David North spricht in Berlin über Trumps Wahlsieg

Der Hörsaal an der Humboldt-Universität platzte aus allen Nähten als David North am Dienstagabend über die Ursachen und Folgen des Wahlsiegs von Donald Trump sprach. Mehr als 250 Studierende und junge Arbeiter drängten sich in den überfüllten Veranstaltungsraum. Etliche mussten auf Fensterbänken und dem Fußboden Platz nehmen, andere standen vor den Türen und versuchten, den Vortrag von dort aus zu verfolgen.

David North ist Chefredakteur der World Socialist Web Site und Vorsitzender der Socialist Equality Party (SEP) in den USA. Er begann seinen Vortrag mit einer Übersicht über die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung der USA im 20. und 21. Jahrhundert. Seit den 1970er Jahren habe ein starker ökonomischer Niedergang stattgefunden. Die herrschende Elite habe insbesondere nach der Auflösung der Sowjetunion in wachsendem Maße versucht, diesen militärisch auszugleichen.

„Ein Blick auf das letzte Vierteljahrhundert widerlegt die Vorstellung, Donald Trump sei als Monster in den schönen Garten Eden der Vereinigten Staaten eingedrungen“, sagte North. Der politische und kulturelle Niedergang habe sich bereits in der Sprache manifestiert. Neue Begriffe wie „Rendition“ „Abu Ghraib“, „Water Boarding“ oder „Drohnenmord“ spiegelten eine völlig verrohte, undemokratische Kultur wider.

Trump verkörpere diese Entwicklung und die Herrschaft einer Oligarchie, erklärte North und stellte das neue Kabinett Trumps mit all seinen bisher ernannten Ministern vor: „Eine Regierung erstens von Milliardären und Millionären, und zweitens von ehemaligen Generälen der Armee.“ Diese Regierung sei Ausdruck der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten ihren ökonomischen Niedergang mit dem Streben nach Weltherrschaft kompensierten.

North spielte zwei Videoausschnitte vor, in denen die US-Generäle Milley und Hicks der ganzen Welt in einer offen brutaler Sprache Gewalt und Krieg androhen. „Man glaubt, eine Szene aus dem Film ‚Dr. Seltsam‘ zu sehen, oder man hätte es mit einer Hitlerrede zu tun. Aber die Verrücktheit hat Methode.“ Die Gefahr eines Dritten Weltkriegs sei real, so North.

Dass Trump die Wahl gewinnen konnte, habe dabei weniger mit seiner eigenen Popularität als mit dem Bankrott der Demokraten zu tun. Trump habe nicht mehr Stimmen gewonnen als andere republikanische Kandidaten vor ihm, aber Hillary Clinton habe im Vergleich zu früheren demokratischen Kandidaten deutlich Stimmen eingebüßt, und zwar nicht nur unter weißen Arbeitern, sondern auch unter Afroamerikanern, Latinos oder Frauen.

North betonte mehrmals, dass die Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung nach links und nicht nach rechts neige. Das habe sich in den 13 Millionen Stimmen für Bernie Sanders in der Vorwahl gezeigt, der sich als Sozialist bezeichnete. Doch Sanders sei kein Sozialist, er habe sich hinter Hillary Clinton gestellt. Dadurch habe die Linksentwicklung keinen Ausdruck gefunden.

Clinton habe sich ganz bewusst nicht an die Arbeiterklasse gewandt, erklärte North, sondern habe auf der Grundlage von Identitätspolitik, d.h. von Unterschieden in Geschlecht, Rasse oder ethnischer Zugehörigkeit, an die Mittelschichten appelliert. „Sie hat dazu aufgerufen, eine Frau zu wählen – und ignorierte gleichzeitig komplett die soziale Realität von Millionen Menschen in den USA, die ihr Haus und ihre Familie nicht mehr finanzieren können.“

Ähnliche Entwicklungen gebe es auch in Deutschland und Europa. Keine der sogenannten „linken“ Organisationen, wie Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien oder die Linkspartei in Deutschland, vertrete die sozialen Interessen der Arbeiterklasse. Stattdessen dominierten die Themen der Mittelklasse. Seinen ideologischen Ausdruck finde das an den Universitäten in Form der Theorien der Frankfurter Schule oder der Postmoderne, die im Kern gegen den Marxismus gerichtet seien. Die Wahl Trumps habe den Bankrott und den reaktionären Charakter dieser Theorien offenbart.

