Mit einem 24-stündigen Streik wehrten sich am gestrigen Freitag in Italien Bahn- und Busfahrer, Flughafenbeschäftigte und Transportfahrer gegen die fortschreitende Privatisierung. Auf Facebook trat Matteo Renzi, Chef der Regierungspartei PD, aggressiv gegen die Streikenden auf.
Der Streik begann schon am Donnerstagabend um 21 Uhr. Betroffen waren der Bahn- und Flugverkehr, der öffentliche Nahverkehr und die Flughafen-Bodendienste im ganzen Land. Auch mehrere Logistikunternehmen und Paketzusteller wurden bestreikt.
Bei den Eisenbahnen und im Nahverkehr sorgte der Streik in vielen Teilen Italiens für Chaos. So wurde zum Beispiel der Zug bestreikt, der Venedig mit dem Festland verbindet. Die Folge war ein Ansturm der PKWs mit langen Schlangen und Staus an der Piazzale Roma am Eingang der Lagunenstadt. Auch in Genua, Mailand, Bologna, Florenz und Rom wurde der Streik befolgt. Landesweit kam der Regionalverkehr zum Erliegen.
Die Lokführer und Schaffner kämpfen gegen Lohnsenkungen, wachsende Arbeitshetze und Privatisierungen. Seit fünfzehn Jahren werden die italienischen Eisenbahnen in immer neue Töchter und Gesellschaften wie Trenitalia, NTV, Trenord etc. aufgespalten, mit der Folge immer schlimmerer Arbeitsbedingungen. Seit Spätherbst 2015 gibt es keinen nationalen Tarifvertrag mehr.
Trotz der großen Kampfbereitschaft der Eisenbahner haben die Gewerkschaften aber dem Verkehrsminister Graziano Delrio (PD) etliche Kompromisse gemacht und zum Beispiel die „Frecce“ („Pfeile“, Hochgeschwindigkeitszüge) regulär verkehren lassen. Bei den Regionalzügen hat man sich auf einen Notdienst von 6 bis 9 Uhr und von 18 bis 21 Uhr für den Berufsverkehr geeinigt.
Zu dem Streiktag hatten die Basisgewerkschaften (Cobas, CUB, USB und SGB) aufgerufen. Ihr Einfluss wächst, weil die traditionellen Dachgewerkschaften Cgil, Cisl und Uil Ende 2014 die Arbeitsmarktreformen („Jobs Act“) von Matteo Renzi unterschrieben haben. Die offiziellen Gewerkschaften haben den Streik zunächst boykottiert, sich zuletzt aber eingemischt, um ihn in bestimmten Bereichen auf vier Stunden zu beschränken.
So haben die Beschäftigten von Alitalia offiziell die Arbeit nur von 10 bis 14 Uhr niedergelegt, während das Bodenpersonal der italienischen Flughäfen einen 24-stündigen Streik organisierte.
Das Alitalia-Personal kämpft ums Überleben und hat schon mehrere spontane Streiks durchgeführt, was Ende Mai sogar die Teilnehmer des G7-Gipfels auf Taormina zu spüren bekamen. Alitalia ist insolvent, seitdem sich der Hauptaktionär Etihad zurückgezogen hat, und wird von einem Sonderkommissar der Regierung verwaltet. Dieser hat schon 1358 Beschäftigte der 12.500-köpfigen Belegschaft auf Cassa Integrazione (Lohnausgleichskasse) gesetzt, das heißt praktisch entlassen. Das soll jedoch nur der Anfang sein: Die Ausgaben der Fluglinie sollen um 200 Millionen gekürzt werden, um Alitalia für Investoren und Banken wieder attraktiv zu machen.
In Norditalien wurden auch mehrere Logistikunternehmen und Paketdienste bestreikt. In diesem Sektor sind internationale Unternehmen wie GLS aktiv, die Einwanderer zu Hungerlöhnen und ohne Absicherung beschäftigen. Hier kommt es immer wieder zu militanten Streiks.
Im Herbst 2016 hatten sich Hunderte Paketzusteller an Streiks in Norditalien gegen GLS und seine Subunternehmer beteiligt. Zehntausende gingen auf die Straße, nachdem in der Nacht zum 15. September der ägyptische Arbeiter Abd El Salam von einem aufgehetzten Lastwagenfahrer überfahren und getötet worden war. Die Staatsanwaltschaft von Piacenza hatte den Vorfall als Verkehrsunfall bezeichnet.
Auch diesmal stießen die Streiks auf den Widerstand der politischen Parteien, staatlicher und privater Unternehmen und der Medien. Am Vormittag des 16. Juni veröffentlichte Matteo Renzi, Chef der Regierungspartei PD, einen Kommentar auf Facebook, in dem er gegen die Basisgewerkschaften hetzte.
Der Streik sei ein „Skandal“, erklärte der ex-Premier und selbsternannte „Verschrotter“. „Wir brauchen neue Regeln … Es sind kleine Kürzelgruppen (sigle), die den Arbeitskampf proklamiert haben, und sie nutzen die Privatisierung als Alibi.“ Man dürfe nicht zulassen, dass diese kleinen Organisationen „das Land in die Knie zwingen“.
Die Hetze gegen die Basisgewerkschaften zielt in Wirklichkeit auf die Arbeiterklasse. Denn die Basisgewerkschaften stellen keine echte Gefahr für die Regierung dar. Sie werden von pseudolinken Gruppen wie Sinistra Italiana und Rifondazione Comunista ins Feld geführt, um mit dem Schlagwort eines „kämpferischen Gewerkschaftertums“ die Arbeiter von der Organisation revolutionärer Betriebsgruppen abzuhalten.
Die Perspektive, die die Basisgewerkschaften vertreten, ist ebenso bankrott wie die der traditionellen Gewerkschaften. Sie sind national und oft regional beschränkt und haben keine Strategie, die Arbeiterklasse grenzüberschreitend im Kampf gegen die global operierenden Unternehmen und Kapitalbesitzer zu vereinen. Sie streben auch eine Zusammenarbeit mit den Kapitalisten an und wenden sich dabei immer offener gegen die eigenen Mitglieder.
Das Ziel des Streiks vom 16. Juni war offiziell ein Runder Tisch, an den sich die Unternehmer, die Regierung und die traditionellen Gewerkschaften gemeinsam mit den Basisgewerkschaften setzen, um einen nationalen Arbeitsvertrag zu beschließen.
So beschwerte sich eine der Basisgewerkschaften, Cobas, darüber, dass man „verächtlich auf unsere Teilnahme herunterschaut und versucht, so weiterzumachen wie immer, in der Hoffnung, dass die Unterzeichnung eines Arbeitsvertrags mit den üblichen Unterschriften [d.h. ohne Cobas-Beteiligung] dazu führen werde, dass ein konfliktorientiertes Gewerkschaftertum entmachtet wird“.
Das „konfliktorientierte Gewerkschaftertum“ zielt also darauf ab, mit am Tisch der Unternehmer zu sitzen. Aber die Arbeiterklasse kann ihre Interessen nicht in einer Art nationalen Partnerschaft mit den Stützen der bürgerlichen Herrschaft erreichen.