Angesichts wachsender transatlantischer Spannungen, Handelskrieg, militärischer Aufrüstung, rapidem technischem Wandel, massiven Sozialkürzungen und wachsendem Widerstand der Beschäftigten verstärkt der Deutsche Gewerkschaftsbund seine Zusammenarbeit mit der Bundesregierung. Das ist die Quintessenz des DGB-Kongresses, der am Sonntag in Berlin zusammentrat.
Alle vier Jahre versammeln sich mehrere Hundert Gewerkschaftsfunktionäre und bezeichnen ihre Tagung als „Parlament der Arbeit“. Immer sind dann auch Vertreter der Regierung und der Parteien geladen. Aber in diesem Jahr ist das Bündnis von Gewerkschaft und Regierung besonders ausgeprägt. Der Bundespräsident, die Kanzlerin, der Finanzminister und Vizekanzler, der Arbeitsminister und die Familienministerin, dazu Spitzenvertreter nahezu aller Parteien gaben sich auf dem DGB-Kongress ein Stelldichein.
Unmittelbar nach den Begrüßungsworten von DGB-Chef Reiner Hoffmann sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er begann mit den Worten: „Wir leben inmitten großer Umbrüche. Gewissheiten, die vor wenigen Jahren noch unumstößlich schienen, geraten ins Wanken.“ Seit dem Brexit-Votum im Jahr 2016 und vor allem seit den US-Wahlen sei die Welt kaum wiederzuerkennen. „Verunsicherung, Rückzug ins Nationale, Populismus“ bereiteten sich überall aus.
Die Folgen dieser Umbrüche müssten auf der Gewerkschaftskonferenz diskutiert werden. Es gehe um die Fragen: „Ist die Mitte unserer Gesellschaft stabil? Bleibt der soziale Zusammenhalt bestehen – der, zwischen Wohlhabenden und Geringverdienern, zwischen Stadt und Land, Ost und West? Können wir den Trend der Polarisierung von Gesellschaften umkehren? Und wenn ja, wie?“
Dann konzentrierte sich Steinmeier auf eine Frage, die, wie er sagte, das Potenzial habe „die Fliehkräfte, die in unserer Gesellschaft angelegt sind, noch zu verstärken“: den technologischen Wandel. Die Digitalisierung und alle „Wellen des technischen Fortschritts“ entwickelten sich immer schneller und „wirken tief in alle Lebensbereiche hinein“. Er kenne die „Sorgen und Ängste“ über die Auswirkungen dieser Entwicklung in den Betrieben.
Er teile zwar nicht die „Untergangsszenarien“, die oftmals verbreitet würden, und auch die Behauptung, die Hälfte aller Jobs sei gefährdet, sei übertrieben. Dennoch sei nicht zu leugnen, dass der technische Wandel „massive Auswirkungen auf die Arbeitswelt“ habe. Gewerkschaft und Regierung müssten große Anstrengungen unternehmen, um diese Entwicklung im Interesse der Beschäftigten zu gestalten.
Auch Reiner Hoffmann stellte diese Frage ins Zentrum seines Grundsatzreferats am Montag. Durch die Digitalisierung werde der gesellschaftliche Wandel rapide vorangetrieben. „Das Smartphone ist gerade mal ein paar Jahre auf dem Markt – und hat unser gesellschaftliches Zusammenleben auf unvorstellbare Weise verändert.“ In der Wirtschaft würden „künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen“ entwickelt. Im „Internet der Dinge“ solle alles mit allem vernetzt werden: „Smarte Roboter in den Fabriken oder Pflegeroboter in Krankenhäusern und Altenheimen. Der Online-Handel, Dienstleistungsplattformen für Reinigungs-, Fahr- oder Lieferdienste.“ All das verändere die Arbeitsbedingungen von Grund auf.
„Digitale Crowd- und Click-Worker ohne arbeits- und sozialrechtlichen Schutz und oft hundsmiserabel bezahlt“ dürften nicht länger hingenommen werden, betonte Hoffmann. Die Angst vor der sozialen Sprengkraft eines schnell wachsenden „digitalen Tagelöhnertums“ war in seiner Rede unüberhörbar. Immer wieder appellierte er an die Regierung und die Europäische Union, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese Entwicklung besser kontrollieren zu können.
Doch während der DGB-Chef seinen Appell zur engeren Zusammenarbeit mit der Regierung mit einem Schwall von Phrasen über die „soziale Gestaltung“ und „Humanisierung der Arbeitswelt“ begründet, findet in Wahrheit etwas ganz anderes statt. Die Gewerkschaften schließen die Reihen mit der Regierung, um jeden Widerstand in den Betrieben gegen Niedriglöhne, steigende Arbeitshetze und Arbeitsplatzabbau zu ersticken.
