Dieses Jahr jährt sich zum hundertsten Mal die Gründung der Bauhaus-Bewegung in Deutschland. Sie spielte eine Schlüsselrolle für die Entwicklung fortschrittlicher Kunst und Kultur im 20. Jahrhundert. Eine Reihe neuer Bücher sind zum Bauhaus-Jubiläum erschienen, und zahlreiche Ausstellungen und Events in Berlin, Dessau, Weimar und anderswo beschäftigen sich mit dem Thema.
Um unsere Leser mit dem Bauhaus vertraut zu machen, veröffentlichen wir hier erneut ein Interview der WSWS aus dem Jahr 1999 (auf Deutsch am 5. Januar 2000) mit dem britischen Künstler Wilfred Franks (1908–2003). Er hatte von 1929 bis 1931 an dieser einflussreichen Schule für Kunst und Gestaltung studiert.
Franks erhielt seine Ausbildung unter Reinhold Weidensee in der Tischlerei des Bauhauses in Dessau in Deutschland, wo er unter anderen Walter Gropius, Paul Klee, Wassily Kandinsky und László Moholy-Nagy kennen lernte.
Nach seiner Rückkehr nach Großbritannien arbeitete er in einer Ausbildungsstätte für junge Männer im Bergwerksgebiet im Nordosten von England, wo er einige seiner im Bauhaus erworbenen Fähigkeiten weitergeben konnte. In dieser Zeit lernte er auch den hervorragenden Komponisten Michael Tippett kennen, der sein enger Freund und Mitarbeiter wurde.
Später schloss er sich als Tänzer der Margaret Barr Company an. (Barr hatte ihre Ausbildung bei Martha Graham erhalten und gehörte zu den Erneuerern des modernen Tanzes in Großbritannien.) Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Frank zehn Jahre lang im Designerteam im Ford-Werk Dagenham. Später wandte er sich wieder der Lehrtätigkeit zu und arbeitete im Polytechnikum Leeds als Dozent für Design. Franks war Trotzkist, und bis zu seinem Lebensende im Jahr 2003 unterstützte er das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI).
Das „Staatliche Bauhaus“ wurde von Walter Gropius (1883–1969), seinem ersten Direktor, im April 1919 im thüringischen Weimar gegründet. Gerade in Deutschland war das eine Zeit politischer Krisen und Unruhen. Mitten im Gemetzel des ersten Weltkrieges hatte die Oktoberrevolution in Russland 1917 dem allgegenwärtigen Nationalismus der kriegslüsternen imperialistischen Mächte das Banner der internationalen Solidarität und des Sozialismus entgegengestellt.
Die Machtergreifung durch die Arbeiter- und Soldatenräte in Russland unter der Führung der Bolschewistischen Partei inspirierte die deutschen Revolutionäre des Spartakusbundes, und sie schickten sich an, unter Führung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ihrem Beispiel zu folgen. Das ganze Land war in Aufruhr. Den Spartakisten folgten viele tausende Arbeiter und Intellektuelle. Sie fühlten sich von den Sozialdemokraten abgestoßen, weil diese den sozialistischen Internationalismus aufgegeben und sich in den Patriotismus geflüchtet hatten.
Am 9. November 1918, zwei Tage vor Erklärung des Waffenstillstands, trat der Kaiser zurück. Liebknecht rief eine sozialistische Republik aus, die sich auf Arbeiter- und Soldatenräte stützen sollte. Die sozialdemokratische Partei (SPD), die 1914 für die Kriegskredite des Kaisers gestimmt und den Krieg unterstützt hatte, trat nun auf den Plan, um die deutsche „Novemberrevolution“ im Keim zu ersticken. Mit Unterstützung der SPD wurde der Aufstand der Arbeiter unterdrückt, und im Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zusammen mit Hunderten Mitgliedern der neu gegründeten Kommunistischen Partei ermordet.
Vor diesen stürmischen Ereignissen hatten zahlreiche Künstler versucht, eine eigene kreative Sprache zu entwickeln: Da gab es die Gruppe Der Blaue Reiter, dem in Deutschland Wassily Kandinsky, Paul Klee, Franz Marc und August Macke angehörten, die Fauvisten in Frankreich, mit Georges Braque und Henri Matisse, und die Bewegung De Stijl in den Niederlanden, zu denen Piet Mondrian und Theo van Doesburg gehörten.
Während und nach dem Krieg nahmen einige künstlerische Tendenzen eine offenere politische Färbung an. Die Dada -Bewegung, die 1916 in der Schweiz begründet wurde, vertrat eine rebellische und nihilistische Ablehnung des kulturellen und gesellschaftlichen Status Quo. Zu ihren Anhängern gehörten der Franzose Marcel Duchamp, der Amerikaner Man Ray und die Deutschen George Grosz und Max Ernst.
Die Oktoberrevolution von 1917 in Russland und die Politik der Bolschewiki, die breitmöglichste künstlerische und intellektuelle Freiheit und künstlerisches Experimentieren unterstützten, hatten eine inspirierende Wirkung. Die Werke von Malewitsch, Tatlin, Eisenstein, Rodtschenko, El Lissitzky und vielen anderen hatten einen Einfluss, der weit über die Grenzen der UdSSR hinaus reichte.
