Seit zwei Jahren verhandelt der ThyssenKrupp-Vorstand mit dem indischen Stahlhersteller Tata Steel über eine Fusion der europäischen Stahlproduktion. Der Zusammenschluss hätte katastrophale Auswirkungen für die Arbeiter der beiden Konzerne. Tausende Arbeitsplätze in den Werken in England, den Niederlanden und Deutschland sind bedroht.
Da der ThyssenKrupp-Konzern seinen europäischen Stahlbereich mit derzeit noch 27.000 Beschäftigten auf jeden Fall abstoßen will, werden auch noch weitere Pläne diskutiert und ausgelotet, wie dies bis zum Ende des laufenden Geschäftsjahres (30. September 2017) umgesetzt werden kann.
Sollte der vom ThyssenKrupp-Vorstand favorisierte „Deal“ mit Tata Steel nicht zustande kommen, wäre ein Teilverkauf der Stahlsparte an Interessenten aus Asien und Osteuropa oder ein Börsengang möglich, berichtete das Handelsblatt Anfang Juli.
Tausende von Stahlarbeiter in Duisburg, dem größten Werk von ThyssenKrupp Steel mit derzeit noch etwa 12.000 Beschäftigten, sowie kleineren Werken in anderen Städten und Regionen sorgen sich, genauso wie die Arbeiter bei Tata Steel in den Werken in England und den Niederlanden, um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze.
Bei Nachfragen werden sie von Betriebsräten und Vertrauensleuten der IG Metall mit dem Argument hingehalten, der Betriebsrat habe selbst auch keinen genauen Kenntnisstand über die Verhandlungen. In Wahrheit sitzen die Vertreter von IGM und Betriebsrat in allen wichtigen Ausschüssen des Aufsichtsrats und sind gut informiert. Ihre Weigerung, alle Informationen bekannt zu geben, ist Teil ihrer Opposition gegen einen ernsthaften Arbeitskampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze.
Stattdessen schüren sie nationalistische Stimmungen. Vertreter der IG Metall, Betriebsräte und SPD-Politiker – wie Außenminister Sigmar Gabriel und Kanzlerkandidat Martin Schulz – haben die Forderung nach einer „Deutschen Stahl AG“ wieder aufgewärmt, um eine Fusion des ThyssenKrupp Stahlbereichs mit Tata Steel zu verhindern, wie das Handelsblatt in der letzten Woche berichtete.
Gabriel traf sich am Freitag, den 25. August, mit etwa 30 Betriebsräten, Vertrauensleuten und Funktionären der IG Metall in Duisburg. „Thema: Die Zukunft der deutschen Stahlindustrie und des Stahlstandorts Duisburg“, der „mit knapp 20.000 Beschäftigten trotz aller Rationalisierungswellen der vergangenen Jahre immer noch der größte in Europa“ ist, wie das Handelsblatt am gleichen Tag berichtete.
Ganz im Sinne der versammelten Gewerkschafts- und Betriebsratsvertreter – darunter der Duisburger IG Metall-Chef Dieter Lieske und der Vorsitzende des ThyssenKrupp-Konzernbetriebsrats Wilhelm Segerath – forderte Gabriel das Management von ThyssenKrupp auf, Alternativen zur Fusion mit Tata zu prüfen. Er betonte, es sei im nationalen Interesse, dass Deutschland ein Stahlstandort bleibe.
Segerath erklärte die Bereitschaft von IG Metall und Betriebsrat, über Alternativen zur Tata-Fusion zu reden. Diese müssten aber vom Vorstand von ThyssenKrupp kommen. Gewerkschaft und Betriebsrat sind die stärksten Befürworter einer deutschen Stahl AG. Sie behaupten, damit könnten die deutschen Standorte und Arbeitsplätze weitgehend gesichert werden, was angesichts der Vernichtung von zehntausenden Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie in den vergangenen Jahrzehnten eine glatte Lüge ist.
In der Vergangenheit sind alle Entlassungen und Werkschließungen von den Gewerkschafts- und Betriebsratsvertretern der Unternehmen mit ausgearbeitet, abgesegnet und durchgesetzt worden – und das nicht nur in der Stahlindustrie. Ihnen geht es in erster Linie darum, einen Arbeitskampf zu verhindern, der sich schnell über den Stahlbereich und die nationalen Grenzen hinaus ausdehnen und zum Zündfunken für die weitverbreitete soziale Unzufriedenheit werden könnte, und ihre gut bezahlten Posten in den Mitbestimmungsgremien zu sichern.
