EU und Türkei schließen Pakt zur Abwehr von Flüchtlingen

Die 28 EU-Regierungschefs und der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu einigten sich am 18. März in Brüssel nach zweitägigen Verhandlungen darauf, die europäischen Grenzen hermetisch gegen die Millionen Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten und Nordafrika abzuschotten.

Wie EU-Ratspräsident Donald Tusk bei der Bekanntgabe der Einigung erklärte, gilt sie seit dem 20. März. Flüchtlinge, die über die Ägäis auf den griechischen Inseln anlanden, sollen künftig nach einem Asylverfahren, das eher einer Farce gleicht, zurück in die Türkei geschickt werden. Als Gegenleistung versprach die EU der Türkei, für jeden Syrer, der von Griechenland aus in die Türkei zurückgeschickt wird, einen syrischen Flüchtling über legalem Wege aufzunehmen. Dieses Verfahren wird am 4. April beginnen.

Die EU wird der Türkei außer den drei Milliarden Euro, die schon bisher im Gespräch waren, bis 2018 weitere drei Milliarden Euro zahlen. Außerdem wurde der Türkei Visumfreiheit für ihre Staatsbürger innerhalb der 28 EU-Mitgliedsstaaten und die Wiederaufnahme der Verhandlungen über eine türkische EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt.

Die Behauptung, das Abkommen diene dem völkerrechtlichen Schutz der Flüchtlinge, ist ein Betrug. In der Türkei glimmt ein anhaltender Bürgerkrieg, die demokratischen Rechte werden missachtet und jeder Regimegegner wird unterdrückt. Ein solcher Staat wird zum „sicheren Herkunftsland“ erklärt, obwohl er noch nicht einmal die UN-Flüchtlingskonvention vollständig umgesetzt hat.

Damit wird das offiziell in Griechenland angebotene Asylverfahren praktisch unwirksam, denn sämtliche Flüchtlinge können abgewiesen werden, da sie zuerst in der Türkei Asyl beantragen müssen.

Zudem werden syrische Flüchtlinge in der EU nur insoweit aufgenommen, als andere syrische Flüchtlinge weiterhin bereit sind, ihr Leben beim Versuch zu riskieren, die Ägäis zu durchqueren. In der Ägäis patrouillieren Nato-Kriegsschiffe, und mehr als 300 Flüchtlinge sind seit Beginn des Jahres bereits dort ertrunken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel drückte in einer kurzen Botschaft an die Flüchtlinge die Indifferenz der herrschenden Elite gegenüber dem Leid von Millionen aus, die vor Krieg und Armut flüchten: „Wer sich auf diesen gefährlichen Weg begibt, riskiert nicht nur sein Leben, sondern hat eben auch keine Aussicht auf Erfolg.“

Auch der rechtsextreme ungarische Ministerpräsident Victor Orban, dessen Land seit letztem Jahr durch Grenzzäunen abgeriegelt ist, lobte das Abkommen, weil es den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten keine konkreten Vorgaben zur Aufnahme von Flüchtlingen auferlegt. Dieses Lob zeigt den reaktionären Charakter des Abkommens.

Der türkische Premierminister Davutoglu bezeichnete das Abkommen als „historisch“.

Sogar die Massenmedien mussten in ihrer Berichterstattung einräumen, dass die EU mit diesem Abkommen faktisch ihr Bekenntnis zum Asylrecht aufgegeben hat. Associated Press schrieb, die EU betreibe mit diesem Abkommen ein „outsourcing“ des Flüchtlingsschutzes an die Türkei. Während die Türkei in einem früheren Entwurf noch angewiesen wurde, die Flüchtlinge gemäß dem Völkerrecht zu behandeln, sieht das endgültige Abkommen lediglich vor, dass Ankara sich an die als „relevant“ erachteten Rechtsstandards hält.

Flüchtlinge, die schon bis nach Griechenland gekommen sind, müssen künftig nach ihrer Rückführung in die Türkei ganz von vorne anfangen, sodass es ihnen so gut wie unmöglich sein wird, Europa legal zu betreten.

Wie am Freitag berichtet wurde, haben Boote und Hubschrauber der türkischen Küstenwache 3000 Flüchtlinge auf dem Weg zur griechischen Insel Lesbos aufgegriffen. Solche Berichte sind nur ein Vorgeschmack auf die kommenden Ereignisse.

Das Abkommen, auf das sich alle EU-Regierungen geeinigt haben, verstößt offen gegen das demokratische Grundrecht auf Asyl. Nach dem Zweiten Weltkrieg und den schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten sahen sich die kapitalistischen Mächte gezwungen, das Recht auf Asyl zum grundlegenden Bestandteil des Völkerrechts zu erklären. Die 1951 verabschiedete UN-Flüchtlingskonvention garantierte Flüchtlingen nicht nur das Recht, in einem anderen Land Schutz vor Krieg, Diskriminierung und Verfolgung zu suchen, sondern auch das Recht auf Zugang zu Arbeitsplätzen, Bildung und Sozialleistungen.

