Massenlager für Flüchtlinge mitten in Berlin

Im stillgelegten Flughafen Berlin-Tempelhof wird zurzeit ein Massenlager für Flüchtlinge errichtet. In Flugzeuggaragen stehen dicht an dicht Zelte und Wohncontainer. Seit Ende Oktober sind bereits rund 2200 Flüchtlinge in drei der insgesamt sieben Hangars eingezogen. Weitere Hangars sollen laut neuester Erklärungen des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) für die Unterbringung vorbereitet werden und bis zu 6000 Flüchtlingen Platz bieten.

Es ist ein düsterer Ort, kalt und ungemütlich. Die Eingänge zu den Hangars liegen halb unterirdisch, von der Straße nicht einsehbar. Man findet sie auf dem Weg durch eine kleine Unterführung. Dahinter überfällt den Besucher ein bedrückendes Gefühl, als ob man eine andere, vergangene Welt betritt. Links und rechts alte, gelbgraue Gemäuer, vergitterte und blinde Fabrikfenster, Aufgänge zu Fluggaragen, an denen einst Rüstungsgüter angeliefert wurden. Heute sind es Menschen, Betten, Wassercontainer.

Das Gelände ist abgeschirmt von den Wohnblocks der Bevölkerung und vom beliebten Erholungsgebiet Tempelhofer Feld. Auf der westlichen Seite liegt das Polizeipräsidium, auf der nördlichen Seite die ehemalige Kaserne des preußischen Garde-Kürassier-Regiments, die heute von verschiedenen Polizeidienststellen genutzt wird.

Hier erinnert auch ein Denkmal an das Columbia-Haus, das bis 1938 auf dem Flughafengelände stand: ein berüchtigtes Gestapo-Gefängnis ab 1933 und SS-Konzentrationslager ab 1934, in dem Tausende Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und linke Intellektuelle terrorisiert und zu Tode gequält wurden. KZ-Schergen wie Karl Otto Koch, der spätere Kommandant der Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald und Lublin-Majdanek, erhielten hier ihre „Ausbildung“.

1936 begann der Bau des Flughafens, den das NS-Regime jedoch nicht mehr für den Flugbetrieb fertigstellte, sondern für die Rüstungsproduktion nutzte. Neben den Hangars entstanden Barackenlager für Tausende Zwangsarbeiter aus dem besetzten Europa. Nach dem Krieg erlangte der Flughafen Berühmtheit durch die Luftbrücke der Alliierten und diente noch bis 2008 als Hauptstadtflugplatz für kleinere Maschinen.

Polizisten als „Flüchtlingsmanager“

Im September beschloss der Senat die Nutzung des Flughafens als Flüchtlingsunterkunft. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) und der Geschäftsführer der Tempelhof Projekt GmbH Holger Lippmann (CDU) verteidigten die Unterbringung in den unwohnlichen Hangars mit dem Argument, es gehe um „Menschlichkeit“ und „Solidarität“, die Flüchtlinge bräuchten vor allem ein Dach über dem Kopf, und im Flughafen sei es besser als unter freiem Himmel.

Der Flüchtlingsbeauftragte der Berliner Piraten, Fabio Reinhardt, sagte der WSWS dazu, seit geraumer Zeit habe seine Fraktion auf leerstehende öffentliche Gebäude verwiesen, die wesentlich humanere Bedingungen für Flüchtlinge bieten und später auch andere öffentliche Nutzungen ermöglichen würden. Reinhardt nannte das Jugendgästehaus der Berliner Schreberjugend in der Nähe des Jüdischen Museums in Friedrichshain-Kreuzberg, eine alte Polizeiwache im selben Bezirk sowie ein leeres Bürodienstgebäude in Spandau. Der Senat habe deren Renovierung und Bereitstellung jedoch verweigert.

Für die Errichtung der Unterkünfte in den Hangars beauftragte der Senat die Tamaja Soziale Dienstleistungen GmbH, vormals SoWo GmbH, eine private Gesellschaft, die zwei weitere Flüchtlingsunterkünfte in Berlin betreibt. Die SoWo war Ende letzten Jahres in die Schlagzeilen geraten, weil einer ihrer Teilhaber der ehemalige Sozialstaatssekretär und CDU-Kreischef von Neukölln Michael Büge war, dessen Mitgliedschaft in der rechtsextremen Burschenschaft Gothia zum Rücktritt von seinem Senatsposten geführt hatte.

Die Projektleitung am Tempelhofer Flughafen behält allerdings der Senat selbst in seiner Hand. Der im August gegründete „Koordinierungsstab Flüchtlingsmanagement“ setzte als Projektleiter Klaus Keese (CDU) ein, der ehemalige Polizeidirektor des Abschnitts I und Mitbewerber für den Posten des Polizeipräsidenten. Er wurde dafür aus dem Ruhestand zurückgeholt, ebenso wie der einstige Polizeipräsident Dieter Glietsch (SPD), der nun als Staatssekretär für Flüchtlingsfragen auftritt.

