Baberowski beharrt darauf, dass Hitler „nicht grausam“ war

Die vom deutschen Hochschulverband herausgegebene Zeitschrift “Forschung & Lehre” hat in ihrer Mai-Ausgabe ein langes Interview mit Jörg Baberowski veröffentlicht. Der rechtsradikale Historiker der Berliner Humboldt-Universität bekennt sich darin ausdrücklich zur Aussage, „Hitler war nicht grausam“, die er bereits vor drei Jahren im Spiegel gemacht hatte.

Auf die Frage, „Aussagen von Ihnen werden von rechtsextremen Plattformen wie die der NPD oder Breitbart geteilt. Lässt Sie das an Ihrer Ausdrucksweise zweifeln?“, antwortet Baberowski: „Ich habe Hitler mit Stalin verglichen. Stalin war ein Psychopath, Hitler war keiner. Stalin hatte Freude an Gewalt, Hitler nicht. Hitler wusste, was er tat. Er war ein Schreibtischtäter, der von den blutigen Folgen seiner Taten nichts wissen wollte. Das macht seine Taten moralisch nicht besser, sondern schlimmer. Niemand kann das wirklich missverstehen.“

Das kann in der Tat niemand missverstehen. Die Behauptung, Hitler sei ein „Schreibtischtäter“ gewesen, der „von den blutigen Folgen seiner Taten nichts wissen wollte“ und keine „Freude an Gewalt“ hatte, ist eine ungeheuerliche Verharmlosung der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Diese Rechtfertigung des Nazi-Regimes ist der Grund, weshalb Breitbart News, die NPD und andere Neonazi-Publikationen Baberowski unterstützen.

Der Umstand, dass Baberowski Hitler im Vergleich mit Stalin entlastet, ändert nichts am apologetischen Charakter seiner Aussage. Im Gegenteil, er bestätigt, dass Baberowski der Argumentation Ernst Noltes folgt, den er bereits früher verteidigt hatte. Nolte hatte 1986 mit der Behauptung, die Nazi-Verbrechen seien eine letztlich verständliche Reaktion auf den Bolschewismus gewesen, den Historikerstreit ausgelöst. Später hatte er sich nur noch in rechtsextremen Kreisen bewegt.

Baberowskis Verharmlosung von Hitler zeigt, dass er kein Historiker, sondern ein rechter Ideologe ist. Gerade jüngere Forschungsergebnisse zum Nationalsozialismus, die sich auf ein umfangreiches, gut erschlossenes Quellenmaterial stützen, zeigen, wie groß Hitlers persönlicher Anteil an den Verbrechen des Regimes war, das untrennbar mit seinem Namen verbunden ist. Mehrere Hitler-Biografien namhafter Historiker, die seit der Jahrhundertwende erschienen sind, arbeiten dies deutlich heraus und widerlegen eindrucksvoll Baberowskis Behauptung vom „Schreibtischtäter“, der „von den blutigen Folgen seiner Taten nichts wissen wollte“.

Peter Longerich unterstreicht in seiner 2015 erschienenen, über 1000-seitigen Biografie des Nazi-Führers, dass Hitler nicht nur als „Katalysator“ historischer Prozesse wirkte. „Vielmehr formte er diese auf eine äußerst eigenständige und sehr persönliche Art und Weise, indem er vorhandene Kräfte und Energien kanalisierte, verstärkte und bündelte, brachliegende Potenziale mobilisierte, auf brutale Weise die Schwäche oder Passivität seiner Gegner ausnutzte und diese zu vernichten trachtete.“ Dabei sei „weniger ein Programmatiker oder Ideologe als vielmehr ein primär skrupelloser und aktiver Politiker“ zutage getreten.[1]

Das ist etwas völlig anderes als ein Schreibtischtäter, der in der friedlichen Stille seines Büros Erlasse und Anweisungen erlässt und sich für die Folgen seines Tuns nicht interessiert.

Longerich schildert eindrücklich den fanatischen Antisemitismus, die kriminelle Energie und die persönliche Rachsucht, mit denen Hitler die Kapitalverbrechen seines Regimes plante und in die Tat umsetzte.