Obwohl heute drei Millionen Syrer in der Türkei festsitzen und fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung entweder zu Binnenvertriebenen geworden oder in andere Länder geflüchtet sind, hat sich die EU zur Aufnahme von gerade mal 72.000 Flüchtlingen verpflichtet. Diese Politik ähnelt derjenigen der 1930er Jahre, als die sogenannten demokratischen Staaten in Europa und Nordamerika nur eine symbolische Anzahl von Juden aufnahmen, die vor der faschistischen Verfolgung flohen.

Der griechische Innenminister Panagiotis Kouroumblis (Syriza) verglich in einer Rede in Athen das Lager Idomeni an der mazedonischen Grenze offen mit einem KZ. „Das ist ein modernes Dachau, das Ergebnis der Logik der geschlossenen Grenzen“, sagte der Minister, dessen Regierung Truppen an der Grenze stationiert, um Flüchtlinge festzusetzen, und sich damit zum Torwächter Europas macht.

Bezeichnenderweise enthält das endgültige Abkommen die Vorgabe, dass die Regelung nach dem Motto „einer rein, einer raus“ ausgesetzt wird, sobald die Zahl von 72.000 Flüchtlingen erreicht ist. Danach werden keine Flüchtlinge aus der Türkei mehr in Europa aufgenommen.

Als das globale Finanzsystem im Jahr 2008 am Rande des Zusammenbruchs stand, scheuten die Regierungen keine Kosten, um die Banken und Investoren zu retten, deren Verhalten die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatte. Doch wenn es darum geht, die Lebensgrundlagen für Millionen verzweifelter Flüchtlinge zu finanzieren, ist angeblich kein Geld da.

Die imperialistischen Mächte sind für die katastrophalen Bedingungen verantwortlich, die den Strom von Flüchtlingen, die jetzt an den Grenzen Europas festsitzen, ausgelöst haben. Der Nato-Luftkrieg gegen Jugoslawien 1999, der Einmarsch in Afghanistan nach den Anschlägen vom 11. September 2001, der Angriffskrieg gegen den Irak 2003, der Nato-Luftkrieg zum Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen 2011 und der andauernde Krieg zum Sturz des Assad-Regimes in Damaskus sind nur die bekanntesten Beispiele für Aggressionen, die ganze Gesellschaften zerstört haben. Hunderttausende Menschen wurden getötet, Millionen wurden zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen.

Wenn die Türkei diese Flüchtlinge davon abhält, nach Europa zu kommen, bedeutet das, dass sie wieder in die Kriegsgebiete zurückgeschickt werden, aus denen sie so verzweifelt geflohen sind. Die Regierung in Ankara befindet sich im Konflikt mit kurdischen Separatisten im Südosten des Landes. Das türkische Militär führt dort immer wieder Operationen durch, die hunderte von Todesopfern fordern. Die islamistische Regierung verstärkt außerdem die Unterdrückung von Journalisten und den Medien, u.a. der regierungskritischen Zeitung Zaman.

Trotz der öffentlich inszenierten Einstimmigkeit kann das Abkommen zur Abschreckung von Millionen von Kriegsflüchtlingen nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der EU selbst weiterhin Uneinigkeit besteht. Die Schließung der Grenzen zur Flüchtlingsabwehr, zum Beispiel der jüngste Alleingang Österreichs und seiner Nachbarstaaten auf dem Balkan, Grenzkontrollen einzuführen, könnte die EU auseinanderreißen.

Die Welt bezeichnete das Abkommen als „großen Erfolg“ für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie lobte den Pakt ausdrücklich, weil er ihre Forderung nach einer „europäischen Lösung“ der Krise umsetze. Von Anfang an ging es ihr nicht darum, Flüchtlingen zu helfen, sondern das Ende der Freizügigkeit im Schengen-Raum zu verhindern. Dies wiederum entspricht den Interessen des deutschen Großkapitals, das in den letzten zwanzig Jahren der Hauptprofiteur der Freizügigkeit war.

Frankreich beurteilt die Zugeständnisse an die Türkei eher kritisch. Der französische Präsident François Hollande erklärte am Freitag laut Reuters, ehe die Visabeschränkungen für türkische Staatsbürger für Reisen innerhalb der EU aufgehoben werden könnten, müsse Ankara alle 72 Anforderungen erfüllen.

Die europäische Arbeiterklasse lehnt die Schließung der EU-Außengrenzen und den Einsatz von Nato-Kriegsschiffen in den umliegenden Gewässern entschieden ab. Bezeichnenderweise veröffentlichte die Welt am letzten Freitag eine Umfrage, laut der sich trotz der unaufhörlichen rechten Propaganda von Medien und Parteien 51 Prozent der Befragten dafür aussprachen, die Grenze bei Idomeni sofort zu öffnen.

Die Anteilnahme der arbeitenden Bevölkerung am Schicksal der Flüchtlinge findet jedoch im politischen Establishment nirgendwo ihren Ausdruck. Die sogenannte „Linke“ unterstützt die Politik der Flüchtlingsabwehr uneingeschränkt. In Deutschland unterstützt die Linkspartei die im EU-Türkei-Pakt verkörperte Politik Merkels. In Griechenland arbeitet die Syriza-Regierung von Alexis Tsipras mit Davutoglu zusammen, um die Festung Europa zu verteidigen.

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