Nach den Massenenthauptungen in Saudi-Arabien:

Spannungen im Nahen Osten eskalieren

Die Massenhinrichtungen von 47 Gefangenen in Saudi-Arabien am 2. Januar haben die Spannungen im kriegsgeplagten Nahen Osten stark erhöht. Unter den Hingerichteten befand sich ein bekannter schiitischer Geistlicher, Scheich Nimr al-Nimr, der es gewagt hatte, die herrschende Monarchie und ihre Unterdrückung der schiitischen Minderheit zu kritisieren.

Saudi-Arabien nahm die wütenden Demonstrationen im Iran gegen die Enthauptung des Geistlichen als Vorwand, um alle diplomatischen Beziehungen mit dem Iran abzubrechen. Am Sonntag hatten Demonstranten die saudische Botschaft in Teheran gestürmt; in Maschhad wurde ein Konsulat mit Brandsätzen beworfen. Mindestens fünfzig Demonstranten wurden verhaftet, allerdings war kein einziger saudischer Funktionär verletzt worden.

Am Montag gab die saudische Monarchie bekannt, sie werde nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen auch alle Flüge in und aus dem Iran stoppen und die Handelsbeziehungen einstellen.

Nach Saudi-Arabien brachen am Montag auch Bahrain und der Sudan die diplomatischen Beziehungen zum Iran ab. Bahrain ist ein mehrheitlich schiitisches Land, das von einer diktatorischen sunnitischen Monarchie regiert wird. Außerdem ist dort die amerikanische 5. Flotte stationiert. Im Jahr 2011 spielten saudische Panzer und Soldaten die entscheidende Rolle bei der Unterdrückung von Massenprotesten in Bahrain.

Der Sudan war früher ein Verbündeter des Iran, hat jedoch letztes Jahr die Seiten gewechselt, nachdem Saudi-Arabien sich stark in der sudanesischen Wirtschaft engagierte. Unter anderem haben die Saudis und ihr Golf-Kooperationsrat bis zu vier Milliarden Dollar in die sudanesische Zentralbank investiert.

Die Vereinigten Arabische Emirate, ein weiteres sunnitisches Scheichtum, schränkte seine diplomatischen Beziehungen mit Teheran ein, verzichtete aber darauf, alle Beziehungen abzubrechen, da der Iran ein wichtiger Handelspartner ist.

Das iranische Außenministerium verurteilte die saudische Entscheidung, die Proteste als Vorwand zu nutzen, um die Beziehungen abzubrechen und die Spannungen zu verschärfen. „Saudi-Arabien sieht nicht nur seine Interessen, sondern auch seine Existenz darin, Krisen und Konfrontationen zu schüren und zu versuchen, seine internen Probleme nach außen zu exportieren“, erklärte Ministeriumssprecher Hossein Jaber Ansari am Montag.

Ansari betonte, der Iran sei weiterhin bereit, die Sicherheit der Diplomaten zu garantieren, und fügte hinzu: „Saudi-Arabien profitiert von Spannungen und hat diesen Vorfall ausgenutzt, um die Spannungen zu verschärfen.“

Am Montag tauchten Beweise auf, laut denen die Massenhinrichtungen und der Abbruch der Beziehungen tatsächlich Teil einer sorgfältig geplanten Provokation Saudi-Arabiens waren.

Die britische Tageszeitung The Independent druckte den Inhalt eines Memorandums der saudischen Regierung ab, das an die Öffentlichkeit geraten war. Offenbar wusste die amtierende Monarchie, „dass die Massenhinrichtung von 47 Menschen wütende Reaktionen nach sich ziehen würde, und ließ im Vorfeld die Sicherheitsbehörden in volle Alarmbereitschaft versetzen“, so die Zeitung.

Das Memorandum stammte vom Chef der Sicherheitsdienste des Wüstenkönigreiches und war an die Polizeibehörden des Landes gerichtet. Der riesige Unterdrückungsapparat des Regimes wurde daraufhin in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Die britische Menschenrechtsorganisation Reprieve, die das Memorandum als erste erhalten hatte, stufte es als Hinweis auf den „politisch motivierten“ Charakter der Massenenthauptungen ein.

