Erdoğan-Regime verschärft Krieg gegen Kurden

Das türkische AKP-Regime reagiert auf die jüngsten Terroranschläge in der Türkei mit einer Ausweitung des Kriegs gegen die kurdischen Gebiete im Osten der Türkei, in Nordsyrien und im Irak. Gleichzeitig treibt Ankara Pläne für eine Bodeninvasion in Syrien voran. Das Nato-Mitglied erhöht damit die Gefahr eines Flächenbrands und sogar einer militärischen Konfrontation mit Russland, die sich zu einem Krieg zwischen den Großmächten auszuweiten droht.

Am Donnerstag teilten die türkischen Streitkräfte mit, Kampfflugzeuge hätten in der Nacht Stellungen der PKK im Nordirak bombardiert. Es seien Ziele in der Grenzregion Haftanin angegriffen worden, die als PKK-Hochburg gilt, und etwa 70 Kämpfer der kurdischen Miliz getötet worden.

Am Freitag prahlte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu in einer Fernsehansprache: „Unsere Streitkräfte haben ein Großoperation in Haftanin durchgeführt. Rund 70 Mitglieder der Terror-Organisation [...] wurden neutralisiert.“ Zuvor hatte er sich mit dem türkischen Generalstab getroffen, um der türkischen Armee sein Beileid auszusprechen.

Bei einem Anschlag am Mittwochabend auf einen Militärkonvoi in der türkischen Hauptstadt Ankara waren mindestens 28 Menschen getötet und über 60 weitere verletzt worden. Der Anschlag ereignete sich nur wenige Hundert Meter vom Parlament und vom Hauptquartier der türkischen Armee entfernt. Bei einem weiteren Anschlag am Donnerstag auf einen zweiten Militärkonvoi in der Provinz Diyarbakir im mehrheitlich kurdischen Südosten der Türkei kamen mindestens sechs Personen ums Leben.

Davutoğlu und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan machten umgehend die PKK und die syrischen Kurdenorganisationen, die Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren Volksverteidigungseinheiten (YPG), für die Anschläge verantwortlich und schworen Vergeltung.

Erdoğan verkündete, die Türkei werde ihr „legitimes Recht nutzen, sich immer und überall zu verteidigen“. „Mit solchen Aktionen wächst unsere Entschlossenheit, für solche Angriffe auf unsere Einheit und auf unsere Zukunft, in der Türkei und im Ausland, Vergeltung zu üben.“ Der Terror strapaziere die Geduld der Türkei, erklärte Erdogan und fügte hinzu: „Wenn jemand auf die Türkei feuert, erhält er eine deutliche Antwort.“

Davutoğlu drohte: „Der gestrige Angriff richtete sich direkt gegen die Türkei und verantwortlich sind die YPG und die Terrororganisation PKK. Alle notwendigen Maßnahmen werden gegen sie ergriffen werden“. Die Türkei werde Stellungen der YPG in Nordsyrien weiter angreifen und nicht zulassen, dass die Gruppierung an Friedensverhandlungen zu Syrien teilnehme. Sie stehe auf einer Stufe mit Terrororganisationen wie al-Qaida oder dem Islamischen Staat.

Der türkische Ministerpräsident behauptete, dass „der Angriff von Mitgliedern einer terroristischen Organisation in der Türkei in Zusammenarbeit mit einem YPG-Mitglied aus Syrien verübt worden“ sei. Der Verantwortliche sei der 1992 im nordsyirschen Amuda geborene Salih Neccar.

