Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hat in der Ausgabe vom 27. Oktober ein schmeichelndes Porträt von Björn Höcke veröffentlicht, der, wie Der Spiegel selbst anmerkt, so weit rechts steht wie kein anderer Spitzenmann der AfD.
Melanie Amann, die seit vier Jahren für den Spiegel über die AfD berichtet, hat sich mit Höcke an seinem Wohnort Bornhagen zu einem langen Waldspaziergang getroffen und darüber einen sechsseitigen Bericht verfasst. Sie war offensichtlich vom Chef der thüringischen AfD fasziniert.
Sie schildert den Mann, der „in seinen Reden und in seinem neuen Buch“ immer unverhohlener „sein antidemokratisches, völkisches Weltbild“ offenbart, als einsamen „Waldgänger“, der bereit sei, für seine Überzeugungen zu kämpfen. Sie stützt sich dabei auf einen Essay, den der rechtsextreme Schriftsteller Ernst Jünger 1951 unter dem Titel „Der Waldgang“ veröffentlicht hatte. Unter Missachtung jeder journalistischen Distanz hat sich Amann darauf eingelassen, Jüngers Essay mit Höcke neu in Szene zu setzen.
Stille, Buchenlaub, Rehböcke, bellende Hunde, gackernde Hühner, ein Felsplateau und ein gekrümmtes Flussbett ziehen sich als Leitmotiv durch den gesamten Artikel. Höcke „trägt kurze blaue Hosen und grobe Wanderstiefel. Dazu ein weißes Kurzarmhemd.“ Er schwärmt: „So friedlich sei der lichte Buchenwald“ und „die Wanderungen in der Natur seien ein Quell der Kraft“. Er fühlt Mitleid mit einer Wespe, die getötet wird, und mit „Menschen, die gedankenlos auf ein Familienglück verzichten“. „Das lasse einen empfindsamen Menschen wie ihn nicht kalt“, zitiert ihn Amann. Denn er sei „letztlich nur ein Mensch“.
Die Spiegel-Autorin erklärt auch die Bedeutung der Waldgänger-Metapher: Jünger beschreibe darin, „wie Menschen sich verhalten, wenn ihr Staat sich zu einer Diktatur entwickelt“, wenn „Wahlen nur noch der Simulation von Freiheit dienten“. Die meisten Bürger würden sich dieser Farce brav fügen. „Wer aber mutig genug ist für ein ‚Nein‘ und sich dem System verweigert, der ist für Jünger ein ‚Waldgänger‘: Dieser einsame Wandersmann ‚lässt sich durch keine Übermacht das Gesetz vorschreiben, weder propagandistisch noch durch Gewalt. Und er gedenkt, sich zu verteidigen‘.“
Jünger verknüpfe „die Liebe und Sehnsucht der Deutschen nach ihren Wäldern mit dem politischen Schicksal des Volkes“, fasst Amann die Bedeutung des Essays zusammen. „Der Waldgang steht für Opferbereitschaft und notfalls gewaltsamen Widerstand.“
Die Aufbietung von derart viel romantischem Kitsch zur Glorifizierung eines Neonazis erzeugt Brechreiz. Auch Göring, Hitler und ihre Kumpane hatten sich einst auf solche Weise inszeniert. Dabei ist Amann selbst kein Mitglied der AfD. Sie hat im vergangene Jahr unter dem Titel „Angst für Deutschland“ sogar ein Buch über die rechtsextreme Partei verfasst. Doch wie viele gebildete deutsche Kleinbürger, die sich in den 1930er Jahren Hitler zuwandten, ist sie von den Rechtsextremen fasziniert, je mehr diese an Einfluss gewinnen. Das hat sowohl ideologische wie politische Gründe.
Amann hat sich offensichtlich zu Herzen genommen, was ihr Höcke vor dem Termin in Bornhagen zusimste: „Das Verstehenwollen ist das Fundament des journalistischen Ethos.“ Sie will die Motive von Höcke und der AfD verstehen, anstatt zu verstehen, was die AfD objektiv ist. Sie ist voller Empathie für die Beweggründe von AfD-Mitgliedern, die sie so positiv wie nur möglich darstellt, während sie die politischen Hintergründe – die Rolle von Staat, Medien, etablierter Politik und Universitäten –, die die rechtsextremen Partei hervorgebracht haben, vollkommen ignoriert.
Schon Amanns 2017 erschienenes Buch über die AfD folgt diesem Muster. Es beginnt mit der Behauptung: „Die AfD gab es schon, ehe sie formal gegründet wurde. Sie war nicht physisch greifbar, sondern ein Gedanke, ein Gefühl in den Köpfen vieler Deutscher.“ Die AfD sei „eine echte Volkspartei“.
In Wirklichkeit ist die AfD nicht in den „Köpfen der Deutschen“ entstanden, sondern in den Hinterzimmern von Politik, Medien und Universitäten. Sie wurde von rechten Professoren wie Bernd Lucke, Wirtschaftslobbyisten wie Olaf Henkel und altgedienten Politikern wie Alexander Gauland gegründet. Staatsbeamte, Polizisten und Offiziere der Bundeswehr sind in ihren Reihen überproportional vertreten. Die Medien haben ihr riesigen Raum gegeben, lange bevor sie in die Parlamente einzog. Und der jüngste Skandal um Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen hat gezeigt, dass auch der Inlandsgeheimdienst uneingeschränkt hinter ihr steht.
