Perspektive

Die lateinamerikanische „Linke“ lässt Julian Assange im Stich

Der ecuadorianische Präsident Lenín Moreno machte am letzten Freitag deutlich, dass seine Regierung aktiv über die Auslieferung von WikiLeaks-Gründer Julian Assange an die britischen Behörden verhandelt. Die Polizei wartet bereits vor der ecuadorianischen Botschaft und wird ihn verhaften, sobald er einen Fuß auf die Straßen Londons setzt.

Sollte er den britischen Behörden in die Hände fallen, so müsste er mit einer langen Haft und schließlich der Auslieferung an die USA rechnen, wo ihm eine langjährige Gefängnisstrafe oder sogar die Todesstrafe wegen Spionage und Verschwörung droht.

Moreno reist momentan durch Europa, um sich und seine Regierung den imperialistischen Großmächten anzubiedern. Am Freitag gab er sich größte Mühe, Assange zu verteufeln.

Er erklärte: „Ich war nie damit einverstanden, was Assange tut. Ich habe es nie für richtig gehalten, anderer Leute E-Mails abzufangen, um Informationen zu erhalten, egal, wie wertvoll es ist, einige ungute Aktivitäten von Regierungen und Personen aufzudecken ... Das kann man auch auf korrekten und legalen Wegen tun.“

Zuvor hatte Moreno Assange einen „Hacker“, ein „geerbtes Problem“ und einen „Stein in unserem Schuh“ genannt.

Es gibt keinen Beweis dafür, dass Assange oder WikiLeaks irgendjemandes E-Mail-Konten gehackt oder überhaupt gegen ein Gesetz verstoßen haben. Assange hat als mutiger und einfallsreicher Journalist unschätzbare Arbeit geleistet. Er hat der Weltbevölkerung Informationen über imperialistische Kriegsverbrechen, Massenüberwachung, undemokratische Machenschaften und Verschwörungen Washingtons, anderer Regierungen und transnationaler Konzerne zur Verfügung gestellt.

Assange erhielt im Jahr 2012 Asyl von der früheren ecuadorianischen Regierung unter Präsident Rafael Correa, weil es eindeutige Beweise gab, dass er wegen der Enthüllung dieser Verbrechen politisch verfolgt wurde.

Als Quito seine Entscheidung bekanntgab, Assange Asyl zu gewähren, erklärte der damalige Außenminister Ricardo Patina, Washingtons Vergeltung für Assanges Enthüllungen „könnte seine Sicherheit, Integrität und sogar sein Leben gefährden. ... Die Beweislage zeigt, dass Assange nicht mit einem fairen Prozess rechnen könnte, wenn er in die USA ausgeliefert würde. Es ist keineswegs unmöglich, dass er Opfer grausamer und erniedrigender Behandlung werden und zu lebenslanger Haft oder sogar zum Tod verurteilt werden könnte.“

Was hat sich seither geändert? Assange saß die letzten sechs Jahre über in der ecuadorianischen Botschaft fest. Die Trump-Regierung hat die Pläne der USA nur expliziter ausgesprochen. Der ehemalige CIA-Direktor und derzeitige Außenminister Mike Pompeo erklärte, WikiLeaks sei ein „nichtstaatlicher feindlicher Geheimdienst, der oft von staatlichen Akteuren wie Russland unterstützt wird“, und behauptete, die Tätigkeiten von WikiLeaks seien nicht durch den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung geschützt.

US-Justizminister Jeff Sessions hat es zur „Priorität“ seines Ministeriums erhoben, Assange in Ketten zu einer abgekarteten Anklage in die USA zu bringen.

Am Freitag erklärte der ecuadorianische Präsident Moreno: „Wir wollen nur eine Garantie, dass sein Leben nicht in Gefahr geraten wird. Wir haben mit Assanges Anwälten und mit der britischen Regierung darüber gesprochen und kümmern uns natürlich darum.“

Offenbar fordert die ecuadorianische Regierung als Gegenleistung für die Aberkennung von Assanges Asyl und seine Auslieferung an die britischen und amerikanischen Behörden lediglich die wertlose Zusage, dass er nicht hingerichtet wird. Die anderen Gefahren, die die ecuadorianischen Behörden 2012 nannten, u.a. „grausame und erniedrigende Behandlung“ und „lebenslange Freiheitsstrafe“ gelten jetzt offenbar als hinnehmbar.

Neben seinen Gesprächen mit der britischen Regierung unterzeichnete Moreno bei einem Besuch in Spanien ein Sicherheitsabkommen mit der rechten PSOE-Minderheitsregierung von Pedro Sanchez. Gleichzeitig garantierte er den spanischen Kapitalisten ungehinderten Zugang zu den ecuadorianischen Märkten, Rohstoffen und billigen Arbeitskräften.

Berichten zufolge hat Spanien die Moreno-Regierung dazu gebracht, Assange den Internetzugang zu sperren und keine Anrufe und Besucher zu ihm durchzulassen, sodass er praktisch in Isolationshaft sitzt und weniger Rechte besitzt als ein Strafgefangener. Zuvor hatte Assange Madrid für den Haftbefehl gegen den ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont verurteilt.

Nicht nur die Regierung von Lenín Moreno, sondern alle Regierungen der so genannten „rosa Flut“ und ihre pseudolinken Anhängsel haben einen scharfen Rechtsruck vollzogen.

