Am vergangenen Freitag haben Vertreter der US-Regierung bei Gesprächen in Peking eine Reihe von Forderungen aufgestellt. China soll demnach u.a. keinen Widerstand gegen Maßnahmen der USA leisten, die das Land an der Entwicklung von Hightech-Industriezweigen hindern. Außerdem wird dem Land die unmögliche Forderung gestellt, seinen Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA in spätestens zwei Jahren um 200 Milliarden Dollar zu verringern. Diese Forderungen bilden keine Verhandlungsgrundlage, sondern sollen wirtschaftliche Konflikte und militärische Spannungen verschärfen.
Die Financial Times kommentierte: „Die USA fordern China im Vorfeld eines potenziellen Handelskriegs praktisch zur Abrüstung auf. Peking soll wichtige Elemente seiner Industriepolitik aufgeben, wegen denen Washington China zunehmend als langfristigen wirtschaftlichen Rivalen betrachtet.“
Eswar Prasad, ein Kenner der chinesischen Wirtschaft und Senior Fellow der Brookings Institution, sagte der Zeitung: „Möglicherweise entwickeln sich diese Treffen nicht zur Grundlage einer Verhandlungslösung, sondern zur Formalisierung von Feindseligkeiten.“
Zur amerikanischen Delegation gehörten Finanzminister Steven Mnuchin, Handelsminister Wilbur Ross, der US-Handelsbeauftragte Robert Lightizer und der Direktor für Handel und Industriepolitik des Weißen Hauses, Peter Navarro. Die beiden letzteren vertreten in Handelsfragen eine besonders aggressive Haltung gegenüber China. Sie legten ihre Forderungen in einem vierseitigen Dokument mit dem Titel „Gleichgewicht in den Handelsbeziehungen“ vor.
Die Trump-Regierung behauptete, sie wolle einen „offenen und konstruktiven Austausch zwischen beiden Seiten“ fördern. In Wirklichkeit erinnert das amerikanische Dokument jedoch eher an das österreichische Ultimatum gegen Serbien vom Juli 1914, das zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte.
Zuvor hatten die USA von China sofortige Maßnahmen gefordert, um seinen Handelsbilanzüberschuss mit den USA in Höhe von 375 Milliarden Dollar um 100 Milliarden zu senken. Diese Forderung wurde jetzt auf 200 Milliarden Dollar verdoppelt: 100 Milliarden in den zwölf Monaten ab Juni 2018, und weitere 100 Milliarden ab Juni 2019.
Der Rest des Dokuments bestand aus ebenso herrischen wie unmöglich zu erfüllenden Forderungen. China soll den Aufbau seiner Hightech-Industrie einstellen und darf nicht einmal mit einer Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WTO) auf die anti-chinesischen Maßnahmen der USA reagieren.
Im Text heißt es: „China wird umgehend die Vergabe von marktverzerrenden Subventionen und anderen Formen von staatlicher Unterstützung unterlassen, die zur Schaffung oder Aufrechterhaltung von überschüssigen Kapazitäten in Industriezweigen führen, die von dem Plan ‚Made in China 2025‘ betroffen sind.“
Das bedeutet faktisch, China muss sein Industrieprogramm einstellen und sich völlig den Forderungen der USA unterwerfen.
China wurde zu „sofortigen und nachweisbaren Schritten“ aufgefordert, um die Einstellung von staatlich geführten, geförderten oder tolerierten Maßnahmen gegen amerikanische Wirtschaftsgeheimnisse und vertrauliche Geschäftsinformationen zu gewährleisten. Diese Forderung entspricht den Vorwürfen der USA, China würde geistiges Eigentum stehlen.
China dementiert, dass es zu solchen Diebstählen kommt und betont, die von den USA so bezeichneten „erzwungenen Technologietransfers“ seien Teil von Abkommen mit US-Firmen, die über Joint-Venture-Operationen Geschäfte in China machen wollen.
Das Dokument fordert China auf, keine Vergeltungsmaßnahmen gegen US-Agrarprodukte einzuleiten, „weder durch Einfuhrzölle auf amerikanische Produkte noch in sonstiger Form“ und „alle derzeit bestehenden Vergeltungsmaßnahmen einzustellen.“
China hat mit Zöllen auf amerikanische Agrarprodukte gedroht, falls die USA wie angekündigt ab Ende des Monats unter Anwendung von Abschnitt 301 des Trade Act von 1974 einen Zoll von 25 Prozent auf chinesische Güter erheben.
Weiter forderten die USA, China solle seine Klage bei der WTO gegen die Maßnahmen der USA zurücknehmen und die Regeln und Verfahren der WTO nicht nochmals für „derartige Klagen“ nutzen.
