Das brutale Vorgehen des spanischen Staats gegen das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien vom 1. Oktober hat weltweit Millionen Menschen schockiert.
Die Regierung einer „Demokratie“ mit Weltbedeutung hat bewaffnete Polizeieinheiten eingesetzt, die unter dem Jubel faschistischer Demonstranten jeden misshandelten und verhafteten, der sein grundlegendes Recht auf Teilnahme am Referendum ausübte. Barcelona, eine der weltoffensten Städte der Welt, hat sich über Nacht in ein Kampfgebiet verwandelt.
Inmitten dieses Blutbads haben sich die USA und die Europäische Union an die Seite der spanischen Regierung gestellt. Die Kolumnisten führender Zeitungen, die ansonsten schnell bei der Hand sind, Menschenrechtsverletzungen einer Regierung anzuprangern, wenn die USA diese stürzen möchten, loben jetzt die spanische Regierung als Vorbild für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Ein typisches Beispiel dafür ist eine Kolumne mit dem Titel „Damage to Catalonia“ (Schaden für Katalonien), die am Dienstag in der New York Times erschien. Ihr Verfasser, Roger Cohen, verdient seit Jahrzehnten sein Geld damit, der amerikanischen Bevölkerung Kriege schmackhaft zu machen.
Cohen erklärt, die Regierung des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy habe „grundsätzlich Recht gehabt. Das katalanische Referendum war eine leichtsinnige Farce.“ Das Referendum sei „unrechtmäßig“ gewesen, da das spanische Verfassungsgericht es bereits außer Kraft gesetzt habe.
Seine Kolumne führt zu einer unsinnigen und aufgeblasenen Lobrede an die Europäische Union, die eines Polonius‘ würdig wäre: „Die strahlende Zukunft eines jeden gutwilligen Europäers liegt in der europäischen Souveränität, nicht in neuen Landesflaggen.“
Cohen stellt die Katalanen als Unterstützer eines Aufruhrs dar, der „um jeden Preis die liberale Nachkriegsordnung Europas stören sollte, die von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten als ausgleichende Macht in Europa verkörpert wird“. Diese Ordnung habe „Spanien, und damit auch Katalonien, in den letzten vier Jahrzehnten zu Wohlstand und demokratischer Stabilität geführt, die bei Francos Tod unvorstellbar erschienen.“
So sieht die Lage für Cohen aus, der seine großartigen Erklärungen über Demokratie und Menschenrechte zweifellos vom Zimmer eines Fünf-Sterne-Hotels aus abgibt.
Doch in Spanien liegt die Arbeitslosenquote mittlerweile bei 17,8 Prozent und bei den Unter-25-Jährigen sogar bei 38,6 Prozent. Nach den jahrelangen, von Brüssel und dem IWF diktierten Spardiktaten liegt das Einkommen für die Hälfte der Haushalte unterhalb der Armutsgrenze.
Die Washington Post ergänzt die Heuchelei der New York Times durch offene Lügen. Sie behauptet, das katalanische Referendum gehe auf ein russisches Komplott gegen die Europäische Union zurück.
Die Post klagt, die Bilder von „spanischen Bereitschaftspolizisten, die am Sonntag mit Gummigeschossen und Schlagstöcken gegen Wähler in Katalonien vorgingen, haben der Regionalregierung die perfekte Story geliefert“. Dabei sei die politische Krise in Spanien das Ergebnis eines „leichtsinnigen und verantwortungslosen Versuchs katalanischer Nationalisten, rechtswidrig eine unabhängige Republik zu gründen“.
Die Post zitiert die Europäische Kommission und den US-Präsidenten Trump als maßgebliche Stimmen gegen Separatismus und stellt ihnen das „separatistisch regierte Schottland, die Paria-Regierung von Venezuela und den Geheimdienst- und Propagandaapparat Russlands“ entgegen. Letzterer habe „seine Medien und seine Bots in sozialen Netzwerken zur Unterstützung der Separatisten mobilisiert“, um den „demokratischen Westen“ zu spalten und zu schwächen.
Es ist nichts Neues, dass die amerikanischen Medien als Sprachrohr einer primitiven, proimperialistischen Propaganda auftreten. Aber die britische Financial Times vertritt im Grunde die gleiche Haltung.
Die Times erklärt in ihrem Leitartikel, das Schlechte an Rajoys Unterdrückung bestehe darin, dass sie die Argumente der Separatisten bestätige, das moderne Spanien habe seine autoritäre Vergangenheit nicht abgelegt. Aber jede Unabhängigkeitserklärung sei „verantwortungslos und ohne rechtliche Gültigkeit oder politische Legitimität“. Daher ziehe sie zu Recht „eine eisige Reaktion der europäischen und amerikanischen Verbündeten Spaniens nach sich“.