Das Bauhaus ging aus diesem kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Nährboden hervor. Als junger Mann stand Walter Gropius unter dem Einfluss der Werke von John Ruskin und William Morris. Vor dem ersten Weltkrieg machte er eine Ausbildung zum Architekten und arbeitete zusammen mit Ludwig Mies van der Rohe und Charles Edouard Jeanneret (später bekannt unter dem Namen Le Corbusier) im Büro von Peter Behrens.
Wie Tausende andere hatten die Kriegserlebnisse Gropius radikalisiert. Er wurde Vorsitzender einer linken Vereinigung von Architekten, Künstlern und Intellektuellen, dem „Arbeitsrat für Kunst“, der den Anspruch hatte, die Novemberrevolution in den Bereich der Kunst auszuweiten. Gropius glaubte an die Notwendigkeit einer neuen Gesellschaft. Sein Ziel war, die Trennung zwischen Kunst und Handwerk zu überwinden und eine Gesamtumgebung zu schafften, die für das Leben der Menschen geeignet war.
Das Bauhaus-Manifest, das Gropius im April 1919 verfasste, enthielt als Illustration einen Holzschnitt von Lyonel Feininger, dem Mann, dem Gropius als erstem eine Aufgabe im Bauhaus übertragen hatte. Dieser Holzschnitt, Kathedrale,zeigt ein raketenähnliches stolz in den Himmel hinein ragendes Gebäude. Auf den drei Türmen des Gebäudes befinden sich fünfzackige Sterne, die Lichtstrahlen aussenden. Feininger, der auch den Arbeitsrat für Kunst unterstützte, hatte dieses Motiv keineswegs aus religiösem Symbolismus gewählt.
Die Illustration dieser „Kathedrale des Sozialismus“ (auch: „Kathedrale der Zukunft“) repräsentiert die Ziele des Bauhauses, die darin bestehen, die Architektur im Dienste des Menschen als einem gesellschaftlichen Wesen mit Kunst und Gestaltung zu vereinen. „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!“ schrieb Gropius in den einleitenden Zeilen des Bauhaus-Manifests. „Ihn zu schmücken war einst die vornehmste Aufgabe der bildenden Künste, sie waren unablösliche Bestandteile der großen Baukunst. Heute stehen sie in selbstgenügsamer Eigenheit, aus der sie erst wieder erlöst werden können durch bewusstes Mit- und Ineinanderwirken aller Werkleute untereinander. Architekten, Maler und Bildhauer müssen die vielgliedrige Gestalt des Baues in seiner Gesamtheit und in seinen Teilen wieder kennen und begreifen lernen, dann werden sich von selbst ihre Werke wieder mit architektonischem Geiste füllen, den sie in der Salonkunst verloren.“
Das Bauhaus zog viele führende Künstler dieser Zeit an, darunter Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Schlemmer, László Moholy-Nagy und andere. Sie bildeten nebeneinander Kunsthandwerker in den Bereichen Stein, Holz, Metall, Ton, Glas, Farbe (Malfarbe) und Textilien aus, und ihr Fachwissen versetzte die Studenten in die Lage, die Materialien und Werkzeuge jedes Mediums zu meistern („Werklehre“). Für jeden Bereich stand auch eine Lehrkraft zur Verfügung, die in der „Formlehre“ die dazu gehörigen Probleme behandelte und die Fähigkeiten der Studenten bezüglich Beobachtung, Darstellung und Komposition förderte.
Im Februar 1924 verloren die Sozialdemokraten ihre Mehrheit im Thüringer Landtag an die Nationalisten, die das Bauhaus von Anfang an offen abgelehnt hatten. Im September kürzte das Bildungsministerium die Gelder der Schule um 50 Prozent und wandelte alle Verträge der Beschäftigten in 6-Monats-Verträge um. Für Gropius, der bereits nach alternativen Finanzierungsquellen Ausschau gehalten hatte, war dies der letzte Strohhalm gewesen. Zusammen mit dem Meisterrat kündigte er die Schließung des Bauhauses zum Ende März 1925 an. Die SPD, die in Dessau jahrelang regiert hatte, bot an, das Bauhaus in dieser Stadt zu errichten. 1926 zogen Gropius und seine Mitarbeiter nach Dessau um.
Der tragische Verrat der deutschen Arbeiterklasse durch ihre politischen Führer öffnete den Nazis den Weg an die Macht. Die Kommunistische Partei, nun unter dem direkten Einfluss Stalins, und die Sozialdemokraten weigerten sich, eine Einheitsfront zu bilden, um Hitlers Braunhemden zu stoppen. Im September 1932 gewannen die Nazis die Mehrheit im Dessauer Gemeinderat und sperrten jede finanzielle Unterstützung für das Bauhaus. Die Schule war gezwungen, nach Berlin umzusiedeln, wo sie für kurze Zeit ohne öffentliche Gelder überlebte. Am 11. April 1933 wurde das Bauhaus durch die Berliner Polizei, die auf Anweisung der neuen Nazi-Regierung handelte, schließlich geschlossen. Die Ausstellung „Entartete Kunst“, die die Nazis 1937 organisierten, zeigte die Werke mehrerer früherer Bauhaus-Lehrer.
