Nach dem Terroranschlag vom 22. Mai in Manchester ergriff die Regierung des neu gewählten Präsidenten Emmanuel Macron am Mittwoch die Gelegenheit und gab die Verlängerung des Ausnahmezustands in Frankreich bis zum 1. November bekannt. Die Maßnahme war nach den Anschlägen in Paris vom November 2015 verhängt worden. Premierminister Edouard Philippe gab den Schritt nach einer Sitzung des Verteidigungsrates im Elysée-Palast bekannt. Der Ausnahmezustand sollte eigentlich am 15. Juli auslaufen.
Seit Macrons Amtsübernahme am 17. Mai sucht seine Regierung nach einem Vorwand, um den Ausnahmezustand zu verlängern. Ein solcher Schritt war bereits im Präsidentschaftswahlkampf diskutiert worden, besonders nachdem ein Polizist drei Tage vor der ersten Runde der Wahl bei einem Anschlag auf der Champs-Elysée getötet worden war. „Wir befinden uns in einem Ausnahmezustand, der noch lange Zeit nicht aufgehoben werden wird“, erklärte der rechte Kandidat François Fillon, dem Macron nicht widersprach. Fillon sprach sich in der zweiten Wahlrunde für eine Stimmabgabe für Macron aus.
„Diese Verlängerung wird auf den Zeitraum begrenzt sein, der für die Beratungen bezüglich eines neuen Gesetzentwurfs benötigt wird. Dieser Entwurf soll die jüngste Verstärkung unseres juristischen Arsenals in Gesetzesform gießen“, sagte Philippe am Mittwoch. Der Ausnahmezustand und die Aussetzung grundlegender demokratischer Rechte werden damit durch dauerhafte Regelungen ersetzt, die entweder in die Verfassung oder in ein Gesetz geschrieben werden. Im Wesentlichen hätten diese Regelungen den gleichen Charakter wie der Ausnahmezustand und der Staat könnte sie nach Belieben einsetzen.
Die Regierung gab auch die Bildung einer „Task Force“ bekannt, die dem Präsidenten verantwortlich ist und die Macron in seinem Wahlkampf mehrfach als ein Schlüsselelement der Sicherheitspolitik seiner Präsidentschaft bezeichnete. Diese „Task Force“ wäre eine Art permanenter Generalstab innerhalb der Exekutive, dem Dutzende Mitglieder der Geheimdienste, der Polizei und der Armee angehören. Ihre genauen Befugnisse sind unklar, aber ihre erklärte Aufgabe wird die „Koordinierung der Sicherheits- und Geheimdienste“ sein.
In den letzten eineinhalb Jahren ist völlig klar geworden, dass sich der Ausnahmezustand hauptsächlich gegen die soziale Opposition gegen die Sparpolitik der Regierung richtet, besonders gegen das arbeiterfeindliche Arbeitsgesetz des vorherigen Präsidenten François Hollande von der Parti Socialiste (PS). Durch den Ausnahmezustand erhielt die Polizei weitgehende Vollmachten, die sie brutal eingesetzt hat, um den Widerstand von Arbeitern und Jugendlichen gegen das Arbeitsgesetz zu unterdrücken und dem Gesetz so den Weg frei zu machen. Die Macron-Regierung hat angekündigt, tiefe „strukturelle“ Reformen durchzusetzen, die auf eine soziale Konterrevolution hinauslaufen. Sie rechnet mit verbreiteter und heftiger Opposition der Arbeiter.
Macron gab am Dienstag bekannt, dass eines der Hauptprojekte seiner Regierung, die Verschärfung des Arbeitsgesetzes, in den kommenden Wochen per Dekret durchgesetzt werden soll. Diese Maßnahme wird den Unternehmern noch mehr Möglichkeiten geben, Arbeiter zu spalten. Tarifverträge können dann auf Betriebsebene ausgehandelt und soziale Rechte ausgehöhlt werden, die in jahrzehntelangen Kämpfen errungen wurden, unter anderem im Kampf gegen den Faschismus während der Nazibesatzung unter dem Vichy-Regime. Die Gewerkschaften werden großen Einfluss darauf haben, welches Ausmaß diese Veränderungen haben werden.
