Die autonome Szene in Hamburg ist von 2009 bis 2012 Opfer eines Polizeispitzels geworden. Dies geht aus einem 20-seitigen Dossier hervor, das anonyme Aktivisten Ende August im Internet veröffentlichten.
Die Hamburger Polizei hat den Einsatz einer Beamtin unter dem Tarnnamen „Maria Block“ inzwischen zugegeben. Es handelt sich dabei wohlgemerkt nicht um eine sogenannte V-Frau, wie sie von Geheimdiensten und Polizei als Informanten in der Szene angeworben werden, sondern um eine ausgebildete, staatlich besoldete Polizistin, die unter falscher Identität lebte.
Dem Dossier zufolge bespitzelte Maria Block die Hamburger autonome Szene mehr als drei Jahre lang. Sie habe sich vor allem im Bereich Antirassismus engagiert gezeigt, sei aber auch bei Klima-Protesten und bei der Antifa aktiv gewesen. In die Szene eingestiegen sei sie bei einem offenen Treffen zur Vorbereitung einer antirassistischen Veranstaltung Anfang 2009. Danach beteiligte sie sich an der Organisation der AntiRa-Kneipe am Hamburger Hafen, nahm an Plenumstreffen teil und knüpfte vermeintliche Freundschaften. Mit einem der örtlichen Aktivisten begann sie wenige Monate nach ihrer Einschleusung sogar eine sexuelle Beziehung.
In den Jahren 2010 und 2011 betätigte sich Maria Block dem Dossier zufolge vor allem mit organisatorischen Fragen bei der Vorbereitung von Kongressen und Aufmärschen. Diese waren sowohl als offene wie auch als interne Treffen konzipiert. So hatte die Hamburger Polizei direkten Einblick in die Aktivitäten der autonomen Szene und konnte sich bereits im Vornhinein ein detailliertes Bild verschaffen. Mehrfach soll Maria Block im Besitz der Schlüssel zu den entsprechenden Räumlichkeiten der Szene gewesen sein. Deshalb ist nicht auszuschließen, dass sie die Schlüssel kopieren ließ und sich die Polizei möglicherweise geheimen Zutritt verschaffte.
Der Einsatz von Maria Block blieb nicht auf Hamburg beschränkt. Die Verfasser des Dossiers verweisen darauf, dass sich die verdeckte Ermittlerin an mindestens drei internationalen Aktivitäten beteiligte. Im August 2009 war sie Teil einer Gruppe von Hamburger Aktivisten, die zum einwöchigen „NoBorder-Camp“ auf der griechischen Insel Lesbos flogen. Im Dezember desselben Jahres beteiligte sie sich erneut mit einigen Aktivisten an den Protesten gegen die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. Dabei soll sie sogar von der dänischen Polizei festgenommen worden sein.
Im September/Oktober 2010 reiste sie in Begleitung anderer Aktivisten zum „NoBorder-Camp“ nach Brüssel, wo sie allerdings nicht an Demonstrationen teilnahm, sondern vorwiegend im Camp blieb. Auch der Polizeispitzel des LKA Baden-Württemberg, Simon Bromma, der 2012 in Heidelberg aufflog, hatte sich an diesem Camp beteiligt.
Wie Die Zeit berichtet, hat der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer den Einsatz von „Maria Block“ von Juli 2009 bis Ende 2012 gegenüber dem Innenausschuss des Abgeordnetenhauses zugegeben. Die internationalen Einsätze seien im Rahmen bilateraler Abkommen vereinbart gewesen. Teilweise sei Maria Block sogar auf internationale Anfrage hin zu den Treffen gefahren. Was dort ihr Auftrag war, ist nicht bekannt.
Bei der Bespitzelung der autonomen Szene blieb es jedenfalls nicht. Mehreren Aktivisten zufolge soll Maria Block immer wieder versucht haben, im Vorfeld öffentlicher Aktionen für ein militanteres Eingreifen zu werben. So habe sie bei einem Treffen des „NoBorder-Camps“ in Griechenland dafür geworben, das örtliche Internierungslager für Flüchtlinge zu stürmen, was aber im Gremium mehrheitlich als aktionistisch abgelehnt worden sei.
In Hamburg habe Maria Block dafür geworben, den Slogan „Nazis die Beine brechen!“ anschlussfähig zu machen – ein deutlicher Hinweis darauf, dass sie nicht nur als Spitzel, sondern auch als Agent Provocateur eingesetzt wurde, um Gewalt seitens der autonomen Szene zu provozieren. Außerdem, so das Dossier, habe sich Maria Block daran beteiligt, Transparente in einem leer stehenden Haus aufzuhängen, was üblicherweise als Hausfriedensbruch gilt.
Ihr Ausstieg aus der autonomen Szene erfolgte im Sommer 2012. Sie schrieb eine Abschiedsmail, in der sie erklärte, politisch enttäuscht zu sein, sich neu verliebt zu haben und sich deshalb abzuwenden. Ihre bisherigen Kontakte ließ sie einschlafen oder brach sie ab.