Den Nazis gelang es jedoch nicht, das Bauhaus vollständig auszulöschen. Die Zwangsschließung und die folgende Emigration vieler früherer Mitarbeiter und Studenten sorgten dafür, dass das Bauhaus weltweit berühmt wurde und an Einfluss gewann. Das galt insbesondere für die USA, wo 1937 in Chicago eine Bauhaus-Schule etabliert wurde. Das Bauhaus hatte einen fortdauernden Einfluss auf die Ausbildung im Bereich Bildende Kunst und in der Architektur. Aber viele, die einst im Bauhaus gearbeitet hatten, schufen, losgetrennt von den sozialistischen Idealen, die die Bewegung inspiriert hatten, und in ein völlig anderes kulturelles Umfeld geworfen, ausdruckslose und entmenschlichte Gebäude.
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Das nachfolgende Interview stammt von der langjährigen britischen Trotzkistin Barbara Slaughter. Sie hatte Wilfred Franks in seinem Haus in North Yorkshire besucht, wo er ihr über seine Erfahrungen mit dem Bauhaus berichtete.
Barbara Slaughter:Können Sie die ersten Eindrücke schildern, die Sie vom Bauhaus hatten?
Wilf Franks: Ich war knapp 22 Jahre alt, als ich zum Bauhaus nach Dessau kam. Das war im Jahr 1929. Ich bin im Januar 1908 geboren. Anfangs wusste ich nicht, was das Bauhaus eigentlich war. Ich dachte, es sei einfach eine Ausbildungsstätte für Architekten. Bei meiner Ankunft war ich sehr beeindruckt von dem Gebäude. Der Anblick hat mich sehr bewegt, das war etwas, was ich nicht erwartet hatte und was ich mir wohl auch nicht hätte vorstellen können.
Ich kam nach Einbruch der Dunkelheit an und stand vor diesem wunderschönen Gebäude mit Glasfront, alles war erleuchtet und man sah, wie die Menschen in dem Gebäude umher gingen. Versuchen Sie sich das einmal vorzustellen: einen 15 Meter hohen Bereich mit Glas, durch das die Lichter strahlen, und die Stahlträger der Konstruktion in einem Abstand von etwa eineinhalb Metern hinter dem Glas. Sie können sich nicht vorstellen, welch ein Erlebnis dieser Anblick für mich war. Ihnen hätte es genauso die Sprache verschlagen wie mir. Ich war in ein fremdes Land gekommen und hatte gerade eine furchtbar unangenehme Zugreise hinter mir, wo die Leute eine Sprache sprachen, die ich nicht verstehen konnte, und plötzlich war ich an diesem wunderbaren Ort angekommen und ich fragte mich: „Wo bin ich hier?“
Die Studenten versammelten sich alle um mich. Ich war der erste Engländer. Sie waren sehr erfreut über diese Tatsache, denn sie verbanden damit die Vorstellung, dass ihnen internationale Anerkennung zuteilwerde – dass die Schule in der ganzen Welt bekannt werde.
Sie führten mich hinein und setzten mir eine Mahlzeit vor. Dann führten sie mich in eine große Halle, wo sie mir Fotos von Werkstücken zeigten. Sie zeigten mir auch einige Zeichnungen, und plötzlich entdeckte ich mich auf einer der Zeichnungen. Sie hatten mich erst zwanzig Minuten vorher getroffen, im Hof und in der Dunkelheit, und schon hatten sie Zeichnungen des frisch angekommenen Engländers angefertigt.
Die Studenten zeigten mir das ganze Gebäude, das Theater, die Werkstätten und die Studentenunterkünfte. Im Bauhaus waren die Werkstätten jeweils auf spezifische Materialien ausgerichtet: Holz, Stein, Metall, Ton usw. Die Studenten wurden dazu angehalten, alle Möglichkeiten zu erforschen, wie die verschiedenen Materialien verwendet werden konnten, durch Abwägen, Nachdenken, durch Sich-in-die-Materialien-Hineinfühlen, um ihre Qualitäten herauszufinden und um zu sehen, ob diese Qualitäten noch erhöht und für die Verbesserung der Lebensqualität verwendet werden konnten.
BS:Was haben Sie im Bauhaus studiert?
WF: In jeder Werkstätte gab es einen Formmeister oder Gestaltungslehrer, und einen Werkstattmeister oder technischen Lehrer. Ich kam in die Werkstatt von Reinhold Weidensee, einem sehr guten Handwerksmeister, und ich lernte bei ihm die Herstellung von Möbelstücken. Gropius war zuvor in der gleichen Werkstätte als Formmeister tätig gewesen, hatte aber einige Monate vor meiner Ankunft diese Tätigkeit aufgegeben und so war er für mich am Anfang nur ein Name.
