Perspektive

Obamas Drohnenbefehl: Staatlicher Mord wird institutionalisiert

Bei den völkerrechtswidrigen Drohnenangriffen der USA sterben immer wieder auch unbeteiligte Zivilisten. Vergangenen Freitag hat das Weiße Haus erstmals Zahlen dazu vorgelegt.

Schon vor über dreieinhalb Monaten hatte die Obama-Regierung versprochen, „in den kommenden Wochen“ offizielle Schätzungen zur Zahl der getöteten Zivilisten vorzulegen. Diese Zahlen beziehen sich, wie es heißt, nur auf Länder „außerhalb des Bereichs, in dem aktive Kampfhandlungen stattfinden“. Sie belaufen sich jedoch nur auf einen Bruchteil dessen, was mehrere unabhängige Menschenrechtsgruppen dokumentiert haben.

Verfasser des Berichts ist der Direktor der nationalen Geheimdienste (DNI), James Clapper. Gleichzeitig legte die Regierung eine Verfügung vor, laut der der Präsident weiterhin das uneingeschränkte Recht genießt, jede beliebige Person in jedem Teil der Welt umzubringen. Wie es weiter in der Verfügung heißt, befürwortet Obama „das bestmögliche Verfahren, um die Wahrscheinlichkeit ziviler Todesopfer zu verringern“.

Der Ausdruck „bestmögliches Verfahren“ stammt aus dem trockenen Wortschatz von Konzernleitungen. Im Präsidentenbefehl taucht er dreimal auf, was verdeutlicht, mit welcher Routine der kapitalistische Staat der USA die Mordmaschinerie schon betreibt, und wie sehr die Morde an der Tagesordnung sind.

Um diesen Prozess weiter zu verbessern, legt das Weiße Haus seine falschen Zahlen vor und verspricht scheinheilig, die Zahl der Zivilisten, welche die CIA- und Pentagon-Beschäftigten aus tausenden Kilometern Entfernung auf Knopfdruck mit Hellfire-Raketen töten, weiter zu reduzieren.

Wie die Regierung mitteilt, sollen die neuen Richtlinien eine „nachhaltige rechtliche und politische Grundlage für die Durchführung unserer Anti-Terror-Aktivitäten schaffen“ und „die besten Verfahren der amerikanischen Antiterror-Operationen und anderer Operationen, die den Einsatz von Gewalt beinhalten, institutionalisieren und verbessern“.

Mit anderen Worten, Barack Obama will in den letzten sechs Monaten seiner Amtszeit ein Kernelement seines abscheulichen politischen Vermächtnisses festschreiben: die Verwandlung des Oval Office in ein Planungsbüro für die „Todeslisten“ und die Durchführung „gezielter Tötungen“, d.h. politischer Morde an ausländischen und amerikanischen Staatsbürgern.

Die Obama-Regierung sorgt dafür, dass das Militär seine Drohnenmorde um fünfzig Prozent steigern kann, während sie das geheime Drohnenprogramm der CIA nicht antastet. Alle möglichen Nachfolger Obamas haben sich bereits für Drohnenmorde ausgesprochen. Die voraussichtliche Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, hat sie schon in ihrer Zeit als Obamas Außenministerin genehmigt.

Die Sorge der Regierung um die „Kollateralschäden“ – das heißt die Männer, Frauen und Kinder, die in Stücke zerfetzt werden, weil sie zufällig ins Visier geraten – ist nichts weiter als ein pseudohumanitäres Deckmäntelchen für kaltblütigen Mord.

Selbst die New York Times, die bisher Obamas Drohnenmorde verteidigt hat, musste darauf hinweisen, dass die Regierungsverfügung und die geschätzten Todeszahlen ausgerechnet am Freitagnachmittag vor einem langen Wochenende veröffentlicht wurden. Das ist eine alte Finte der Regierung, um zu verhindern, dass sich die Öffentlichkeit allzu genau mit der Nachricht befasst.

In diesem Fall hat sie allen Grund dazu. Laut der Schätzung des DNI wurden zwischen Januar 2009 (nach Obamas Amtseinführung) und Ende 2015 zwischen 64 und 116 Zivilisten „außerhalb der aktiven Kampfgebiete“ getötet, d.h. außerhalb der blutigen Kriege in Afghanistan, dem Irak und Syrien. Die amerikanischen Geheimdienste gehen außerdem von 2.372 bis 2.581 getöteten „Kombattanten“ aus.

