Die italienische Regierung hält an der geplanten Neuverschuldung von 2,4 Prozent des Haushalts 2019 fest. Das teilte Finanzminister Giovanni Tria am Dienstagabend in einem Brief an die EU-Kommission mit.
Die Kommission hatte den italienischen Haushalt vor drei Wochen in einem historisch einmaligen Vorgang abgelehnt und eine Überarbeitung verlangt. Tria hat nun zwar einige Korrekturen vorgenommen. So soll mehr Geld als bisher geplant in Investitionen fließen und der Schuldenabbau durch den Verkauf staatlicher Immobilien beschleunigt werden. An der umstrittenen Neuverschuldung von 2,4 Prozent hält er aber fest.
Die EU-Kommission will nun bis kommenden Mittwoch entscheiden, ob sie ein Defizitverfahren gegen Italien auf den Weg bringt. Einem solchen Verfahren müssten als erstes sämtliche Finanzminister der Eurozone zustimmen, was keineswegs sicher ist. Anschließend würde es sich über Monate hinziehen. Am Ende könnten dann Geldstrafen in Milliardenhöhe stehen.
Die Kommission hatte in der Vergangenheit mehrfach Defizitverfahren eingeleitet, unter anderem auch gegen Deutschland und Frankreich, die jahrelang gegen die Regeln verstoßen hatten. Sie verliefen alle im Sande.
Im Falle Italiens liegen die Dinge allerdings anders. Mit 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weist das Land nach Griechenland die zweithöchste Gesamtverschuldung in der Eurozone auf. Reagieren die Finanzmärkte mit weiteren Zinsaufschlägen auf italienische Staatsanleihen, könnte dies zu einer Rückkehr der Finanzkrise und einer Kettenreaktion von Bankenpleiten führen, die auf ganz Europa übergreift.
Anders als Griechenland, wo die europäischen Regierungen und der Internationale Währungsfonds (IWF) insgesamt 263 Milliarden Euro aufbrachten, um die Gläubigerbanken zu retten, während die griechische Bevölkerung dafür bluten musste, ist Italien mit seiner zehn Mal so großen Volkswirtschaft schlichtweg zu groß für eine derartige Aktion. Deshalb droht ein Scheitern der Eurozone, falls sich die Krise weiter zuspitzt.
Hinzu kommt, dass die italienischen Regierungsparteien, die faschistische Lega und die populistische Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), den Konflikt mit Brüssel gezielt anheizen, um sich als Verteidiger des italienischen Volkes gegen das Diktat der EU darzustellen.
Vor allem Lega-Chef Matteo Salvini tut sich damit hervor. Es vergeht kein Tag, an dem er nicht gegen Brüssel tobt. „Uns fehlen nur noch die Inspektoren, die Blauhelme der Vereinten Nationen und die Sanktionen gegen Italien“, sagte er dem Radiosender Rai. Für den 8. Dezember hat er zu einer Demonstration gegen die Politik von Brüssel aufgerufen.
In den Umfragen hat ihm dies bisher genutzt. Die Lega ist mit 32 Prozent einflussreichste Partei und fast doppelt so stark wie bei der Parlamentswahl im März letzten Jahres, gefolgt von den Fünf Sternen mit 27 Prozent. Die Demokraten (PD) als größte Oppositionspartei dümpeln weiterhin bei 18 Prozent vor sich hin.
Salvini kann sich auf zwei Faktoren stützen. Der erste ist die Rolle der PD und ihrer linken Anhängsel, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten konsequent die brutalen Spardiktate der EU umgesetzt haben, mit verheerenden Folgen für die italienische Bevölkerung. Das reale persönliche Einkommen liegt auf dem Niveau von vor zwei Jahrzehnten, die offizielle Arbeitslosigkeit beträgt zehn Prozent und die Lebensbedingungen für Menschen mittleren Alters und jüngere Generationen sind „erodiert“, heißt es im jüngsten turnusmäßigen Report des IWF.
Der zweite Faktor ist die Rolle Brüssels und Berlins, die jedes, auch noch so geringe soziale Zugeständnis als Verstoß gegen die heiligen Interessen des Kapitals brandmarken, während sie die rasante Steigerung der Militärausgaben unterstützen.
Typisch für die aufreizende Arroganz der deutschen Medien ist ein Kommentar im Handelsblatt, der der italienischen Regierung vorwirft, sie achte „eifersüchtig darauf, dass die teuren Wahlversprechen umgesetzt werden: der frühere Renteneintritt, das Grundeinkommen und Steuervereinfachungen und -absenkungen“.
Dass es der Lega und den Fünf Sterne um soziale Verbesserungen geht, ist allerdings ein Mythos. Salvinis menschenverachtendes Vorgehen gegen Flüchtlingen, das die Zahl der Toten im Mitteleer massiv in die Höhe getrieben hat, ist symptomatisch für die Haltung der Regierung gegenüber der gesamten Arbeiterklasse. Und die Grundsicherung, das zentrale Wahlversprechen der Fünf Sterne, ist nichts weiter als eine italienische Version des deutschen Hartz IV. Sie ist mit Arbeitspflicht und drastischen Sanktionen verbunden, wenn sich die Empfänger nicht zur Aufnahme jeder, noch so schlechten Arbeit bereit erklären.
Beide Parteien verteidigen bedingungslos das kapitalistische Privateigentum und stützen sich auf bürgerliche und kleinbürgerliche Schichten. Viele Beobachter gehen deshalb davon aus, dass sie spätestens nach der Europawahl im Mai einlenken werden, wenn der Druck der Finanzmärkte steigt.
Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Regierung in Rom in der Schuldenfrage einlenke, prophezeite der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), in den Tagesthemen. „Die Realitäten, die Fakten werden auch Rom sehr schnell einholen.“ Der populistischen Regierung werde es ähnlich ergehen wie dem griechischen Premier Alexis Tsipras, der in der Schuldenkrise auch zunächst Front gegen Brüssel gemacht und dann eingelenkt habe.
Doch selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, führt der nationalistische Kurs von Salvini und Di Maio in eine gefährliche Sackgasse. „Versuche, die Wirtschaft zu retten, indem man sie mit dem Leichengift des Nationalismus impft, führen zu jener Blutvergiftung, die den Namen Faschismus trägt“, schrieb Leo Trotzki 1933 in seinem heute wieder äußerst lesenswerten Essay „Nation und Weltwirtschaft“.
Der wachsende Konflikt zwischen Rom und der Brüssel ist Bestandteil des Aufbrechens der Europäischen Union entlang nationaler Linien, das sich auch im Brexit und den Konflikten mit Polen und Ungarn zeigt. Überall in Europa verfolgt die herrschende Klasse eine Politik des Sozialabbaus, der Staatsaufrüstung und des Militarismus und stützt sich dabei immer offener auf faschistische Kräfte. In neun Staaten der EU sitzen rechtsextreme Parteien bereits mit in der Regierung.
Die EU ist keine Antwort auf diese Entwicklung, sondern ihre Ursache. Beim Sozialabbau, der Staatsaufrüstung und der Abschottung der Grenzen spielt sie die führende Rolle. Sie erzeugt die zentrifugalen, nationalistischen Tendenzen, die sie zu bekämpfen vorgibt.
Die Arbeiterklasse kann dieser gefährlichen Entwicklung nur Einhalt gebieten, indem sie sowohl dem Nationalismus wie der EU entgegentritt und für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa kämpft.