Das Pentagon-Handbuch zum Kriegsrecht, Teil 2

Eine Blaupause für totalen Krieg und Militärdiktatur

Dies ist der zweite Teil einer insgesamt vierteiligen Serie über das neue Pentagon-Handbuch zum Kriegsrecht. Der erste Teil erschien am 9. Januar. 

Rahmenkonzept für eine Militärdiktatur

Die gefährlichsten Passagen des Pentagon-„Handbuchs zum Kriegsrecht“ sind die Kapitel, in denen auf andere Rechtsgebiete Bezug genommen wird. Dem Handbuch zufolge steht das Kriegsrecht über allen anderen Rechtssetzungen, auch über den internationalen Verträgen zu Menschenrechten und über der US-Verfassung. Dieses Handbuch macht also den Weg frei für die Verhängung des Ausnahmezustands, die Aussetzung der Verfassung und die Errichtung einer Militärdiktatur.

Anhand von Zitaten aus einer Abhandlung mit dem Titel „Militärrecht und Präzedenzfälle“ behauptet das Handbuch, das Kriegsrecht stehe sogar über der Verfassung: „‘Im Kriegsfall kann das Militär’, wie ein Richter bemerkte, ‘das geltende Recht eines Staats durch das Kriegsrecht ersetzen. Die Rechtsprechung erfolgt dann nicht mehr durch zivile Gerichte, sondern durch Militärgerichte.‘ Da der Kongress oder der Präsident die zwei Verfassungsorgane seien, die den Krieg erklärten, könne das Kriegsrecht zeitweise sogar die Verfassung außer Kraft setzen“ (S. 10, Hervorhebung hinzugefügt).

Da die USA „im Krieg gegen den Terror“ die ganze Welt zum „Schlachtfeld“ erklärt haben, könnten sie mit dieser Interpretation des Kriegsrechts auch eine Militärdiktatur über den ganzen Erdball errichten.

Das neue Pentagon-„Kriegsrecht“ kann sich weder auf historische Präzedenzfälle noch auf das Völkerrecht berufen. Wenn im Handbuch vom „Kriegsrecht“ die Rede ist, ist das nur eine beschönigende Umschreibung für das „Recht“, das sich das Pentagon damit anmaßt.

Das mit juristischen Phrasen getarnte Pentagon-„Kriegsrecht“ will dem US-Militär die juristische Handhabe dafür verschaffen, alle demokratischen Rechte zu beseitigen und eine uneingeschränkte Militärdiktatur zu errichten. In dem Handbuch heißt es dazu: „Das Kriegsrecht diente bisher vor allem dazu, 'kurzzeitige Verbote' auszusprechen. Wenn es innerstaatliches Recht ersetzt, muss es aber auch die Möglichkeit bieten, Verbote aufzuheben und Regierungsgewalt auszuüben“ (S. 14).

Würde man bloß hier und da ein Wort verändern, dann könnten diese Thesen auch aus den Schriften des „Nazi-Kronjuristen“ Carl Schmitt (1888–1985) abgeschrieben sein. Nach Schmitts Thesen zum „Ausnahmezustand“ darf die Exekutive im Falle eines nationalen Notstands demokratische Regelungen außer Kraft setzen und Gesetze ignorieren. Dazu müssen die Gesetze noch nicht einmal aufgehoben, sie können auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden.

Die Nazis benutzten Schmitts Thesen zum „Ausnahmezustand“, um ihr „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ von 1933 zu rechtfertigen. Es wurde als „Ermächtigungsgesetz“ bekannt und legalisierte die Errichtung der Hitler-Diktatur.

Das Pentagon-Handbuch beruft sich auf Schmitts Thesen zum „Ausnahmezustand“, natürlich ohne sie zu benennen. Das Kriegsrecht wird als „Überrecht“ dargestellt, das über dem „allgemeinen Recht“ stehe (S. 9). Aus Effekthascherei wird noch ein lateinisches Zitat hinzugefügt: „Lex specialis derogat legi generali“ (Sonderrecht bricht allgemeines Recht).

So ist laut Pentagon das Kriegsrecht die Ausnahme zu dem „in Friedenszeiten geltenden allgemeinen Recht“. Das ist nichts anderes als die Rechtsauffassung der Nazis, und das Pentagon hat sie damit in sein Grundsatzpapier eingearbeitet.

