Für Julian Assange wächst erneut die Gefahr, aus der ecuadorianischen Botschaft in London ausgewiesen zu werden. Im Jahr 2012 erhielt der mutige WikiLeaks-Gründer, der die Welt über die Kriegsverbrechen informierte, in der Botschaft Asyl zum Schutz gegen eine Auslieferung an die USA. Dort droht ihm wegen fingierter Spionage- und Verschwörungsvorwürfe möglicherweise eine lebenslange Haftstrafe oder sogar die Todesstrafe.
Letzten März hatte der ecuadorianische Präsident Lenin Moreno bereits Assanges Internetzugang gesperrt und seine Kommunikation mit der Außenwelt unterbunden, um ihn zum Verlassen der Botschaft zu nötigen. Jetzt hat Moreno eine pseudolegale Untersuchung eingesetzt, die ihm den Vorwand liefern soll, Assange das Asyl zu entziehen.
Aufgrund immer dringenderer Forderungen aus Washington hat die Regierung Moreno eine „Sonderprüfung“ von Assanges Asyl und seiner Staatsbürgerschaft angeordnet. Das Verfahren ist eindeutig darauf ausgelegt, ihm beides zu entziehen. Vor allem die Frage der Staatsbürgerschaft ist wichtig, da das ecuadorianische Recht die Auslieferung von Staatsbürgern verbietet.
Am 3. Januar veröffentlichte der ehemalige ecuadorianische Präsident Rafael Correa, dessen Regierung Assange Asyl gewährt hatte, auf Twitter das Faksimile eines Briefes, den er am 19. Dezember von Ecuadors oberstem Rechnungsprüfer erhalten hatte. Darin wurde ihm mitgeteilt, dass der nationale Rechnungshof ein Verfahren eröffnet habe.
Wie es in dem Brief heißt, besteht das „allgemeine Ziel“ der Prüfung darin, „festzustellen, ob die Verfahren, nach denen Julian Assange Asyl und Staatsbürgerschaft gewährt wurden, dem nationalen und internationalen Recht entsprochen haben“. Zu diesem Zweck soll der Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2012 und dem 20. September 2018 geprüft werden.
Correa, der mittlerweile in Belgien lebt, wurde im Rahmen der Untersuchung um Informationen gebeten. Allerdings wurde weder ein Zeitraum noch ein Datum für das Endergebnis genannt. Allerdings besteht zweifellos ein Zusammenhang zwischen dem Timing und dem immer stärkeren wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Druck auf Ecuador, der vor allem vom amerikanischen Militär- und Geheimdienstapparat und dem politischen Establishment ausgeht.
WikiLeaks twitterte noch am gleichen Tag darüber, publizierte Correas Mitteilung und wies auf den Zusammenhang zwischen der „Sonderprüfung“ und der Tatsache hin, dass die Moreno-Regierung aufgrund ihrer wachsenden Schulden einen Kredit beim IWF beantragt hat. Ecuaor ist wegen der sinkenden Ölpreise und des Drucks der Finanzmärkte in wachsendem Maß verschuldet.
WikiLeaks schreibt: „Ecuador hat eine offizielle ‚Sonderprüfung‘ von Julian Assanges Asyl und seiner Staatsbürgerschaft angeordnet (Staatsbürger dürfen nicht ausgewiesen werden), während es einen IWF-Kredit in Höhe von über zehn Milliarden beantragt hat. Die US-Regierung hat als Gegenleistung für den Kredit verlangt, dass Assange ausgeliefert werde, und dass die Umwelt-Klagen gegen [den US-amerikanischen Erdölkonzern] Chevron fallengelassen werden.“
Alles deutet darauf hin, dass die Vereinigten Staaten und die US-Finanzelite die Aushändigung von Assange, dem wichtigsten politischen Gefangenen der Welt, zur Bedingung für einen Kredit – und damit für das Überleben von Moreno und seiner Regierung – machen. Die herrschende Kapitalistenklasse ist angesichts neuer Kämpfe der Arbeiterklasse entschlossen, weltweit jeden Widerstand zum Schweigen zu bringen. Das ist der tiefere Grund für den andauernden Rachefeldzug gegen Assange.
