Man dürfe die „störrischen und launischen Griechen“ nicht länger „verhätscheln“. Diese Bemerkung könnte aus der Feder von Bild-Journalisten oder aus dem Mund des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble stammen, denen kein EU-Spardiktat gegen die verarmte griechische Bevölkerung hart genug ist.
Tatsächlich sind dies die Worte eines deutschen Germanisten namens Dr. Otto Kielmeyer, der nach der deutschen Besetzung Thessalonikis am 9. April 1941 das Lektorat der Deutschen Akademie, des Vorläufers des Goethe-Instituts, übernahm. „Wir sind nicht mehr die mehr oder weniger ungern geduldeten Ausländer, sondern die Herren des Landes“, triumphierte er anlässlich des Einmarschs der Wehrmacht. (1)
Heute treten die deutschen „Herren des Landes“ nicht in Uniform auf. Doch die immer neuen EU-Beschlüsse, die vor allem von Finanzminister Schäuble und Bundeskanzlerin Merkel durchgeboxt werden, haben ähnliche Ziele wie vor über 70 Jahren: Griechenland in ein Protektorat oder eine Kolonie für deutsche Wirtschaftsinteressen zu verwandeln, die sich aus der Zerstörung von Infrastruktur und Wirtschaft und aus der Verarmung der Bevölkerung Extraprofite versprechen.
Nicht zufällig gleichen viele Medienkommentare, die diesen Raubzug mit Schimpftiraden gegen „die Griechen“, die „Zocker“ oder gar „Teppichhändler“ und anderen rassistischen Bemerkungen begleiten, der arroganten Besatzersprache während des Zweiten Weltkriegs.
Imperialistischer Raubzug
Dem Nazi-Terror fielen während der deutschen Besatzung 1941 bis 1944 weit über Hunderttausend Partisanen und Zivilisten zum Opfer, rund 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung wurden ermordet, Hunderttausende Griechen starben einen qualvollen Hungertod oder erfroren, weil Brennstoffe und Nahrungsmittel beschlagnahmt wurden. Die Ausplünderung des Landes zerstörte Infrastruktur, Bergwerke und Wälder. Die Hälfte der Industrie- und Gewerbebetriebe, drei Viertel des Straßen- und Eisenbahnnetzes sowie neun Zehntel der Handelsflotte waren zerstört, als die Nazis wieder abzogen.
Den heftigen Widerstand der griechischen Arbeiterklasse und Landbevölkerung beantworteten die Nazi-Besatzer mit äußerster Brutalität. Mit Massakern und Vergeltungsaktionen statuierten sie ein Exempel für alle besetzten Gebiete und insbesondere für den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, der drei Monate später begann.
Der Balkanfeldzug gegen Jugoslawien und Griechenland, der am 6. April 1941 anfing, stand ursprünglich nicht auf dem Plan von Hitler und seinem Generalstab. Während der Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion versuchte die Nazi-Regierung ihre Zusammenarbeit mit dem deutschfreundlichen Regime in Jugoslawien und der rechten Metaxas-Diktatur in Griechenland aufrechtzuerhalten. Allerdings hatte das verbündete Italien unter Mussolini bereits im Herbst 1940 auf dem Balkan angegriffen und dabei in Griechenland und Albanien eine militärische Schlappe erlitten. Auf Kreta waren britische Truppen gelandet. Diese Situation veranlasste Hitler zu einer Veränderung der Strategie.
Anfang April 1941 begann die Wehrmacht im Bündnis mit Bulgarien und Italien den Einmarsch. Sie besetzte Jugoslawien und kurz darauf Griechenland. Das kleine Land wurde in drei Besatzungszonen aufgeteilt. Der größte Teil, einschließlich Athens, der Peleponnes-Halbinsel und der meisten Inseln, wurde bis zur italienischen Kapitulation 1943 von Italien kontrolliert. Der Bündnispartner Bulgarien besetzte im Norden Ostmakedonien und zwei kleine Inseln.
Die deutsche Zone umfasste die strategischen Punkte: Thessaloniki und Westmakedonien, den Großteil Kretas, einige ägäische Inseln, ein Gebiet am türkischen Grenzstreifen sowie die Umgebung Athens. Trotz der Dreiteilung unterstand Griechenland dem deutschen Regime. Das galt insbesondere für die Ausbeutung der Ressourcen, die Konfiszierung der Güter sowie Infrastruktur und Transportwege.
