Russisch-ukrainische Konfrontation: Poroschenko ruft Kriegsrecht aus

Nachdem Russland am Sonntag drei ukrainische Schiffe im Asowschen Meer beschlagnahmt hat, verhängte die ukrainische Regierung auf Anweisung von Präsident Petro Poroschenko und seinem Kabinett das Kriegsrecht. Es soll ab dem 28. November für 30 Tage gelten. Am Montag erklärten die ukrainischen Streitkräfte zudem, sie seien vollständig kampfbereit. Gleichzeitig trommeln die amerikanischen Medien, Außenpolitiker und Vertreter von Denkfabriken für eine kriegerische „harte“ Reaktion der Ukraine, der Nato und der USA auf die „russische Aggression“.

Das Asowsche Meer grenzt an den Südwesten Russlands, den Südosten der Ukraine sowie an die Krim und mündet ins Schwarze Meer. Dieses ist von großer geostrategischer Bedeutung für die USA und Russland, da es Russlands einziger Meereszugang zum östlichen Mittelmeer und zum Nahen Osten ist.

Die Konfrontation ist der bedeutendste direkte Zusammenstoß zwischen dem russischen und dem ukrainischen Militär seit 2014. Sie ereignete sich in der Meerenge von Kertsch, der einzigen Verbindung zwischen den beiden Meeren, die seit der Annexion der Krim durch Russland Anfang 2014 weitgehend von Russland kontrolliert wird. Drei ukrainische Schiffe, die in russische Hoheitsgewässer eingedrungen waren, wurden von russischen Kriegsschiffen beschossen und gekapert. Mehrere ukrainische Matrosen wurden dabei verwundet. Die russischen Medien bezeichneten es als „regelrechte Seeschlacht“. Die Meerenge von Kertsch wurde danach zuerst geschlossen, ist aber mittlerweile wieder für den Schiffsverkehr geöffnet.

Das Kiewer Regime, das im Februar 2014 mit Unterstützung der imperialistischen Mächte durch einen rechtsextremen Putsch an die Macht gekommen ist, hatte sich bisher dagegen gesträubt, das Kriegsrecht zu verhängen, obwohl der Bürgerkrieg im Osten des Landes bereits mehr als 10.000 Todesopfer gefordert hat. Poroschenko verhängte zuerst für 60 Tage das Kriegsrecht, verkürzte es jedoch nach einem Aufschrei der Öffentlichkeit auf 30 Tage. Er betonte auch, die Verhängung des Kriegsrechts als Reaktion auf Russlands „Aggression“ bedeute keine offene Kriegserklärung an Russland.

Die Ausrufung des Kriegsrechts ist ein offensichtlicher Versuch Poroschenkos, die Krise auszunutzen, um die weit fortgeschrittene Entwicklung zu diktatorischen Herrschaftsformen zu verschärfen, mit der er auf die zunehmende innenpolitische Krise reagiert. Das Land befindet sich mitten im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2019, bei der Poroschenko in den Umfragen das schlechteste Ergebnis unter allen Kandidaten erzielt und die Wiederwahl fast mit Sicherheit verlieren wird.

Fast fünf Jahre nach dem Beginn des Konflikts mit Russland leiden etwa eine Million Ukrainer Hunger, hunderttausende haben das Land verlassen, um im Ausland zu leben und zu arbeiten; zudem streiken tausende von Arbeitern gegen die mageren Löhne. Es herrscht auch enorme Wut über die offenen Beziehungen der Regierung zu rechtsextremen Kräften, die vor kurzem einmal mehr bei der Ermordung eines ehemaligen Maidan-Aktivisten durch faschistische Kräfte deutlich wurden.

Angesichts dieser Bedingungen setzt nicht nur Poroschenko, sondern die ganze herrschende Klasse der Ukraine auf das Schüren von Militarismus, auf nationalistische Hysterie und diktatorische Herrschaftsformen als Antwort auf die soziale Unzufriedenheit der Massen.

Die Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine und die Ausrufung des Kriegsrechts durch Kiew führte in beiden Ländern zu einer Entwertung der Währungen und zu einem Rückgang der Aktienkurse. Der Wert der ukrainischen Griwna sank von 27,79 für einen Dollar am Montag auf 27,89 pro Dollar am Dienstag. Die ukrainische Zentralbank rief die Banken des Landes auf, die Versorgung der Geldautomaten zu garantieren, da es vermutlich wegen des Kriegsrechts zu mehr Abhebungen kommen wird. Die Aktienkurse mehrerer ukrainischer Unternehmen stürzten ab.

Der russische Rubel verzeichnete einen noch größeren Kursverlust, die Kurse an der Moskauer Börse sanken um 1,46 Prozent.

Seither sind weitere Details über die Konfrontation am Sonntag bekannt geworden. Offenbar hat die Ukraine Russland bewusst zu einer Reaktion provoziert, um einen Vorwand für die Eskalation des seit langem schwelenden militärischen Konflikts zu schaffen.