Angesichts der sinkenden Ölpreise und der hohen Zinsen auf internationale Darlehen hat Moreno eingeräumt, dass er dabei ist, einen IWF-Kredit zu beantragen. Ein solcher wird zweifellos an brutale Kostensenkungsmaßnahmen und weitere Angriffe auf die Arbeiterklasse geknüpft sein. Letzten Monat erklärte Moreno auf eine Reporterfrage nach den Bedingungen für eine mögliche Einigung mit dem IWF: „Absolut nichts ist vom Tisch.“
Ein solcher Kredit könnte allgemeine Unruhe in der Bevölkerung auslösen. Der Direktor der UN-Überwachungsstelle Fiscal Policy Observatory, Jaime Carrera, erklärte der Los Angeles Times, der IWF werde sicherlich harte Bedingungen stellen und vermutlich verlangen, dass mindestens zehn Prozent der staatlichen Beschäftigten abgebaut würden, und dass Ecuador die Treibstoffsubventionen für die Verbraucher in Höhe von jährlich vier Milliarden Dollar vollständig oder weitgehend abschaffe. Die Zeitung zitiert Carrera mit den Worten: „Diese Kürzungen werden viele Leute in den Widerstand treiben.“
Angesichts dieser Aussichten sucht Moreno verzweifelt nach Finanzierungsmöglichkeiten durch Investmentbanken und andere Länder, wie zum Beispiel China. Letzten Monat diskutierte er bei einem Besuch in Peking Neuverhandlungen über die Rückzahlung von chinesischen Krediten im Wert von insgesamt 6,5 Milliarden Dollar.
Genau wie andere lateinamerikanische Staaten befindet sich auch Ecuador im finanziellen und politischen Würgegriff der USA und der internationalen Ratingagenturen. S&P Global Ratings setzt Ecuador zunehmend auf Schrottstatus und hat dessen Staatsanleihen auf B-minus heruntergestuft, d.h. noch eine Stufe niedriger als der B-Status von Argentinien. Ecuador muss für seine Staatsanleihen aufgrund dieses Ratings Wucherzinsen von über zehn Prozent bezahlen.
Seit Monaten schlachten die US-Medien die Verschuldung gegenüber China für ihre antichinesische Propagandaoffensive aus und werfen China vor, es würde durch „Schuldendiplomatie“ arme Länder in den Bankrott treiben. Aber Ecuador hat auch Schulden bei amerikanischen Finanzhäusern und Konglomeraten. Der staatliche Ölkonzern Petroamazonas, der 80 Prozent des Öls des Landes produziert, ist bei Fremdfirmen mit insgesamt drei Milliarden Dollar verschuldet und steht auch bei dem texanischen Ölfeldbetreiber Schlumberger in der Kreide.
Letztes Jahr hielt sich ein IWF-Team vom 20. Juni bis zum 4. Juli in Ecuador auf. Später veröffentlichte es eine Erklärung, laut der Moreno sich zwar seit seiner Amtsübernahme im April 2017 den Anforderungen der Finanzmärkte füge, dass aber noch weitaus härtere Maßnahmen erforderlich seien. Dazu gehörten „höhere Ölpreise, zeitweilige Steuermaßnahmen, Kürzungen der Kapitalausgaben und ein Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst“.
Nicht zufällig traf auch US-Vizepräsident Mike Pence zeitgleich in Quito ein, um über eine Verbesserung der wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen mit Washington, sowie auch über Assanges Schicksal zu sprechen. Bei einer Pressekonferenz im Regierungspalast erklärte der ecuadorianische Wirtschafts- und Finanzminister Richard Martinez, er habe mit Pence gesprochen, der auch Moreno getroffen habe. Dabei soll es darum gegangen sein, die „Unterstützung der USA dafür zu sichern, dass multilaterale Organisationen Finanzierungsquellen mit günstigen Bedingungen für Ecuador schaffen können“.
Während US-Vizepräsident Pence und Präsident Donald Trump den Druck auf Ecuador ständig verschärfen, fordern auch die Demokraten Trump immer wieder energisch auf, Ecuador zur Auslieferung von Assange zu zwingen.
