Viele bürgerlichen Medien taten den Auftritt des Gründers und Vorstandsvorsitzenden von Facebook, Mark Zuckerberg, vor EU-Parlamentariern am Dienstagabend als Farce ab. Die EU-Politiker hätten zu lange geredet, Fragen teilweise doppelt gestellt oder seien schlicht nicht gut vorbereitet gewesen. Dabei zeigte die Befragung etwas sehr Beunruhigendes: die extrem weitgehende Zusammenarbeit zwischen den europäischen Regierungen und Geheimdiensten mit den US-Online-Riesen bei der Kontrolle und Zensur des Internets.
Bereits in seinem Eingangsstatement erklärte Zuckerberg: „Wir arbeiten mit Regierungen und anderen Technologieunternehmen zusammen, um Informationen über Bedrohungen in Echtzeit auszutauschen. So haben wir beispielsweise in Deutschland vor den Wahlen 2017 direkt mit dem Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik zusammengearbeitet. Wir verwenden auch neue Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), um gefälschte Konten zu entfernen, die für viele falsche Nachrichten, Fehlinformationen und schlechte Anzeigen verantwortlich sind, die die Leute auf Facebook sehen können.“
Auch das Eingreifen von Facebook in die französischen Präsidentschaftswahlen 2017 war offenbar massiv. Im Vorfeld der Wahlen „haben unsere Systeme mehr als 30.000 Fake Accounts gefunden und gelöscht“, prahlte Zuckerberg.
„In den nächsten 18 Monaten“ fänden „weltweit wichtige Wahlen statt, darunter viele in Europa, in den Vereinigten Staaten, Brasilien, Indien und Indonesien“. Eine Situation wie im Jahr 2016, als man „zu langsam“ gewesen sei, die „russische Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen auf Facebook zu identifizieren“, werde sich da nicht wiederholen. „Wir haben seither bedeutende Operationen durchgeführt, um die Integrität von Wahlen zu schützen, indem wir diese Art von Angriffen auf Facebook viel schwieriger machen.“
Unter dem Deckmantel des Kampfs gegen angebliche „Fake-News“ und die völlig an den Haaren herbeigezogene Einmischung Russlands in Wahlen führt Facebook eine massive Zensur durch.
„Wir haben im ersten Quartal dieses Jahres rund 580 Millionen Fake-Accounts innerhalb von Minuten nach der Registrierung gelöscht, da unsere Systeme in der Lage sind, dies zu identifizieren“, erklärte Zuckerberg. Die Frage sei nicht, „ob es eine Regulierung geben sollte oder nicht“, sondern „was die richtige Regulierung ist“.
Facebook werde zukünftig mit zehntausenden „unabhängigen Faktenprüfern in allen Ländern und allen Sprachen“ zusammenarbeiten und Künstliche Intelligenz nutzen, um mehr „problematische Inhalte“ und „Falschinformationen“ herauszufiltern. „Unser Ziel in den kommenden Jahren wird sein, die KI-Systeme zu entwickeln und die Mitarbeiter einzustellen, die notwendig sind, um proaktiv mehr Inhalte überprüfen zu können, wenn sie ins System kommen,“ erklärte Zuckerberg. Es sei „ein Wettrüsten“, aber man mache „bedeutende Fortschritte“.
Gegenwärtig baut Facebook seine Löschzentren in Europa für unerwünschte Kommentare weiter aus. Bis Ende des Jahres werden zum Beispiel in Essen 1000 statt bisher 750 Mitarbeiter im dortigen Zentrum arbeiten. Das kündigten Manager von Facebook und dem Betreiber Competence Call Center (CCC) ebenfalls am Dienstag bei einem Presserundgang an. Eine weitere Aufstockung zeichnet sich bereits ab. Insgesamt lasse das angemietete Gebäude mit 10.000 Quadratmeter Bürofläche deutlich mehr als 1000 Mitarbeiter zu.
Die Vertreter aller Fraktionen im Europäischen Parlament machten in ihren Statements und Fragen an Zuckerberg deutlich, dass sie trotz aller Kritik am US-Konzern mit den undemokratischen Machenschaften Facebooks im Kern übereinstimmen.
Der Sprecher der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten, Udo Bullman, erklärte: „Sie haben die Erfahrungen in Frankreich und in Deutschland erwähnt. Wie können und wollen Sie garantieren, dass auf Ihrer Plattform keine Manipulationen und ausländische und feindselige Einmischungen in den demokratischen Prozess vor den anstehenden Wahlen stattfinden? Sind Sie bereit, das für die gesamte Europäische Union zu garantieren?“
Die Fraktionsvorsitzende der Vereinten Europäischen Linken, Gabi Zimmer, übertraf mit ihrem Ruf nach Zensur alle anderen. „Ich kann dem folgen, was viele meiner Kollegen gesagt haben“, erklärte sie. Es gebe „immer mehr Informationen, die auf ‚Fake News‘ beruhen“, und dies könne „tödlich sein.“ Für sie stelle sich die Frage, ob die Online-Plattform nicht ganz abgeschaltet werden solle: „Ist es Zeit, den Stecker zu ziehen für Facebook?“
Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, bedankte sich bei Zuckerberg zunächst dafür, dass Facebook das neue europäische Datenschutzgesetz nicht nur einhalten, sondern sogar als seinen „globalen Standard“ nutzen wolle.