Vertreter der PKK, der YPG und der PYD wiesen die Anschuldigungen Ankaras vehement zurück. Der PKK-Kommandeur Cemil Bayik sagte der PKK-nahen Agentur Firat am Donnerstag: „Wir wissen nicht, wer das getan hat. Es könnte aber ein Vergeltungsschlag für die Massaker in Kurdistan gewesen sein.“

Ein Mitglied der YPG erklärte gegenüber Journalisten: „Wir haben keinerlei Verbindung zu dem Mann, der als Attentäter genannt wird.“

Auch die PYD bestreitet jede Verbindung zu den Attacken in der Türkei. Ihr Vorsitzender Saleh Muslim warf der türkischen Regierung vor, sie benutze die Anschläge, um die Kämpfe in Nordsyrien zu eskalieren. „Wir weisen das entschieden zurück“, sagte er in einem Telefongespräch mit Reuters. „Davutoğlu bereitet etwas anderes vor. Sie bombardieren uns seit einer Woche, wie Sie wissen. Ich kann Ihnen versichern, dass keine einzige Kugel von der YPG in Richtung Türkei abgefeuert wird. Sie betrachtet die Türkei nicht als ihren Feind.“

Wer die jüngsten Entwicklungen im Syrienkrieg und die türkische Militäroffensive gegen die Kurden in den letzten Tagen verfolgt hat, kann sich kaum des Eindrucks erwehren, dass die Terroranschläge für Davutoğlu und die türkische Regierung wie bestellt kamen.

Seit einer Woche fliegt die türkische Luftwaffe Angriffe auf YPG-Stellungen in Nordsyrien und beschießt sie mit Artillerie über die türkisch-syrische Grenze hinweg. Die USA, die ihre Angriffe gegen den IS in Syrien auch eng mit der YPG koordinieren, hatten die Türkei und die kurdische Miliz am Dienstag aufgefordert, ihre Kämpfe zu beenden. Darauf erwiderte Erdoğan verärgert, es stehe „überhaupt nicht zur Debatte“, dass die türkischen Sicherheitskräfte ihren Kampf gegen die „kurdischen Terroristen in Syrien“ abbrechen.

Den Vereinten Nationen und dem Westen warf er vor, zu lange geschwiegen zu haben angesichts des Kriegs in Syrien. „Im Moment habe ich Schwierigkeiten, die USA zu verstehen. Warum nennen sie PYD und YPG nicht Terroristen? Warum sagen sie, sie würden die YPG weiter unterstützen?“, fragte er. Am Donnerstag bestellte die Türkei die Botschafter der fünf ständigen Mitglieder des Uno-Sicherheitsrats ein.

Nach den Anschlägen hat die Türkei ihre Rhetorik weiter verschärft. „Diejenigen, die direkt oder indirekt eine türkeifeindliche Gruppe unterstützen, verlieren ihren Status als Freunde“, drohte Davutoğlu am Donnerstag. „Wir können es nicht tolerieren, dass NATO-Staaten und darunter vor allem die USA Verbindungen zu terroristischen Organisationen haben, die uns im Herzen der Türkei angreifen.“ Die syrische Regierung sei für die Angriffe „direkt verantwortlich“. Er bezeichnete die YPG als „Marionette“ von Damaskus und erklärte, die Türkei habe das Recht, alle notwendigen Maßnahmen gegen das Assad-Regime zu treffen.

In Bezug auf Russland, das die syrische Armee bei ihrer Offensive im Norden Syriens mit Luftschlägen unterstützt, erklärte Davutoğlu, dass Moskaus Verurteilung der Anschläge zwar ein „positives Zeichen“ sei, aber nicht weit genug gehe. „Ich warne Russland erneut davor, terroristische Organisationen gegen unschuldige Menschen in Syrien und der Türkei einzusetzen“, sagte er.

Warum schlägt die türkische Regierung so wild um sich?

In den letzten Wochen ist die vom Westen unterstützte türkische Strategie, dass Assad-Regime durch die Bewaffnung und Finanzierung sogenannter „moderater“ islamistischer „Rebellen“ in die Knie zu zwingen, zunehmend in sich zusammengebrochen.

In einem Beitrag der Nachrichtenwebsite al-Monitor heißt es: „Am 3. Februar gelang es der syrischen Armee und ihren Verbündeten, Ankara eine strategische Niederlage zuzufügen. Sie kappten eine wichtige Versorgungsroute zwischen Aleppo und dem Grenzübergang Bab al-Salameh zur Türkei und der türkischen Provinz Kilis.“.

