Nach dem Vorstoß von US-Außenminister John Kerry forderte am Mittwochabend auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Errichtung einer Flugverbotszone über Syrien. „Die Lage in Syrien steht heute auf des Messers Schneide“, heißt es in einer offiziellen Verlautbarung auf der Website des Auswärtigen Amts. „Wenn der Waffenstillstand überhaupt noch eine Chance haben soll, führt der Weg nur über ein zeitlich begrenztes, aber vollständiges Verbot aller militärischen Flugbewegungen über Syrien - mindestens für drei, besser für sieben Tage“.
Ähnlich wie Kerry begründete Steinmeier seine aggressive Forderung mit humanitären Phrasen. So hätten die Vereinten Nationen mit einer Flugverbortszone „die Möglichkeit der Wiederaufnahme ihrer humanitären Hilfslieferungen für die Not leidenden und belagerten Menschen“. Gleichzeitig schaffe sie „Raum für präzise Verabredungen in der Syrien-Unterstützergruppe zum koordinierten Vorgehen gegen IS und al-Qaida und für einen Rückweg in Verhandlungen über eine Übergangsregierung für Syrien.“
In Wirklichkeit wäre eine Flugverbotszone, die von den USA, Deutschland oder anderen Nato-Mächten durchgesetzt würde, keine Friedensinitiative, sondern der Beginn einer massiven Eskalation des vom Westen seit nunmehr fünf Jahren angeheizten Regimewechsel-Kriegs in Syrien. Im März 2011 war die Errichtung einer ebenfalls mit „humanitären“ Argumenten begründeten Flugverbotszone in Libyen der Auftakt für einen massiven Bombenkrieg der Nato gegen das ölreiche Land. Wenige Monate später erreichte er mit dem Mord am libyschen Staatschef Gaddafi durch vom Westen unterstützte islamistische Rebellen einen brutalen Höhepunkt.
Steinmeier spricht „vom koordinierten Vorgehen gegen IS und al-Qaida“. Mit diesem durchsichtigen Vorwand begründen Deutschland und der Westen routinemäßig ihre Militäroperationen in Syrien und im Irak. Tatsächlich arbeiten die imperialistischen Mächte jedoch nach wie vor eng mit al-Qaida und selbst den Milizen des IS zusammen, um das syrische Regime von Baschar al-Assad zu stürzen und ein pro-westliches Marionettenregime in Damaskus zu errichten. Vor wenigen Tagen verteidigte Die Zeit in einem ausführlichen Artikel die syrischen al-Qaida-Kräfte als „die Lebensversicherung vieler moderater Rebellengruppen.“
Am Samstag bombardierten amerikanische, britische und australische Kampfflugzeuge einen Vorposten der syrischen Armee in der Nähe des syrischen Luftwaffenstützpunkts in Deir ez-Zor und töteten und verwundeten dabei bis zu 200 syrische Soldaten. Parallel dazu begannen IS-Kämpfer eine Offensive auf den Luftwaffenstützpunkt der syrischen Armee. Hinweise deuten darauf hin, dass die Bundeswehr Luftbilder des angegriffenen Gebiets zur Verfügung gestellt hatte. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte am Montag in Berlin, man wolle sich zu „operativen Einzelheiten, die der Vertraulichkeit unterliegen“, nicht äußern.
Steinmeiers „Syrien-Unterstützergruppe“ mit der Berlin und die anderen imperialistischen Mächte eng zusammenarbeiten – die sogenannte „High Negotiations Commission (HNC)“ - ist ein hauptsächlich von Saudi-Arabien finanziertes Oppositionsbündnis, das in Syrien bewaffnete islamistische Milizen unterstützt und seit langem den Sturz der mit Russland verbündeten Regierung von Baschar al-Assad fordert. Wenn Steinmeier, Kerry oder der General Coordinator des HNC, Riad Hidschab, von einer „Übergangsregierung“ oder einem „Übergangsprozess“ in Syrien sprechen, meinen sie damit die Installation eines pro-westlichen Stellvertreterregimes in Damaskus.