Die Besatzung Griechenlands fiel zeitlich mit dem deutschen Nordafrika-Feldzug zusammen. Deshalb beschlagnahmten die Nationalsozialisten unmittelbar nach ihrer Ankunft alle öffentlichen und privaten Nahrungsvorräte sowie Kleidung, Medizin, Militär- und Transportmaterial, um die Nordafrika-Kampagne abzusichern.
Die Alliierten hatten ihrerseits eine Seeblockade gegen Griechenland verhängt, die die Einfuhr lebenswichtiger Grundnahrungsmittel wie Getreide verhinderte. Dies führte schon im ersten Winter der Besatzung zu einer schrecklichen Hungersnot. Allein die Regionen Athen und Pireos zählten in den Wintermonaten 1941/42 pro Tag tausend Hungertote. (2)
Hagen Fleischer, einer der bedeutendsten Historiker zur nationalsozialistischen Besatzung in Griechenland, verweist auf „die Intentionen der neuen Herren, den Sieg der deutschen Waffen für die erstrebte wirtschaftliche und kulturelle Hegemonie nutzbar zu machen“. Er erklärt: „Das primäre Interesse galt der Tabakernte sowie der Rüstungs- und Montanindustrie, wobei die eigennützigen Expertisen großer deutscher Konzerne Anwendung fanden.“ Der Stahlriese Krupp stellte für die deutsche Kriegsindustrie den Chrom-Bergbau sicher. (3)
So wurden zwischen Mai 1941 und November 1944 rund 28.000 Tonnen reines Chrom aus Griechenland abtransportiert. Diese Menge deckte in dem genannten Zeitraum ein Viertel des Bedarfs Deutschlands an dem für die Rüstungsproduktion extrem wichtigen Metall. (4)
Schon vor dem Einfall der Nazis gab es enge Handelsbeziehungen mit Griechenland. Deutschland war wichtigster Handelspartner, gefolgt von Großbritannien. Das Land war zwar von wachsender Urbanisierung, aber einem geringen Grad an Industrialisierung gekennzeichnet. Neben dem Bergbau dominierten Landwirtschaft und Kleinproduktion, deren Erträge an Industriestaaten exportiert wurden.
Ab 1931 intensivierte die deutsche Schwerindustrie ihre Geschäfte mit dem Balkan und Griechenland. Sie nutzte dabei hauptsächlich den nach dem Ersten Weltkrieg in Wien und Berlin gegründeten „Mitteleuropäischen Wirtschaftstag“ (MWT) als Interessensvereinigung, um den deutschen Export nach Südeuropa anzukurbeln und den Rohstoffimport für die Kriegswirtschaft zu verstärken. (5)
Vor dem Einmarsch auf dem Balkan wurde 1940 in Wien auf Initiative des Reichswirtschaftsministeriums die Südosteuropa-Gesellschaft (SOEG) gegründet, die die Balkanpolitik stärker mit dem engen Zirkel der Nazi-Elite verzahnen und auf den Krieg ausrichten sollte. Diese Art wissenschaftlicher Think-Tank für die Balkanregion hatte eine eindeutig formulierte Stoßrichtung: „Die Südosteuropa-Gesellschaft muss unter strengster Geheimhaltung ihrer besonderen Aufgabe nach außen hin ihr verbindliches gesellschaftliches Gesicht wahren [Ausstellungen, Messen, etc.], nach innen hin jedoch nichts anderes sein, als ein schlagkräftiges Instrument der Wirtschaftsführung des Deutschen Reiches.“ (6)
Schirmherr war Reichswirtschaftsminister und Reichsbankpräsident Walther Funk und zum Präsidenten wurde Hitlerjugend-Führer Baldur von Schirach, ab 1940 Reichstatthalter und Gauleiter in Wien, bestimmt. Anders als der MWT, bei dem noch die Handelsbeziehungen zwischen dem „großdeutschen“ Wirtschaftsraum und dem „Ergänzungsraum Südosteuropa“ im Vordergrund standen, übernahm die SOEG die Funktion, einen regelrechten imperialistischen Raubzug auf dem Balkan und in Griechenland zu fördern und ideologisch zu untermauern.