Im Handbuch des Pentagons wird außerdem festgestellt: „Unter Umständen kollidiert scheinbar das Kriegsrecht [d. h. die Regeln des Pentagons] mit den Regelungen in Menschenrechtsverträgen. In Konfliktfällen gilt jedoch der Grundsatz, dass in bewaffneten Auseinandersetzungen das Kriegsrecht als Lex specialis andere Rechtsvorschriften – auch in Bezug auf den besonderen Schutz von Kriegsopfern – außer Kraft setzt“ (S. 9).

Mit anderen Worten, wann auch immer Maßnahmen des Pentagons im Widerspruch zu Menschenrechtsverträgen stehen, werden die Menschenrechtsverträge einfach ignoriert.

Im Handbuch steht auch: „Gestützt wird diese Rechtsauffassung durch die Tatsache, dass das Kriegsrecht auch im allgemeinen Völkerrecht, das in Friedenszeiten gilt, eine Sonderstellung einnimmt“ (S. 10). Das bedeutet, dass das riesige US-Militär-Establishment in Kriegszeiten eine „unabhängige“ Abteilung der US-Regierung ist, die nach ihren eigenen Regeln funktioniert und niemandem verantwortlich ist.

Trotz des Hinweises, dass nach der US-Verfassung eigentlich der Kongress und die Regierung über Krieg und Frieden und den Armeeeinsatz zu entscheiden haben, setzen die Verfasser des Pentagon-Handbuchs auch diese Festlegung der Väter der US-Verfassung außer Kraft. In der gegen die Herrschaft des britischen Monarchen gerichteten Unabhängigkeitserklärung heißt es nämlich, dass der König „die Verfügung über das Militär auf eine zivile Regierung übertragen muss“.

Sowohl Bush als auch Obama schmücken sich immer wieder gerne mit dem Titel „Oberbefehlshaber“. Der Terminus kommt in Artikel II der US-Verfassung vor, aber sie stellen seine Bedeutung auf den Kopf. Die amerikanischen Revolutionäre hatten den Präsidenten als Oberbefehlshaber der Marine und Armee bezeichnet, um damit die Unterordnung des Militärs unter die zivile Autorität deutlich zu machen. Sie wollten dem Militär mit dem Präsidenten an der Spitze keinesfalls eine höhere Autorität über den Staat und seine Bevölkerung verschaffen.

Die im Handbuch vertretene Auffassung, die Rechtsgrundsätze seien im Allgemeinen nur im Frieden anwendbar, hat besonders unheilvolle Auswirkungen.

Durch „Menschenrechtsverträge“ werden nach Meinung des Pentagons „die Beziehungen zwischen Personen und Staaten hauptsächlich in Friedenszeiten geregelt“ (S. 22). „In einem Krieg“, auch im „Krieg gegen den Terror“, der weltweit und zeitlich unbegrenzt geführt wird, hätten somit Menschenrechtsverträge keine Gültigkeit mehr.

Mit dieser Einschränkung kann sich das Pentagon nicht nur über Menschenrechtsverträge hinwegsetzen. Nach Meinung der Handbuch-Autoren gelten diese Einschränkungen auch für die „Bill of Rights“ und andere Bürgerrechts-Garantien, die nur in „Friedenszeiten“ gelten sollen. Nach dem Handbuch gehört auch die „Bill of Rights“ zu dem Recht, das für die gesamte Dauer des „Kriegs gegen den Terror“ ausgesetzt wird.

Aber warum sollten die Militärs es dabei belassen? Sind nicht auch die Wahlen durch Gesetze des „nur in Friedenszeiten gültigen Rechts“ geregelt? Wie steht es um andere bürgerliche Freiheiten? Was ist mit dem Recht auf Meinungsfreiheit oder dem Recht, politische Parteien zu gründen? Wie steht es um das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren? Was ist mit der Unantastbarkeit der Privatsphäre und dem Verbot „grausamer und ungewöhnlicher Bestrafung“? Wie ist es mit Gesetzen gegen rassistische Diskriminierung und dem Recht auf einen Mindestlohn?

