Landtagswahl in Hessen – Feindschaft gegen Große Koalition nimmt zu

Auch bei der zweiten Landtagswahl seit der Bildung der Großen Koalition in Berlin wurden deren Mitglieder massiv abgestraft. Wie schon vor zwei Wochen in Bayern verloren Union und SPD in Hessen zusammen mehr als 22 Prozentpunkte.

Die CDU, die in Hessen bisher mit den Grünen regierte, verlor 11,3 Punkte und stürzte auf 27 Prozent ab. Das ist das schlechteste Ergebnis für die Hessen-CDU seit über fünfzig Jahren. Noch deutlicher waren die Verluste der SPD, die in ihrer einstigen Hochburg 10,9 Prozent verlor und unter die 20 Prozent-Marke rutschte. Obwohl sie in Hessen als Oppositionspartei fungierte, erzielte die SPD ihr schlechtestes Ergebnis seit 1946.

Das Wahlergebnis ist Ausdruck einer wachsenden Feindschaft gegen die Große Koalition und ihre rechte Politik des Militarismus, der inneren Aufrüstung und des Sozialabbaus. Nach den Stimmenverlusten in Bayern und der Großdemonstration gegen ihre ausländerfeindliche Flüchtlingspolitik in Berlin hatten die Parteispitzen von CDU und SPD erklärt, sie würden in Hessen eine Trendwende einleiten, und viel Spitzenpersonal in den Wahlkampf geschickt. Doch je mehr Vertreter der Großen Koalition auftraten, desto ablehnender war die Reaktion der Wähler. Unter jungen und Erstwählern, aber vor allem auch in den Arbeitergebieten war die Ablehnung der Großen Koalition besonders massiv.

Diese Feindschaft gegen die Berliner Regierung findet im bestehenden Parteiensystem keinen fortschrittlichen Ausdruck, weil es keine Partei gibt, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertritt. So kommt es, dass ein Stimmenaustausch zwischen den etablierten Parteien stattfand, die in allen wichtigen politischen Fragen übereinstimmen und auf Länderebene in unterschiedlichen Koalitionen eng zusammenarbeiten. Etwa hunderttausend Wähler der SPD und 95.000 der CDU wanderten zu den Grünen, die in den vergangenen fünf Jahren reibungslos mit der CDU zusammengearbeitet haben.

So erzielten die Grünen 19,8 Prozent und wurden als Wahlsieger gefeiert. Doch ihre Politik unterscheidet sich kaum von jener von CDU und SPD. Im Wahlkampf kritisierten sie zwar die aggressive Flüchtlingspolitik und die Einrichtung von Ankerzentren zur beschleunigten Abschiebung. Doch das ist Augenwischerei. Überall dort, wo die Grünen mitregieren, werden die Sicherheitskräfte aufgerüstet und Flüchtlinge brutal abgeschoben. Der grüne Tübinger Bürgermeister Boris Palmer gehört zu den härtesten Scharfmachern in der Flüchtlingspolitik.

Dasselbe trifft auf Hessen zu. Medienberichten zufolge wurden alleine in den ersten vier Monaten dieses Jahres knapp 600 Männer und Frauen abgeschoben. Das sind 50 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2017. Der Frankfurter Flughafen ist eine Drehscheibe für die Abschiebung von Flüchtlingen. Die ehemalige Sprecherin für Asyl- und Migrationspolitik, Mürvet Öztürk, ist schon vor drei Jahren aus der Grünen-Fraktion ausgetreten, weil die Partei entgegen ihren Wahlversprechen Albanien, Montenegro und Kosovo als sichere Herkunftsstaaten für Flüchtlinge anerkannt hatte.

Darüber hinaus verabschiedete Schwarz-Grün in Hessen eines der schärfsten Polizeigesetze Deutschlands. Es erlaubt der Polizei unter anderem, mittels des sogenannten „Hessentrojaners“ in Smartphones und Computer einzudringen, obwohl der Polizei geheimdienstliche Methoden eigentlich verboten sind.

