Perspektive

Außenpolitische Wende 2.0: „Pack mer's, Deutschland“

Vor dem G20-Gipfel in Hamburg und drei Monate vor den Bundestagswahlen im September findet in der herrschenden Klasse eine regelrechte nationalistische und militaristische Aufwallung statt. Eines der offensichtlichsten Beispiele ist die jüngste Ausgabe des Magazins Internationale Politik, das von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) herausgegeben wird.

Sie trägt den Titel „Pack mer's, Deutschland“ und zeigt auf dem Cover die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit einem Bierkrug in der Hand. Das Editorial der Chefredakteurin Sylke Tempel wertet Merkels Forderung nach einer unabhängigeren deutschen Außen- und Großmachtpolitik in einem Münchner Bierzelt Ende Juni als eine „Wende in der deutschen Außenpolitik“.

Merkels Aussagen – 'Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück weit vorbei' und 'Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen' – klängen „so schlicht und könnte[n] doch größere Bedeutung nicht haben“, schreibt Tempel. Nun müsse „das Große Werk“ des Aufbaus „einer einheitlichen europäischen Sicherheitspolitik“ – also einer europäischen Militärmacht unter deutscher Führung – beginnen. Gebraucht werde dafür „diplomatisches Geschick und Soft Power, aber auch Hard Power und reichlich Ressourcen… Pack mer's, Deutschland“.

Die neue Stammtischparole der herrschenden Klasse „Pack mer's, Deutschland“ zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ausgabe. Auf der ersten Doppelseite, die erneut Merkel im Bierzelt zeigt, heißt es provokativ. „Pack mer's, Deutschland. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich etwas verändert. Dass Europa auf eigenen Beinen stehen muss, dass gerade die Deutschen gefordert sind, sich stärker zu engagieren, ist mittlerweile Konsens. Höchste Zeit, dass die deutsche Außenpolitik strategischer wird.“

Wen will die IP damit beeindrucken? Dass Europa massiv aufrüstet und Deutschland zu einer aggressiven Außenpolitik zurückkehrt, ist kein Konsens, sondern wird von der großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt! Konsens herrscht lediglich in der herrschenden Klasse, die sich gegen die Bevölkerung verschworen hat, um Deutschland trotz seiner historischen Verbrechen in zwei Weltkriegen wieder zu Europas führender Militärmacht zu machen.

Bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 hatten der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, sein sozialdemokratischer Nachfolger Frank-Walter Steinmeier und die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Rückkehr des deutschen Militarismus verkündet. Nun nutzt die herrschende Klasse das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU und die Wahl von Donald Trump in den USA, um die begonnene Offensive voranzutreiben.

In der aktuellen Ausgabe der IP trumpfen führende Politiker und Journalisten dabei in einer Art und Weise auf, die auch rhetorisch an die Großmachtpläne der herrschenden Klasse im Kaisserreich und zur Zeit des Nationalsozialismus erinnert. Unter dem Titel „Mehr Härte, mehr Großzügigkeit: Plädoyer für eine neue deutsche Außenpolitik in ungewissen Zeiten“ mahnt der außenpolitische Koordinator im Politikressort der Zeit, Jörg Lau, „dass es heute pathetisch gesprochen, um die Selbstbehauptung Deutschlands in einem zerbröselnden Westen geht“.

Unter „Selbstbehauptung Deutschland“ versteht Lau nichts geringeres als die Durchsetzung der globalen Interessen des deutschen Imperialismus „zur Not auch ohne, vielleicht sogar gegen die US-Regierung.“ Zu den deutschen Einflusszonen zählt Lau dabei nicht nur das „unmittelbare EU-Umfeld“ und die europäische Peripherie, die sich „halbmondförmig von Rabat bis Donezk“ zieht. „Der dritte Ring, noch kaum im deutschen Bewusstsein verankert“, verlaufe „zwischen den von der Volksbefreiungsarmee aufgeschütteten Inseln im Südchinesischen Meer (durch das auch deutsche Waren schippern) bis nach Nordkorea“.

Um seinem Traum von einem erneuten Griff nach der Weltmacht voranzutreiben, fordert Lau eine massive Aufrüstung des Militärs. „Statt die Bundestagswahl zum Referendum über ein vermeintlich gefährliche Aufrüstung zu machen, sollte die Bevölkerung über die neue Logik der deutschen Sicherheit aufgeklärt werden: nicht wegen, sondern trotz Trump, nicht weil er es befiehlt, sondern weil wir seiner irrlichternden Politik etwas entgegensetzen wollen, müssen wir deutlich mehr für die Verteidigung ausgeben“, schreibt er.