Walther Funk hatte das Vorgehen der NS-Führung auf dem Balkan vor einer internationalen Pressekonferenz am 25. Juli 1940 folgendermaßen erläutert: „Eine Währungs- und Zollunion kann nur Ländern gegenüber erörtert werden, welche etwa den gleichen Lebensstandard haben wie wir. Dies ist zum Beispiel im Südosten nicht der Fall. Es liegt auch gar nicht in unserem Interesse, im Südosten den gleichen Lebensstandard wie in Deutschland einzuführen.“
„Kontinentaleuropa“ unter Führung Deutschlands solle die hochentwickelten Industriestaaten umfassen, erklärte Funk weiter, die wenig entwickelten Länder an der europäischen Peripherie dagegen nur als Reservoir für die Nahrungsmittel-, Arbeitskräfte- und Rohstoffbeschaffung dienen. Ihre Währung müsse an der Reichsmark orientiert sein.
Wörtlich: „Innerhalb der europäischen zur deutschen Interessensphäre gehörenden Länder muss man zwei Gruppen unterscheiden. Zur ersten Gruppe gehörten die Länder mit einem dem deutschen ähnlichen Preis-, Lohn-, Steuer- und Einkommensniveau. Als Beispiele sind Dänemark, Holland und die Schweiz zu erwähnen. Zum zweiten Kreis gehört der Südosten. Während der erste Kreis ähnlich wie der unsrige zu organisieren und im Zahlungsverkehr freizügiger zu behandeln ist, kommt der zweite Kreis wegen der erheblichen Unterschiede für eine Zahlungs- und Währungsunion nicht in Betracht.“ (7)
Die Ähnlichkeit solcher Formulierungen zu heutigen Vorschlägen aus dem deutschen Finanzministerium für einen zeitweiligen Grexit ist frappierend. Vor 70 Jahren leiteten diese Ziele des leitenden NS-Ökonomen die völlige Zerstörung und Ausplünderung der griechischen Wirtschaft ein.
Die NS-Besatzer arbeiteten dabei eng mit der Kollaborationsregierung unter Ministerpräsident Giorgos Tsolakoglou zusammen. Während Fabriken für industrielle Zwecke (Bergbau, Maschinenbau, Chemieindustrie) der direkten Kontrolle der Deutschen unterstellt wurden, leitete die griechische Regierung die Produktion für Konsumzwecke (Nahrung, Textilien, Tabak, Seife usw.) sowie das Rationierungssystem, das heißt die staatliche Verteilung der Güter. Der Warenhandel brach darauf völlig zusammen. Die Besitzer und Leiter der Konsumbetriebe sowie eine Großzahl kleiner Zwischenhändler verkauften ihre Produkte zu Wucherpreisen auf dem Schwarzmarkt, auf dem sich auch die korrupte griechische Regierung bereicherte.
Griechische Kleinunternehmer wurden dagegen durch die wachsende Inflation ruiniert, und die Arbeiterfamilien wurden vor allem in den Städten in Massenarmut und Hunger getrieben. Um die Kosten der Besatzung und die Konfiszierung von Besitztümern in Griechenland zu finanzieren, zwangen die Besatzungsbehörden die griechische Staatsbank zu zinslosen Zwangskrediten. Anfang 1945 rechneten Hitlers Finanzexperten genau aus, wie hoch der Betrag dieser Kredite war: 476 Millionen Reichsmark. Eine Zurückzahlung des Kredits, den Griechenland auf etwa elf Milliarden Euro berechnet hat, verweigert die Bundesrepublik bis heute. Diese Frage spielte in den jüngsten Verhandlungen der griechischen Regierung über die EU-Spardiktate erneut eine Rolle.
Gegen die wirtschaftliche Raubpolitik der Nazis entwickelte sich bald ein massiver Widerstand in der griechischen Arbeiterklasse, der bis 1943 revolutionäre Ausmaße annahm. Schon 1941 stahlen junge Arbeiter die Essensvorräte der Besatzer, die es sich auf Kosten der Bevölkerung gutgehen ließen, und nahmen auf lokaler und nachbarschaftlicher Ebene mithilfe von Arbeiterkooperativen die Versorgung selbst in die Hand.
