Tausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes der Länder haben sich in den vergangenen Tagen an Warnstreiks beteiligt. In Hamburg legten am Donnerstag rund 1000 angestellte Lehrer und Pädagogen die Arbeit nieder, in Niedersachsen nahmen 500 streikende Straßenwärter aus dem gesamten Bundesland an einer Demonstration in Hannover teil. Auch in Thüringen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern streikten vor allem Lehrer und Beschäftigte bei den Straßenmeistereien.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatten zu den Streiks aufgerufen, nachdem am Dienstag die zweite Runde der Tarifverhandlungen ergebnislos unterbrochen worden war. Die dritte und vorerst letzte Runde findet am 16. und 17. Februar in Potsdam statt.
In der kommenden Woche soll es nach Angaben von Verdi Warnstreiks in zehn Bundesländern geben. Die an den Tarifverhandlungen beteiligten Gewerkschaften Verdi, GEW, GdP (Gewerkschaft der Polizei) und DBB Beamtenbund riefen gestern zu einer zentralen Demonstration und Kundgebung am kommenden Donnerstag, dem 9. Februar, vor dem nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf auf. Es werden 6000 Teilnehmer erwartet.
Die Gewerkschaften fordern für die über 800.000 Beschäftigten, darunter 200.000 Lehrer, in allen Bundesländern mit Ausnahme Hessens „im Gesamtvolumen“ sechs Prozent mehr Geld. Diese Forderung beinhaltet eine soziale Komponente in Form eines Sockel- oder Mindestbetrages und auch die Einführung einer zusätzlichen sechsten „Erfahrungsstufe“ in den Entgeltgruppen 9 bis 15. In den unteren Entgeltgruppen 1 bis 8 gibt es diese Stufe bereits, in die man gewöhnlich nach 15 Jahren Beschäftigung aufsteigt. Auch die Beschäftigten von Bund und Ländern haben diese Stufe 6 in allen Entgeltgruppen.
Für die Auszubildenden fordert Verdi eine Erhöhung der Vergütungen um 90 Euro, mehr Urlaub und die Übernahme nach der Ausbildung. Auch die schulischen Ausbildungsgänge, z. B. in den Sozial- und Gesundheitsberufen, will man in die Tarifverträge einbeziehen. Zudem verlangt Verdi, „sachgrundlose Befristungen“ im öffentlichen Dienst auszuschließen.
Die 6-Prozent-Forderung kann also auch wieder über mehrere Jahre gestreckt und mit allen möglichen zusätzlichen Regelungen gegengerechnet werden. Am Ende wird für die meisten Beschäftigten wie in den letzten Tarifrunden wieder ein ernüchternder Abschluss stehen.
Schon jetzt tragen die Länderbeschäftigten im öffentlichen Dienst die rote Laterne bei den Gehalts- und Lohnerhöhungen der letzten Jahre. Laut Handelsblatt sind ihre Tarifentgelte seit dem Jahr 2000 um 40,6 Prozent gestiegen. Das Finanzblatt hantiert hier großzügig mit den nominalen Steigerungen, die nichts über die wirklichen Realzuwächse aussagen. Doch selbst diese Zahlen zeigen, dass die Länder ihre Sparprogramme vor allem auf ihre Beschäftigten abgeladen haben.
Der Anstieg liegt deutlich hinter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt von 44,8 Prozent. Die Industriebranchen Chemie und Metall haben sogar nominelle Entgeltsteigerungen von mehr als 50 Prozent realisiert. Selbst die Beschäftigten von Bund und Ländern verdienen ab Februar, wenn die zweite Stufe des im April 2016 vereinbarten Tarifabschlusses für Bund und Kommunen in Kraft tritt, im Schnitt vier Prozent mehr als ihre Länderkollegen.
Betroffen von dieser ungleichen Bezahlung sind vor allem die angestellten Lehrer. Ihr Anteil liegt mittlerweile im Bundesdurchschnitt bei einem Drittel, in Sachsen sogar bei 100 Prozent. Um auf den gleichen Lebensstandard wie ihre verbeamteten Kollegen und Kolleginnen zu kommen, müssten sie pro Jahr bis zu 13.000 Euro mehr verdienen. Das hatte Michael Popp vom betriebswirtschaftlichen Institut der Uni Bayreuth im letzten Jahr ausgerechnet. „Ein angestellter Lehrer (männlich, verheiratet mit zwei Kindern) erhält über das gesamte Leben betrachtet genau 371.898,37 Euro weniger Nettozahlungen als sein verbeamtetes Pendant.“
Seit der Ablösung des Bundesangestelltentarifs (BAT) in den Jahren 2005/2006 liegt die Einstufung der Lehrer in die Entgeltgruppen des Ländertarifvertrags allein im Ermessen der Arbeitgeber – „nach Gutsherrenart“, wie die GEW durchaus richtig anmerkt. Immer wieder versprach die GEW, eine einheitliche Eingruppierung der angestellten Lehrer durchzusetzen (in einer Lehrerentgeltordnung, genannt L-ego). Jedes Mal hat sie die angestellten Lehrer ausverkauft, zuletzt 2015.