Logisch zu Ende gedacht, ermächtigt das „Handbuch zum Kriegsrecht“ auch zur Errichtung einer Militärdiktatur, zur Aufhebung aller demokratischen Rechte und zur Inhaftierung jedes Andersdenkenden.

Sollte ein Leser diese Einschätzung für übertrieben halten, sei er daran erinnert, dass ein ehemaliger US-General kürzlich die Einrichtung militärischer Internierungslager für „illoyale“ und „radikalisierte“ US-Bürger gefordert hat. Der pensionierte General Wesley Clark, ein Mitglied der Demokratischen Partei, hat erklärt: „Wenn sich Leute radikalisieren und aus Überzeugung nicht mehr zu den USA halten, ist das ihr gutes Recht. Es ist aber auch das Recht und die Pflicht der US-Regierung, sie dann für die Dauer eines Konflikts von der US-Bevölkerung zu separieren.“ Er fügte noch hinzu: „Solche Bestrebungen gegen die USA müssen wir von Anfang an unterbinden.“

Kein Politiker oder Journalist hat Clarks beunruhigenden Vorschlägen widersprochen. Keiner der Kandidaten beider Parteien, die sich gegenwärtig um eine Präsidentschaftskandidatur bewerben, hat sich zu Clarks Worte geäußert, vermutlich, weil sie im Prinzip alle seiner Meinung sind. Clarks Vorschläge wirkten sich auch nicht nachteilig auf seine Beraterfirma aus. Das Handbuch des Pentagons macht deutlich, dass Clark nur einen Stein ins Wasser geworfen hat, um die Reaktion zu testen, indem er Pläne veröffentlichte, die auf den höchsten Ebenen des Staats ausführlich diskutiert, entwickelt und genehmigt wurden.

Als Antonin Scalia, ein Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, im letzten Jahr zur militärischen Internierung von US-Amerikanern japanischer Herkunft während des Zweiten Weltkriegs befragt wurde, antwortete er: „Sie irren sich, wenn Sie glauben, das könnte nicht mehr passieren.“ Seine Antwort war vom Geist des Pentagon-Handbuchs geprägt, und entsprechend fügte er hinzu: „In Kriegszeiten hat das Recht Pause.“

Das Handbuch verabreicht auch eine große Dosis der für die Obama-Regierung typische „einlullende“ Rhetorik. Erst wird in abstrakten Formulierungen die Einhaltung demokratischer Prinzipien und bestehender Rechte versichert, und dann wird diese Zusicherung mit den aus dem Kriegsrecht abgeleiteten Einschränkungen wieder zurückgenommen. Die Obama-Regierung hat diese Taktik schon wiederholt zur Rechtfertigung der NSA-Spionage und der Drohnen-Morde eingesetzt.

Im Handbuch wird erläutert: „Zivilisten dürfen nicht angegriffen werden, es sei denn, sie sind direkt an Kampfhandlungen beteiligt.“ Dann wird diese klare Aussage aber sofort wieder verwässert: „Zivilisten können bei Militäroperationen unbeabsichtigt getötet werden. Die Anzahl der getöteten Zivilisten darf jedoch in Bezug zum erwarteten Erfolg der Operation nicht unverhältnismäßig hoch sein. Vorsichtsmaßnahmen müssen getroffen werden, um die Gefahr, dass bei Militäreinsätzen auch Zivilisten zu Schaden kommen, zu verringern“ (S. 128).

Im Klartext heißt das: Auch Zivilisten, die nicht an Kampfhandlungen beteiligt sind, dürfen getötet werden, wenn der erhoffte „militärische Vorteil“ groß genug ist. Das macht die eingangs aufgestellte klare Aussage völlig wertlos. In der Praxis bedeutet es, dass Militärkommandeure weiterhin Massenmorde an Zivilisten anordnen und reine Wohngebiet zerstören dürfen, wenn sie das aus militärischen Gründen für notwendig halten.

Die Brutalität des imperialistischen Kriegs

Im Handbuch wird völlig emotionslos erwogen, wann Zivilisten getötet werden dürfen. Nach Ansicht des Pentagons sind auch Massaker an Zivilisten zulässig, wenn dadurch „operative Ziele“ erreicht werden können.