Dann machte er deutlich, dass hinter der europäischen Kritik an Facebooks Umgang mit Daten,vor allem das Interesse der EU-Staaten steht, selbst eine größere Rolle bei der Kontrolle des Internets zu spielen. Er forderte Zuckerberg auf, „die Algorithmen in Zukunft öffentlich zu machen. Denn wenn man in den sozialen Medien so viel Macht darüber hat, wer sichtbar ist und wer nicht sichtbar ist, kann das nicht länger eine Entscheidung eines Unternehmens sein, das ist eine Entscheidung für unsere Gesellschaften.“
Die Vertreter der extremen Rechten kritisierten, dass auch rechte politische Inhalte von der Zensur betroffen seien. Nigel Farage, Vorsitzender der Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie, behauptete, dass die Veränderung der Algorithmen „direkt zu einem sehr beträchtlichen Rückgang der Ansichten und des Engagements jener geführt“ habe, „die politische Meinungen rechts von der Mitte haben“.
Nicolas Bay vom französischen Front National stieß ins gleiche Horn. Facebook habe „sich entschieden, eine Anzahl falscher Konten zu löschen“, aber zum Beispiel auch das der französischen Gruppierung „Génération Identitaire“. Dies sei „sehr besorgniserregend“ und habe „eine totalitäre Implikation“.
Der Versuch der extremen Rechten, sich als Vorkämpfer gegen Totalitarismus und für demokratische Rechte darzustellen, ist absurd. Ihre Masche ist bekannt. Während die Rechtsradikalen ihre menschenverachtende Hetze unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit verbreiten, arbeiten sie eng mit den etablierten Parteien und dem Staat zusammen, wenn es um die Unterdrückung progressiver und linker Standpunkte geht. In Deutschland wird der Rechtsausschuss im Bundestag – unter dessen Kompetenz das berüchtigte Internetzensurgesetz NetzDG fällt – mittlerweile von einem Abgeordneten der AfD geleitet.
Zu seiner Verteidigung behauptete Zuckerberg, Facebook sei „eine Plattform für alle Ideen“. Er wolle „es schaffen, dass Menschen zu unserem Service kommen und jede Idee im politischen Spektrum teilen können“. Es sei ihm „persönlich wichtig, dass wir ein Dienst sind, der eine breite Vielfalt des politischen Diskurses erlaubt“. Facebook werde auch nie „auf der Grundlage einer politischen Orientierung entscheiden, welcher Inhalt erlaubt ist oder welches Ranking er bekommt“.
Das ist offensichtlich eine Lüge. Erst vor kurzem hat Facebook die Gruppe „Arizona Educators Rank and File Committee“ gesperrt. Sie war vom WSWS Teacher Newsletter initiiert worden und diente den Lehrern in Arizona und in anderen Bundesstaaten als Forum, um sich auszutauschen und auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive gegen den Verrat der Gewerkschaften zu kämpfen. In seiner Begründung für die Zensur erklärte der Konzern, dass „die Inhalte des Arizona Educators Rank and File Committee gegen unsere Gemeinschaftsstandards bei Fälschung und Spam verstoßen“.
Insgesamt werden im Internet unter dem Deckmantel des Kampfs gegen „Fake-News“, „Hate Speech“ oder „Spam“ etc. vor allem linke, sozialistische und Antikriegs-Websites unterdrückt. Seit mehr als einem Jahr zensiert Google in enger Abstimmung mit deutschen Regierungskreisen ganz massiv die World Socialist Web Site. Auch unter dem deutschen NetzDG, das seit dem 1. Januar in vollem Umfang in Kraft ist, werden immer wieder linke Inhalte zensiert, darunter Twitter-Meldungen und Youtube-Videos gegen die AfD.
Das Treffen von allen EU-Fraktionen mit Zuckerberg in Brüssel ist eine Warnung. Es verleiht dem Kampf der WSWS für ein internationales Bündnis gegen Internetzensur enorme Bedeutung. Es darf nicht zugelassen werden, dass ein – wenn auch zunehmend spannungsgeladenes Bündnis – zwischen dem gesamten politischem Establishment und milliardenschweren amerikanischen Internetkonzernen die Meinungsfreiheit im Internet abschafft und einen modernen Polizeistaat errichtet. Die WSWS ruft alle sozialistischen, Antikriegs-, linken und progressiven Websites, Organisationen und Aktivisten auf, die Prinzipien des Bündnis gegen Internetzensur zu studieren und sich ihm anzuschließen.