unmittelbar nach den Massenhinrichtungen eröffnet. Das Konferenzzentrum ist jedoch meilenweit vom Deera Square in Riad entfernt, wo die Henker gerade Köpfe mit Schwertern abschlugen, so dass die Vorstandschefs sich keine Sorgen machen mussten, ihre eleganten Schuhe mit Blut zu beflecken.

Die Stimmung auf der Konferenz ähnelte sehr dem schwindelerregenden Empfang, den bin Salman während seines Besuchs in den USA vor knapp einem Jahr erfuhr, als er von Milliardären wie Jeff Bezos, Bill Gates, Mark Zuckerberg und Oprah Winfrey als Visionär und „Reformer“ begrüßt wurde.

„Wir sind begeistert von der Rolle, die wir hier spielen können“, sagte John Flint, CEO von HSBC, auf der Konferenz in Riad. „Das ist eine Volkswirtschaft, in die wir viel Vertrauen haben. Ich denke, die Zukunft ist vielversprechend.“

Er prahlte damit, dass mehrere ehemalige HSBC-Banker der saudischen Regierung beigetreten seien. „Es war uns eine Ehre, so viele unserer ehemaligen Kollegen im Publikum zu sehen, die jetzt Ihrem Land dienen wollen.“

An der Konferenz nahmen unter anderem Larry Fink, CEO von Blackrock, Daniel Pinto, Vorstandschef von JPMorgan, Akihiko Nishio, Vizepräsident der Weltbank für Entwicklungsfinanzierung, sowie Vertreter verschiedener anderer Banken und Hedgefonds teil.

Larry Fink von Blackrock war besonders überschwänglich. Er schob alle Bedenken bezüglich der abscheulichen Verbrechen des saudischen Regimes beiseite, zu denen nicht nur die Massenhinrichtungen dieser Woche und die Ermordung von Khashoggi gehören, sondern auch der von den USA unterstützte Krieg, dem Zehntausende von Jemeniten zum Opfer gefallen sind, und der Millionen an den Rand des Hungers gebracht hat.

„Die Tatsache, dass es Probleme in der Presse gibt, bedeutet nicht, dass ich von einem Ort weggehen muss. In vielen Fällen bedeutet es, dass ich hingehen und investieren sollte, denn am meisten Angst haben wir vor Dingen, über die wir nicht reden“, sagte er und sprach kein Wort mehr über die „Dinge, über die wir nicht reden“.

Der Magnet, der alle finanzkapitalistischen Parasiten anzieht, ist Saudi-Arabiens staatlich geführte Ölgesellschaft Aramco, deren Einkommen dem der fünf größten Energiekonzerne der Welt entspricht und die kombinierten Nettogewinne von Apple und Google übersteigt.

Viele der in Riad vertretenen Banken und Finanzhäuser, darunter JPMorgan, HSBC, Citigroup und Goldman Sachs, nahmen diesen Monat an Aramcos Floating von Anleihen im Wert von 12 Milliarden Dollar teil.

Der saudische Energieminister Khalid Al-Falih betonte auf der Konferenz in Riad, der Verkauf der Anleihe von Aramco sei „nur der Anfang“, und die Aussicht bestehe, dass der Ölriese bereits im nächsten Jahr einen Börsengang (IPO) durchführen könnte.

„Es wird noch mehr geben“, fügte er hinzu. „Ich sage Ihnen nicht, was und wann, und es werden nicht nur Bonds sein. Aramco wird früher, als Sie denken, an die Aktienmärkte gelangen.“

Blackrock-Chef Fink, der die „Reformen“ der saudischen Monarchie als „erstaunlich“ bezeichnete, sagte, er sehe „sehr große Chancen“ im gesamten Nahen Osten und betonte, dass die Region „sicherer“ werde.

Wer den Nahen Osten nach einem Vierteljahrhundert imperialistischer Kriege, die Millionen Menschen das Leben gekostet und ganze Gesellschaften zerstört haben, als „sicherer“ bezeichnet, muss wahnhaft sein.

Zweifellos sind für Fink und seine Finanz-Oligarchen die Massenhinrichtungen von „Terroristen“ – ein Synonym für Agitatoren, Unruhestifter und Dissidenten – kein Problem, sondern ein Vorteil. Sie sind der Ansicht, dass die Verteidigung ihres riesigen Reichtums unter Bedingungen beispielloser sozialer Ungleichheit und einer zunehmend kämpferischen Arbeiterklasse ähnliche Maßnahmen im In- und Ausland erfordern wird.

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