Der russische Geheimdienst FSB, der am Sonntag auf das Schiff geschossen hatte, veröffentlichte eine Abschrift, laut der die ukrainischen Schiffe in russischen Hoheitsgewässern im Asowschen Meer Manöver durchgeführt haben. Sie sollen fast zwölf Stunden in den Gewässern geblieben sein und sich der Aufforderung der russischen Behörden widersetzt haben, die Gewässer zu verlassen. Laut russischen Behörden waren sie auch in Gewässer eingedrungen, die kurzfristig für die Seefahrt gesperrt waren. Der FSB erklärte, die russischen Kriegsschiffe seien gezwungen gewesen, das Feuer zu eröffnen, weil die drei ukrainischen Schiffen „legale Aufforderungen zum Anhalten“ ignoriert hatten und „gefährliche Manöver“ vollführten. Auf veröffentlichtem Videomaterial des FSB ist zu sehen, wie eines der ukrainischen Schiffe ein russisches Kriegsschiff rammt.

Der Kreml hat die Manöver der Schiffe als „gefährliche Provokation“ verurteilt. Die Ukraine beharrt auf ihrem international verbrieften Recht, die Meerenge zu durchqueren und bezeichnete den Beschuss der russischen Schiffe als „Akt der Aggression“.

Am Montag traf der UN-Sicherheitsrat zu einer Krisensitzung zusammen. Russland legte eine Agenda vor, die u.a. auf die Verletzung russischer Grenzen durch die Ukraine einging. Als diese abgelehnt wurde (nur China, Kasachstan, Bolivien und Russland stimmten dafür, vier weitere Länder enthielten sich), verließen die russischen Abgesandten das Treffen. Stattdessen übernahm der UN-Sicherheitsrat die von der Ukraine vorgeschlagene Agenda.

Der britische UN-Botschafter bezeichnete Russlands Boykott der Sitzung als „provokant“. Der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk verurteilte Russland für den Einsatz von Gewalt und betonte, es müsse die ukrainischen Schiffe wieder freigeben. Später traf sich Tusk mit Poroschenko, um über die Lage zu diskutieren. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini schloss sich Tusks Äußerungen an und forderte Russland auf, die Situation „sofort zu deeskalieren.“

Die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley erklärte: „Wie Präsident Trump mehrfach erklärt hat, würden die USA eine normale Beziehung mit Russland begrüßen. Doch ein so gesetzloses Verhalten macht das unmöglich.“ In Wirklichkeit haben die USA in den letzten Monaten dazu beigetragen, die Spannungen in der Region zu verschärfen, indem sie der Ukraine Raketen und Patrouillenboote geliefert haben, die teilweise auch im Asowschen Meer eingesetzt werden. Ende dieser Woche wollen sich Trump und Putin treffen.

Hinter den Kulissen diskutieren die Strategen des US-Imperialismus offener über eine militärische Eskalation. Das Atlantic Council, eine der wichtigsten außenpolitischen Denkfabriken in Washington, veröffentlichte einen Artikel des ehemaligen stellvertretenden Verteidigungsministers Michael Carpenter. Dieser ruft die USA dazu auf, „sofort zu reagieren und der Ukraine Radaranlagen zu liefern, um ihre Kontrolle über das Meer zu stärken, sowie landgestützte Schiffsabwehrraketen, damit sie ihre Küste am Asowschen Meer schützen können.“

Der ukrainische Fernsehmoderator, Gründer und Vorstandschef von Free Crimea Taras Berezowez erklärte: „Die USA sollten [die Pipeline] Nord Stream 2 sanktionieren. Die Nato sollte ihre Militärpräsenz im Schwarzen Meer ausbauen, um dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Ansage zu machen. Die Ukraine sollte das Kriegsrecht verhängen, Visa einführen und von dem Vertrag über das Asowsche Meer zurücktreten.“ Der Vertrag von 2003 regelt die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland, teilt das Asowsche und die Meerenge von Kertsch zwischen beiden Staaten auf und verbietet ausländischen sowie Nato-Schiffen die Durchfahrt, sofern sie nicht von beiden Ländern genehmigt wurde.

Phillip Karber, der für mehrere US-Regierungsbehörden tätig war und heute die NGO Potomac Foundation leitet, die enge Beziehungen zum Außenministerium unterhält, äußerte sich noch offener: „Es ist Zeit, auszusprechen, wonach es riecht: nach Krieg!“ Er forderte von der Ukraine die „vollständige Mobilisierung für den Krieg“, die Wiederausrüstung des ukrainischen Militärs mit „moderner westlicher Militärtechnologie“, die Aufnahme der Ukraine in die Nato und von den USA die Lieferung „des notwendigen Geräts für die langfristige Einnahme einer Konkurrenzhaltung.“

Die gefährlichen Entwicklungen im Schwarzen Meer bestärken die Warnungen des IKVI vor einem drohenden Dritten Weltkrieg. Das Putin-Regime geht auf die stalinistische Auflösung der Sowjetunion zurück und fürchtet die sozialistische Mobilisierung der Arbeiterklasse mehr als jeden Angriff durch den Imperialismus. Weder Putin noch irgendeine andere Sektion der Bourgeoisie kann die Drohung von Krieg und Diktatur abwehren. Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus und das Nationalstaatensystem kann die Gefahr eines weiteren imperialistischen Krieges und der nuklearen Vernichtung abwehren.

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