In einem Interview mit dem provokativen Titel „Man wächst mit seinen Aufgaben“ erklärt dann von der Leyen, wie massiv die deutsche Regierung das bereits tut. Es sei wichtig gewesen, „den Tanker angesichts des Auseinanderklaffens von anspruchsvollerer Sicherheitslage und unzureichender Fähigkeitslage beherzt umzusteuern und Trendwenden auf den Weg zu bringen.“ Seit 2014 sei der Militäretat mehrmals erhöht worden und werde „bis 2021 auf 42 Milliarden steigen“. Zudem hätte sie im vergangenen Jahr „einen Investitionsplan von 130 Milliarden Euro vorgelegt“. Dies sei das „Minimum an Ausstattung, wenn wir die Aufgaben, die wir heute schon sehen, bis zum Jahr 2030 erfüllen sollen“.

Um die enorme Dimension dieser Summen zu verdeutlichen: 130 Milliarden Euro sind mehr als das dreifache der gesamten Etats, die in diesem Jahr für die Bereiche „Bildung, Wissenschaft und Forschung“ (17,6 Milliarden), „Gesundheit“ (15,1 Milliarden) und „Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ (9,5 Milliarden) ausgegeben werden.

Doch der herrschenden Klasse geht es nicht nur darum, die Bevölkerung in Form massiver Sozialkürzungen für die geplante Aufrüstung zahlen zu lassen. Sie will, dass sie die Interessen des deutschen Imperialismus wieder mit der Waffe in der Hand verteidigt und neue Verbrechen begeht. Unter dem Titel „Mehr Ambitionen wagen“ beklagt Jan Techau, der Direktor des Richard C. Holbrooke Forum an der American Academy in Berlin „Nicht Freiheit, Frieden und Wohlstand sind die obersten nationalen Interessen Deutschlands, sondern moralisches Sauberbleiben“. In seinem aktuellen Buch „Führungsmacht Deutschland“ schreibt er: „Wer in den Krieg zieht, der muss in der Regel den Tod von Menschen verantworten. Auch den Tod Unbeteiligter und Unschuldiger.“

Liest man derartige Aussagen, versteht man sehr gut, warum führende Medien, Akademiker und Politiker den rechtsradikalen Humboldt-Professor Jörg Baberowski trotz seiner Niederlage vor Gericht so aggressiv verteidigen. Wie die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und die IYSSE von Anfang aufgezeigt haben, stehen dessen Hetze gegen Flüchtlinge, Aufrufe zu brutalen Kriegen und die Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen in direktem Zusammenhang mit der außenpolitischen Wende.

Bezeichnenderweise sitzen im Beirat der IP mit Josef Joffe (Die Zeit), Günther Nonnenmacher (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und Markus Spillmann (Neue Züricher Zeitung) Herausgeber der Zeitungen, die nahezu täglich für die Rückkehr des deutschen Militarismus trommeln und gleichzeitig Baberowski mit Lügen und Verleumdungen gegen seine Kritiker verteidigen. Jörg Lau ist der Ehemann von Mariam Lau, die Baberowski erst jüngst in einem doppelseitigen Artikel in der Zeit verteidigt hat.

Ein Blick in die Führung der DGAP gibt Aufschluss darüber, warum die Linkspartei und ihr pseudolinkes Umfeld keinen Finger gegen die scharfe Rechtswende rühren. Sie sind selbst Bestandteil davon und tief in die Institutionen des deutschen Imperialismus integriert. Wie die SPD mit ihrem außenpolitischen Sprecher Nils Annen, die CDU mit Elmar Brok ist auch die Linkspartei mit Sevim Dagdelen im Präsidium der DGAP vertreten.

Die SGP ist die einzige Partei, die die außenpolitische Verschwörung von Anfang an aufgedeckt hat und den Kampf gegen die Rückkehr des deutschen Militarismus ins Zentrum ihres Bundestagswahlkampfs stellt. In ihrem Wahlaufruf heißt es:

„Die SGP und ihre Schwesterparteien im Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) sind heute weltweit die einzigen Organisationen, die für eine sozialistische Antwort auf die globale Krise des Kapitalismus kämpfen.

Wir lehnen alle imperialistischen Bündnisse und Militärblöcke ab. Wir sind für die Auflösung der Nato und der Europäischen Union und kämpfen stattdessen für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Unser Verbündeter im Kampf gegen den deutschen Militarismus ist die europäische, amerikanische und internationale Arbeiterklasse.

Wir rufen alle dazu auf, die nicht bereit sind, die Rückkehr des deutschen Militarismus, die Zunahme von Armut und den Aufstieg der Rechten hinzunehmen, die SGP und ihren Wahlkampf zu unterstützen.“

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