Die Autoren fordern keinesfalls, die Tötung von Zivilisten grundsätzlich zu vermeiden. Es wird nur empfohlen, „zumutbare Vorsichtsmaßnahmen“ zu treffen, damit die Anzahl der zivilen Opfer „nicht übermäßig hoch“ oder „unvernünftig“ werde. Als „zumutbar“ gelten „Vorsichtsmaßnahmen“ nur dann, wenn sie „praktikabel oder praktisch machbar sind, unter Berücksichtigung humanitärer und militärischer Überlegungen“ (S. 190).

In dem Handbuch steht dazu: „Wenn ein Kommandeur zum Beispiel erkennt, dass durch Vorsichtsmaßnahmen der Erfolg eines Militäreinsatzes gefährdet ist oder seine Soldaten selbst in Gefahr geraten, muss er keine Rücksicht auf Zivilisten nehmen“ (S. 191). Damit wird den Kommandeuren ein Blankoscheck für den Massenmord an Zivilisten ausgestellt, weil sie immer behaupten können, aus militärischer Notwendigkeit gehandelt zu haben. Selbst wenn sie die Bevölkerung einer feindlichen Stadt auslöschen würden, um „die Gefahr“ für die eigenen Soldaten zu verringern, wäre auch das nach dem Pentagon-Handbuch zulässig.

Mit den vagen Formulierungen des Handbuchs werden eindeutige Bestimmungen aus früheren Jahren zurückgenommen. 1987 hat ein Rechtsberater des US-Außenministeriums noch klargestellt: „Zivile Verluste sind nicht mit möglichen militärischen Erfolgen zu rechtfertigen. Wenn viele Zivilisten zu Schaden kämen, ist ein Angriff auch dann zu unterlassen, wenn dadurch ein wichtiges Ziel nicht erreicht werden kann.“ [1]

Das Pentagon-Handbuch schreibt auch die Doktrin der „menschlichen Schutzschilde“ fest. Zivile Opfer bei wahllosen Bombenangriffen tragen selbst die Schuld dafür: „Wenn der Feind Zivilisten absichtlich nicht aus Kampfgebieten entfernt, dann hat er es zu verantworten, wenn bei Angriffen auch Zivilisten getötet werden“ (S. 198).

Das ist aber nur der Versuch, „kollektive Strafaktionen“ unter einem anderen Namen zu rechtfertigen. Selbst wenn ein vom Pentagon identifiziertes „militärisches Ziel“ in einem dicht bevölkerten Gebiet liegt, darf das Militär mit den fadenscheinigen juristischen Begründungen im Handbuch die dort wohnenden Zivilisten mit Spreng- und Streubomben angreifen, weil sie angeblich als „menschliche Schutzschilde“ dienen. Kollektive Strafaktionen sind nach dem Völkerrecht aber Kriegsverbrechen, weil mit ihnen die Bevölkerung terrorisiert und so der Widerstand gebrochen werden soll.

Das Handbuch autorisiert ausdrücklich auch gezielte Tötungen (durch Drohnen oder Killerkommandos). Dazu heißt es: „Militäreinsätze können sich auch gegen einzeln ausgewählte feindliche Kämpfer richten, und die US-Streitkräfte haben solche Einzeloperationen auch schon häufig durchgeführt“ (S. 201).

Zur Begründung gezielter Tötungen zitiert das Handbuch aus einer Rede, die Obama am 2. Mai 2011 gehalten hat: „Heute haben die US-Streitkräfte auf meinen Befehl einen Angriff auf ein Anwesen in Abbottabad in Pakistan vorgenommen [in dem sich Osama bin Laden aufgehalten haben soll]. Die Operation wurde von einem kleinen Team von US-Marines mit außergewöhnlichem Mut und großem Geschick durchgeführt. Kein US-Amerikaner wurde dabei verletzt. Man versuchte auch, zivile Opfer zu vermeiden. Osama bin Laden wurde in einem Feuergefecht getötet; die Marines konnten nur noch seine Leiche bergen“ (S. 201).

Im Handbuch wird nicht erwähnt, dass der Journalist Seymour Hersh Obamas Angaben zu der Aktion als „Sack voller Lügen“ bezeichnet hat.