So reiste Hitler im Sommer 1934 höchstpersönlich nach Bad Wiessee, um die Festnahme der SA-Führer zu leiten, die anschließend auf sein Geheiß erschossen wurden. Unter dem Vorwand, SA-Führer Ernst Röhm habe einen Putsch geplant, ließ Hitler damals über hundert inner- und außerparteiliche Gegner liquidieren, deren Namen er persönlich auf Listen abhakte. Unter den Opfern befanden sich neben seinem Amtsvorgänger als Reichskanzler, Kurt von Schleicher, und dessen Frau auch Leute, mit denen er noch alte Rechnungen zu begleichen hatte und die längst nicht mehr politisch aktiv waren.

Auch die Initiative zum Euthanasieprogramm, zum Vernichtungskrieg im Osten und zum Holocaust ging von Hitler persönlich aus. Bei der Ausführung dieser Verbrechen arbeitete er auf das Engste mit den beiden Haupttätern, SS-Chef Heinrich Himmler und dessen engstem Mitarbeiter Reinhard Heydrich, zusammen, mit denen er fast täglich in Kontakt stand.

Longerich schreibt: „Unmittelbar nach Kriegsbeginn setzte Hitler eine radikale rassistische Politik in Gang: Er traf die grundlegenden Entscheidungen, Polen einer brutalen Germanisierungspolitik zu unterwerfen; auf seine Initiative hin wurde ein erster Versuch unternommen, die Juden aus dem ‚Großdeutschen Reich‘ in eine Todeszone in Polen zu deportieren; im Reichsgebiet leitete er die systematische Ermordung von Anstaltspatienten ein, die bis zum Sommer 1941 mehr als 70.000 Menschen das Leben kosten sollte.“[2]

Es war auch Hitler, so Longerich, „der im Frühjahr und Frühsommer 1942 die Entschlüsse fällte, die zur Ermordung aller europäischen Juden noch während des Krieges führen sollten.“[3]

Volker Ullrich geht in seiner 2013 erschienen Hitler-Biografie [4] ebenfalls auf den „Röhm-Putsch“ ein und schildert, wie Hitler sich während der Mordaktion in eine regelrechte Ekstase, eine Art psychologischen Ausnahmezustand versetzte, in dem er zu jeder auch noch so brutalen Gewalttat bereit war. Die Fähigkeit, sich in einen Gewaltrausch zu steigern und kurz danach wieder leutselig zu sein – die typischen Kennzeichen eines Psychopathen –, behielt er bis zum Ende seines Lebens.

Die beste Antwort auf Baberowskis Geschichtsrevisionismus gibt Ian Kershaw im Epilog seiner herausragenden, 2000 erschienenen Hitler-Biografie. Er fasst Hitlers Rolle mit den Worten zusammen:

„Niemals in der Geschichte ist ein solches Ausmaß an Zerstörung materieller und sittlicher Art mit dem Namen eines einzigen Manns in Verbindung gebracht worden. … Hitlers Name steht zu Recht für alle Zeiten als der des obersten Anstifters des tiefreichendsten Zusammenbruchs der Zivilisation in der Moderne. Die extreme Form persönlicher Herrschaft, die ein ungebildeter Wirtshausdemagoge und rassistischer Fanatiker, ein narzisstischer, größenwahnsinniger, selbsternannter nationaler Retter in einem modernen, wirtschaftlich fortgeschrittenen, kultivierten Land, das berühmt war für seine Denker und Dichter, erwerben und ausüben konnte, war für den schrecklichen Lauf der Ereignisse jener schicksalhaften zwölf Jahre ganz entscheidend.

Hitler war der Haupturheber eines Kriegs, der zu mehr als 50 Millionen Toten führte und vielen weiteren Millionen, die unter dem Verlust ihrer Nächsten litten und dann versuchten, ihr zerstörtes Leben wieder aufzubauen. Hitler war der wichtigste Inspirator eines Völkermords, wie ihn die Welt niemals kennengelernt hatte, und der zu Recht in zukünftigen Zeiten als jenes Ereignis betrachtet werden sollte, das den Charakter des 20. Jahrhunderts bestimmte.“[5]

Diesem Mann bescheinigt nun der Inhaber eines Lehrstuhls der renommiertesten Universität der deutschen Hauptstadt im offiziellen Organ des Deutschen Hochschulverbands, er sei nicht grausam gewesen und habe von den blutigen Folgen seiner Taten nichts wissen wollen! Und damit nicht genug: Er wird dabei vom Präsidium der Humboldt-Universität, zahlreichen Professoren und der überwiegenden Mehrzahl der deutschen Medien unterstützt und verteidigt.