Maya Foa, die Leiterin des Todesstrafen-Ressorts von Reprieve, erklärte: „Dieser Brief zeigt, in welchem Ausmaß die saudischen Behörden vor den Ereignissen am Samstag vorbereitet waren. Sie wussten, dass die politisch motivierte Hinrichtung von Oppositionellen für Empörung sorgen würde.“

Die Massenproteste gingen auch nach den staatlichen Morden weiter. In Teheran versammelten sich am Montag erneut mehrere tausend Menschen. Im Irak wurde die neu eröffnete saudische Botschaft in der Green Zone von Bagdad belagert, und auch in den überwiegend schiitischen Städten Basra, Karbala und Nadschaf kam es zu Demonstrationen.

Die Verschärfung der religiösen Spannungen durch das Vorgehen Saudi-Arabiens äußerte sich auf beunruhigende Weise in Form von Bombenanschlägen auf zwei sunnitische Moscheen im Raum Hilla, achtzig Kilometer von Bagdad entfernt. In einer der beiden Moscheen starb ein Muezzin. Bei einem weiteren Anschlag wurde der sunnitische Imam einer Moschee in Alexandria im Irak erschossen.

Das saudische Regime meldete derweil eine tödliche Schießerei in der Heimatstadt von Scheich Nimr, Awamiya in der überwiegend schiitischen Ostprovinz, am Sonntagabend. Das Regime behauptete, seine Sicherheitskräfte seien beschossen wurden; allerdings waren die einzigen offiziellen Opfer ein toter Zivilist und ein verwundetes Kind.

Die saudische Monarchie ist die wichtigste Stütze für Unterdrückung und Reaktion in der arabischen Welt. Sie ist die treibende Kraft hinter den religiösen Konflikten und dem fundamentalistischen Sektierertum. Systematisch verschärft sie die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten und nutzt sie, um den Widerstand der Bevölkerung zu spalten und den Iran, ihren Erzrivalen in der Region, zu isolieren.

Führende Persönlichkeiten der schiitischen Gemeinde hatte die herrschende Monarchie bisher allerdings noch nicht umgebracht. Sie wurden zwar verhaftet und schikaniert, ihre Demonstrationen unterdrückt, letzten Endes wurden sie jedoch wieder freigelassen, um den Widerstand gegen das Regime zu beschwichtigen.

So war die Enthauptung von Nimr und den 46 anderen Opfern eindeutig politisch motiviert. Er selbst befand sich seit 2012 im Gefängnis. Der Großteil der Hingerichteten waren Sunniten, denen man die Teilnahme an Al Qaida-Anschlägen innerhalb des Königreichs vorwarf. Zum Teil saßen sie schon seit zehn Jahren im Gefängnis. Die Tatsache, dass Nimr zusammen mit ihnen hingerichtet wurde, sollte signalisieren, dass der Widerstand der Schiiten gegen die absolute Monarchie gleichbedeutend mit Terrorismus sei.

Diese blutige Provokation dient sowohl außen- als auch innenpolitischen Zielen. Sie wurde kaum drei Wochen vor dem geplanten Beginn der syrischen Friedensverhandlungen in Genf inszeniert. Außerdem sollen in weniger als zwei Wochen unter Aufsicht der UN die Gespräche über eine Beendigung des saudischen Kriegs im Jemen weitergehen, eines Kriegs, den Saudi-Arabien schon seit neun Monaten führt.

Die saudische Monarchie war ein wichtiger Geldgeber und Sponsor der Al Qaida-nahen sunnitischen Milizen, die in dem Krieg zum Regimewechsel in Syrien kämpfen. Sie will den Syrien-Krieg, der seit fast fünf Jahren tobt, erst beenden, wenn die Regierung von Baschar al-Assad, des wichtigsten Verbündeten des Iran, gestürzt ist.

Auch den Krieg im Jemen will sie so lange weiter führen, bis die schiitische Aufstandsbewegung der Huthi besiegt ist. Die Massenenthauptungen waren zeitlich direkt auf die Ankündigung der saudischen Regierung abgestimmt, dass der angebliche Waffenstillstand vom 15. Dezember offiziell beendet sei.

Seit das saudische Militär im letzten März wahllos Luftangriffe gegen den Jemen fliegt, hat der Krieg fast 6000 Menschenleben gefordert. Die USA haben die Intervention durch Waffen und Geheimdienstinformationen unterstützt. Die saudischen Flugzeuge werden zudem von amerikanischen Tankflugzeugen betankt und werfen Streubomben aus amerikanischer Produktion auf zivile Ziele ab. Bisher wurden mindestens hundert Krankenhäuser zerstört. Obwohl sich der Krieg zu einem immer kostspieligeren Debakel für die saudische Monarchie entwickelt, wäre ein Ende ohne ein Sieg über die Huthi eine demütigende Niederlage.