Zensur und der Angriff auf Journalisten als „nicht bevorrechtigte Kriegsteilnehmer“

Das Einzige, was die Aufmerksamkeit der Medien erregt hat, ist die Passage im Handbuch, nach der es erlaubt ist, Journalisten wie Spione zu behandeln. Dazu ist in dem Handbuch zu lesen: „Wenn ein Reporter über Militäroperationen berichtet und dazu Informationen sammelt, kann er auch als Spion betrachtet werden“ (S. 175).

Das Pentagon ermächtigt seine Streitkräfte, Journalisten „festzunehmen“ und „zu bestrafen“. Sie dürfen nicht mehr unangemeldet ihrer Arbeit nachgehen, sondern müssen sich vorher vom US-Militär die „Erlaubnis“ und einen „zusätzlichen Ausweis“ besorgen, um über Militäreinsätze berichten zu dürfen.

In dem Handbuch heißt es weiter: „Ein Journalist, der verdächtigt wird, ein Spion zu sein, kann einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen, festgenommen und bestraft werden. Um nicht mit Spionen verwechselt zu werden, sollten Journalisten offen auftreten und die Erlaubnis der zuständigen Militärbehörden einholen. Das Vorzeigen eines Dokuments, das sie als autorisierte Kriegskorrespondenten ausweist oder ihnen wenigstens die Anwesenheit gestattet, kann Journalisten helfen, nicht mit Spionen verwechselt zu werden“ (S. 175).

Außerdem ist dem Handbuch zu entnehmen, dass Journalisten der Militärzensur unterworfen werden können. Dazu heißt es: „Staatliche Behörden können die Berichte von Journalisten zensieren oder andere Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, damit der Feind keine sicherheitsrelevanten Information von ihnen erhält. Nach dem Kriegsrecht haben Journalisten keine Sonderrechte, die ihnen das Betreten des Territoriums fremder Staaten oder von Kampfgebieten ohne Erlaubnis des Staates erlauben, der dort eine Militäroperation durchführt“ (S. 175).

Solche Einschränkungen sind eigentlich nur in totalitären Polizeistaaten üblich. Diese Art von Recht würde z. B. auch die Errichtung von Internierungslagern und die Verhaftung von Journalisten ermöglichen, die zum Beispiel geheimes Material, wie das von Edward Snowden zur Verfügung gestellte, veröffentlichen. Das Handbuch enthält keine Bestimmung, die es dem Pentagon verbietet, wegen angeblicher Spionage zu Zielpersonen erklärte Journalisten auch mit Drohnen anzugreifen. (Würden bei diesem Angriff auch die Familie und Freunde des betreffenden Journalisten getötet, dann würde man sicher behaupten, daran sei der Angegriffene selbst schuld, weil er die mit ihm Getöteten als „menschliche Schutzschilde“ benutzt habe.)

Halten Sie all dies für übertrieben? In der neuen Frühling/Sommer-Ausgabe der wissenschaftlichen Zeitschrift National Security Law Journal erschien ein Artikel mit der Überschrift „Trahison des Professeurs: The Critical Law of Armed Conflict / Academy as an Islamist Fifth Column“ (Der Landesverrat der Professoren: Die besonderen Gesetze eines bewaffneten Konflikts / Akademiker als 5. Kolonne der Islamisten). In diesem Artikel behauptet der in West Point lehrende Rechtsprofessors William C. Bradford, Akademiker, die den „Krieg gegen den Terror“ kritisierten, würden „dem Feind helfen“ und sollten nach dem Kriegsrecht als „rechtlose Kombattanten“ behandelt werden.

Bradford, der an der renommierten US-Militärakademie Professor ist, vertritt allen Ernstes die Meinung, gewisse Professoren, die den Krieg gegen den Terror kritisierten, stünden „in Diensten der Islamisten, die planen, die westliche Zivilisation zu zerstören und Kalifate zu errichten“. Außerdem wirft Bradford diesen Professoren vor, „die Exekutive zu schwächen“, und bezeichnet sie als „weltfremde Pazifisten“ und „Kosmopoliten“.

Bradford empfiehlt, „illoyale“ Professoren zu entlassen und die anderen einen Treue-Eid schwören zu lassen. Außerdem schlägt er vor, Professoren wegen Landesverrats und wegen Unterstützung von Terroristen einzusperren und anzuklagen. Schließlich fordert er sogar, „illoyale“ Professoren und Universitäten, die sie beschäftigen, nach dem Kriegsrecht als „legitime Ziele“ für einen militärischen Angriff zu betrachten.

