In der vergangenen Woche drohten sich Indien und Pakistan gegenseitig Krieg an. Damit eskalierten die Spannungen zwischen den südasiatischen Atommächten auf gefährliche Art und Weise.
In seiner Ansprache bei einem Symposium anlässlich des fünfzigsten Jahrestages des indisch-pakistanischen Krieges von 1965 beschuldigte der indische Armeechef, General Dalbir Singh, Pakistan „häufiger Waffenstillstandsverletzungen und Unterwanderungsversuche“ sowie der Anwendung „neuer Methoden“, um in den von Indien kontrollierten Gebieten Jammu und Kaschmir „Unruhe zu stiften“. Sodann brüstete sich General Singh mit der Fähigkeit der indischen Armee zu „schneller und kurzer“ Kriegsführung mit nur kurzer Vorwarnzeit. „Dies“, setzte er hinzu, „erfordert die Aufrechterhaltung sehr hoher Standards ständiger Operationsbereitschaft.“
Am 6. September, dem pakistanischen Tag der Landesverteidigung, gab der pakistanische General Raheel Sharif seine Antwort. Er versprach „dem Feind unerträgliche Kosten“, falls dieser „sich auf irgendein Abenteuer einlässt, unabhängig von Größe und Ausmaß.“
„Frieden in der Region“, behauptete Sharif, „ist unmöglich“ ohne eine Lösung des Kaschmir-Konflikts. Indien und Pakistan streiten um die Territorien, in denen früher der Fürstenstaat Jammu und Kaschmir existierte.
Seit Monaten geben indische und pakistanische Einheiten entlang der Demarkationslinie, die das von Indien und Pakistan beanspruchte Kaschmirgebiet trennt, praktisch täglich Artilleriefeuer und Schüsse aufeinander ab. Im August forderte eine Schießerei an der Grenze das Leben von mindestens zwanzig indischen und pakistanischen Zivilisten. Etliche weitere erlitten Verletzungen.
Als ein für den 23.-24. August angesetztes Treffen zwischen nationalen Sicherheitsberatern der beiden Länder in letzter Minute abgesagt wurde, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan noch weiter. Das Meeting sollte die Grundlage für die Wiederaufnahme des seit langem festgefahrenen indisch-pakistanischen Friedensprozesses legen. Doch Islamabad sagte ab, nachdem Neu-Delhi darauf bestanden hatte, dass das Thema Kaschmir nicht auf der Tagesordnung des Treffens stehen dürfe.
Am Donnerstag begannen in Neu-Dehli dreitägige Gespräche zwischen D.K. Pathak, dem Obersten General der indischen Grenzsicherungskräfte, und Generalmajor Umar Farooq Burki, dem Obersten General der paramilitärischen Pakistan Rangers. Laut einer Presseerklärung verliefen die Gespräche freundlich. Es wurde eine Vereinbarung erzielt, gemäß derer bei künftigem grenzüberschreitendem Feuer die angegriffene Partei ihre Erwiderung um eine Stunde zurückstellt, um Kontakt mit dem Obersten General der gegenüberliegenden Grenzeinheiten zu ermöglichen.
Es ist höchst unwahrscheinlich, dass diese Vereinbarung von längerer Dauer, geschweige denn von dauerhaftem Einfluss auf die indisch-pakistanischen Beziehungen sein könnte.
Selbst während die Gespräche in Neu-Dehli stattfanden, beschuldigte Pakistan Indien neuer unprovozierter Schusswechsel.
Der reaktionäre geopolitische Konflikt zwischen Indien und Pakistan, der seinen Ursprung in der kommunalistischen Aufteilung des Subkontinents im Jahr 1947 hat, ist für die Interessen, die Ideologie und die Bestrebungen der herrschenden bürgerlichen Eliten beider Länder von zentraler Bedeutung.
Darüber hinaus hat sich das Kräftegleichgewicht in Südasien verschoben, seit Washington im vergangenen Jahrzehnt äußerste Anstrengungen unternahm, Indien in einen Frontstaat gegen China zu verwandeln, das strategisch isoliert, umzingelt und falls nötig, mit Krieg überzogen werden soll.
Die Vereinigten Staaten, die Neu-Delhi in ihre räuberische strategische Agenda einspannen wollen, erklärten Indien zu „einem globalen strategischen Partner“, unterstützten seinen Ehrgeiz, zu einer Macht im Indischen Ozean und in Südostasien aufzusteigen, und offerierten eine Menge Deals, um fortgeschrittene Waffensysteme zu kaufen oder deren Produktion zu unterstützen. Außerdem erwirkte Washington für Indien einen besonderen Status innerhalb der weltweiten Atomaufsichtsbehörde, der Neu-Delhi Zugang zu fortgeschrittener ziviler Atomtechnologie und Kernbrennstoff verschafft, sodass es die Ressourcen seines inländischen Atomprogramms auf die Waffenentwicklung konzentrieren kann.
Islamabad reagierte auf die wachsende strategische Lücke, die sich zu Indien auftut, indem es sein strategisches Bündnis mit China stärkte und sein atomares Waffenprogramm ausweitete, zu dem die Entwicklung taktischer, atomarer Gefechtswaffen gehört.