Die herrschende Klasse Deutschlands braucht die AfD, um den wachsenden Widerstand gegen soziale Ungleichheit und Militarismus zu unterdrücken. Sie reagiert auf Handelskrieg und internationale Spannungen, indem sie zu ihren alten, autoritären und faschistischen Traditionen zurückkehrt. Das ist der wirkliche Grund für das Wachstum der AfD.
All das ignoriert die Spiegel-Autorin – und das nicht aus Naivität. Das Argument von der „AfD in den Köpfen“ dient ihr dazu, sich der AfD anzunähern und ihre Politik zu übernehmen. „Entscheidend war für mich die Erkenntnis“, schreibt sie in der Einleitung zu ihrem Buch, „dass eine sinnvolle Auseinandersetzung mit der AfD nur gelingen kann, wenn man sich ihrem Milieu offen nähert.“
Um AfD-Anhänger zurückzugewinnen, empfiehlt sie der Union, sich „auf konstruktive Weise urkonservativen Themen wie Patriotismus oder Freiheitsdrang (zu) stellen. Angstthemen wie die innere Sicherheit oder die Kriminalität von Flüchtlingen dürfen der AfD auch nicht einfach so überlassen werden.“
Natürlich gibt es AfD-Wähler, die keine überzeugte Faschisten sind. Aber sie bricht man nicht von der AfD, indem man deren Politik übernimmt, sondern indem man ihr entgegentritt und eine Partei aufbaut, die den Kapitalismus mit einem sozialistischen Programm bekämpft. Die prokapitalistische Politik der SPD, der Linkspartei und anderer angeblich „linker“ Partien ist der wichtigste Grund dafür, dass rechtsextreme Parteien auch bei unterdrückten Schichten Einfluss gewinnen können.
Der Spiegel hat die Lobeshymne auf Höcke sehr bewusst veröffentlicht. Das Nachrichtenmagazin spielt seit Jahren eine führende Rolle dabei, der rechtsextremen Ideologie den Weg zu bahnen. Im Februar 2014 veröffentlichte es den Artikel „Der Wandel der Vergangenheit“ von Dirk Kurbjuweit, inzwischen stellvertretender Chefredakteur, der für eine Neubewertung der deutschen Geschichte und die Verharmlosung der Verbrechen des deutschen Imperialismus plädierte.
Herfried Münkler von der Berliner Humboldt-Universität leugnete darin die deutsche Schuld am Ersten Weltkrieg. Sein Kollege Jörg Baberowski verteidigte den Nazi-Apologeten Ernst Nolte und bescheinigte Hitler, er sei nicht grausam gewesen. Nolte selbst gab Polen eine Mitschuld am Zweiten Weltkrieg und den Juden eine Mitverantwortung am Gulag.
Als die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) gegen die Verharmlosung Hitlers durch Baberowski protestierte, entfesselten die Medien, angeführt von der F.A.Z., einen Sturm der Verleumdung. Das Buch „Warum sind sie wieder da?“ von Christoph Vandreier, das letzten Monat im Mehring Verlag erschien, dokumentiert diese Auseinandersetzung im Detail.
Es ist bezeichnend, dass sich in Amanns Artikel viele Zitate Baberowskis und Noltes, die die SGP damals kritisiert hatte, fast wörtlich wiederfinden – nur diesmal aus dem Munde Höckes.
So zitiert Amann ein Interview des AfD-Politikers mit dem Wall Street Journal. Darin sagt Höcke, das „große Problem“ sei, „dass man Hitler als das absolut Böse darstellt. Wir wissen aber natürlich, dass es in der Geschichte kein Schwarz und kein Weiß gibt“. Von Amann darauf angesprochen, erwidert Höcke, „das Schlimme sei doch, dass man heute nicht einmal die Selbstverständlichkeit aussprechen dürfe, dass Hitler bei allen Untaten trotzdem nur ein Mensch gewesen sei.“
Weiter unten findet sich fast wörtlich das Polen- und Juden-Zitat Noltes wieder. Man überlege in AfD-Kreisen, „wie das Vaterland endlich die Bürde der Nazizeit abschütteln könnte“, heißt es dort, und „wann die Welt endlich einsehen würde, dass auch Polen eine Kriegsschuld trage und das man nicht nur die Deutschen, sondern auch die Juden ‚mit einiger Berechtigung als „Tätervolk“ bezeichnen‘ könne.“
Die Idealisierung Höckes durch den Spiegel bestätigt, wovor die SGP seit Jahren gewarnt hat: Um in einer von Krieg und Handelskrieg erschütterten Welt ihre Politik des Militarismus und des Sozialabbaus durchzusetzen, kehrt die herrschende Klasse Deutschlands zu den barbarischsten Traditionen der Vergangenheit zurück. Nur eine sozialistische Massenbewegung der Arbeiterklasse kann das aufhalten.