Auch weitere Polizeibeamte sind im „Koordinierungsstab“ tätig, was die Haltung des Senats in der Flüchtlingsfrage unterstreicht: Nicht humane Lebensbedingungen, sondern eine möglichst zentralisierte, bürokratische und polizeiliche Kontrolle der wachsenden Zahl von Asylsuchenden ist das Ziel.

Die Senatsbeauftragten arbeiten außerdem mit dem Leiter der Tempelhof Projekt GmbH Holger Lippmann zusammen, ebenfalls ein ehemaliger Spitzenbeamter des Senats und bekannt als „Moneymaker“ Berlins. Er sorgte in seiner langjährigen Funktion als Chef des Liegenschaftsfonds dafür, dass öffentliche Grundstücke und Gebäude privatisiert wurden und war damit maßgeblich am angeblichen Mangel öffentlicher Unterbringungsmöglichkeiten beteiligt.

Wohnen im Hangar

Die Pressestelle von Tamaja GmbH ermöglichte der WSWS-Autorin einen Besichtigungstermin der Hangars am 12. November zusammen mit weiteren Journalisten, nachdem dies die Pressestelle der Senatssozialverwaltung zuvor verweigert hatte. Sie verwies auf vergangene Pressebesichtigungen – zu einem Zeitpunkt, als die Hangars noch weitgehend unbewohnt waren. In den Medienberichten danach konnte man die fein säuberlich aufgebauten Zelte und auch die Bundeswehrsoldaten beim Aufbau der Betten bewundern.

Noch am 11. November beantwortete die Senatspressestelle eine entsprechende Anfrage der WSWS lapidar, es gebe „keine Planungen für einen neuerlichen Pressetermin in Tempelhof“. Am selben Tag wiesen Mitarbeiter der Security-Firma SGB vor Ort ebenso wie Tamaja-Beschäftigte WSWS-Reporter mit der Begründung ab, man wolle die „Privatsphäre“ der Flüchtlinge schützen, eine Behauptung, die der bisherigen Praxis der Berliner Behörden bei der Unterbringung von Flüchtlingen Hohn spricht.

Seit Monaten hat das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) die „Privatsphäre“ und Menschenwürde der Flüchtlinge mit Füßen getreten. Sie mussten und müssen immer noch unter unerträglichen Bedingungen tagelang für Wartemarken anstehen, in unbeheizten Zelten übernachten oder in völlig überfüllten Hostel-Zimmern hausen. Während die Solidarität in der Bevölkerung überwältigend ist, erleben die Schutz suchenden Menschen aus Kriegsbieten von Seiten der Senatsbehörden nichts als bürokratische Schikanen.

In den riesigen Garagen am stillgelegten Flughafen Berlin-Tempelhof hallt es. Wenn nicht gerade Sonne vom Tempelhofer Feld durch die hohen Fenstergitter dringt, verbreiten große Lampen an der Stahl-Deckenkonstruktion diffuses, kaltes Licht.

Im Hangar 1 stehen dicht an dicht Zelte. Es ist der erste Hangar, der als Notunterkunft für Flüchtlinge eingerichtet wurde. Inzwischen leben hier rund 650 Menschen. Pro Zelt gibt es Doppelstockbetten für zwölf Personen, die Bundeswehrsoldaten am 24. Oktober aufgestellt haben.

Inzwischen sind auch die Hangars 3 und 4 mit 700 bzw. 800 Flüchtlingen voll belegt, allerdings nicht in Zelten, sondern in nach oben offenen Wohneinheiten, die vom Messebau geliefert wurden. Pro Wohnkabine sind hier zehn Personen untergebracht. Im ersten Moment sieht es in Hangar 4 ganz ansprechend, hell und sauber aus, fast wie eine Ansammlung von Mobilheimen. Von oben allerdings mutet die Unterkunft wie aufgereihte Schachteln an, in denen Menschen aufbewahrt werden.

Zwischen den Zelten und Wohnkabinen sitzen etwas verloren Alte und Frauen mit kleinen Kindern, denen die Kriegs- und Fluchterfahrung ins Gesicht geschrieben ist. Hunderte Asylsuchende sind zur Mittagszeit offensichtlich unterwegs an den Registrierungsstellen im Lageso oder an der Bundesallee. Einige Jugendliche sitzen im Kreis auf dem Boden an einem Stromanschluss, an dem sie auch ins Internet kommen, und versuchen, über ihre Handys Kontakt zur Außenwelt herzustellen.

An der Seite zum abgezäunten Vorplatz in Richtung Tempelhofer Feld hat sich gerade eine Schlange mit Frauen und Kindern gebildet. Am Eingang haben Helfer der Organisation „Save the Children“ einen Tisch mit gespendeter Kinderkleidung aufgebaut. Als die Reporterin der WSWS eine Viertelstunde später vorbeikommt, ist der Tisch fast leer. Die Flüchtlinge sind oft nur mit einer Plastiktüte in Deutschland angekommen. Ihre Habseligkeiten haben sie bei ihrer gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer über Bord geworfen, damit das Boot nicht sinkt.