Auch Arbeitskämpfe nahmen zu. Im April 1942 streikten Arbeiter des Kommunikationswesens gegen die Besatzer und setzten Lohnforderungen durch. Es war der erste Streik im besetzten Europa. Die Streiks häuften sich im Laufe des Jahres 1943. Im Februar wurde ein Generalstreik von 3.000 Arbeitern niedergeschlagen; im März streikten und demonstrierten 65 Prozent der Athener Beamten und Angestellten gegen die Versuche der deutschen Besatzer, Zwangsarbeiter einzuziehen. (8)
Der Widerstand versetzte der deutschen Besatzungsherrschaft empfindliche Schläge. Die Versuche, Arbeiter nach Deutschland zu locken, blieben erfolglos. Die großangelegte Mobilisierung von griechischen Zwangsarbeitern scheiterte an den Massenstreiks. Partisanen, unterstützt von der Stadt- und Landbevölkerung, sabotierten die kriegsorientierte Industrieproduktion.
Laut Hagen Fleischer sanken 1943/44 „trotz Raubbaus sowie der Fronarbeit von ‚Bergbau-Juden‘ Förderung und Ausfuhr [von Chrom] infolge der Partisanentätigkeit stark ab, und der Konzern [Krupp] klagte, er könne noch nicht einmal die investierten Gelder herausholen.“ (9)
Im September 1941war unter Führung der griechischen Kommunistischen Partei KKE die Nationale Befreiungsfront (EAM) gegründet worden. Die stalinistische Führung der KKE orientierte sich an der Außenpolitik Stalins und übernahm nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 auch dessen Linie der Volksfrontpolitik.
Ein revolutionäres Programm, das sich auf die unabhängigen Kämpfe der Arbeiter und einfachen Landbevölkerung gestützt und auch gegen die griechische Bourgeoisie gerichtet hätte, lehnte die KKE ab. Sie versuchte stattdessen, Teile der nationalen griechischen Bourgeoisie ins Lager des Widerstands zu ziehen, eine Politik, die Kämpfe der Partisanen und der Zivilbevölkerung entscheidend schwächte.
Die griechischen Eliten bevorzugten jedoch die Kollaboration mit den Besatzern, den Weg in die Emigration oder die Formierung eigener Partisanengruppen. Die Klassenkämpfe lösten nicht nur in der Nazi-Bürokratie, sondern ebenso in ihren Reihen große Beunruhigung aus. So warnten in einem Bericht an die deutschen Besatzer vom 25. Oktober 1943 die Vertreter der griechischen Nationalbank vor der Verschärfung der „Klassenbeziehungen“ und vor „vollständiger sozialer Anarchie“. Sie forderten die Besatzer auf, das Land ökonomisch zu stabilisieren. (10)
Mit dem Anwachsen der griechischen Widerstandsbewegung 1943 baute die Kollaborationsregierung die berüchtigten „Sicherheitsbataillone“ auf, in denen antikommunistische griechische Elemente an der Seite der Wehrmacht kämpften.
In vielen Fällen übertrugen es die Besatzer ihren Kollaborateuren, Exekutionen durchzuführen, um so gezielt rechte Kräfte gegen die Arbeiterklasse zu mobilisieren. Oberbefehlshaber Alexander Löhr bezeichnete seine Initiative als „politische Maßnahme im Zuge der [...] Bekämpfung des Kommunismus, für die der antikommunistische Teil der griechischen Bevölkerung restlos eingespannt werden muss, damit er sich eindeutig festlegt und in offene Feindschaft zum kommunistischen Teil getrieben wird.“ (11)
Die Sicherheitsbataillone, die im Krieg dem Oberkommando des SS- und Polizeiführers Walter Schimana unterstanden, spielten über das Kriegsende hinaus eine wichtige Rolle im Bürgerkrieg und wurden schließlich im großen Maßstab in die nationale Polizei und Armee integriert. Noch heute kommen die Anhänger der faschistischen „Goldenen Morgenröte“ überwiegend aus den Reihen der Polizei und Armee. Sie rühmen die Sicherheitsbataillonisten als „nationale Kämpfer“ und „Patrioten“.