Letzten Endes ist es das Ziel des saudischen Regimes, jede Annäherung zwischen Washington und dem Iran nach dem jüngsten Atomabkommen zu verhindern und, wenn möglich, den US-Imperialismus in einen Krieg gegen den Iran zu ziehen.

Innenpolitisch dient das Schüren von religiösen Konflikten und Zusammenstößen mit dem Iran als Mittel, um die explosiven sozialen Spannungen von der Monarchie abzulenken. Das Königreich ist mit einer unlösbaren Wirtschaftskrise konfrontiert. Die Ölpreise sinken ständig, wofür wiederum die saudische Regierung selbst hauptsächlich verantwortlich ist. Um die Haushaltskrise in den Griff zu bekommen, hat sie bereits die Subventionen für Benzin gekürzt und die Gebühren für Wasser und Strom erhöht. Allerdings wird mit weiteren drastischen Kürzungen bei der Sozialhilfe gerechnet, die bisher die Unruhe der Bevölkerung eindämmen konnte.

Politiker in Washington äußern sich bisher nur verhalten zu den Massenenthauptungen und dem Justizmord an Scheich Nimr. Niemand äußert offene Kritik an dem grauenhaften Massenmord, und kein einziger hoher Amtsträger hat auch nur eine Stellungnahme dazu abgegeben.

Unter den herrschenden politischen Kreisen ist die Frage der Haltung zur saudischen Monarchie – wie die meisten außenpolitischen Grundsatzfragen - ein Quell für Konflikte und Auseinandersetzungen. Saudi-Arabien ist der wichtigste Waffenkäufer der USA und ihr engster Verbündeter in der arabischen Welt.

Die Spannungen zeigten sich am Montag in den Leitartikeln des Wall Street Journal und der Washington Post.

Das Journal ist ein Sprachrohr besonders rechter herrschender Kreise; es formuliert die Interessen des militärisch-industriellen Komplexes und des Finanzkapitals, die beide mit der saudischen Monarchie hohe Profite machen. Für die Zeitung geht es nicht um saudische Verbrechen oder eine Krise, sondern um die angebliche Gefahr, dass der Iran und Russland „das Haus Saud stürzen“ könnten, und um die Frage, ob die Obama-Regierung „etwas gegen sie unternehmen“ werde.

Der Leitartikel des Journal kritisierte die Obama-Regierung für ihr „Abrücken“ von Sanktionen gegen den Iran wegen der jüngsten Raketentests. Es räumte zwar ein, dass die Unterstützung Saudi-Arabiens für des Export des Wahabismus, der ideologischen Grundlage von Al Qaida, des IS und ähnlicher Organisationen, problematisch sei, kam aber zu dem Schluss: „Da der Nahe Osten von Bürgerkriegen, politischen Umwälzungen und iranischem Imperialismus erschüttert wird, sind die Saudis unsere besten Freunde auf der Arabischen Halbinsel. Die USA sollten dem Iran und Russland klarmachen, dass sie das Königreich gegen die Destabilisierungs- und Invasionsversuche des Iran verteidigen werden.“

Die Washington Post gab sich dagegen besorgter. Sie räumte ein, dass Nimrs Hinrichtung ein Akt sei, der „zwangsläufig den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten im ganzen Nahen Osten noch weiter anheizen wird, und vermutlich war es auch so beabsichtigt“. Sie warnte, das saudische Königshaus „säht Chaos in einer ohnehin schon chaotischen Region und schwächt sich dabei selbst“.

Allerdings nennt sie als Grund für Riads „leichtsinniges Vorgehen“ die „Ansicht der Saudis, die USA seien nicht mehr willens oder in der Lage, das Streben des Iran nach Hegemonie im Nahen Osten aufzuhalten. Dadurch sind die sunnitischen Regimes gezwungen, sich selbst zu verteidigen.“

Letzten Endes laufen beide Leitartikel auf das gleiche angebliche Heilmittel gegen die Zerstörung und das Blutvergießen hinaus, das der US-Imperialismus und sein saudisches Klientel-Regime im Nahen Osten angerichtet haben: die weitere Eskalation von Militarismus und die Vorbereitung auf neue und noch größere Kriege gegen den Iran und Russland.

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