Bei einem schweren Bahnunglück bei Bad Aibling in Oberbayern sind am frühen Dienstagmorgen mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen, darunter beide Lokführer und zwei Zugbegleiter. Neunzig weitere Menschen wurden nach Angabe der Retter verletzt, davon 55 schwer. Fünfzehn Personen schwebten am Dienstagabend noch in Lebensgefahr.
Kurz vor sieben Uhr stießen die zwei Pendlerzüge auf der Strecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim frontal aufeinander. Laut Plan hätten die Züge die eingleisige Strecke niemals gleichzeitig befahren dürfen. Einer der Züge hätte in einer der zwei Ausweichstellen Kolbermoor oder Bad Aibling warten müssen. Stattdessen rasten sie mit etwa hundert Kilometer pro Stunde aufeinander zu. Weil an dieser Stelle, einer bewaldete Hangkante am Mangfall-Kanal, die Trasse gekrümmt und unübersichtlich ist, prallten die zwei Züge ungebremst aufeinander.
Sie verkeilten sich derart ineinander, dass die gesamte Längsseite eines Triebwagens aufgerissen wurde. Beide Zugführerstände wurden gestaucht und völlig zerstört, und mehrere Waggons sprangen aus den Gleisen.
Viele hundert Hilfskräfte, Feuerwehrleute, Rotkreuzmitarbeiter, Ärzte, Technisches Hilfswerk und weitere Helfer arbeiteten fünf Stunden lang Hand in Hand, um die Opfer aus den Trümmern zu befreien und zu bergen. Die Unfallstelle ist für Fahrzeuge völlig unzugänglich. Die Verletzten mussten mit Kanus der Wasserwacht über den Kanal gebracht und per Seilwinde in die Hubschrauber hochgezogen werden, ehe sie in die umliegenden Kliniken geflogen werden konnten. Auch Nothelfer aus Österreich waren zur Stelle, und Krankenhäuser in München und im Tirol stellten Betten bereit. Die Bevölkerung von München wurde zum Blutspenden aufgerufen.
Es ist der seit langem schlimmste Bahnunfall in Bayern. Tatsächlich hätten die Opferzahlen noch weit höher liegen können, wenn in Bayern nicht Schulferien und Karneval gewesen wären. Zu normalen Arbeitszeiten befinden sich im Regionalzug Richtung München um diese Zeit bis zu tausend Pendler.
Auf der betroffenen Strecke der Bayrischen Oberlandbahn (BOB) verkehren seit 2013 die „Meridian“-Züge, die dem französischen Transdev-Konzern gehören. Für diesen Großkonzern arbeiten in Deutschland fünftausend, weltweit 83.000 Mitarbeiter in zwanzig Ländern. Sein Umsatz wird weltweit mit 6,6 Milliarden Euro und in Deutschland mit 850 Millionen Euro angegeben.
Die Deutsche Bahn betreut die Bahnstrecke. In einer Stellungnahme versicherte die Bahn, ihre Sicherungssysteme verhinderten normalerweise, dass sich zwei Züge gleichzeitig auf eingleisiger Strecke befänden. Wie es dort heißt, sind auf sämtlichen deutschen Strecken mittlerweile Sensoren der so genannten Punktförmigen Zugbeeinflussung (PZB 90) eingebaut. Dabei handelt es sich um Magnete im Gleisbett und an den Fahrzeugen, über die festgestellt werden kann, ob ein Zug zu schnell fährt oder ein Haltesignal missachtet. Im Notfall wird über dieses System automatisch eine Zwangsbremsung ausgelöst. Allerdings gibt es eine Freitaste, über die der Lokführer das Überwachungssystem ausschalten kann.
Es ist bisher ungeklärt, weshalb keiner der Züge in einer der zwei Ausweichstellen automatisch zum Halten gezwungen wurde, um die Ankunft des Gegenzugs abzuwarten. Insgesamt existieren drei Blackboxes, und wie es heißt, müssen alle drei Fahrtenschreiber erst ausgewertet werden, ehe man sagen könne, ob ein technisches Versagen vorliege, ob etwa das Signal falsch gestellt worden sei, oder ob doch einer der Lokführer falsch reagiert habe.