Bradford macht sich sogar für einen militärischen Staatsstreich stark („Welche Bedingungen sind notwendig, bevor das US-Militär berechtigt ist, Gewalt anzuwenden oder anzudrohen, um einen US-Präsidenten zu stürzen?“) und er befürwortet Völkermord („Totaler Krieg“ bis „der politische Wille der islamistischen Völker“ gebrochen ist oder bis „alle die den Islamismus unterstützen oder dulden, tot sind“). Diese Politik beinhaltet auch die gezielte Zerstörung der „Heiligen Stätten des Islam“.

Die Zeitschrift hat den Artikel wegen „eines ungeheuerlichen Verstoßes gegen die akademischen Sitten“ zurückgezogen, und Bradford gab am 30. August seine Professur in West Point auf. Sein Artikel verrät jedoch, wie das Pentagon mit Hilfe des neuen „Kriegsrechts“ seine Kritiker auszuschalten gedenkt. Mit seinen faschistischen Hetztiraden hat Bradford ja nur die Möglichkeiten ausgeschöpft, die das neue „Handbuch zum Kriegsrecht“ bietet.

Die Jagd auf Journalisten wie Glenn Greenwald (und seinen Partner David Miranda), auf Julian Assange und die Whistleblower Edward Snowden und Bradley (Chelsea) Manning hat bereits gezeigt, dass die amerikanische Regierung die Enthüllung von Behördenkriminalität als „Spionage“ und „Unterstützung des Feindes“ behandeln wird. Das Pentagon-Handbuch kodifiziert dieses Vorgehen und ermächtigt das Militär zu repressiven Maßnahmen gegen Journalisten.

Das Komitee zum Schutz von Journalisten (Committee to Protect Journalists – CPJ) hat am 31. Juli in einer Erklärung gegen das Handbuch protestiert und auf die steigende Anzahl von Journalisten hingewiesen, die in Ausübung ihres Berufs in bewaffneten Auseinandersetzungen getötet oder verletzt werden. In der CPJ-Erklärung heißt es: „Das Verteidigungsministerium der Obama-Regierung hat die Behinderung von Journalisten, die unter Bush mit Beginn des Kriegs gegen den Terror einsetzte, übernommen und jetzt sogar in Gesetzesform gebracht. Damit hat es dem US-Militär eine Weisung an die Hand gegeben, wie es Journalisten behandeln darf, die über militärische Konflikte berichten.“

Es ist bezeichnend, dass die Begriffe „Meinungsfreiheit“ und „Pressefreiheit“ in dem Pentagon-Handbuch überhaupt nicht vorkommen.

In dem Abschnitt über die Befugnisse des Pentagons bei der militärische Besetzung eines Landes wird festgelegt, dass „die Besatzer zu ihrer Sicherheit die Kontrolle über sämtliche Medien, also über Zeitungen, Radio und Fernsehen, über Unterhaltungsveranstaltungen in Kinos, Konzerthallen und Theatern und über die gesamte Kommunikation ausüben. Die Besatzer können zum Beispiel alle Veröffentlichungen und Zeitungen verbieten, die ihre Sicherheit gefährden könnten, oder Regeln für die Medien festlegen, um die öffentliche Ordnung wieder herzustellen und zu gewährleisten“ (S. 759–760).

In einer Fußnote wird vermerkt, dass „die Regelungen dieses Abschnitts nur im Kriegsfall greifen und nicht die im Ersten Zusatzartikel der US-Verfassung garantierten Grundrechte einschränken“. Bei Bedarf wird sich das Pentagon aber darauf berufen, dass der Erste Zusatzartikel nur in „Friedenszeiten“ gelte und für die Dauer des „Kriegs gegen den Terror“ durch die „Lex specialis“ ersetzt werde.

Wird fortgesetzt

Fußnoten:

[1] Siehe: „The Position of the United States on Current Law of War Agreements. Remarks of Judge Abraham D. Sofaer, Legal Adviser, United States Department of State, Jan. 22, 1987“, American University Journal of International Law and Policy (1987), S. 460, 468. Zitiert im „Law of War Manual“ (Handbuch für das Kriegsrecht) auf S. 247.

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