Macron führt eine Regierung, die eine extrem schmale gesellschaftliche Basis hat und voller Furcht vor einem schnellen Umschwung der öffentlichen Meinung gegen sie ist. Viele, die für Macron gestimmt haben, taten dies lediglich, um zu verhindern, dass seine Gegnerin, die neofaschistische Kandidatin Marine Le Pen siegt. Seine hochgelobte „Moralisierung des öffentlichen Lebens“ steht bereits unter Beschuss, nachdem das Satiremagazin Le Canard enchaîné gestern über Finanzgeschäfte seines Ministers für territorialen Zusammenhalt, Richard Ferrand, berichtete.
Als Generaldirektor hatte Ferrand maßgeblichen Einfluss auf die Versicherungspolitik in der Bretagne und war seinerzeit für Immobiliengeschäfte verantwortlich, durch die seine Familie begünstigt wurde. Nach deren Enthüllung geriet die Regierung sofort in die Defensive. Ihre Sprecher erklärten, dass die Handlungen von Ferrand „nicht illegal“ seien. Le Parisien zitierte Regierungssprecher Christophe Castaner mit den Worten: „Ferrand ist besorgt, dass die Geschichte vor ihrer Veröffentlichung falsch interpretiert worden wäre.“
Bei der Durchführung der geplanten Angriffe verlässt sich die Macron-Regierung auf die Sicherheitskräfte und die Gewerkschaften. Die Treffen, bei denen er am Dienstag mit den Gewerkschaftsführern im Elysée-Palast zusammenkam, haben gezeigt, dass er sich auf sie verlassen kann. Die stalinistische CGT, die mit der PS verbundene CFDT und Force Ouvrière (FO) signalisierten geschlossen, dass sie sich nicht gegen seine Pläne stellen werden. Die Gewerkschaften nahmen stillschweigend hin, dass Macron seine Politik per Dekret durchsetzen will.
„Ich glaube, wir stimmen in der Frage des Zeitplans für Gespräche überein. [...] Das ist eine ziemlich gute Sache, weil wir dann die Debatte fortsetzen können, die wir letztes Jahr [über das Arbeitsgesetz der PS] hatten“, sagte CGT-Chef Philippe Martinez nach seinem Treffen mit Macron. Er fügte hinzu: „Ob wir auf die Straße gehen? [...] Wir werden da sein, wenn die Schulen wieder öffnen und die Protestsaison beginnt“, d.h. wenn die Dekrete bereits erlassen sind.
„Alles hängt davon ab, wie Emmanuel Macron seine Dekrete konzipiert. Die CFDT hofft, dass der Gesetzgebungsphase, welche Form diese auch immer haben wird, eine Dialogphase vorausgehen wird“, sagte CFDT-Vize Véronique Descacq gegenüber dem Radiosender France Inter.
Der Generalsekretär der FO, Jean-Claude Mailly, erklärte: „Im Sommer wird es Verhandlungen geben, aber manche Probleme löst man nicht in drei Verhandlungsrunden [...] sonst wird womöglich alles andere blockiert. Ich habe nicht den Eindruck, dass der Präsident eine Blockade will.“ Mailly fügte hinzu: „Ich hatte erstmal den Eindruck, dass [der Präsident] Raum für Manöver hat.“ Mailly verfügt über enge Beziehungen zur neuen Regierung. Arbeitsministerin Muriel Pénicaud rekrutierte Stephane Lardy, einen ehemaligen engen Berater Maillys, als Berater.
Macrons Pläne beinhalten im Gegenzug eine direkte und offene Finanzierung der Gewerkschaften durch die Arbeitgeber. In seinem Buch Revolution spricht er von einem „klaren Finanzierungsmechanismus, bei dem Arbeiter die Finanzmittel, die die Firma zur Verfügung stellt, der Gewerkschaft ihrer Wahl zukommen lassen.“ Diese Methode geht im Wesentlichen in die gleiche Richtung, wie der Plan von Marine Le Pen, bei dem die Gewerkschaften direkt vom Staat finanziert werden. Le Pens Plan ist offensichtlich von entsprechenden Methoden unter dem Vichy-Regime inspiriert.
Mit den Gewerkschaftsbürokratien als Komplizen bereitet die Macron-Regierung beispiellose Angriffe auf die Arbeiterklasse vor. Diese werden zunächst durch den Ausnahmezustand und dann durch Angriffe auf grundlegende Verfassungsrechte erfolgen. Sie reichen von Angriffen auf das Streikrecht, das Demonstrationsrecht, auf Freizügigkeitsrechte, auf die Meinungsfreiheit, bis hin zu Vorschlägen, das Internet zu zensieren.