Die Auseinandersetzung mit Baberowski zieht sich nun schon drei Jahre hin. Im Februar 2014 hatte er in einem Spiegel-Interview erklärt: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“[6] Als die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und ihre Jugendorganisation, die IYSSE, in Artikeln und öffentlichen Versammlungen dagegen protestierten und Unterstützung unter Studierenden und Arbeitern gewannen, brach ein Sturm der Entrüstung los.

Die Universitätsleitung versuchte erfolglos, Kritik an Baberowski zu unterbinden. Die Medien, angeführt von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, organisierten im Frühjahr 2015 ein regelrechtes Kesseltreiben. Sie stellten Baberowski – und seinen Kollegen Herfried Münkler, der ebenfalls kritisiert worden war – als Verleumdungs- und Mobbingopfer dar.

Kurz danach trat Baberowski auch politisch als zentrale Figur der neuen Rechten in Erscheinung. Er hetzte in unzähligen Artikeln, Talkshows und Interviews gegen Flüchtlinge und warb für einen starken Staat. Als dann das Kölner Landgericht, wo Baberowski den Bremer Asta verklagt hatte, im März dieses Jahres entschied, der Professor dürfe als „rechtsradikal“ bezeichnet werden, verstärkten seine Verteidiger ihre Kampagne.

Das Präsidium der Humboldt-Universität erklärte in einer offiziellen Stellungnahme Kritik an Baberowski für „inakzeptabel“. Die F.A.Z. überzog die SGP und die IYSSE mit Verleumdungen und Lügen und bezeichnete Kritik an Baberowskis rechtsradikalen Standpunkten als „Rufmord“, der die „Universität als Ort des freien Diskurses und wissenschaftlichen Streits, der intellektuellen Gedankenexperimente und der zensurfreien Rede“ sowie die „grundgesetzlich gesicherte Freiheit der Wissenschaft“ bedrohe. Die Welt, das Magazin Cicero und andere Medien schlossen sich dieser Linie an.

Bei allem Gezeter und Geschrei über die SGP und die IYSSE nahm keiner von Baberowskis Verteidigern das Buch und die zahlreichen Artikel zur Kenntnis, die seine rechtsradikalen Standpunkte sorgfältig dokumentieren und analysieren. Nicht einer von ihnen setzte sich inhaltlich mit den Argumenten der SGP und der IYSSE auseinander. Darin finden sich keine persönlichen Angriffe auf Baberowski. Die Kritik bezieht sich ausschließlich auf Aussagen, die er nachweislich schriftlich oder öffentlich geäußert hat. Tatsächlich geht es Baberowski und seinen Anhängern darum, die Entlarvung historischer Fälschungen zu unterdrücken und zu verbieten, die Hitlers Verbrechen verharmlosen und so den Weg für seine Rehabilitierung ebnen.

Die Kampagne gegen die IYSSE ist eine Reaktion auf die große Resonanz, die sie unter Studierenden gewonnen haben. Unter anderem haben ASten aus Bremen, Hamburg, Lüneburg und Heidelberg sowie das Studierendenparlament der Freien Universität Berlin gegen Baberowskis rechtsradikale Standpunkte protestiert. Das Studierendenparlament der Humboldt-Universität verabschiedete Ende April mit überwältigender Mehrheit eine Erklärung, die die Universitätsleitung auffordert, „von ihren Solidaritätsbekundungen mit Professor Baberowski öffentlich wieder abzurücken“.

Das Interview mit Baberowski in „Forschung & Lehre“ setzt der Verharmlosung Hitlers nun die Krone auf. Allein die Tatsache, dass eine Zeitschrift, die sich nach eigener Aussage an „Professoren und Wissenschaftler“ richtet und an mehr als 30.000 Mitglieder des Deutschen Hochschulverbands versandt wird, eine solche Beschönigung Hitlers unkommentiert abdruckt, ist unerhört. Früher las man derartige Aussagen nur in rechtsradikalen Publikationen.