Unter Narendra Modi, dem Führer der hindu-rassistischen Bharatiya Janata Party (BJP), bewegte sich Indien noch enger an Washington heran und ging militärisch-strategische Bündnisse mit den engsten US-Verbündeten im asiatisch-pazifischen Raum ein, z.B. mit Japan und Australien. Gleichzeitig und offenkundig mit der Erwartung, dass Indien Washingtons strategische Umarmung ausnutzen könnte, nahm Modi eine aggressive Haltung gegenüber Pakistan ein. Praktisch heißt das, dass er im Spiel mit Islamabad „die Regeln ändern“ will und Indien als regionale Führungsmacht in Südasien etablieren will. Gemäß indischen Zeitungsberichten wurden indische Grenzeinheiten angewiesen, viel aggressiver auf grenzüberschreitenden Beschuss oder eindringende antiindische Rebellen aus Pakistan zu reagieren. Indische Regierungsvertreter, darunter Verteidigungsminister Monohar Parrikar, haben außerdem öffentlich vorgeschlagen, dass Indien regierungsfeindliche Kräfte in Pakistan unterstützen soll. Unter anderem separatistische Aufständische in Balutschistan.
In den vergangenen Jahren beschuldigte Islamabad wiederholt den indischen Geheimdienst RAW in Pakistan „Terroristen zu sponsern.“ Es hatte angekündigt, dass sein nationaler Verteidigungsberater zu dem im vergangenen Monat abgesagten Meeting ein Dossier mitbringen werde, das diese Anschuldigungen bekräftigen sollte.
Seit geraumer Zeit versucht China, Schritte zu vermeiden, die Indien weiter in die strategische Vereinnahmung durch die Vereinigten Staaten treiben. Dieser Ausrichtung gemäß begrüßte Peking Modis Wahl, unterbreitete Neu-Dehli öffentlich Vorschläge zu engeren Bindungen und forderte Islamabad auf, eine Annäherung mit Indien zu suchen.
Nichtsdestoweniger äußerte Indiens Elite große Vorbehalte gegen Chinas Ankündigung, 46 Milliarden Dollar in Pakistan zu investieren, um einen Wirtschaftskorridor einzurichten, der Gwadar, den neugebauten pakistanischen Hafen am Arabischen Meer, mit Westchina verbinden soll. Dieser Korridor würde China eine Landroute mit Zugang zu Öl und anderen Ressourcen des Nahen Ostens und Afrikas verschaffen, wobei es gleichzeitig sowohl den Indischen Ozean als auch das Südchinesische Meer, die beide von den USA beherrscht werden, umginge und die Pentagon-Pläne unterliefe, die eine Blockade Chinas mittels maritimer Meerengen vorsehen.
Während Indien seine Opposition gegen das Korridorprojekt damit begründet, dass es Territorium in Pakistan durchquert würde, das Indien für sich beansprucht, besteht der eigentliche Grund darin, dass der Korridor dem Erzrivalen zu gewaltigem wirtschaftlichen Auftrieb verhelfen würde.
So wird der indisch-pakistanische Konflikt zunehmend mit demjenigen zwischen dem US-Imperialismus und China verwoben, wobei beiden ein neues und hochexplosives Moment zukommt.
Ein Bericht der Times of India vom 5. September zitierte einen ungenannten indischen „Spitzen“-Beamten, der sagte, Neu-Dehli habe keine Eile, die Gespräche mit Islamabad wieder aufzunehmen. Obwohl der Artikel es nicht explizit ausspricht, deutete er vielsagend an, dass Modi nicht die Absicht habe, seinen pakistanischen Amtskollegen Nawaz Sharif auf der für Ende diesen Monats geplanten UNO-Generalversammlung zu treffen.
Der Times-Artikel liefert einen Hinweis darauf, in welchem Maße die Modi-Regierung bestrebt ist, Indiens Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zur Einschüchterung Pakistans auszunutzen. Der Artikel bemerkt, dass Washington drohe, Unterstützungszahlungen für das pakistanische Militär zurückzuhalten, die diesem aus der Afghanistan-Koalition zufließen. Damit soll Druck auf Islamabad ausgeübt werden, sich stärker für die Zerschlagung des mit den Taliban verbündeten Haqqani-Netzwerks einzusetzen. „Die Erkenntnis, dass Pakistan sich in einer unbequemen Position befindet“, paraphrasiert die Times ihre Regierungsquelle, „ist lediglich einer der Gründe, warum Indien nicht auf neue Gespräche drängt.“
Ein anderer Grund ist, dass die Spannungen mit Pakistan als Mittel dienen können, den wachsenden Zorn der Bevölkerung über die investorenfreundlichen Reformen der BJP-Regierung und ihr gebrochenes Wahlversprechen abzulenken, Millionen neue Jobs zu schaffen. Vergangene Woche trafen sich Modi und sein Kabinett zu dreitägigen Beratungen mit den Führern der RSS, um die Regierungsarbeit zu bewerten und das Regierungsprogramm zu diskutieren. Die RSS ist eine im Hintergrund tätige hindu-rassistische Organisation, welche die BJP mit zahlreichen Kadern versorgt.