North schloss seinen Vortrag mit einem Aufruf an die Anwesenden. Dieselben Bedingungen, die zum Krieg führten, beinhalteten objektiv auch das Potential für die soziale Revolution. Eine revolutionäre Politik stütze sich auf ein Verständnis der objektiven sozialen und politischen Entwicklung und formuliere auf dieser Grundlage ein Programm für alle Arbeiter, unabhängig von Hautfarbe, Kultur oder Religion.

„Die Zeit ist gekommen“, schloss North, „sich wieder dem klassischen Marxismus zuzuwenden. Marx, Luxemburg, Trotzki und Lenin sind heute aktueller denn je.“

Die Teilnehmer waren dem über 90-minütigen Vortrag gespannt und konzentriert gefolgt und spendeten North tosenden Beifall. „Ich fand’s großartig“, sagte ein Geschichtsstudent beim Rausgehen. „Es war ein politisches und intellektuelles Ereignis“, erklärte ein anderer. Eine Studentin der Psychologie an der FU fand es „spannend, aber hart. Normalerweise hört man an der Uni nicht so offene Worte.“

Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. David North antwortete auf zahlreiche Fragen und Beiträge aus dem Publikum. Er unterstrich insbesondere die Feindschaft der Vierten Internationale gegen jede Form imperialistischer Kriege. Der Versuch, solche Kriege mit Menschenrechtspropaganda zu rechtfertigen, sei verlogen. Auch die Frage der Identitätspolitik kam in der Diskussion erneut auf.

Diese wurde in den Gängen und umliegenden Cafés noch lange nach dem offiziellem Ende der Veranstaltung fortgesetzt. Der Büchertisch mit Werken Leo Trotzkis, aber auch von David North und vielen anderen marxistischen Autoren, war dicht umlagert.

Der Sprecher der IYSSE an der HU, Sven Wurm, der die Veranstaltung moderierte, wies darauf hin, dass auch in Europa und Deutschland rechte Tendenzen wachsen. Der Kampf der IYSSE gegen Kriegspolitik und rechte Ideologie sei deshalb von großer Bedeutung. Insgesamt registrierten sich anschließend 42 Studierende und junge Arbeiter, um den Wahlkampf der IYSSE für das Studierendenparlament an der Humboldt-Universität zu unterstützen oder weiter in Kontakt zu bleiben.

Marcus, der als Altenpfleger arbeitet, war extra von Marzahn an die Humboldt-Uni gekommen, um den Vortrag zu hören. „Ich fand, er hat sehr gut erklärt, wie diese Entwicklung zu Diktatur und Krieg führen kann“, sagte Marcus. „Es ist nicht nur dieser verrückte Trump. Schon ab 2008 waren immer mehr Arbeiter unzufrieden.“

Marcus berichtete von seiner eigenen Arbeit als Altenpfleger, der Pflegenotstand sei schon deutlich zu spüren. „Bei uns sind nur noch zwei oder drei Leute da, um eine Station zu betreuen, wo früher sechs waren. Die Arbeitsschritte sind so stark durchgetaktet, dass die Senioren gar nicht mehr wagen, ihre Wünsche zu äußern.“

Markus sagte, er habe durch den Vortrag gut verstanden, dass die Wahl Trumps „vieles mit Perspektivlosigkeit zu tun hat“. Er verglich Hillary Clinton mit Merkel und Steinmeier und sagte: „Die sind ja ebenfalls keine Alternative zur AfD.“

„Für mich war das sehr spannend, und vieles war mir neu“, sagte Natsumi, die Musikwissenschaften und Italienisch studiert. Auch die Diskussion sei „schön klar“ gewesen. North habe „seine Meinung gut und logisch dargelegt“, fuhr sie fort. „Trump ist Ausdruck einer ganzen Entwicklung, er ist nicht vom Himmel gefallen“. Sie sagte, es sei jetzt wichtig, die Zusammenhänge unter den jungen Menschen bekannt zu machen: „Viele übernehmen einfach, was ihre Eltern sagen, aber die Leute müssen wirklich anfangen, selber zu denken.“ 

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