Vernichtungsterror gegen die Bevölkerung
Die Antwort der Nazis auf den Widerstand der griechischen Arbeiter war schrecklich. Sie verhängten ein blutiges Terrorregime, das an Grausamkeit den wütenden Vernichtungsaktionen in Sowjetrussland gleichkam. Im nationalsozialistischen Jargon hieß es, man müsse in Griechenland „Ordnung“ schaffen und gegen „Bandenbildung“, womit die Partisanen gemeint waren, hart „durchgreifen“. Hitler erklärte im September 1944: „Es gibt Gebiete, wie Griechenland, die sich überhaupt nicht allein in Ordnung halten können.“ (12)
Und so sah die „Ordnung“ aus: In Griechenland wurden insgesamt über 100 Dörfer zerstört und mindestens 30.000 unbewaffnete Menschen Opfer von Vergeltungsaktionen der Wehrmacht. Tausende Widerstandskämpfer starben in den mindestens 26 Geisel- und Gefangenenlagern auf griechischem Boden.
Das Mittel, die Bevölkerung kollektiv für Partisanenaktionen zu bestrafen, wurde erstmals im Mai 1941 auf Kreta angewandt, wo die Einwohner besonders mutig gegen die Besetzung der Insel kämpften.
Im Herbst 1941 führten die Besatzer eine Quote ein, die Militärbefehlshaber Speidel vor Ort offiziell bekannt gab: „Es werden in Zukunft für jeden ermordeten deutschen Soldaten 50 Griechen, für jeden verwundeten deutschen Soldaten 10 Griechen erschossen.“ In der Praxis wurde diese Vorgabe nicht immer befolgt; meist war die Quote 1:10, in anderen Fällen deutlich höher: Zum Beispiel betrug sie bei der Erschießung von 335 Griechen im Mai 1944 1:84. (13)
Diese Befehle der höchsten Militärs belegen, dass die Verbrechen der Wehrmacht keine situationsbedingte „Notwehr“ gegen die Partisanen darstellten, wie in der Nachkriegszeit lange behauptet wurde. Am 16. Dezember 1942 gaben Hitler und der Oberkommandeur der Wehrmacht Wilhelm Keitel im sogenannten „Bandenbefehl“ Anweisung zum Massenmord: „Wenn dieser Kampf gegen die Banden sowohl im Osten wie auf dem Balkan nicht mit den allerbrutalsten Mitteln geführt wird, so reichen in absehbarer Zeit die verfügbaren Mittel nicht mehr aus, um dieser Pest Herr zu werden. Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt.“
Und weiter hieß es: „Kein in der Bandenbekämpfung eingesetzter Deutscher darf wegen seines Verhaltens im Kampf gegen die Banden und ihre Mitläufer disziplinarisch oder kriegsrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.“ An den letzten Satz hielten sich die deutschen Regierungen lange über das Kriegsende hinaus.
Bereits vor dem Befehl hatten deutsche Truppenführer ihre Soldaten angewiesen, „unter Beiseitelassung aller Formalien und unter bewusster Ausschaltung von besonderen Gerichten“ mit „äußerster Härte“ vorzugehen (Kurt Student, Inselkommandant Kretas) und „mit den schärfsten zur Verfügung stehenden Mitteln“ zurückzuschlagen. Mehrere Dörfer, „die nachweislich als Rückhalt für die Banden dienen“, sollten „niedergelegt“ werden (Wilhelm List, Wehrmachtsbefehlshaber Südost). (14)
Als Befehlshaber der deutschen Fallschirmjäger und Wehrmachtseinheiten, die am 20. Mai 1941 auf Kreta landeten, war Kurt Student für die ersten Massaker der Wehrmacht verantwortlich. Unter seinem Befehl zerstörten die Soldaten am 2. und 3. Juni die Dörfer Kondomari und Kandanos und erschossen über 200 männliche Einwohner.
Die NS-Gräuel in Griechenland, die zu den grausamsten Verbrechen der Nazis im nicht-slawischen Raum zählen, waren in Deutschland lange Zeit unbekannt (eine historische Karte mit eingezeichneten Massakern findet sich hier). Zu den brutalsten Massakern an hilflosen Dorfbewohnern gehörten:
● die Vernichtungskampagne in der Region Viannos auf Kreta, bei der um die 20 Dörfer dem Erdboden gleich gemacht und über 500 Einwohner getötet wurden. (14.–16. September 1943)
● das Massaker von Kommeno im nordgriechischen Epirus, bei dem die 12. Kompanie der 1. Gebirgsdivision 317 Menschen ermordete, darunter 172 Frauen, 97 Kinder unter 15 Jahre und 13 Säuglinge. (16. August 1943)
● das Massaker von Kalavryta auf der Halbinsel Peloponnes. Nachdem einige Wehrmachtssoldaten von der Widerstandsarmee ELAS gefangen genommen und anschließend getötet worden waren, befahl Divisionskommandeur Karl von Le Suire die „schärfste Form der Sühnemaßnahmen“ im „Unternehmen Kalavryta“ anzuwenden.