Eines Tages sagte Weidensee zu mir, es sei vorgesehen, dass ich für die „Hygieneausstellung“ in Dresden ein Bett baue. Er sagte: „Das Bauhaus hat ein hygienisches Haus gebaut, und deine Aufgabe ist nun, ein hygienisches Bett zu bauen.“
Er gab mir einige lange Bretter zum Abhobeln und wir legten sie in die Presse und pressten hartes Buchenholzfurnier auf Oberfläche und Seiten jedes Bretts. Danach wurden die Bretter geglättet und bemalt. Anschließend rieben wir sie mit nassem und trockenem Sandpapier ab, bemalten sie erneut und rieben sie wieder mit Sandpapier ab. Das wiederholten wir drei oder vier Mal und danach glänzten die Bretter wie Glas. Sie hatten eine wunderschöne grüne Farbe.
Viele kamen und sahen sich die Arbeit an. Einige waren jünger als ich und mehrere um einiges älter. Sie machten alle möglichen Vorschläge, wie das Werkstück interessanter oder praktischer gestaltet werden könnte, indem man es möglicherweise hier oder da abänderte. Ich hörte ihnen zu und lernte von ihnen. Und nun weiß ich nicht, wer das Bett entworfen hat. Ich galt als der Designer, weil ich die Handarbeit machte, aber ich weiß nicht, wer das Design wirklich festgelegt hat, weil so viele Menschen ihre Vorschläge einbrachten. Ich erinnere mich an meine eigenen Ideen und wie Weidensee mich korrigierte. Im Bauhaus half jeder jedem. Wir lernten voneinander. Die Studenten waren am Lehrvorgang in gleicher Weise beteiligt wie die Meister.
Bei Feierabend legten wir alle Werkzeuge vorsichtig in die Schränke zurück und ölten die Werkbänke, so dass sie für den nächsten Tag völlig sauber waren. Häufig stellte ich am folgenden Morgen fest, dass die Werkbank nochmals von jemand anderem geölt worden war. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was da vor sich ging. Nachdem wir die Werkstatt verlassen hatten, kamen noch andere Studenten, die untertags ihrem Broterwerb nachgingen und nach Arbeitsschluss ins Bauhaus kamen, um ihre Bauhaus-Tätigkeiten nachts zu erledigen. Mir wurde klar, dass der Einzugsbereich der Schule viel größer, besser organisiert und völlig anders war, als der erste Eindruck bei meiner Ankunft vermuten ließ.
BS:Welchen Einfluss hatten sozialistische Ideen auf die Arbeit im Bauhaus?
WF: Weidensee war sehr sympathisch, sehr aufrichtig und ruhig. Er war es auch, der mir sagte: „Du musst Kommunist werden, wenn du das meiste aus unseren Lehren machen willst, denn alles gründet sich darauf. Die Weltrevolution hat in Russland ihren Anfang genommen.“
Er wusste nicht, was Moholy-Nagy [1], der aus Ungarn kam und die Ungarische Revolution mitgemacht hatte, wusste. Der hatte mir gleich zu Anfang gesagt: „Die Konterrevolution hat bereits stattgefunden. Stalin ist der Erzfeind.“ Das war mein erstes Zusammentreffen im Bauhaus mit Moholy-Nagy.
Moholy-Nagy erklärte, dass die neue Gesellschaft unter Lenin und Trotzki begonnen hatte. Daran glaubte das Bauhaus. Daran glaubten alle Studenten. Sie alle erzählten mir über die bereits geschehenen Ereignisse – die russische Revolution von 1917 und die deutschen Revolutionen von 1918–1919 und 1923. Sie sprachen immerfort davon und sagten, es würde wieder geschehen.
Sie alle wussten, dass Marx und Engels eine revolutionäre Veränderung propagiert hatten, die Lenin und Trotzki in die Praxis umgesetzt hatten, und Moholy-Nagy erklärte mir einiges dazu. Er sagte, dass nun aber alles vorbei sei. Stalin habe alles versaut. Das ist zwar nicht seine genaue Wortwahl, aber genau der Stellenwert, den er zuordnete.
Die anderen Studenten waren Marxisten. Ich erinnere mich an drei Studenten, die zu mir kamen und mir eine Ausgabe des „Kommunistischen Manifests“ gaben. Es war in englischer Sprache und sie hatten es aus England kommen lassen, und das muss sie einiges gekostet haben. Sie legten es auf die Werkbank, an der ich arbeitete und sagten: „Lies das, Wilf, dann wirst du wissen, wie wir alle denken.“
Sie waren Internationalisten und wollten international sein. Sie wollten, dass auch Engländer und Amerikaner neben Deutschen, Franzosen und Holländern vertreten waren. Sie waren von den Ideen von Karl Marx beeinflusst. Ich hörte sie über den dialektischen Materialismus sprechen. Ich diskutierte mit ihnen darüber. Die Studenten sprachen immer mit mir, am Tag, beim Abendessen und in Kneipen, und immer sprachen sie von der Revolution, die fehlgeschlagen war, und von der Revolution, die bald kommen und siegen würde.