Die Verbindungsstraße sei vor allem aus einem Grund wichtig für Erdoğan und Davutoğlu gewesen. Auf ihr „flossen Kämpfer, Waffen und unterschiedlliche Güter nach Aleppo, die es den Rebellen ermöglichten, ihre militärische Präsenz in Syriens bevölkerungsreichster Stadt aufrecht zu erhalten und damit ihre politischen Ambitionen im Krieg zu verteidigen.“ Ankara habe so über Aleppo Einfluss auf die Entwicklung in Syrien nehmen können. Mit dem „Fall von Aleppo“ würde die Türkei weitgehend ihren Einfluss auf das Kriegsgeschehen in Syrien verlieren, so al-Monitor.

Seitdem haben sich die Hinweise verdichtet, dass das türkische Regime eine Bodeninvasion in Syrien plant, um seinen schwindenden Einfluss zu retten und die Entstehung eines zusammenhängenden kurdischen Gebiets im Norden von Syrien zu verhindern. Bereits einen Tag nachdem die syrische Armee die türkisch-syrische Verbindungsroute nach Aleppo eingenommen hatte, erklärte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, die Türkei bereite „aktiv eine Militärinvasion in Syrien“ vor. Dafür gebe es „mehr und mehr Anzeichen“.

Berichten zufolge stand das türkische Militär einer Invasion in Syrien bislang eher zurückhaltend gegenüber. Die türkische Zeitung Hürriyet schrieb jüngst, die türkische Armee wolle nicht ohne eine Resolution des UN-Sicherheitsrats in Syrien einmarschieren.

Erdoğan und Davutoğlu versuchen seit langem, diese Haltung zu ändern. Der Artikel auf al-Monitor trägt bezeichnenderweise den Titel „Wird es Erdogan gelingen, dem türkischen Militär einen Einmarsch in Syrien aufzuzwingen?“, und zitiert den türkischen Präsidenten mit Aussagen, die auf ein baldiges Eingreifen in Syrien drängen. U.a. spreche Erdogan regelmäßig vom „Fehler“ im Jahr 2003, als die Türkei sich weigerte, mit den USA in den Irak einzumarschieren. Ein kaum verhohlener Aufruf, dass sich dieser „Fehler“ im Jahr 2016 in Syrien nicht wiederholen dürfe.

Bereits im Jahr 2014 hatte Davutoğlu, damals noch in seiner Funktion als türkischer Verteidigungsminister, versucht, einen Einmarsch der türkischen Armee in Syrien zu provozieren. Aus einer geleakten Audioaufnahme ging hervor, dass er sich unter anderem mit dem Chef des türkischen Geheimdiensts MIT, Hakan Fidan, getroffen hatte, um über die Möglichkeit eines Angriffs auf Syrien zu diskutieren. Als Vorwand sollte ein Anschlag auf das Grab von Suleiman Shah – eine ehemalige türkische Enklave innerhalb Syriens – dienen.

Anders als damals ist die türkische Regierung heute weniger isoliert als 2014 und erfreut sich vor allem auch größerer Unterstützung durch die deutsche Regierung. Erst vor zwei Tagen bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Regierungserklärung ihre Unterstützung für eine Flugverbotszone in Syrien, eine zentrale Forderung der Erdogan-Regierung und eine wichtige Voraussetzung für eine türkische Militärinvasion in Syrien. Nach den Anschlagen erklärte sie, dass die Bundesregierung „im Kampf gegen die Verantwortlichen für solche menschenverachtenden Taten [..] an der Seite der Türkei“ stehe.

Die Gefahr eines neuen großen Kriegs wird damit immer akuter. Der russische Ministerpräsident Dmitri Medewedew warnte auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende vor der Gefahr eines „neuen Weltkriegs“ im Falle der Entsendung westlicher oder arabischer Bodentruppen nach Syrien und fragte drohend: „Die Amerikaner und unsere arabischen Partner müssen gründlich darüber nachdenken: wollen sie einen permanenten Krieg?“

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