Hinzu kommt, dass sich das Interview mit Baberowski auf einem Niveau bewegt, das sich eigentlich für eine akademische Zeitschrift verbieten sollte. Es erinnert eher an hate speech, wie er in rechten Internetforen verbreitet wird, als an eine sachliche Auseinandersetzung. Baberowski bekräftigt darin seine rechtsradikalen Standpunkte, geht inhaltlich mit keinem Wort auf die Argumente seiner Kritiker ein und verleumdet diese in der typischen Manier der extremen Rechten.

So beschimpfte er die SGP als „Sekte“ und „Psychoterror-Gruppe“, die mit „krimineller Energie“ gegen ihn vorgehe. Er behauptet, sie habe ein Flugblatt veröffentlicht, „auf dem mein Kopf und ein Hakenkreuz zu sehen waren“, bringt sie mit angeblichen „Morddrohungen“ und Angriffen auf sein Haus in Verbindung und wirft ihr vor, falsche Namen zu verwenden und sich einer öffentlichen Diskussion zu entziehen. All dies entbehrt jeder faktischen Grundlage und ist nachweislich gelogen. Die IYSSE haben öffentliche Diskussionen mit hunderten Teilnehmern durchgeführt, auf denen alle, die sich zu Wort meldeten – auch Verteidiger Baberowskis – ungehindert sprechen konnten.

Andere Vorwürfe sind schlichtweg absurd. So wenn Baberowski einerseits behauptet, die SGP und die IYSSE bestünden aus „fünf unbedeutenden Personen, die niemand ernst nimmt“, und ihnen andererseits vorwirft, sie schlössen ihn – der Zugang zu sämtlichen Medien hat und sich permanent im Fernsehen, im Radio und in Zeitungen zu Wort meldet – „vom Diskurs aus“.

Als Ernst Nolte 1986 den Nationalsozialismus mit der Begründung verharmloste, Hitlers Verbrechen seien vom Bolschewismus provoziert worden, löste er den Historikerstreit aus. Jürgen Habermas, Hans-Ulrich Wehler, Hans Mommsen und viele andere renommierte Akademiker traten ihm entgegen. Nolte verlor den Streit und war als Historiker bis an sein Lebensende diskreditiert. Heute stoßen sehr viel weitergehende Aussagen Baberowskis auf Unterstützung oder auf Schweigen. Wie ist das zu erklären?

Offensichtlich sind hier größere politische und gesellschaftlicher Prozesse am Werk. Die Verharmlosung von Hitlers Verbrechen ist eng mit der Wiederbelebung von deutscher Großmachtpolitik und von Militarismus verbunden, die nicht nur in traditionell konservativen, sondern auch in vormals liberalen akademischen Kreisen zunehmend Unterstützung findet.

Die herrschende Klasse Deutschlands kann nicht zu einer Politik von Krieg und Militarismus zurückkehren, ohne ihre historischen Verbrechen zu beschönigen und die politischen Traditionen neu zu beleben, die in der Geschichte eine derart verheerende Rolle spielten – Nationalismus, Rassismus und die Unterdrückung jeglicher Opposition. Das ist der Grund, weshalb das Organ des Hochschulverbands und konservative Tageszeitungen Baberowski eine Bühne für seine rechtsradikalen Ansichten bieten und seine Kritiker verleumden.

In anderen Bereichen der Gesellschaft finden ähnliche Entwicklungen statt. So konnte die rechte Terrorzelle in der Bundeswehr, die in den letzten Tagen aufgedeckt wurde, nur deshalb gedeihen und lange Zeit unentdeckt bleiben, weil neonazistische und die Wehrmacht verherrlichende Vorstellungen in der Truppe weit verbreitet sind und von den Vorgesetzten gedeckt und ermutigt werden.

Anmerkungen

1) Peter Longerich, Hitler, Pantheon-Ausgabe April 2017, S. 11-12

2) Ebd. S. 1009

3) Ebd. S. 1011

4) Volker Ullrich, Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs 1889–1939. Biographie, Band 1, Frankfurt am Main 2013

5) Ian Kershaw, Hitler 1936-1945, Stuttgart 2000, S. 1081

6) „Der Wandel der Vergangenheit“, Spiegel 7/2014

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