Wer wissen will, wie die Linkspartei und ihr gewerkschaftliches und pseudolinkes Umfeld auf einen sozialen Aufstand in Deutschland reagieren würden, muss einen Blick in die parteinahen Zeitungen vom Montag werfen.
„Sprache der Gewalt“ titelte das Neue Deutschland (ND) und meinte damit die Massenproteste der „Gelben Westen“, die am Wochenende in Frankreich erneut gegen höhere Benzinsteuern protestierten, Straßen blockierten und den Rücktritt des französischen Präsidenten Emmanuel Macron forderten.
In gleich zwei Artikeln verbreitete das ND die Lügen der französischen Regierung und ihrer Polizeieinheiten, dass die Gewalt in Paris von den Demonstranten ausgegangen sei. „Pflastersteine flogen auf Polizisten, Barrikaden wurden errichtet, Geschäfte geplündert. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Wasserwerfern“, schreibt das ND in seiner Titelgeschichte. Die „zuvor vorweihnachtliche Avenue des Champs-Élysées“ habe anschließend „ein Bild der Verwüstung“ geboten.
„Schande über jene, die die Sicherheitskräfte angegriffen haben, Schande über jene, die anderen Staatsbürgern und Journalisten gegenüber gewalttätig geworden sind“, zitiert das ND ohne ein Wort der Distanz oder Kritik den französischen Präsidenten. Das Gleiche gilt für die Propaganda der staatlichen Behörden. Diese sprächen „von gewaltbereiten Extremisten, die die Gelegenheit zur Randale nutzten“.
Ein weiterer Artikel auf Seite 5 mit dem Titel „Gelbwesten auf Krawall gebürstet“ ist noch feindseliger. Gleich zu Beginn legt der Frankreich-Korrespondent des ND, Ralf Klingsieck, nahe, dass die Demonstration in Paris eigentlich gar nicht hätte stattfinden dürfen. „Die Champs-Elysées bieten ein Bild der Verwüstung. Die von der Polizei nicht genehmigten Demonstrationen der ‚Gelben Westen‘ am Sonnabend in Paris waren in Gewalt ausgeartet.“
Der gesamte Artikel liest sich wie ein Polizeibericht. „Teile der etwa 8000 Demonstranten, die an ihrem Marsch in Richtung Place de la Concorde gehindert wurden, hatten das Pflaster aufgerissen, um mit den Steinen die Polizei zu bewerfen, die ihrerseits mit Tränengas und Wasserwerfern reagierte. Stellenweise wurden Stühle und Bänke auf der Straße zu Barrikaden aufgetürmt und angezündet. Am Rande der Demonstration wurden Schaufensterscheiben zertrümmert und die Auslagen geplündert. Die Polizei brauchte Stunden, um die Ruhe wiederherzustellen.“
Auch Klingsieck verbreitet unkommentiert die offizielle Propaganda der Sicherheitsbehörden. „Ihre Demonstration in Paris war durch gewaltbereite Rechtsextreme und Schläger der ‚Black Blocks‘ unterwandert, die sich zur Tarnung gelbe Westen übergezogen hatten“, habe der französische Innenminister Christophe Castaner vor der Presse erklärt.
All diese Behauptungen sind Lügen. Tatsächlich war es die Polizei, die von Anfang an auf „Krawall gebürstet“ war und die „Sprache der Gewalt“ benutzte. Die Sicherheitskräfte hatten die Auseinandersetzungen auf den Champs-Élysées begonnen und waren für den Großteil der Ausschreitungen verantwortlich. Unmittelbar nachdem die Demonstranten die ersten Straßensperren errichtet hatten, wurden sie von Polizeieinheiten mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und Tränengas beschossen. Polizisten gingen mit Knüppeln auf die Demonstranten los und versuchten sie einzukesseln. Daraufhin verteidigten sich einige Demonstranten mit Pflastersteinen und zündeten Feuerwerkskörper.