Kurz gesagt soll China seine Industrie- und Wirtschaftspolitik vollständig den Forderungen der USA unterwerfen. Dass sich Washingtons Forderungen vor allem gegen den Aufbau der Hightech-Industrie richten, den es als Gefahr für seine militärische und wirtschaftliche Überlegenheit betrachtet, zeigt der folgende Absatz des Dokuments:
„Angesichts der weiterhin bestehenden Einschränkungen für Investitionen und der staatlich gelenkten Beteiligung Chinas an wichtigen US-Technologiesektoren, u.a. durch Industriepläne wie ‚Made in China 2025‘ bestätigt China, dass es die Einführung von Einschränkungen für Investitionen aus China in für die nationale Sicherheit der USA bedeutsame Technologiesektoren nicht behindern oder anfechten und keine Vergeltungsmaßnahmen einleiten wird.“
Hinsichtlich amerikanischer Investitionen in China erklärte das Dokument, Peking müsse bis zum 1. Juli alle eingeführten Beschränkungen aufheben. Daraufhin würden die USA Einschränkungen identifizieren, die „amerikanischen Investoren gerechten, effektiven und nicht diskriminierenden Zugang und Handlungsfreiheit auf Märkten verwehren.“ Nach deren Identifizierung solle China „alle identifizierten Investitionseinschränkungen zügig in einem Zeitrahmen abschaffen, der von den USA und China festgelegt wird.“
Die Delegation forderte Peking auf, Washington freie Hand für Maßnahmen gegen China zu geben. Im Dokument hieß es: „China erkennt außerdem an, dass die USA Importbeschränkungen und Zölle auf Produkte in kritischen Bereichen erheben dürfen, auch auf Sektoren, die im Industrieplan ‚Made in China 2025‘ identifiziert wurden.“
Sollte China die Forderungen der USA nicht umsetzen, „erkennt es an, dass die USA wahrscheinlich weitere Zölle und andere Importbeschränkungen auf chinesische Produkte einführen werden, welche die USA für angemessen halten.“
Zudem „versteht“ China, dass es „die Einführung zusätzlicher Zölle nicht behindern oder anfechten oder durch Vergeltungsmaßnahmen beantworten wird“. Dies umfasst auch Verfahren über die WTO.
China müsse außerdem seinen Widerstand gegen die Einsprüche der USA aufgeben, die gegen die Entscheidung der WTO gerichtet sind, China als „Marktwirtschaft“ einzustufen. Wenn ein Land von der WTO als vollständige Marktwirtschaft anerkannt wird, wird es für seine Rivalen schwerer, Einschränkungen gegen dieses Land zu verhängen.
Im Gegenzug fordert China die Aufhebung der geplanten 25-prozentigen Zölle auf chinesische Exportgüter in die USA, offenen Zugang für chinesische Güter zu öffentlichen Ausschreibungen in den USA, die Gleichbehandlung chinesischer Unternehmen bei nationalen Sicherheitsbewertungen, und eine Einstellung des Verbots des chinesischen Technologiekonzerns ZTE. Außerdem sollen sich die USA verpflichten, in Zukunft keine Maßnahmen nach Abschnitt 301 gegen China zu ergreifen.
Wie aus dem amerikanischen Dokument hervorgeht, wird Washington in keiner dieser Fragen Zugeständnisse machen.
Nachdem beide Seiten ihre Grundpositionen geschildert haben, wird es in den nächsten Wochen zweifellos Mutmaßungen darüber geben, welche Zugeständnisse sie in künftigen Gesprächen machen könnten, falls solche überhaupt stattfinden.
Es könnte zwar Schritte in diese Richtung geben, doch jede Einschätzung, die diesen Konflikt nur als „Handelsstreit“ betrachtet, wäre eine völlige Fehleinschätzung. Die amerikanischen Handelskriegsmaßnahmen sind Teil eines viel größeren Plans mit dem Ziel, China in eine Halbkolonie zu verwandeln, notfalls auch mit militärischen Mitteln.
Letzten Dezember veröffentlichten die USA ihre neue Nationale Sicherheitsstrategie, in der sie China als „strategischen Konkurrenten“ bezeichneten, der „wirtschaftliche Aggressionen“ gegen die USA praktiziert. Im Januar erklärte Verteidigungsminister James Mattis in der Nationalen Verteidigungsstrategie (NDS), die größte Gefahr für die nationale Sicherheit der USA sei nicht mehr Terrorismus, sondern „Konkurrenz durch Großmächte“. Die NDS bezeichnete China und Russland als „revisionistische Mächte“, die eine Welt schaffen wollten, die ihrem „autoritären Modell“ entspricht.
Im Juli 1914 legte das marode und altersschwache österreichisch-ungarische Regime Serbien nach der Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo ein Ultimatum vor, welches das Land unmöglich erfüllen konnte. Österreich-Ungarn wusste, dass seine Forderungen einen Krieg auslösen würden, entschied sich aber trotzdem zu einem verzweifelten Versuch, sein bedrohtes europäisches Imperium am Leben zu erhalten.
Heute sieht sich der US-Imperialismus von allen Seiten von alten und neuen Rivalen bedroht und betrachtet Chinas wirtschaftliche Expansion, vor allem im wichtigen Bereich der Hightech-Entwicklung, als existenzielle Bedrohung für seine wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung. Mit seinen Ultimaten gegen China hat Washington deutlich gemacht, dass es genauso bereit ist, die Welt in den Krieg zu stürzen, wie damals Österreich-Ungarn.