Dieses Eingeständnis ist eine deutliche Wende seit der Haltung von CIA-Direktor John Brennan, dem Schöpfer des Drohnenmordprogramms. Dieser hatte im Jahr 2011 erklärt, es habe im ganzen vorhergehenden Jahr „aufgrund des außergewöhnlichen Könnens, der Präzision und der Fähigkeit“ der ferngesteuerten Tötungsmaschinen „kein einziges kollaterales Todesopfer gegeben“. Gleichzeitig zählte Pakistan hunderte oder sogar tausende ziviler Todesopfer, darunter 41 Stammesführer, die im März besagten Jahres an einem offiziellen, erlaubten Treffen unter freiem Himmel teilnahmen. Sie wurden von mehreren amerikanischen Drohnen mit vier Hellfire-Raketen in Stücke gerissen.

Dennoch sind auch die heutigen Zahlen des DNI absurd niedrig. Das Bureau of Investigative Journalism, eine der am häufigsten zitierten Quellen zum Thema, kommt bei konservativer Schätzung auf bis zu 1.138 zivile Todesopfer durch amerikanische Drohnen, d.h. zehnmal so viele, wie Washington zugibt.

Doch selbst diese Zahl unterschätzt deutlich, wie viele Menschenleben die „gezielten Tötungen“ wirklich kosten. Die Menschenrechtsorganisation Reprieve dokumentierte 2014 in einer Studie, dass die USA bei ihren Versuchen, 41 als „Terroristen“ bezeichnete Personen zu ermorden, 1.147 Menschen durch Drohnenangriffe getötet hatten. Als „Terrorist“ gilt übrigens jeder, der Widerstand gegen die amerikanische Besatzung oder die Politik der USA leistet.

Zur jüngsten Veröffentlichung äußerte sich auch Letta Tayler, die für Human Rights Watch zwischen 2009 und 2013 im Jemen recherchiert hatte. In dieser Zeit dokumentierte sie mindestens 57 zivile Todesopfer durch US-Drohnenmorde und belegte sie durch Interviews mit Zeugen, Verwandten und Beamten. Sie erklärte der Washington Post: „Ich kann kaum glauben, dass die sieben Angriffe, die ich dokumentiert habe, schon fast die Hälfte aller offiziellen Todesopfer bewirkt haben sollen.“

Eine Erklärung für die immense Diskrepanz zwischen den Zahlen der US-Regierung und denen fast aller anderen Quellen könnte sein, dass das Pentagon und die CIA ihre eigene Methode haben, die Schuld der Todesopfer einer Drohnenrakete festzustellen. Männer zwischen achtzehn und achtzig Jahren gelten von vornherein als „Kombattanten“, Frauen und Kinder in vielen Fällen ebenfalls.

Geheimdienstdirektor Clapper gab am Freitag eine simple, aber beunruhigende Erklärung für die Diskrepanz zwischen den Opferzahlen ab. Die höhere Gesamtzahl sei das Ergebnis „gezielter Streuung von Fehlinformationen durch gewisse Akteure, darunter terroristische Vereinigungen“. Die Bedeutung dieser Aussage ist klar: Wer das weltweite Mordprogramm im Namen des „Kriegs gegen den Terror“ hinterfragt, macht sich verdächtig, mit Terroristen zu paktieren, und stellt infolgedessen selbst ein potenzielles Ziel dar.

Das Drohnenmordprogramm hat sich zur prägenden Politik von Präsident Barack Obama entwickelt. Es verkörpert nicht nur das kriminelle Verhalten des Präsidenten selbst, sondern auch seiner Auftraggeber: der parasitären Finanzoligarchie und des riesigen Militär- und Geheimdienstapparats. Sie setzen ihre Interessen durch Kriege im Ausland durch, was unweigerlich die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung nach sich zieht.

Dass die Obama-Regierung versucht, dieses Mordprogramm zu einer dauerhaften Institution des amerikanischen Staates zu erheben, muss der Arbeiterklasse eine ernste Warnung sein.

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