Die Junge Welt, die andere der Linkspartei nahestehende Tageszeitung, gab in ihrem Leitartikel zwar mehr oder weniger zu, dass die Gewalt von der Polizei ausgegangen war, aber auch sie versuchte, die Proteste zu diskreditieren. „Sowohl die neofaschistische Formation ‚Rassemblement Nationale‘ (RN, früher Front National) unter ihrer Führerin Marine Le Pen als auch die rechtskonservativen ‚Les Républicains‘ des früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy nutzen den wachsenden Widerstand für ihre Zwecke“, so das Blatt. Beide „befänden sich in den Umfragen der Meinungsforscher gegenwärtig im Aufwind“.
Das entspricht der Linie der französischen Gewerkschaften und Pseudolinken, die ebenfalls argumentieren, die Proteste würden die extreme Rechte stärken. In Wirklichkeit sind Figuren wie Sarkozy in der Bevölkerung verhasst, und die extreme Rechte denunziert die „Gelben Westen“ zunehmend als linksradikale Gewalttäter. So erklärte Marion Maréchal-Le Pen, die Nichte von RN-Führerin Marine Le Pen, die Bewegung sei voll „von weit linksgerichteten Kämpfern. Wir hörten Leute sagen: ‚Der Kapitalismus ist tot!‘ Wenn das die Ultrarechte ist, hat sie sich sehr verändert.“
Die Linkspartei-Publikationen reagieren derart feindselig auf die Proteste in Frankreich, weil sie sich außerhalb der etablierten Parteien und Gewerkschaften entwickeln. „Die Bewegung der ‚Gelben Westen‘ ist vor Wochen spontan aus der Bevölkerung heraus entstanden, um gegen die Kaufkraftverluste durch immer neue Steuererhöhungen und vor allem die zum 1. Januar geplante Anhebung der Mineralölsteuer zu protestieren“, stellt das ND besorgt fest. „Die Gewerkschaften waren davon völlig überrascht, und sie hatten ebenso wie die politischen Parteien keinerlei Einfluss auf die Bewegung, die sich über Foren im Internet organisierte.“
In den letzten Tagen kamen die Proteste der „Gelben Westen“ mit zahlreichen Streiks in ganz Europa zusammen. In Frankreich haben streikende Hafen-, Raffinerie- und Amazon-Arbeiter die von den „Gelben Westen“ errichteten Straßensperren verteidigt. Das und auch die Ziele der Bewegung betrachtet die Linkspartei als Bedrohung. Letztlich lassen sich die Forderungen nach dem Rücktritt von Macron, nach einem Ende der sozialen Ungleichheit und gegen die massive Erhöhung der Rüstungsausgaben und die Militarisierung Europas nur durch die Mobilisierung der französischen und europäischen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms durchsetzen.
Die Linkspartei, die die Interessen privilegierter Mittelschichten artikuliert, steht im Klassenkampf auf der anderen Seite der Barrikaden. Bereits bei der Europawahl 2014 hatte sie Plakate mit der Aufschrift „Revolution – Nein danke!“ geklebt, um der herrschenden Klasse zu signalisieren, dass sie alles tun werde, um eine revolutionäre Entwicklung zu stoppen. Vier Jahre später wird sichtbar, was das heißt. In den letzten Wochen hatten sich führende Vertreter der Linkspartei hinter Macron und dessen Pläne für eine Europäische Armee unter deutsch-französischer Führung gestellt. Auch das ND bezeichnete die von Macron angestrebte „EU-Armee“ in einem Kommentar als „tolle Idee“.
Wir kommentierten: „Es ist offensichtlich, dass sich der Aufbau einer europäischen Militär- und Kriegsunion auch gegen die wachsende soziale und politische Opposition im Inneren richtet. Bezeichnenderweise warb Macron in Berlin um die Unterstützung der deutschen Bourgeoisie, während in Frankreich Hunderttausende gegen höhere Benzinsteuern protestierten, Straßen blockierten und den Rücktritt des ‚Präsidenten der Reichen‘ forderten. Dass Macron ausgerechnet in der Linkspartei einen lautstarken Unterstützer findet, spricht Bände über den pro-imperialistischen und arbeiterfeindlichen Charakter dieser Partei.“