Der Ruf nach einer Flugverbotszone in Syrien erhöht die Gefahr eines direkten Konflikts mit der Atommacht Russland, dem Hauptunterstützer des syrischen Assad-Regimes. Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow bezeichnete „diese Initiative“ laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax als „zumindest im Moment nicht umsetzbar.“ Zunächst müssten die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten Druck ausüben „auf jene Kräfte, die denken, dass nur Krieg das Problem lösen kann.“
Wenn Steinmeier gegenwärtig den amerikanischen Vorstoß unterstützt, tut er dies nicht als Gefolgsmann der US-Kriegspolitik, sondern als Interessenvertreter des deutschen Imperialismus. Im Juni dieses Jahres hatte er einen Artikel in Foreign Affairs mit dem Titel „Deutschlands neue globale Rolle“ veröffentlichte, der Berlin nicht nur als „bedeutende europäische Macht“ bezeichnet, sondern auch den Führungsanspruch der USA in Frage stellt. Nun nutzt das deutsche Außenministerium die Eskalation des Kriegs in Syrien um den deutschen Einfluss im Nahen Osten und international zu erhöhen.
„Wir wollen aufstehen und Verantwortung übernehmen, zu Gerechtigkeit und Frieden beitragen“, erklärte Steinmeier ebenfalls am Mittwoch auf der Eröffnungsveranstaltung der deutschen Kampagne für einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in 2019/2020. Deutschland sei einer der „aktivsten Akteure“, wenn um es Fragen von „Konfliktbewältigung, Stabilisierung und Krisennachsorge“ ginge. „Wir zeigen Engagement, wir zeigen Verantwortung, und wir finden dafür Wohlwollen und Unterstützung,“ behauptete Steinmeier. Während der laufenden Woche der UN-Generalversammlung in New York habe er mit vielen Amtskollegen Gespräche geführt und glaube, „dass Deutschland für diese Kandidatur viel Unterstützung finden wird.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Wer sich davon überzeugen will, welche räuberischen Interessen sich hinter Steinmeiers sprachlichen Euphemismen und den deutschen UN-Plänen verbergen, sollte einen Blick ins neue deutsche Weißbuch der Bundeswehr werfen. Dort heißt es im 3. Abschnitt unter dem Titel „Deutschlands strategische Prioritäten“, die deutsche Wirtschaft sei „ebenso auf gesicherte Rohstoffzufuhr und sichere internationale Transportwege angewiesen wie auf funktionierende Informations- und Kommunikationssysteme.“
Die nominellen Oppositionsparteien Linkspartei und Grüne, die sich in Berlin auf eine rot-rot-grüne Regierung mit Steinemeiers SPD vorbereiten, spielen eine Schlüsselrolle dabei, die Rückkehr des export- und rohstoffhungrigen deutschen Imperialismus auf die Weltbühne voranzutreiben und mit „humanitären“ und Menschenrechtsargumenten zu beschönigen.
Am Donnerstag warf der außenpolitische Sprecher der Linkspartei, Jan van Aken, dem „syrischen Regime“ im Deutschlandfunk (DLF) vor, „einen ganz brutalen Hungerkrieg gegen Aleppo“ zu führen. „Sie wollen die Bevölkerung dort aushungern und dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen, um irgendwann Aleppo einzunehmen.“ Deutschland müsse nun den Druck erhöhen, damit „die ausländischen Mächte ihre Partner unter Kontrolle bringen – das gelte für Russland und das syrische Regime, aber auch für die USA und deren Partner Saudi-Arabien“ fasste der DLF van Akens Position zusammen.
Jürgen Trittin, der von 1998 bis 2005 bereits als Umweltminister im rot-grünen Hartz-IV- und Kriegskabinett Schröder und Fischers vertreten war, plädierte ebenfalls am Donnerstag in der Zeit für eine „linke“ Militär- und Großmachtpolitik: „Wir sehen, was von Europa und damit auch von Deutschland erwartet wird. Europa soll vor der Globalisierung schützen. Und Europa soll den Bürgern Sicherheit bieten. Dazu gehört, dass wir mit der Instabilität in unserer Nachbarschaft umgehen – gerade wenn sie durch falsche Interventionen wie in Libyen ausgelöst wurde“. Nun müsse „wer politisch links ist […] Verantwortung übernehmen.“