Nur wer an akuter politischer Amnesie leidet, kann diese erbärmlichen Moralpredigten über Souveränität und Rechtsstaatlichkeit für bare Münze nehmen. Die Herren von der Presse richten ihre politische Linie ausschließlich nach den Interessen ihrer jeweils eigenen herrschenden Elite aus.
Ein ums andere Mal haben die gleichen Zeitungen und Journalisten bedenkenlos das unveräußerliche Recht separatistischer Kräfte auf Lostrennung verteidigt, wann immer es den räuberischen Interessen der Großmächte in den Kram passte.
So hat das Selbstbestimmungsrecht für jede Art religiöser oder ethnischer Minderheiten die ideologische Rechtfertigung für zahlreiche Fälle abgegeben, von der Aufteilung Jugoslawiens über die Kriege gegen den Irak bis hin zu jenen in Libyen und Syrien. Seit der Anerkennung Georgiens 1991 dient sie auch für alle Versuche, in die Territorien der ehemaligen Sowjetunion vorzudringen.
In den 1990ern warf Cohen der Nato in zahllosen Artikeln vor, sie würde die separatistischen Bewegungen in Bosnien und dem Kosovo nicht aggressiv genug gegen Serbien und die jugoslawische Zentralregierung in Belgrad in Schutz nehmen. Im Jahr 2008 schrieb er: „Milosevics Unterdrückung der Autonomie des Kosovo war von zentraler Bedeutung für die Verwandlung Jugoslawiens in ‚Serboslawien‘“.
Cohen stellte seine Kolumnen der Propaganda für den Nato-Luftkrieg gegen Jugoslawien zur Verfügung, der tausende von Todesopfern forderte. In seiner typisch dummen und unehrlichen Art unternimmt Cohen keinen Versuch, seine Unterstützung für Separatisten im Kosovo und islamistische „Rebellen“ in Syrien, die er im Namen der „Menschenrechte“ gegen Slobodan Milosevic oder Bashar al-Assad verteidigte, mit seiner Lobhudelei für Rajoys brutales Vorgehen in Übereinstimmung zu bringen.
Solche Versuche, die Unterdrückung der Madrider Regierung zu rechtfertigen, lassen bedenkliche Schlussfolgerungen zu.
Die New York Times, die Washington Post und andere Medien erklären nicht nur den katalanischen Separatismus für unrechtmäßig, sondern letztlich jeglichen Widerstand gegen die bestehende kapitalistische Ordnung. Ihre Verteidigung des „Rechtsstaats“ richtet sich in Wirklichkeit gegen die Arbeiterklasse, nicht nur in Katalonien und Spanien, sondern in ganz Europa.
Und da die Staaten und Institutionen, die diesen brutalen Angriff umgesetzt haben, als sankrosankt erklärt werden, müssen alle Formen von sozialem und politischem Widerstand genauso rücksichtslos wie das katalanische Referendum – wenn nötig unter Militäreinsatz – unterdrückt werden.
Die Tatsache, dass die EU und die Trump-Regierung Rajoys Vorgehen unterstützen, entspricht genau dem Kurs der Regierungen in aller Welt, die sich auf autoritäre Regimes, staatliche Gewalt und Unterdrückung demokratische Rechte vorbereiten.
Diese Gefahr ist in Spanien sehr real.
Am Montag warnte Justizminister Rafael Catala, die Regierung werde Artikel 155 der Verfassung anwenden, wenn das katalanische Parlament seine Unabhängigkeit erklären sollte: „Es gibt den Artikel 155. Wir werden die ganze Macht des Gesetzes anwenden“, drohte er.
Laut Artikel 155 kann die Regionalregierung ausgesetzt werden, sollte sie „ihre in der Verfassung und in anderen Gesetzen festgelegten Verpflichtungen nicht erfüllen“. Die Umsetzung dieses Artikels würde bedeuten, das Militär nach Katalonien zu entsenden.
Diese Gefahr wurde am 3. Oktober sehr deutlich, als der spanische König Felipe VI. sich in ungewöhnlich scharfer Form einmischte. Er warf der katalanischen Regierung in einer Rede vor, sie habe sich „außerhalb von Recht und Demokratie gestellt“, und betonte die „Verantwortung der rechtmäßigen Kräfte des Staates, die verfassungsgemäße Ordnung zu wahren“.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale weist die Politik des katalanischen Nationalismus in einer Kritik von links zurück. Der Kampf gegen Nationalismus und nationalen Separatismus ist jedoch ein politischer Kampf. Um ihn zu führen, ist es notwendig, die Arbeiterklasse vom Kampf für die internationale Einheit zu überzeugen und die Jugend und die fortschrittlichen Schichten des Kleinbürgertums auf ihre Seite zu gewinnen.
Um diesen Kampf zu führen, muss jede Gewalt der Regierung in Madrid und ihrer Hintermänner in der imperialistischen EU kompromisslos zurückgewiesen werden.