Sie lernten kreativ zu schaffen – für die arbeitende Bevölkerung, für jeden. Ihr Gedanke war, mit ihrer Kunstfertigkeit und ihrer guten Arbeit eine neue Welt zu schaffen. Diese Haltung unterscheidet sich völlig von jeder anderen mir bekannten Kunstschule, denn hier hatte man es nicht mit einer Kunstschule zu tun, sondern mit dem Bauhaus. Das Bauhaus war da, um die Architektur für die neue sozialistische Welt zu schaffen, die in Russland begonnen hatte und sich weltweit durchsetzen würde, weil sie international sein musste, und das Bauhaus war international. Darum war auch ich dort. Sie wollten meine Anwesenheit und ich weiß, das war auch bei anderen der Fall.
Ich erinnere mich, wie ich einmal die Edinburgh University besucht und dort über das Bauhaus gesprochen habe. Einige Zuhörer standen auf, sie waren älter als ich oder ganz junge Studenten und behaupteten, ich würde nicht die Wahrheit sagen – alles, was ich über das Bauhaus erzählte, sei nur mein eigenes Hirngespinst. Sie waren vollkommen überzeugt, dass das Bauhaus eine unpolitische, rein künstlerische Angelegenheit sei – reine Künstler, die zusammenkamen, um zu kreieren, und sie fragten, warum sie nicht auch das Gleiche tun könnten. Ich sagte: „Weil ihr nicht das gleiche Motiv habt. Eure Arbeit gründet sich nicht auf einen gemeinsamen inneren Beweggrund.“ Aber das wollten sie nicht akzeptieren.
BS: Welche Erinnerungen haben Sie an Walter Gropius?
WF: Wir lernten im Bauhaus, die Zeit werde kommen, wenn alles sich ändern würde, und dann müssten wir alles standardisiert und maschinell herstellen. Aber wir würden es schön gestalten, wie der Engländer William Morris. Walter Gropius sagte, alles sollte handgefertigt sein, man sollte jedoch eine spätere Standardisierung und Massenproduktion im Hinterkopf haben, damit jeder schöne Dinge haben konnte.
Gropius ließ den politischen Ansichten ihren freien Lauf. Als ich ihn zum ersten Mal bei sich zu Hause traf, sagte er zu mir: „Du bist also Wilf aus England. Ich habe von dir gehört. Du machst dich sehr gut.“ Ich sagte ihm: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich gut mache. Ich bin wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ich weiß nichts über Marxismus, nichts über Politik und nichts über Architektur.“ Er sagte: „Du musst auch gar nichts über Architektur oder Politik wissen. Du musst dich nur an allen Aktivitäten der Studenten beteiligen … Wir, die ältere Generation, können das nicht tun, aber ihr werdet die Architektur der neuen Welt schaffen, die die Menschen von heute repräsentiert.“
Er sagte: „Ihr werdet das tun, was die Menschen auch in früheren Zeiten getan haben. Der gotische Bogen, die gotischen Kathedralen und Kirchen waren der direkte Ausdruck der Menschen jener Zeit.“ Ich erinnere mich, wie er seine Hände so hielt und sagte: „Ihr werdet für die Menschen von heute das tun, das die Menschen damals für die gotische Architektur getan haben. Ihr werdet alle Dinge, die sie wollen, in Eurer Art gestalten, eine Art, die wir noch nicht kennen.“ Zweifellos hatte er konkrete Ansichten über eine neue Gesellschaftsform.
Dann forderte er mich auf, in den angrenzenden Raum zu gehen und der Diskussion dort zuzuhören. Ich solle versuchen zu verstehen, was dort gesprochen wurde, und mich, wenn ich konnte, an der Diskussion beteiligen. Also ging ich in den Raum und hörte einem älteren Mann zu, der in Deutsch über die Marxsche Philosophie des dialektischen Materialismus referierte. Und natürlich verstand ich zu diesem Zeitpunkt nicht viel, aber ich stellte den anderen Studenten Fragen und lernte später sehr viel mehr dazu.
BS: Welche Erinnerungen haben Sie an Künstler, die Sie im Bauhaus kennen gelernt haben?
WF: Die Künstler waren Lehrer für Gestaltung und vermittelten jeweils ihre eigenen „Lehren“. Paul Klee hielt kontinuierlich Klassen ab, in denen die Studenten seiner Arbeitsweise folgten.
Klee war Musiker. Ich wusste das erst, als ich ihn eines Tages Klavier spielen hörte und weil es so wunderbar klang, vermutete ich richtig, dass er es war, der am Klavier saß. Ich sprach die anderen Studenten darauf an, und erfuhr dass er einige Tage später ein Konzert in der Stadt geben wollte. Ich besuchte dieses Konzert, und er war fantastisch, er spielte seine eigenen Werke und Werke der „Meister der Klassik“.
Als ich ihm später beim Malen zusah, wurde mir klar, dass seine Kunstwerke musikalische Werke waren, die mit einem besonderen Medium geschaffen wurden. Mir wurde klar, dass seine Zeichnungen ihren Ursprung in seiner Bewegung und Musikalität hatten. Meine Zeichnungen stammten aus meiner visuellen Erfahrung. Ich selbst arbeite sehr mit dem Tastsinn. Mein Tastsinn spielt die wichtigste und mein Sehsinn die zweitwichtigste Rolle. Mein Hörsinn ist am schwächsten ausgeprägt. Als ich seinem Klavierspiel zuhörte, war es, als würde ich seine Zeichnungen betrachten. Ich gebe zu, das klingt typisch nach mir, wenn ich behaupte, dass er mit seinem Hörsinn zu malen versuchte, aber ich glaube, so könnte man das umschreiben.