Noch kurz zuvor, am 2. Juni, war eine Großdemonstration der autonomen Szene gegen einen Neonazi-Aufmarsch in Hamburg-Barmbek gleich nach Beginn in einen Polizeikessel geraten – trotz ausgeklügelter Überlegungen innerhalb der Szene, wie man einem solchen Szenario entgehen könne. Dem Anmelder der Demo, Andreas Blechschmidt, kam schon damals der Verdacht, die Polizei habe möglicherweise von den internen Plänen der Autonomen gewusst. Gegenüber der Zeit sagte er nun mit Blick auf Maria Block: „Die hatten Einblick in die gesamten internen Überlegungen.“
Das Vorgehen der Hamburger Polizei gegen die autonome Szene ist aufgrund der bestehenden Gesetze eindeutig illegal. Zwar ist bisher nicht klar, ob die Beamtin als verdeckte Ermittlerin (VE) oder als Beamtin für Lageaufklärung (BfL) tätig war. Doch selbst ein Einsatz als VE, bei dem der entsprechende Beamte weitreichende Befugnisse wie etwa das Betreten von Privatwohnungen hat, ist nach der Strafprozessordnung nur gestattet, um eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ aufzuklären. Polizeipräsident Meyer erklärte zwar, beim Einsatz von Maria Block sei alles rechtmäßig abgelaufen. Doch selbst wenn man die geltende Rechtsauffassung vorbehaltlos akzeptiert, rechtfertigt unter den gegebenen Umständen nichts den jahrelangen verdeckten Einsatz eines Polizeispitzels.
Innerhalb nur eines Jahres ist mit „Maria Block“ der zweite Polizeispitzel in der Hamburger autonomen Szene aufgeflogen. Im vergangenen November war eine Polizistin enttarnt worden, die von 2001 bis 2006 als „Iris Schneider“ innerhalb der autonomen Szene eingesetzt worden war. Sie hatte in ihrer Funktion als verdeckte Ermittlerin unter anderem in der Redaktion des alternativen Radiosenders „Freies Sender-Kombinat“ (FSK) mitgearbeitet.
Die Deutsche Journalisten-Union erklärte anschließend, es handle sich um einen schweren Eingriff in die Freiheit des Rundfunks. Das Redaktionsgeheimnis und der Quellenschutz seien ausgehebelt worden. Nachdem die Polizei zunächst bestritten hatte, vom Einsatz der Beamtin bei dem Radiosender zu wissen, hat sie deren illegalen Einsatz dort inzwischen bestätigt. Während ihrer Zeit als verdeckte Ermittlerin hatte Iris Schneider zudem mehrere sexuelle Verhältnisse mit Frauen aus der Szene.
Wie war es möglich, dass mehrere Polizeispitzel über Jahre hinweg die autonome Szene ausforschen konnten, ohne dabei aufzufliegen?
Bei der Legende von Maria Block fällt vor allem ihre nebulöse Vergangenheit auf. Sie sei in Halle aufgewachsen (was stimmt), wolle aber über ihre Familiengeschichte nicht gerne sprechen, weil diese sehr traurig sei. Ihre Mutter sei früh verstorben, daraufhin sei sie bei ihren Großeltern aufgewachsen. Ihren Vater, der vermögend in Frankreich lebe, habe sie bis vor wenigen Jahren gar nicht gekannt. Inzwischen aber unterstütze er sie mit regelmäßigen Unterhaltszahlungen, erklärte sie in der Szene. Deshalb komme sie mit einem (erfundenen) Minijob zur Pflege einer älteren Dame in einem abgelegenen Stadtteil aus, was ihr letztlich viel Zeit für politische Arbeit lasse.
Nach Hamburg sei sie gezogen, weil sie nach einer abgebrochenen Beziehung in Lübeck zunächst Abstand nehmen müsse und sich politisch engagieren wolle. Zuvor habe sie ihr Geld mit Kellnern verdient; eine Ausbildung zur Hotelfachangestellten in Süddeutschland habe sie nach kurzer Zeit wieder abgebrochen. Ihre Wohnung war nach Angaben des Dossiers eher szeneuntypisch gestaltet, nur wenig habe auf eine politische Aktivität schließen lassen. Doch genau dieses scheinbar unangepasste Verhalten fanden einige Aktivisten „gerade auch gut“.
Tatsächlich hatte „Maria Block“ ihre Ausbildung zur Polizistin in Berlin gemacht und war 2003 nach Hamburg gewechselt. Bei ihrer Enttarnung half unter anderem das Cover des Magazins Polizeispiegel der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) vom September 2003, auf dem sie mit ihrem tatsächlichen Namen abgebildet war. Auch in einem Bericht der Berliner Morgenpost vom Juli 2003, der sich mit nach Hamburg gewechselten Polizeibeamten befasst, wird sie namentlich erwähnt und zitiert. Das Klima bei der Hamburger Polizei sei „ganz anders, richtig toll. [...] Ich bin hier rundum glücklich.“