Die wichtigen sozialen Problem fanden im Wahlkampf wenig oder keine Beachtung, obwohl in vielen Städten Protestkundgebungen und Demonstrationen stattfanden. Alleine in Frankfurt beteiligten sich in den vergangenen zwei Monaten viele Tausend an einem „Rock-Gegen-Rechts-Konzert“ (1.September) und an den Demonstrationen „Seebrücke statt Seehofer“ (17.September), „Nein zu Rassismus und Rechtsruck“ (13.Oktober) und „Gegen Mieterwahn“ (20.Oktober).

Eine Schlüsselrolle, diese wachsende Opposition gegen Sozialabbau, hohe Mieten und Rechtsextremismus zu blockieren, spielt die Linkspartei. Ihre Politik konzentriert sich darauf, der SPD und den Grünen einen linken Deckmantel für ihre rechte Politik zu liefern. Ihr ganzer Wahlkampf war darauf ausgerichtet, im Bündnis mit SPD und Grünen selbst an die Macht zu gelangen und dies als großen Fortschritt darzustellen.

Während die Linke-Spitzenkandidatin Janine Wissler sich als Darling der Leitmedien präsentierte – die FAZ widmete ihr einen Artikel „Die charmante Kommunistin“ – und in zahlreichen Talkshows auftrat, wurde die Linkspartei an der Wahlurne abgestraft. Trotz der massiven Verluste der SPD erreichte sie mit 6,3 Prozent nur geringfügig mehr als vor fünf Jahren. Gegenüber der Bundestagswahl vom vergangenen Jahr verlor sie 1,8 Prozent.

Unter diesen Bedingungen konnte die rechtsradikale AfD mit 13,1 Prozent in den hessischen Landtag einziehen. Erstmals ist sie damit in sämtlichen Länderparlamenten vertreten.

Trotz der dramatischen Verluste der CDU wird der bisherige Ministerpräsident Volker Bouffier voraussichtlich weiter regieren. Mit 69 von 137 Sitzen im künftigen Parlament könnten CDU und Grüne ihre Koalition mit einer sehr knappen Mehrheit fortsetzen. Auch die FDP hat bereits ihre Bereitschaft angedeutet, dem bisherigen Bündnis von CDU und Grünen beizutreten, um ihm eine größere Mehrheit zu verschaffen. Rechnerisch möglich, aber politisch weniger wahrscheinlich, wären auch Koalitionsregierungen von CDU, SPD und FDP oder Grünen, SPD und FDP oder CDU und SPD. 

Die Bundesregierung reagiert auf die wachsende Opposition in der Bevölkerung mit einer Verschärfung ihrer rechten Politik. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) erklärte, die Große Koalition werde nun die „Sacharbeit in den Mittelpunkt“ stellen und „zusammenrücken“. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles kündigte einen „verbindlichen Fahrplan“ an. Und der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte: „Es muss sich hier in Berlin deutlich etwas ändern. Ich glaube jetzt nicht, dass es Neuwahlen geben wird“.

Viele Kommentare hatten das Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels vorausgesagt, falls die CDU in Hessen das Amt des Ministerpräsidenten verlieren sollte. Und auch jetzt häufen sich die Kommentare, die Merkels Rückzug fordern. „Kanzlerin Angela Merkel wird die Folgen tragen müssen“, schreibt Spiegel Online. „Die Marke Merkel hat sich verbraucht, das ist eine der Botschaften von Hessen.“ Die FAZ kommentiert: „Es wäre ein Fehler, wenn Angela Merkel noch einmal für den CDU-Parteivorsitz kandidierte. Doch hört die Kanzlerin die Signale?“

Hinter den Kulissen wird offensichtlich auch darüber diskutiert, die AfD in zukünftige Regierungen einzubinden. Einen Tag vor der Wahl hatte Der Spiegel in seiner Printausgabe den AfD-Rechtsaußen Björn Höcke in einem sechsseitigen Bericht als freundlichen, einfühlsamen Politiker porträtiert und ausführlich aus seinem neuen Buch zitiert.

Das Wahlergebnis in Hessen macht erneut deutlich, wie wichtig der Aufbau der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) ist. Nur sie kämpft für ein sozialistisches Programm, das sich gegen den Kapitalismus richtet und sich auf eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse stützt. Ohne die großen Banken, Konzerne und Vermögen zu enteignen und das Wirtschaftsleben auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse statt auf die Profitinteressen des Kapitals auszurichten, lässt sich kein einziges gesellschaftliches Problem lösen.

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