Ich sah Klee beim Malen zu; seine Studenten nahmen mich mit, damit ich ihm zuschauen konnte. Er spielte mit Objekten, die sich in seiner Reichweite befanden, und verwendete sie. Er konnte etwas wie eine Streichholzschachtel herausnehmen und ihr die Gestalt eines menschlichen Gesichts geben oder mit dem Rand eines Lineals malen. Er konnte irgendeinen Gegenstand aufnehmen und verwenden. Er war sehr großzügig in seinen Bewegungen. Mitunter tauchte er einen Pinsel in die Farbe ein und rollte ihn über das Blatt. Es war eine großzügige Bewegung. Sie rührte von seinem Wesenscharakter her: Er war eine auf den Hörsinn ausgerichtete musikalische Persönlichkeit.
Niemand anderes arbeitete so wie er. Er war in erster Linie Musiker, und die Malerei kam an zweiter Stelle. Auf außergewöhnliche Weise versuchte er sein musikalisches Vorgehen in Farbe umzusetzen. Er spielte Klavier wie auch Violine und er komponierte auch. Meiner Meinung nach war er ein großartiger Musiker, doch dafür ist er heute nicht berühmt.
Wir mussten im Bauhaus zeichnen lernen, weil wir unsere Entwürfe zeichnen mussten. Die Zeichnung des lebendigen Objekts ist sehr wichtig. Die wichtigste Zeichenaufgabe ist das Zeichnen eines anderen Menschen. Der Körper des Menschen ist die ausgetüfteltste und wunderbarste Konstruktion.
Wir hatten wöchentliche Unterrichtsstunden im Lebend-Objekt-Zeichnen. Im Laufe der Zeit habe ich sehr viel gezeichnet, und die Studenten stellten mir Fragen darüber. Ich erklärte, dass, wenn ich einen Körperteil, zum Beispiel ein Handgelenk, zeichne, ich gleichzeitig mein eignes Handgelenk fühle. Es ist so, als ob mein Handgelenk Bewusstsein erlangte. Ich versuchte, den anderen dieses Geschehen zu erklären, und machte Aussagen, die ich kaum selbst erklären konnte.
Ich erinnere mich daran, wie Paul Klee nicht weit weg stand und zuhörte. Ich sprach mit ihm später darüber und er war sehr interessiert. Ich sagte, dass Zeichnen eine sehr physische Sache sei. Ich zeichne aus meinem eigenen Körper. Wenn ich ein Bein sehe, fühle ich die Form meines eigenen Beines. Das hat etwas mit dem Gehirn zu tun, Es ist kein bewusster Gedanke, sondern eine vom Gehirn gesteuerte körperliche Reaktion. Mein Bein ist genauso ein Teil des Menschen wie das Bein, das ich zeichne. Ich versuche, das „Beinsein“ des Beins zu erfassen. Es ist wichtig, dass man das Modell genau betrachtet und bestehende Unterschiede zu sich selbst bemerkt, andernfalls würde man jedes Mal ein Selbstportrait erstellen.
Einmal fuhr ich zusammen mit einigen anderen Studenten, für die Klee der Größte überhaupt war, zu einer Ausstellung in Jena. Die Ausstellung zeigte hauptsächlich die Arbeiten seiner Studenten. Als wir nach dem Ausstellungsbesuch in einem Café zusammensaßen, meinte ich zu ihnen, dass nur ein oder zwei der Studenten wirklich etwas auf die Beine gestellt hätten. Die anderen Werke seien Unsinn. Sie baten mich, noch einmal mit ihnen zurückzugehen und zu zeigen, welche Werke ich meinte. Dann sagten sie: „Eigenartigerweise hast du genau die Werke des Meisters herausgepickt.“
Kandinsky [2] war Maler im Bauhaus. Ich war nicht in seinem Unterricht. Wäre ich ein Jahr länger geblieben, wäre ich aber in seinen Unterricht gekommen. Ich sah ihn oft in Dessau. Er hatte dort ein Haus. Ich stellte ihm Fragen, die Moholy-Nagy mir zu stellen aufgetragen hatte, aber er war sehr zurückhaltend und beantwortete keine. Ich erinnere mich, dass er sagte: „Mit solchen Fragen kann du Menschen in große Gefahr bringen.“ Er hatte in der Sowjetunion gelebt und kannte den Stalinismus aus eigener Erfahrung. Er sagte mir, dass die Stalinisten ihn sogar in Deutschland umbringen lassen könnten, wenn sie ihn für einen Feind hielten. Er wiederholte: „Du weißt ja gar nicht, in welche Gefahr du Menschen bringen kannst, wenn du solche Fragen stellst.“ Ich konnte ihn damals nicht verstehen, aber heute ist mir natürlich klar, was er meinte.
BS: Welche Auswirkungen hatte der Sieg des Faschismus auf das Bauhaus?