Vertreter von CDU und FDP kritisierten die Unterstützung Gabriels für eine Deutsche Stahl AG. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich gegen die politisch gesteuerte Gründung einer Deutschen Stahl AG aus. Sie versprach den Unternehmen aber Unterstützung gegen die „chinesische Billigkonkurrenz“ und für „verkraftbare EU-Emmissionsvorschriften“. Auf ihrer Sommerpressekonferenz sagte Merkel: „Wir wollen eine Stahlindustrie in Deutschland“, aber „welche Option dafür wirtschaftlich die günstigste ist, das müssen die Unternehmen selbst entscheiden“.
Heftig kritisiert wird die Forderung nach einer „Deutsche Stahl AG“ auch vom Chef des österreichischen Voestalpine-Konzerns, Wolfgang Eder, der auch stellvertretender Vorsitzender des Weltstahlverbands ist. Eder sagte, angesichts der Überkapazitäten von 30 bis 40 Millionen Tonnen allein in Europa werde mittel- und langfristig an Kapazitätsverringerungen bis hin zu Werksschließungen kein Weg vorbeigehen. Nach seiner Auffassung sei es ein Problem, „dass die Politik aus falsch verstandener Standortpolitik um jedes auch unrentable Werk kämpfe“.
Wenn Kapitalisten von Überkapazitäten sprechen, meinen sie damit immer die Produktionsmenge, die für sie nicht mehr genügend Profit abwirft. Das ist nicht dasselbe wie der gesellschaftliche Bedarf. Weltweit gäbe es genug Nachfrage nach Stahl, wenn man die Infrastruktur vernünftig erneuern und entwickeln würde. Dies zeigen unter anderen marode Brücken und Häuser, fehlende Züge und Bahnen und die schlechten Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung.
Die Forderung nach einer deutschen Stahl AG hat aber unter den gegenwärtigen Bedingungen einer weltweiten kapitalistischen Krise und wachsender Kriegsgefahr eine noch gefährlichere Bedeutung. Mit der Wiederkehr des deutschen Militarismus und der bereits beschlossenen Aufrüstung der Bundeswehr bringen vor allem die Gewerkschaften – ähnlich wie vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg – die Frage einer nationalen Stahlproduktion ins Spiel, um im Falle eines Krieges unabhängig von Stahlimporten für die Rüstungsindustrie zu sein.
Es ist daher kein Zufall, dass die SPD-Politiker Gabriel und Schulz die Forderung nach einer deutschen Stahl AG offen unterstützen. Die SPD setzt sich von allen Parteien am heftigsten für eine massive Aufrüstung und Vergrößerung der deutschen Armee ein. Ihr Vorsitzender Martin Schulz erklärte erst vor kurzem, es sei klar, „dass die Bundeswehr mehr Geld brauchen wird, in Milliardenhöhe“, und dass sie „gut ausgestattet“ werden müsse, sowohl mit Material wie Personal.
Bereits im letzten Jahr hatte die IG Metall einen reaktionären Aktionstag unter dem Motto „Stahl ist Zukunft“ organisiert, auf der sie gemeinsam mit Konzernchefs und Regierungsvertretern hemmungslos gegen chinesischen „Dumpingstahl“ und chinesische Stahlarbeiter hetzte und die Einführung von Schutzzöllen und Handelskriegsmaßnahmen gegen China forderte. Zu den Hauptrednern der Kundgebung in Duisburg zählten IG Metall-Chef Jörg Hofmann und Sigmar Gabriel (SPD), damals noch Wirtschaftsminister.
Mit diesem nationalistischem Gift versuchen IG Metall und SPD, die Arbeiter zu spalten, gegeneinander auszuspielen und letztendlich wieder in Kriege gegeneinander zu hetzen. Der Kampf gegen Krieg und gegen Arbeitsplatzabbau erfordert den Aufbau einer internationalen Bewegung der Arbeiterklasse, die sich gegen den Kapitalismus richtet und für eine sozialistische Gesellschaft kämpft, in der die Bedürfnisse der Arbeiterklasse höher stehen als die Profitinteressen der Konzerne.
Der Kampf gegen Krieg und für Sozialismus steht im Zentrum des Programms der Sozialistischen Gleichheitspartei, die mit eigenen Kandidaten zur Bundestagswahl antritt. Wir laden alle Arbeiter bei ThyssenKrupp Steel und anderen Betrieben zur Veranstaltung der SGP am Samstag, den 16. September 2017 in Duisburg-Hamborn ein, um über dieses Programm zu diskutieren.