Virginia Raggi, die Kandidatin der Fünf-Sterne-Bewegung, ist in der Stichwahl vom Sonntag mit fast siebzig Prozent der Stimmen zur Bürgermeisterin der italienischen Hauptstadt Rom gewählt worden. Beppe Grillos Protestpartei konnte auch die Industriestadt Turin für sich gewinnen. Die Beteiligung lag mit 50,5 Prozent auf einem historischen Tief.
Der Wahlsieg des „MoVimento 5 Stelle“ (M5S) ist in erster Linie eine herbe Niederlage für die Regierungspolitik von Matteo Renzi (Demokratische Partei, PD). Der Regierungschef, der anfangs selbst als „Verschrotter“ von Parteiprivilegien auftrat, hat im dritten Amtsjahr den größten Teil seiner anfänglichen Faszination bei den Mittelschichten eingebüßt.
Es wird immer deutlicher, dass Renzi in Italien dieselbe Rolle spielt wie der PS-Politiker Manuel Valls in Frankreich: Er reagiert auf die Wirtschaftskrise mit scharfen Angriffen auf die Arbeiterklasse, dereguliert den Arbeitsmarkt und setzt brutale Renten- und Schulreformen durch.
Seine Sparmaßnahmen haben an der Staatsverschuldung von über zwei Billionen Euro nichts geändert. Sie gehen auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung und der sozial Schwachen. Die offiziell leicht gesunkene Arbeitslosenquote von 11,5 Prozent verschleiert die Tatsache, dass fast 36 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung als „Inaktive“ aus der Statistik fallen. Mit einer vierzigprozentigen Jugendarbeitslosigkeit sind nach wie vor zwei von fünf Jugendlichen ohne Arbeit, Ausbildung und Perspektive.
Die Gewerkschaften und pseudolinken Gruppen haben die Renzi-Regierung unterstützt und halten ihr bis heute den Rücken frei. Unter diesen Bedingungen fehlt der Arbeiterklasse jede Möglichkeit, ihren Widerstand auf fortschrittliche Weise zu artikulieren. Deshalb nimmt der Protest die Form einer Unterstützung für die Fünf-Sterne-Bewegung an.
Auch die hohe Wahlenthaltung deutet auf große Unzufriedenheit mit allen Parteien hin. Im Durchschnitt gingen in den über hundert Kommunen und Städten, in denen eine Stichwahl stattfand, nur gut die Hälfte der Wahlberechtigten zur Urne, noch einmal zehn Prozent weniger als bei der ersten Runde.
Die Fünf-Sterne-Bewegung präsentiert sich als saubere Alternative, die „weder links noch rechts“ ist und den privilegierten alten Eliten den Kampf ansagt. Besonders in der Hauptstadt Rom verspricht die Juristin Virginia Raggi (37), gegen Inkompetenz und Korruption vorzugehen und die Hauptstadt von der „Mafia-Capitale“, von Verschwendung und Privilegien zu säubern. Damit kündigt sie aber nichts Neues an: Schon vor drei Jahren, als die Stadt vor der Insolvenz stand und nur durch ein Regierungsdekret, das so genannte Salva Roma ter, gerettet wurde, war dies mit harten sozialen Einschnitten verbunden.
Beppe Grillo behauptet nun, seine Bewegung bringe junge, kompetente Leute auf den Plan, die nichts mit den alten, korrupten Parteien zu tun hätten. Dabei ist das Programm der Fünf-Sterne-Bewegung alles andere als fortschrittlich. Es vermischt umweltpolitische und basisdemokratische Konzepte – wie zum Beispiel die Energiewende, Entscheidungen per Online-Verfahren und Volksabstimmungen – mit reaktionärem Nationalismus.
Das MoVimento hat ein kapitalistisches Programm und stützt sich auf kleine und mittlere Unternehmen. Im Kampf gegen „Verschwendung“ ist die M5S bereit, Zehntausende Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst zu streichen. „Wir haben heute so viele Beschäftigte, die gar nicht ausgenutzt werden, und denen wir Gehalt für gar nichts zahlen“, hatte Virginia Raggi im Wahlkampf erklärt.
Im Europaparlament sitzt Beppe Grillo in derselben Fraktion wie Nigel Farage von der Brexit-Partei UKIP. Wie dieser wirbt er für den EU-Austritt Italiens und sogar für die Wiedereinführung der Lira. In der Ausländerfrage schlägt er extrem rechte Töne an. Auf seinem Blog spricht er Immigrantenkindern das Recht auf die italienische Staatsbürgerschaft ab. Er wolle in seiner Bewegung „nur Italiener sehen“. Auch sein jüngstes Steckenpferd, das „Bürgereinkommen“ (reddito di cittadinanza), eine Art Neuauflage der deutschen Hartz IV-Gesetze, soll nur für Menschen mit italienischem Pass gelten.
Die Fünf-Sterne-Bewegung profitiert von dem 25 Jahre langen Niedergang der KPI-Nachfolgeparteien (Linksdemokraten und Demokraten, sowie Rifondazione Comunista und ihre Ableger). Dies zeigt sich besonders deutlich am Wahlsieg des MoVimento in Turin. Hier wird die 31-jährige Unternehmerin Chiara Appendino Bürgermeisterin.
Sie hat die Stichwahl mit fast zehn Prozent Vorsprung vor dem amtierenden Bürgermeister Piero Fassino (PD) gewonnen. Damit hat sie eine seit Jahrzehnten währende Herrschaft des Mitte-Links-Lagers abgelöst. Fassino verkörpert beispielhaft den Niedergang der italienischen Linken. Ein PCI-Mitglied seit Enrico Berlinguers Zeiten, gehörte Fassino der Führung der PDS, der Linksdemokraten und seit 2007 der Demokratischen Partei an und war Minister in mehreren Regierungen.
Der Niedergang der einstigen Kommunistischen Partei Italiens und ihrer Nachfolgeparteien zeigt sich auch daran, dass einer ihrer prominentesten Linken, Paolo Ferrero von Rifondazione Comunista, bei dieser Wahl zur Stimmabgabe für die Beppe-Grillo-Partei aufrief. In einem Gastbeitrag für die Zeitung Il Fatto Quotidiano schrieb Ferrero am Tag nach der ersten Wahlrunde, die Fünf-Sterne-Bewegung werde als „das erfolgreichste Instrument wahrgenommen, um die herrschende Klasse abzulösen“.
Weiter heißt es dort: „Die Elemente der politischen Zweideutigkeit bei M5S, die lange Zeit ein Hindernis waren, akzentuieren heute die Möglichkeit eines Übergangserfolgs in einer Situation, wo der gesunde Menschenverstand der Massen den Ursprung der Krise nicht in der neoliberalen Politik erfasst“. Wer von der PD her komme oder jahrelang mit der PD zusammengearbeitet habe, so Ferrero in einem seltenen Akt der Selbsterkenntnis, der werde Schwierigkeiten haben, seinen Kampf gegen die Krise glaubhaft zu vermitteln.