WF: Die Nazis sandten den Architekten Paul Schultze-Naumburg in das Bauhaus, um an Stelle des von uns ausgeübten „kosmopolitischen Unfugs“ wieder die reine deutsche Kunst zu etablieren. Er bezeichnete Bauhaus-Möbelstücke als „Kisten“. Er wollte uns beibringen, Bacchus-Motive auf Stuhlrückenlehnen zu schnitzen und dergleichen – alles Dinge, die wir als viktorianisches Zeug bezeichnet hätten.
Ich sah ihn nur ein einziges Mal. Ich stand Modell für einen Bildhauer, der eine Statue in dreiviertel Lebensgröße erstellte, und jemand kam und sagte: „Schultze-Naumberg ist im Büro und will den Engländer sehen.“ Also zog ich eine Hose über und lief über die Straße die Treppe hinauf zu seinem Büro. Dort sah ich zwei Nazis in ihren Uniformen und diesen Mann, der an seinem Schreibtisch saß. Es war das erste Mal, dass ich eine derartige Szene miterlebt habe. Seitdem kenne ich sie auch aus Filmen und Bühnenstücken.
Er wandte sich mir zu und sagte, dass sie sehr an englischer Kultur interessiert seien. Ich antwortete, dass ich nicht wüsste, dass es eine spezifisch englische Kultur gäbe. Darauf sagte er: „Nun gut, wir erkennen Ihr Land als Land einer großen Kultur an. Wir entlassen alle Ausländer. Aber wenn du in der Stadt bleibst, wirst du irgendwann wieder aufgenommen.“ Dann ging ich wieder.
Zwei Tage später sagten die Studenten, dass eine Versammlung auf dem Platz stattfinden sollte. Man hätte eine große Rednerbühne mit Transparenten usw. aufgebaut. Sie sagten, die Faschisten kämen und wir müssten anwesend sein, um ihnen zuzuhören und zuzuschauen.
Ich konnte sehen, dass alle ganz blass und ängstlich waren, einschließlich der Leute, die ich für stark gehalten hatte. Und diese Furcht übertrug sich auch auf mich. Ich hatte keine wirkliche Vorstellung, was Hitler eigentlich darstellte. Ich hatte diese beiden Braunhemden gesehen, aber das war auch schon alles.
Der Platz war voller Menschen. Die berittene Polizei kam und drängte uns zurück in die Nebenstraßen, so dass eine Hauptstraße frei blieb. Wir warteten ungefähr eine Viertelstunde, aber durch die Vorgehensweise der Polizei, die äußerst grob und schwerfällig war, kam uns diese Zeitspanne viel länger vor. Dann hörten wir in der Ferne die Musik einer Blaskapelle, die immer näher kam. Sehr bald erschienen die Braunhemden auf dem Platz, den kurz zuvor wir bevölkert hatten. Er war gerammelt voll von diesen Braunhemden und Polizei. Das war das erste Mal, dass ich sie sah.
Dann trat der Redner auf die Bühne. Er war der Faschistenführer von Thüringen. Ich konnte nichts von dem verstehen, was er sagte, aber ich konnte sehen, dass die Menschen, mit denen ich dort war, von seinen Worten tief verletzt und erschrocken waren. Als wir zurückgingen, sagten sie zu mir: „Am Montag machen wir ein Spiegelfest.“
Der Montag kam und ich stand früh auf, ungefähr um sieben Uhr und ging in die Werkstatt. Alle Wände der Werkstatt waren mit Spiegeln versehen – großen Spiegeln, kleinen Spiegeln. Es gab Bierfässer auf Stelzen, an denen man sich kostenlos bedienen konnte. Die Menschen, mit denen ich zusammen war, waren alle „praktische Idealisten“, das heißt, sie kämpften für ein Ideal, das wirklich erreicht werden konnte. So kannte ich sie und nun waren sie hier, liebten sich in der Öffentlichkeit, tranken und schliefen mit den Rücken an die Wand gelehnt, so betrunken waren sie. Und das dauerte den ganzen Tag über. Das war das Ende des Bauhauses.
Ich wusste, dass sie das Handtuch warfen. Ich sah förmlich, wie sie alles aufgaben. Alles ist zu Ende, aus all unseren Idealen ist nichts geworden, Hitler ist da, die Braunhemden sind da – so sprachen sie. Es sollte eine Art Bacchus-Fest sein und das war es auch. Und es nahm solche Ausmaße an, dass es nicht mehr in Einklang gebracht werden konnte mit allem, was sie gewesen waren und was sie mir beigebracht hatten. All das wurde über Bord geworfen.
Bevor ich Deutschland verließ, kaufte ich mir ein Buch über Kunst, das die Faschisten veröffentlicht hatten. Es war wie eine Pornozeitschrift und sollte zeigen, wie entartet das Bauhaus sei. Auf einer Seite war eine Zeichnung vom Bauhaus und auf der gegenüberliegenden Seite eine faschistische Zeichnung abgedruckt, mit Nazi-Fahnen und allem Drum und Dran. Es war Teil ihrer Eigenpropaganda und zielte darauf ab, zu zeigen, wie sehr ihre Kunst dem Bauhaus überlegen sei. Wenn man ihre dummen, geistlosen Zeichnungen neben den unseren sah, hatte das genau den gegenteiligen Effekt.