„Wir haben sehr viele freiwillige Helfer“, sagt Gisan Eza, die im Auftrag von Tamaja GmbH die Reporter herumführt. In Wahrheit könnten die privaten Betreiberfirmen von Unterkünften in Berlin ohne freiwillige Helfer kaum die Versorgung der Flüchtlinge und grundlegende Hilfsangebote wie Kinderbetreuung, Deutschstunden, Hilfe bei Krankenhaus- und Arztbesuchen gewährleisten. Berliner Hilfsorganisationen sprechen von inzwischen 22.000 freiwilligen Helfern in den verschiedenen Unterkünften.

Der Senat bezahlt die Privatfirmen lediglich für Unterbringung, sanitäre Einrichtungen und Versorgung mit Essen. Kein Wunder, dass manche Privatfirmen die Flüchtlingspauschalen des Senats ausnutzen, um mit möglichst wenig Leistung große Gewinne einzufahren. Es herrsche derzeit eine „Goldgräberstimmung“ unter Herstellern von Containern und privaten Betreibern von Unterkünften, bemerkte eine Zeitung kürzlich.

Die Tamaja-Mitarbeiterin Gisan Eza betont allerdings, dass sich ihr Arbeitgeber sehr um die Flüchtlinge bemüht. Die Gesellschaft arbeite gut mit den freiwilligen Helfern zusammen, sie versuche, ein Kinderzimmer zu ermöglichen, habe bereits mit Deutschstunden begonnen und bemühe sich auch um die Lieferung von Duschcontainern und Waschmaschinen. Im Moment werden die Flüchtlinge per Bus zu umliegenden Schwimmbädern und Sporthallen gefahren, um duschen zu können.

„Wir sind wegen der Kinder geflohen, aber hier geht es uns auch nicht gut“

Vor den Hangars sprechen WSWS-Reporter mit einigen Flüchtlingen über ihre Erfahrungen.

Der 30-jährige Ahmar ist mit seiner jungen Frau und zwei kleinen Kindern aus Syrien geflohen, nachdem ihr Haus zerbombt wurde. In Damaskus war er als Arabischlehrer für die UN tätig. „Wegen der Kinder sind wir geflohen“, sagt Ahmar. „Doch hier geht es uns auch nicht gut.“

Seine Familie lebt jetzt seit zwei Wochen in einem Zelt in Hangar 1. „Zusammen mit drei weiteren Familien! Wir sind zwölf Personen in einem Zelt, darunter vier Kinder. Es ist kalt, wir können uns kaum waschen, das Essen vertragen wir nicht.“

Ahmar beklagt vor allem die sanitäre Situation. Die Toilettencontainer befinden sich außerhalb des Gebäudes. Der junge Vater weist auf seinen zweijährigen Sohn. „Er ist krank, ich muss mit ihm nachts oft raus und in der Kälte zum Toilettencontainer gehen.“ Oft stehe auch nur eine Waschanlage zur Verfügung, weil die anderen defekt und geschlossen seien.

„In Syrien werden immer mehr Schulen geschlossen“

Walaa aus Syrien, die sehr gut Englisch spricht, ist erst 25 Jahre alt. Sie flüchtete mit ihrem eineinhalb-jährigen Sohn Siraj in einem kleinen Boot über das Mittelmeer. Ihre Schwester bezahlte über tausend Euro für die Überfahrt.

„In unserem achteinhalb Meter langen Boot waren 47 Erwachsene und 12 Kinder. Wir hatten große Angst, es kam schon Wasser ins Boot. Die Männer mussten es ständig vom Boden schaufeln, und wir haben alles, was wir hatten, über Bord geworfen. Ich habe nur einen kleinen Rucksack für mein Kind behalten“, berichtet sie.

Das Boot schaffte es bis Griechenland, „wo uns die Menschen sehr freundlich empfangen haben“. Von dort ging es über die Balkanroute nach Slowenien und schließlich nach Deutschland. „Mir wurde gesagt, Deutschland ist der beste Ort. Hier bekommst du medizinische Behandlung für dein Kind. Siraj war auf der Flucht immer krank.“

Walaa hofft auch auf rechtliche Hilfe in Deutschland, um sich von ihrem britischen Ehemann scheiden zu lassen. Bitter erzählt sie ihre Geschichte. „Ich wollte Englisch studieren. Durch den Krieg wurden in Syrien immer mehr Schulen geschlossen“, sagt sie. Sie heiratete einen Briten, der sich als brutal herausstellte, sie schlug und letztlich verließ, als sie gerade ihre kranke Mutter in Jordanien besuchte und schon hochschwanger war.

Für London, wo ihr Mann lebt, hatte sie nur ein sechsmonatiges Touristenvisum erhalten. Nach Syrien konnte Walaa nicht zurück. Das Haus der Familie in Damaskus war zerstört, ihr jüngerer Bruder floh vor der Wehrpflicht der syrischen Armee, und nur ihr älterer Bruder lebt noch in Syrien, mit sechs Kindern, in bitterer Armut und in ständiger Kriegsangst.

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