Überraschend schnell kam letzte Woche die Einigung im Tarifkampf des öffentlichen Diensts zustande. Am letzten Freitag im April verkündete Verdi-Chef Frank Bsirske, man habe ein Ergebnis erreicht, „das sich sehen lassen kann“. Ein Blick auf den Inhalt der Einigung zeigt schnell, dass es sich dabei um eine üble Täuschung der 2,28 Millionen öffentlich Beschäftigten im Bund und in den Kommunen handelt.
Die Gewerkschaft hatte die zentralen Fragen des Personalabbaus, der Privatisierung und der Zunahme der Arbeitsbelastung von Anfang an aus dem Streik herausgehalten. Nun hat sie einer minimalen Lohnerhöhung zugestimmt, um neue Angriffe auf die Arbeiter im Rahmen der neuen Entgeltordnung zu verschleiern.
Ursprünglich war Verdi mit der Forderung nach sechs Prozent Lohnerhöhung an die Öffentlichkeit getreten. Außerdem sollten künftig die sachgrundlosen Befristungen abgeschafft und der Angriff der öffentlichen Arbeitgeber auf die betriebliche Altersrente abgewehrt werden.
Die Situation für einen Arbeitskampf war günstig, denn einerseits erzielten die öffentlichen Haushalte massive Überschüsse und andererseits demonstrierten bundesweite Warnstreiks eine große Kampfbereitschaft. Sie fielen zeitlich mit Warnstreiks in der Metallindustrie zusammen, in der insgesamt 3,8 Millionen Arbeiter beschäftigt sind.
Gerade diese Kampfbereitschaft und die massive Unzufriedenheit der öffentlich Beschäftigten über immer üblere Arbeitsbedingungen haben Verdi und die öffentlichen Arbeitgeber im Bundesinnenministerium und im Verband Kommunaler Arbeitgeber (VKA) dazu bewegt, rasch einen Abschluss zu präsentieren. Sie wollen um jeden Preis verhindern, dass sich der Tarifkampf zu einer breiten Offensive der Arbeiter ausweitet.
Das Ergebnis stellt einen weiteren Angriff auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der öffentlich Beschäftigten dar. Die Lohnerhöhung bleibt weit hinter der Forderung zurück: Die 2,4 Prozent in diesem Jahr und 2,35 Prozent in 2017 sind weniger als die Hälfte der geforderten sechs Prozent, die rückwirkend ab März 2016 hätten gelten müssen. Die grundlosen Befristungen bei den Neueinstellungen wurden nicht abgeschafft. Hinzu kommen weitere Einschnitte, die nicht nur das Lohnergebnis deutlich vermindern, sondern auch gefährliche Weichen stellen.
So bei der betrieblichen Altersvorsorge: Ab sofort werden die Arbeitnehmerbeiträge schrittweise angehoben, wenn die Rentenkassen dies für erforderlich halten. Für die Zusatzkassen von Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Kassel und Wiesbaden wurden Beitragserhöhungen von bis zu 0,4 Prozent beschlossen. Für Bundes-Beschäftigte gibt es sogar Beitragserhöhungen von bis zu 1,8 Prozent.
Als Vorwand werden die geringeren Erträge wegen der Niedrigzinsen angeführt. Aber in Wirklichkeit geht es darum, Tür und Tor dafür zu öffnen, dass Arbeiter mehr und mehr selbst für ihre Altersvorsorge aufkommen müssen. Schon im Tarifvertrag für die Länder hat Verdi letztes Jahr einer solchen Regelung zugestimmt.
Neue Entgeltordnung
Gleichzeitig mit der Tarifeinigung wurde eine neue Entgeltordnung (EGO) für die nächsten zehn Jahre beschlossen. Eine solche Ordnung hatte Verdi den Arbeitern seit 2005 versprochen als der damals gültige BAT (Bundes-Angestellten-Tarifvertrag) durch den sehr viel schlechteren TVöD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst) ersetzt wurde, aber bisher immer nur regional umgesetzt. Immer hieß es, dass die Kürzungen durch eine höhere Eingruppierung der Beschäftigten ausgeglichen würden.
Die Ordnung, die jetzt beschlossen wurde, sieht nur die Höhergruppierung eines Teils der Beschäftigten vor. Außerdem erfolgen sie nicht automatisch, sondern nur auf individuellen Antrag. Vor allem aber haben Gewerkschaften und Arbeitgeber beschlossen, die Kosten für die neue EGO zur Hälfte auf die Arbeiter abzuwälzen.