BS: Wie denken Sie heute über die Kunst?
WF: Kreativität ist ein Instinkt, der tief in uns sitzt, und wir müssen ihn ausleben. Wir wollen gemeinsam schöpferisch tätig sein – nicht alleine. Wir wollen gemeinsam kreieren. Und das werden die Männer und Frauen der Zukunft tun. Sie werden nach Menschen suchen, mit denen sie arbeiten und gemeinsam kreieren können. Es braucht wenigstens zwei Köpfe, nicht nur einen. Meine Vorstellungskraft ist nur die eine Hälfte. Die beste Seite ist dabei weggelassen und nur die schlechteste Seite zugelassen- der Selbsterhaltungstrieb, der menschliche Instinkt zur Verteidigung gegen Vulkane und Erdbeben.
In der bürgerlichen Gesellschaft gilt, je absurder, anstößiger, fragwürdiger, rätselhafter, geistloser, und trivialer das Werk, desto größer die Kunst, denn umso teurer wird sie verkauft, weil der Mann, der für das Kunstwerk bezahlt, nicht weiß, wofür er bezahlt. Sie können also eine Reihe aus Backsteinen in der Tate Gallery aufstellen und jeden Abend, wenn die Gallery zumacht, können Sie zurückgehen und die Position der Steine ändern. Jeder wird dann wieder hingehen und die Backsteine erneut betrachten, und sagen, wie wunderbar sie seien.
Wenn sie ein Kunstgewerbe erlernen, müssen Sie mit beiden Händen am Meißel arbeiten können, Sie müssen Technik erlernen. Heute besuchen Kunststudenten eine Kunstschule und lernen die Technik, nichts Spezifisches zu erstellen.
Das soll nicht heißen, dass ich denke, heute würde niemand Kunst von Wert erschaffen. Aber ich denke, dass viele Menschen Kunst produzieren, die für das Leben von nur sehr geringfügiger Bedeutung ist, und so sollte es nicht sein. Kunst sollte etwas für das Leben bedeuten, für unser Leben, für das gesellschaftliche, das kollektive Leben. Ohne eine solche Bedeutung ist Kunst trivial, unmittelbar und spielt keine Rolle. Etwas, worüber man sich keine Gedanken machen sollte.
Menschliche Emotionen sind verbunden mit unserer Liebe zueinander und unserem Wunsch einander zu helfen und miteinander zu arbeiten. Das ist die Grundlage der Realität von Kunst als auch von Wissenschaft. Sie bilden keine Gegensätze. Die Kunst drückt sich in unserer gegenseitigen Beziehung aus, oder sie bleibt verschlossen und wird trivial, ein Nichts. Ein Kunstwerk "für einen selbst" kann es nicht geben. Mein Kunstwerk muss ein wichtiger Teil meiner Beziehung zu anderen Menschen, wenn nicht zu allen anderen Menschen, sein.
Die Wahrheit, die wir auszudrücken versuchen ist, dass wir die Tierspezies Mensch sind. Genau das sind wir. Und der tiefste Instinkt, den wir in uns tragen, ist, Mensch zu sein, mit anderen Menschen in Beziehung zu stehen und mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, um unser gemeinsames Schicksal zu verbessern. Das ist die Quelle des Marxismus, des Bolschewismus und des Trotzkismus.
Anmerkungen:
1) László Moholy-Nagy (1895-1946). Ungarischer Konstruktivist - Anhänger von Wladimir Tatlin. 1919 unterstützte er die ungarische Räterepublik von Bela Kun und im Januar 1921 kam er nach Berlin. Im folgenden Jahr nahm er an der Konferenz der Dadaisten und Konstruktivisten in Weimar teil. Er unterrichtete den Vorkurs im Bauhaus zwischen 1925 und 1928. Nach seinem Weggehen unterhielt er weiterhin eine enge Beziehung zu den Studenten. 1935 verließ er Deutschland und 1937 wurde er Leiter der neuen Bauhaus-Schule in Chicago.
2) Wassily Kandinsky (1866-1944). Geboren in Russland. Er studierte Kunst in München und kehrte 1914 nach Russland zurück. Nach der Russischen Revolution wurde er 1919 Leiter des Museums für Moderne Kunst, und 1921 gründete er die Russische Akademie für Künstlerische Wissenschaften. Er lernte vor dem ersten Weltkrieg Walter Gropius kennen und wurde von seinem Bauhaus-Manifest inspiriert, als er 1920 das Programm für das Moskauer Institut für Künstlerische Kultur verfasste. Er verließ Russland 1922 und wurden zum Formmeister der Werkstatt für Wandmalerei und Malerei im Bauhaus. Er blieb im Bauhaus, bis es 1933 von den Nazis geschlossen wurden. Anschließend verließ er Deutschland und ging nach Frankreich.
Siehe auch: Der Weg nach Amerika. Zur Ausstellung Bauhaus: Dessau, Chicago, New York. Museum Folkwang Essen, August–November 2000. Von Sybille Fuchs, 19. Oktober 2000.