Der technologische Fortschritt schafft nie dagewesene Möglichkeiten, Armut zu überwinden, den allgemeinen Lebensstandard zu erhöhen, die Versorgung von Kranken und Alten zu verbessern und Milliarden in Bildung und Kultur zu investieren. Doch im Kapitalismus geschieht das Gegenteil. Moderne Technologien werden eingesetzt, um die Ausbeutung zu steigern und die Profite zu erhöhen, während sich gleichzeitig der globale Kampf um Märkte und Ressourcen verschärft und – wie im Nahen Osten – mit militärischer Gewalt ausgetragen wird.
Der DGB und seine Einzelgewerkschaften stehen in diesem Konflikt uneingeschränkt auf Seiten der Kapitalisten und ihrer Regierung. In den Unternehmen wirken sie als Betriebspolizei, schüchtern die Arbeiter ein und arbeiten selbst die Rationalisierungspläne aus. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh, einer der mächtigsten und bestbezahlten Gewerkschaftsfürsten Deutschlands, hat erst kürzlich im Handelsblatt erklärt, er betrachte es als seine Aufgabe, die Konzernstruktur zu straffen, Synergien zu verbessern und damit die Wirtschaftlichkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit des größten europäischen Autokonzerns zu erhöhen.
Auch politisch arbeitet der DGB eng mit der Regierung zusammen. Er unterstützt die Rückkehr des Militarismus und den Aufbau eines Polizeistaats, der sich letztlich gegen die Arbeiterklasse richtet.
Hoffmanns Lamento über die wachsenden sozialen Spannungen und die drastische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Verhältnisse von einer Regierung geschaffen wurden, mit der die Gewerkschaften seit Jahren eng zusammenarbeiten. Wer hat das Arbeitsministerium in den vergangenen Jahren geleitet, wenn nicht die SPD, in deren Vorstand und Führungsgremien Hoffmann und ein Großteil der DGB-Funktionäre sitzen? Wer hat die Harz-Gesetze verabschiedet, die Billiglohnarbeit durchgesetzt und damit die Voraussetzungen für das wachsende Heer der prekär Beschäftigten geschaffen?
Der DGB hat sich bereits in den Monaten vor der Regierungsbildung für die Große Koalition eingesetzt, obwohl es sich in der Außen- und Innenpolitik um die rechteste Regierung seit der Nazizeit handelt. Auf dem gegenwärtigen Kongress wird diese reaktionäre Politik deutlich sichtbar. Der DGB unterstützt die militärische Aufrüstung, die dafür notwendigen Sozialkürzungen und alle Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Als DGB-Chef Hoffmann den Bundespräsidenten am Sonntag begrüßte, erinnerte er daran, dass dieser in seiner früheren Funktion als Außenminister davon gesprochen habe, dass die Welt aus den Fugen sei und Deutschland mehr Verantwortung übernehmen müsse. Um für eine deutsche Großmachtpolitik zu werben, hatte Steinmeier damals eine Website des Außenministeriums, Review 2014, eingerichtet, die unter anderem für mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr eintrat.
Zu den Autoren dieser Site zählte auch DGB-Chef Hoffmann, der sich voll hinter die militärische Aufrüstung stellte. Schon sein Vorgänger Michael Sommer hatte enge Kontakte zur Bundeswehr gepflegt. Der DGB hatte damals in einer gemeinsamen Friedenserklärung von Gewerkschaft und Bundeswehr allen Ernstes behauptet, die Gewerkschaften und die Bundeswehr seien beide Teil der Friedensbewegung. Kurze Zeit später hatte sich der DGB an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr beteiligt.
Der Unterdrückung von Widerstand in den Betrieben dient auch das Tarifeinheitsgesetz, das die Regierung vor knapp drei Jahren verabschiedete. Die damalige Arbeitsministerin und heutige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hatte das Gesetz, das grundgesetzlich verankerte Rechte von Arbeitern aushebelt, in enger Zusammenarbeit mit Hoffmann ausgearbeitet.
Das Tarifeinheitsgesetz schränkt vor allem das Streikrecht und das Recht auf Koalitionsfreiheit ein. Es verleiht dem DGB die Funktion einer Monopol- oder Zwangsgewerkschaft, ähnlich der Deutschen Arbeitsfront unter den Nazis. Da die DGB-Gewerkschaften seit Jahren aufs Engste mit den Arbeitgebern und der Regierung zusammenarbeiten und gleichzeitig über ihre Betriebsräte und Vertrauensleute großen Einfluss in Betrieben und Verwaltungen ausüben, zielt das Gesetz darauf ab, jeden Widerstand oder auch nur jede eigenständige Regung von Arbeitern zu unterdrücken.
Der gegenwärtige Kongress in Berlin macht deutlich, wie bewusst der DGB als fünfte Kolonne von Regierung und Kapitalinteressen handelt.