Beim Vorrücken auf die Stadt Kalavryta zerstörte die 117. Jägerdivision über fünfzig Dörfer, erschoss den Großteil der Bewohner und konfiszierte riesige Viehbestände. Nach der Ankunft in Kalavryta sperrten die Eindringlinge alle Frauen und Kinder unter 14 Jahren ins Schulgebäude, das sie anzündeten, während knapp 700 Männer auf einem nahegelegen Hügel erschossen wurden. Anschließend legten sie Feuer in der Ortschaft und im historischen Kloster bei Kalavryta. (13. Dezember 1943)
● das Massaker in Pyrgi bei Kozani, Nordgriechenland, wo 346 Männer, Frauen und Kinder erschossen oder lebendig in Scheunen und Dorfhäusern verbrannt wurden. (20. April 1944)
● das SS-Massaker in Distomo, Böotien. Dort starben 218 unbewaffnete Einwohner, vor allem Frauen, sowie 38 Kinder. (10. Juni 1944; am gleichen Tag ermordete die Waffen-SS im französischen Ort Oradour 642 Menschen.)
Gestützt auf Aussagen der wenigen Überlebenden beschrieb das Nachrichtenmagazin Der Spiegel 1997 dieses „Blutbad im Bergstädtchen“: „Männer wie Kinder wurden wahllos erschossen, Frauen vergewaltigt und niedergemetzelt, viele Soldaten schnitten ihnen die Brüste ab. Schwangere wurden aufgeschlitzt, manche Opfer bei lebendigem Leib mit dem Bajonett gemeuchelt. Anderen wurden Köpfe abgetrennt oder Augen ausgestochen.“ (15)
Im anschließenden deutschen „Gefechtsbericht“ wurden alle Opfer in die Kategorie „Bandenangehörige und Bandenverdächtige“ eingetragen.
● das Massaker von Chortiatis bei Thessaloniki, das kurz vor dem Abzug der Nazis stattfand. Das Jagdkommando Schubert sperrte einen Teil der Bewohner in ein Wohnhaus, den anderen in die Bäckerei. Die Soldaten schossen mit Maschinengewehren durch die Bäckereifenster, zündeten die Gebäude an und ließen ihre Opfer am lebendigen Leib verbrennen. Unter den 146 ermordeten Einwohnern waren 109 Frauen und Mädchen. (2. September 1944)
Obwohl es in der Wehrmacht einige Debatten über das taktische Vorgehen gab, setzte sich die brutale Strategie der Dorfmassaker durch, die auch die volle Sympathie der NS-Führung genoss. Hitler vertrat die „Auffassung, dass die Räson im aufsässigen Gebiet stets im umgekehrten Verhältnis zur Humanität der Methode stehe“ und man sich daher nur durchsetzen könne, „wenn man brutal durchgreife und alle europäischen Hemmungen abstreife“. (16)
Die Ermordung der griechischen Juden
Ein weiteres dunkles Kapitel der nationalsozialistischen Verbrechen ist die fast vollständige Ausmerzung der jüdischen Gemeinde Griechenlands. 80 bis 90 Prozent der insgesamt 70.000 griechischen Juden starben im Holocaust. In Thessaloniki, wo vor der Ankunft der Nazis mit etwa 45.000 die Mehrheit der Juden angesiedelt war, wurden fast alle nach Auschwitz deportiert und dort ermordet, nur fünf Prozent entkamen dem Tod. (17)
In Griechenland lebten vor allem sephardische Juden, die Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien geflohen waren, sowie einige Ashkenazi, die sich vor den Pogromen in Osteuropa und Russland in Sicherheit gebracht hatten. Ihre Stellung in der griechischen Gesellschaft war von Ausgrenzung geprägt. Abgestoßen vom Nationalismus und Antisemitismus organisierten sich viele Juden, vor allem die Arbeiter unter ihnen, in der sozialistischen Bewegung.