Dazu werden die Jahressonderzahlungen gekürzt. Das Weihnachts- und Urlaubsgeld wird auf drei Jahre hinaus auf dem Niveau von 2015 eingefroren und ab 2017 um vier Prozent vermindert. Dadurch soll bei den Kommunen 680 Millionen Euro angespart werden.
Besonders hart trifft diese Regelung die Kollegen im Osten, die auch heute noch, ein Vierteljahrhundert nach der „Wende“, beim Weihnachts- und Urlaubsgeld mit geringeren Beträgen abgespeist werden als ihre West-Kollegen. Nun soll ihre Jahressonderzahlung auf 61,5 Prozent des Monatslohns absinken (im Westen auf 82 Prozent).
Die Abzüge bewirken, dass die Tariferhöhung im Endeffekt in diesem Jahr durchschnittlich gerade mal zwei Prozent beträgt.
Da kein Festbetrag gefordert wurde, wirkt sich das prozentuale Ergebnis auf untere Lohngruppen nur sehr gering aus. Dazu gehören sehr viele Flughafenbeschäftigte und städtische Arbeiter sowie soziale und Pflegeberufe. Die meisten von ihnen erhalten jetzt netto gerade mal fünfzig bis siebzig Euro mehr.
Zudem haben die jahrelangen Auslagerungen und die fortschreitende Privatisierung eine tiefe Spaltung bewirkt, da ein großer und wachsender Teil der Arbeiterklasse systematisch aus dem öffentlichen Dienst ausgegrenzt wurde. Waren vor zwanzig Jahren noch über fünf Millionen Menschen im öffentlichen Dienst beschäftigt, sind es heute infolge von Stellenstreichungen, Privatisierungen und Auslagerungen insgesamt kaum noch drei Millionen.
Die Sozialarbeiter und Erzieherinnen werden sich über den Abschluss verwundert die Augen reiben: Ihnen wurde die neue Entgeltordnung – an der offenbar seit Jahren gefeilt wurde – von Verdi letztes Jahr als Erfolg ihres Arbeitskampfs präsentiert. Zuvor hatte die Gewerkschaft den Kita-Streik für „Aufwertung“ durch eine Schlichtung abrupt abgewürgt. Jetzt erfahren sie nachträglich, dass sie für die Besserstellung durch Abzüge beim Weihnachts- und Urlaubsgeld selbst aufkommen müssen.
Rascher Abschluss
Der rasche Abschluss macht deutlich, dass die Gewerkschaftsführung vor allem verhindern will, dass die Streiks im öffentlichen Dienst mit denen der Metallarbeiter und anderer Teile der Arbeiterklasse zusammenkommen. Daraus könnte eine Bewegung gegen die sozialen Angriffe entstehen, die der gewerkschaftlichen Kontrolle entgleiten.
In dieser Tarifrunde wurden deshalb die wichtigsten Probleme, die den Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf den Nägeln brennen – Personalabbau, Auslagerungen und Privatisierungen, steigende Anforderungen und wachsender Stress am Arbeitsplatz –gar nicht erst zur Sprache gebracht. Diese Probleme werden sich in den kommenden Jahren massiv verschärfen.
Schon haben die neuen Regierungen mehrerer Bundesländer (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt) in ihren Koalitionsvereinbarungen massive Stellenstreichungen angekündigt. Hinzu kommen die Kosten für Militarismus und Kriegsvorbereitung. Verteidigungsministerin Ursula Von der Leyen will die Bundeswehr bis 2030 mit 130 Milliarden Euro aufrüsten. Die Kosten dafür werden auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden.
Unter diesen Umständen erweist sich Verdi als entschlossener Bündnispartner der Regierung. Die Gewerkschaft macht es den Mitgliedern so schwer wie möglich, das Verhandlungsergebnis abzulehnen. Wer mit Nein stimmen will, muss in den meisten Fällen erst eine Verdi-Geschäftsstelle aufsuchen, um sein Votum abgeben zu können.
Am Ende ist die Bundestarifkommission trotzdem berechtigt, über Annahme oder Ablehnung autonom zu entscheiden. Diese Kommission höherer Gewerkschaftsfunktionäre repräsentiert nicht die Arbeiter an der Basis, sondern eine privilegierte Schicht, die den Interessen der Beschäftigten feindlich gesonnen ist.