Moreno wurde von Präsident Rafael Correa, der sich selbst als Partisan der „bolivarischen Revolution“ des mittlerweile verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez bezeichnete, persönlich als Nachfolger bestimmt. Moreno und Carrea haben sich zwar seither stark zerstritten, doch die Politik der Annäherung an den Imperialismus und die zunehmenden Angriffe auf die Arbeiterklasse begannen bereits unter Correa. Seine Regierung hatte Assange erstmals den Internetzugang gesperrt, nachdem er E-Mails veröffentlicht hatte, aus denen hervorging, wie die Demokratische Partei den Vorwahlkampf 2016 manipuliert hatte, damit sich Hillary Clinton gegen Bernie Sanders durchsetzen konnte.

Gleichzeitig wurden auch andere Regierungen, die als Teil des „Linksrucks“ in Lateinamerika galten, grundlegend diskreditiert. Chavez' Nachfolger Nicolas Maduro hat der Arbeiterklasse die gesamte Last der schweren Wirtschaftskrise Venezuelas aufgebürdet und gleichzeitig den Reichtum und die Privilegien der Oligarchen und Militärkommandanten sowie die Schuldenzahlungen an die internationalen Banken geschützt.

In Nicaragua hat der sandinistische Präsident Daniel Ortega ein Blutbad mit bereits mehr als 400 Todesopfern angerichtet, um die Proteste der Bevölkerung gegen Austeritätsmaßnahmen zu unterdrücken. In Brasilien sitzt der ehemalige PT-Präsident Lula im Gefängnis, während die PT („Arbeiterpartei“) selbst durch ihre undemokratischen Maßnahmen und Angriffe auf die Rechte der Arbeiter völlig diskreditiert ist. Vor diesem Hintergrund konnte die rechteste Regierung seit der Militärdiktatur an die Macht kommen und der bekennende Faschist Jair Bolsonaro zum Präsidentschaftskandidaten aufsteigen.

Die lateinamerikanischen Pseudolinken, die von kleinbürgerlichem Nationalismus geprägt sind und sich an den nationalen Gewerkschaftsbürokratien, der Jagd nach Parlamentsposten und Identitätspolitik orientieren, haben die Angriffe auf Assange weitgehend ignoriert. Sie weigern sich, einen Finger zu seiner Verteidigung zu rühren oder die lateinamerikanischen Arbeiter über die wichtigen demokratischen und sozialen Interessen zu informieren, die mit seinem Schicksal in Verbindung stehen.

Beispielhaft dafür ist die Reaktion, genauer gesagt, das Ausbleiben einer Reaktion der pseudolinken Parteien in Argentinien: der PTS (Sozialistische Arbeiterpartei) und der PO (Arbeiterpartei), die trotz ihrer Differenzen in einem prinzipienlosen Wahlbündnis namens „Front der Linken und Arbeiter“ (FIT) vereint sind.

Die Website der PTS Izquierda Diario veröffentlichte am 3. April 2017 ihren letzten nennenswerten Artikel über Assange. In der Schlagzeile hieß es: „Durch den Sieg von Lenín Moreno muss Assange keine Ausweisung aus der ecuadorianischen Botschaft mehr fürchten“. Mit der Verbreitung von Illusionen über den rechten bürgerlichen Politiker Moreno und die Verharmlosung der Gefahren für Assange behindert die PTS die Verteidigung des WikiLeaks-Herausgebers.

Die PO ignoriert das Thema Assange vollständig und hat seit mehr als fünf Jahren nichts mehr über ihn geschrieben0. Diese Partei strebt ein Bündnis mit der peronistischen Gewerkschaftsbürokratie im Inland und den rechtsextremen Kräften des russischen Stalinismus im Ausland an. Sie verkörpert die reaktionäre Perspektive des kleinbürgerlichen lateinamerikanischen Nationalismus, der im Fall Assange ebenso wie in allen anderen wichtigen politischen Fragen als Werkzeug dient, mit dem der Imperialismus Druck auf die Arbeiterklasse ausübt.

Die Verteidigung von Julian Assange, und allgemeiner die Verteidigung der sozialen und demokratischen Rechte der arbeitenden Bevölkerung sowie die Befreiung Lateinamerikas von imperialistischer Unterdrückung, sozialer Ungleichheit und Armut, ist nur möglich durch die politische Mobilisierung der Arbeiterklasse – unabhängig von allen vorgeblich „linken“ bürgerlichen Parteien und den kleinbürgerlich-pseudolinken Gruppen, die sie unterstützen.

Die Arbeiterklasse ist die einzige echte Basis für die Verteidigung demokratischer Rechte. Sie muss sich dazu weltweit zusammenschließen, um das kapitalistische System abzuschaffen und die Menschheit von der Bedrohung durch Weltkrieg und Diktatur zu befreien.

Die Arbeiter Lateinamerikas müssen sich mit den Arbeitern im Rest der Welt verbünden und Assange zu Hilfe kommen. Sie müssen die ecuadorianische Regierung dazu zwingen, ihre reaktionären Bestrebungen einzustellen, ihm das Asyl zu entziehen. Sie müssen für seine sofortige Freiheit vor Verfolgung durch die amerikanischen und britischen Behörden kämpfen und Massenproteste und Streiks gegen alle Versuche vorbereiten, ihn zu verhaften oder auszuliefern.

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