Wenige Tage nach der Besatzung Griechenlands traf der Einsatzstab des NS-Parteiideologen Alfred Rosenberg in Thessaloniki ein, der für die Erfassung und Beschlagnahmung des jüdischen Besitzes sowie den Raub von Kunst- und Kulturgütern zuständig war. Im Sommer 1942 begann dann Schritt für Schritt das Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung. Tausende jüdische Männer wurden für schwere Zwangsarbeit eingesetzt, bei der viele starben oder erkrankten. Die jüdische Gemeinde zahlte daraufhin für die Freilassung der Schwächsten unter ihnen eine Lösesumme von 150 Goldfranken pro Person an die Besatzer.
Die insgesamt 1,9 Milliarden Drachmen hatte der Berliner Jurist Max Merten von der Gemeinde erpresst. Er leitete von August 1942 bis 1944 die Abteilung „Verwaltung und Wirtschaft“ in Thessaloniki und organisierte zusammen mit Alois Brunner und Dieter Wisliceny die Verschleppung der Juden nach Auschwitz.
Brunner war einer der engsten Mitarbeiter von Adolf Eichmann bei der „Endlösung der Judenfrage“ und leitete ein SS-Sonderkommando für die Deportation der Juden aus mehreren Ländern. Am 6. Februar 1943 wurde Brunner mit SS-Hauptsturmführer Wisliceny nach Griechenland versetzt, wo letzterer das „Sonderkommando für jüdische Angelegenheiten“ übernahm.
Am Tag ihrer Ankunft führten sie vor Ort die Nürnberger Gesetze ein, die allen Menschen mit jüdischer Abstammung vorschrieben, den Judenstern zu tragen. Sie zwangen jüdische Unternehmen und Geschäfte zu schließen. Die Besatzer und ihre Kollaborateure bereicherten sich systematisch an der Beute. Schon Ende 1942 hatte der griechische Gebietsverwalter den jüdischen Friedhof zerstören lassen, ohne dass die Gräber vorher verlegt werden konnten. Die marmornen Grabsteine dienten den Bauarbeiten der Besatzer.
Ebenfalls im Februar musste die jüdische Bevölkerung in einer gesondertes Viertel sowie zwei Sammellager umziehen, damit der Abtransport in die Konzentrationslager zügig ablief.
Am 15. März 1943 rollten die ersten Deportationszüge mit 2.800 Menschen nach Auschwitz. Für die unerträgliche Zugfahrt in das Todeslager musste jeder bei der Deutschen Reichsbahn eine Fahrkarte kaufen.
In kürzester Zeit – bis August – wurden die westmakedonischen Gemeinden Thessaloniki (allein hier 45.000), Florina, Veria, Didymotixos, Souflios und Orestiada nach Auschwitz verschleppt. Die 4.200 Juden aus Ostmakedonien und Thrakien starben im Lager Treblinka.
Die meisten griechischen Ankömmlinge im Konzentrationslager wurden direkt in die Gaskammern delegiert. Die wenigen „Selektierten“ mussten Schwerstarbeiten verrichten, weil sie sich als sephardische Juden, die kein Jiddisch oder Deutsch sprachen, kaum verständigen konnten.
Nach dem Abzug der italienischen Truppen aus Griechenland im September 1943 setzten die Nationalsozialisten auch in deren Gebieten die Judenverfolgung fort: 3.000 Juden der Region Epirus kamen ins Vernichtungslager Auschwitz; die Gemeinde der epirotischen Hauptstadt Ioannina wurde in einer einzigen Nacht ausgelöscht. Von den Inseln Korfu, Rhodos, Kos und Chania (Kreta) deportierten die Nazis insgesamt über 3.500 Menschen auf überfüllten Schiffen Richtung Deutschland – das Schiff aus Chania wurde von einem britischen U-Boot versenkt. 1.300 Athener Juden wurden nach Auschwitz deportiert.
In Griechenland hatte die Haltung der Rabbiner und der Bevölkerung erheblichen Einfluss auf das Schicksal der jüdischen Mitbürger. Während der Großrabbiner von Thessaloniki, Zvi Koretz, alle Anweisungen der Besatzer befolgte und die reibungs- und widerstandslose Deportation der Juden durch sein kooperatives Verhalten ermöglichte, weigerte sich der Großrabbiner in Athen, den Nazis eine Liste der jüdischen Einwohner zu überreichen.