Karl Peter Naumann, Ehrenvorsitzender der Fahrgastvereinigung „Pro Bahn“, erläuterte in der ARD-Tagesschau am Dienstagmittag, es gäbe mittlerweile sehr sichere Systeme zum Schutz vor Zugunglücken. Er bezweifle jedoch, ob die notwendige Technik schon überall eingebaut sei. Hochtechnische Sicherungssysteme seien bisher erst auf etwa zehntausend von fast vierzigtausend Streckenkilometern in Deutschland eingebaut worden. „Sicherheit kostet Geld“, sagte Naumann. „Politik muss bereit sein, Milliarden zu investieren … Das war leider bisher nicht immer der Fall.“
Naumann wies auch darauf hin, dass eine Bahnbaustelle in der Gegend betrieben werde: „Dann herrschen immer unklare Bedingungen.“ Sicher ist, dass genau auf dieser Strecke im Internet ab Ende Februar massive Fahrplanänderungen und ein Schienenersatzverkehr angekündigt sind. Ob dies etwas mit dem Unfall zu tun hat, ist bisher ungeklärt.
Der veraltete Zustand von Bahn- und Gleistechnik, schlechte Wartung oder Materialfehler haben in den letzten Jahren mehrmals zu tragischen Unfällen geführt.
Die schlimmste Bahnkatastrophe in Deutschland war 1998 das Unglück von Eschede (Niedersachsen), bei dem ein ICE-Express aus den Gleisen sprang und 101 Menschen in den Tod riss. Im Februar 2000 folgte der Unfall von Brühl mit acht Toten und fünfzig Schwerverletzten. Vor knapp fünf Jahren kam es bei Oschersleben (Sachsen-Anhalt) zum Zusammenstoß zweier Züge auf eingleisiger Strecke. Dieser Unfall kam der aktuellen Katastrophe in Oberbayern sehr nahe. Zehn Menschen fanden damals den Tod.
In Belgien reagierten die Eisenbahner 2010 mit Streik auf eine Katastrophe, bei der zwei Nahverkehrszüge bei Brüssel ineinander rasten. Mindestens achtzehn Menschen wurden damals getötet und fast 200 verletzt.
Die Hauptursache für diese verheerenden Unfälle ist das Profitstreben der Banken und Konzerne, das die restlose Privatisierung und Deregulierung der einst staatlichen Bahnkonzerne verlangt. Für Lokführer und Zugbegleiter hat dies schon dazu geführt, dass ihre Stellen halbiert und ihr Einkommen verringert wurde. Sie sind heute mit endlosen Überstunden und wachsendem Stress konfrontiert.
Die Lokführer haben im letzten und vorletzten Jahr sieben mehrwöchige Streiks geführt, um gegen sinkende Einkommen, steigende Arbeitshetze und Arbeitsplatzabbau zu kämpfen. Im Juli 2015 akzeptierte dann die Lokführergewerkschaft GDL ein Stillhalteabkommen, mit dem sie langfristig auf Streiks verzichtete, ohne Wesentliches erreicht zu haben.
Die GDL kapitulierte vor der Phalanx aus Bahnvorstand, Bundesregierung, Wirtschaftsverbänden, Medien und DGB-Gewerkschaften. Diese waren entschlossen, die Gesundheit der Beschäftigten und die Sicherheit der Reisenden auf dem Altar der Profitwirtschaft zu opfern. Wenige Wochen später kündigte Bahnchef Rüdiger Grube im Oktober einen neuen, massiven Stellenabbau an. Der Zeitung Die Welt sagte Grube: „Natürlich geht es darum, die wirtschaftliche Stabilität und die Zukunftsfähigkeit des Konzerns abzusichern. Es wird auch so sein, dass im Zuge der Umstrukturierung Arbeitsplätze verloren gehen.“