Seit diesem Januar stellen die Demokraten die Mehrheit im US-Repräsentantenhaus, und damit wird sich dieser Druck sicherlich noch verschärfen. Der Feldzug gegen Assange spielt eine wichtige Rolle beim Bemühen der Demokraten, das Weiße Haus in eine Konfrontation mit Russland und China hineinzuzwingen. Dabei arbeiten die Demokraten eng mit dem Militär und den Geheimdiensten zusammen.
Die den Demokraten nahestehenden Mainstreammedien verbreiten den absurden Vorwurf, WikiLeaks stecke mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unter einer Decke und habe Donald Trump 2016 den Wahlsieg ermöglicht. Damit unterstützen sie die Hexenjagd des langjährigen FBI-Direktors und heutigen Sonderermittlers Robert Mueller, der die angebliche russische Einmischung in die Wahl 2016 untersucht.
Im Mittelpunkt dieser Vorwürfe stehen durch WikiLeaks veröffentlichte E-Mails, die beweisen, dass das Nationalkomitee der Demokraten versucht hatte, den Wahlkampf des „demokratischen Sozialisten“ Bernie Sanders zu untergraben und sicherzustellen, dass es Hillary Clinton war, die zur Präsidentschaftskandidatin der Partei ernannt wurde. Diese Mails enthüllten auch, dass Clinton mehrere hochbezahlte Reden vor Wirtschaftsvertretern hielt, in denen sie ihnen die Unterstützung der Wall Street versprach und sich gleichzeitig rühmte, im barbarischen US-Krieg gegen Libyen 2011 eine Schlüsselrolle gespielt zu haben.
Es ist kein Zufall, dass die neue Bedrohung für Assange ausgerechnet jetzt erfolgt, da die letzte Verleumdungskampagne jämmerlich in sich zusammenfiel. Anfang Dezember hatte der Guardian mehrere reißerische Artikel veröffentlicht, in denen behauptet wurde, Trumps ehemaliger Wahlkampfmanager Paul Manafort habe sich heimlich mit Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London getroffen.
Wie Glenn Greenwald von Intercept am 3. Januar schrieb, weigern sich die Chefredakteurin des Guardian, Kath Viner, und der hauptverantwortliche Autor solcher Behauptungen, Luke Harding, seither schon fünf Wochen lang, irgendwelche Fragen zu diesen „Enthüllungen“ zu beantworten oder in irgendeiner Form Stellung zu den offensichtlich falschen Vorwürfen zu beziehen. Sowohl Manafort, als auch WikiLeaks und frühere Beschäftigte der ecuadorianischen Botschaft weisen diese Verleumdungen kategorisch zurück.
Die World Socialist Web Site und die Sozialistischen Gleichheitsparteien weltweit mobilisieren die Arbeiterklasse und die Jugend, um Assange und WikiLeaks zu verteidigen. Dies ist eine absolut grundlegende Frage im Kampf zur Verteidigung der freien Meinungsäußerung gegen die überhandnehmende Zensur. Die kapitalistischen Regierungen und Konzerne wie Google und Facebook tun alles in ihrer Macht Stehende, um Antikriegs- und antikapitalistische Äußerungen zu unterdrücken und jede Opposition zum Schweigen zu bringen.
Im Rahmen dieser Kampagne wird die SEP von Australien (dem Land, dessen Staatsbürger Assange weiterhin ist) am 3. März in Sydney und am 10. März in Melbourne eine Demonstration organisieren. Die SEP fordert die australische Regierung auf, ihre Parteinahme auf Seiten der USA bei der Verfolgung von Assange einzustellen, unverzüglich zu seinen Gunsten zu intervenieren und alle diplomatischen und juristischen Möglichkeiten einzusetzen. Die australische Regierung muss die britische Regierung dazu bringen, dem WikiLeaks-Gründer das gefahrlose Verlassen der ecuadorianischen Botschaft zu ermöglichen, sie muss ihm die bedingungslose Rückkehr nach Australien erlauben und ihm garantieren, dass er nicht an die USA ausgeliefert wird.