2015 hatten die Länder eine „Paralleltabelle“ zur Entgeltordnung der Lehrer angeboten, die die ungleiche Bezahlung der angestellten Lehrer zementiert hätte. Die GEW lehnte ab, doch der Beamtenbund DBB willigte ein. „Damit schnitt der DBB der GEW den Weg zu weiteren Verhandlungen ab“, schreibt die GEW. „Obwohl der ‚Tarifvertrag Entgeltordnung Lehrkräfte (TV EntgO-L)‘, auf den sich Arbeitgeber und DBB verständigt hatten“, nur für deren Mitglieder gelte, schufen die Länder „vollendete Tatsachen und wendeten ihn auf alle tarifbeschäftigten Lehrkräfte an“.
In der jetzigen Tarifauseinandersetzung hält sich die GEW bedeckt. „Sie setzt sich weiter dafür ein, die Situation angestellter Lehrkräfte zu verbessern“, heißt es blumig auf der GEW-Website.
Das Tarifergebnis soll im Anschluss auch auf die rund 1,2 Millionen Beamten und die 200.000 Beschäftigten in angegliederten Bereichen (etwa in den Universitäten oder den Kassenärztlichen Vereinigungen) angewandt werden. Mit den Versorgungsempfängern würde der Tarifabschluss für insgesamt rund drei Millionen Menschen gelten.
Die Vertreter der Landesregierungen haben bereits klar gemacht, dass sie die Forderung trotz sprudelnder Steuereinnahmen der Länder nicht akzeptieren werden. Sechs Prozent mehr Personalkosten würden sich laut Verdi jährlich in allen 15 beteiligten Bundesländern auf 7,5 Milliarden Euro summieren. Das ist den Verhandlungsführern der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) zu viel.
Doch die in der nächsten Woche angekündigten Warnstreiks und Proteste dienen einzig und allein dazu, die Wut der Beschäftigten abzulassen. In der kommenden Verhandlungsrunde wird Verdi-Chef Frank Bsirske mit den Verhandlungsführern der Länder schließlich einen faulen Kompromiss aushandeln. Denn die Gewerkschaftsfunktionäre stehen den öffentlichen Arbeitgebern näher als den Beschäftigten, die sie angeblich vertreten. Sie gehören denselben Parteien an und sehen dieselbe „Notwendigkeit“, die Staatskassen auf Kosten der Arbeiter zu sanieren. Oft wechseln sie von den Gewerkschaftszentralen in hochrangige öffentliche Ämter und umgekehrt.
Das beste Beispiel dafür ist Bsirske selbst. Ehe er im Jahr 2000 Gewerkschaftssekretär wurde, war er als Personaldezernent der Stadt Hannover an einem Modernisierungsprogramm beteiligt, bei dem tausend von 16.000 Stellen gestrichen wurden.
Das Mitglied der Grünen hat es in den Tarifverhandlungen auf der Arbeitgeberseite meist mit Sozialdemokraten und Gewerkschaftern zu tun. Sein Tarifpartner bei den Verhandlungen für die Kommunen ist der Münchener Thomas Böhle. Er ist Mitglied von Verdi und SPD.
In der jetzigen Tarifrunde sitzt Bsirske TdL-Verhandlungsführer Peter-Jürgen Schneider gegenüber. Der Sozialdemokrat ist seit 2013 niedersächsischer Finanzminister. Zuvor war er IG-Metall-Funktionär. Zehn Jahre, von 2003 bis 2013, war Schneider als Arbeitsdirektor Mitglied des Vorstands der Salzgitter AG. Schneider gehörte nicht nur dem Aufsichtsrat verschiedener Gesellschaften des Stahlkonzerns an, sondern auch den Vorständen der Wirtschaftsvereinigung Stahl und des Arbeitgeberverbandes Stahl. Er war Sprecher des Managerkreises Niedersachsen/Bremen der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD und Mitglied des Aufsichtsrats der Projekt Region Braunschweig GmbH.
Auch Frank Bsirske, der Dienstälteste aller deutschen Gewerkschaftsvorsitzenden, sitzt in zahlreichen wichtigen Aufsichtsräten, wie dem der Deutschen Bank, der Postbank und von IBM. Beim Energiekonzern RWE ist er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender und in der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Verwaltungsratsmitglied.