Stattdessen gab die jüdische Gemeinde den Partisanen finanzielle Unterstützung, die im Gegenzug viele Juden entweder in ihre Reihen aufnahmen oder in den befreiten, von Partisanen kontrollierten Berggebieten unterbrachten. Mindestens 650 Juden kämpften in der Widerstandsbewegung. Viele Einwohner in Südgriechenland retteten ihre jüdischen Mitbürger, insbesondere Kinder. So überlebten in Athen im Unterschied zu Thessaloniki über 50 Prozent der Juden.
Das Schweigen nach dem Krieg
Beim Abzug der deutschen Armee im Oktober 1944 kontrollierte die Volksbefreiungsarmee ELAS, die militärische Organisation der Nationalen Befreiungsfront (EAM), fast ganz Griechenland. Trotz der revolutionären Stimmung unter den Arbeitern und Partisanen bereitete ihre Führung, die stalinistische KKE, der Rückkehr der bürgerlichen Regierung den Weg. Ihr Verrat mündete in eine Niederlage der griechischen Arbeiterklasse bei den blutigen Athener Dezember-Kämpfen gegen britische und griechische Soldaten.
Nachdem im griechischen Bürgerkrieg 1945 bis 1949 der linke Widerstand zerschlagen wurde, waren in den Jahrzehnten bis zur griechischen Militärdiktatur ab 1967 bis 1974 rechtskonservative Regierungen an der Macht, die eine nationalistische und antikommunistische Politik verfolgten.
Sowohl die deutschen als auch die griechischen Regierungen bemühten sich, die Verbrechen der Nazis und ihrer Kollaborateure zu vertuschen. Die wenigen Rückkehrer aus den KZs kämpften vergeblich um die Rückgabe des gestohlenen Eigentums und erhielten erst 1960 eine symbolische Entschädigung von der deutschen Regierung, die sich auf internationalen Druck hin zu einer Zahlung von insgesamt nur 115 Millionen D-Mark (57,5 Millionen Euro) an einzelne Opfer rassistischer Verfolgung bereit erklärte.
Die meisten Überlebenden zogen nach Israel. Bis 2008, in manchen Fällen bis heute, hat das Schicksal der griechischen Juden keinen Eingang in die Schulbücher gefunden.
Die schleppende Erforschung galt ebenso für den Vernichtungskrieg der Wehrmacht. Erst im Zuge der deutschen Wehrmachtsausstellung 1995–1999 kamen die schrecklichen Verbrechen in der Balkanregion ans Licht der Öffentlichkeit.
Hagen Fleischer zieht Bilanz über drei Jahre Besatzungsterror: „Verdrängt wurde die Erinnerung an Zehntausende zivile Opfer des Repressalterrors, an die 60.000 jüdischen Opfer des rassistischen Genozids. Weit über 100.000 Menschen krepierten elendlich an Hunger, die Geburtenrate stürzte ins Bodenlose. Jeder dritte Grieche litt an epidemischen Infektionskrankheiten (Malaria, Tuberkulose, Typhus, etc.); in manchen Regionen waren 60-70 Prozent betroffen, insbesondere Kinder.“
Kaum zu berechnen seien „die Verluste durch die Hyperinflation sowie die deutsche Zerstörung der Infrastruktur als Folge raubwirtschaftlicher Ausbeutung (Bergwerke, Wälder, etc.) und systematischer Vernichtung bei Sühnemaßnahmen oder während des Abzuges: Die meisten Eisenbahnbrücken gesprengt, weit über 80 Prozent des rollenden Materials ruiniert oder entführt; 73 Prozent der Handelstonnage versenkt, fast 200.000 Häuser total oder zum Teil zerstört.“ (18)
Die jahrzehntelange Vertuschung des nationalsozialistischen Massenmords in Griechenland war sowohl für die deutsche als auch für die griechische politische Elite notwendig, um die Drahtzieher der Verbrechen vor juristischer Verfolgung zu schützen, die eigenen braunen Seilschaften zu verschleiern und jegliche Reparationsforderungen abzuwehren.
1947/48 fand der Prozess der Generäle in Südosteuropa statt, eines der zwölf Nachfolgeverfahren der Nürnberger Prozesse. Er wurde auch „Geiselmord-Prozess“ genannt, weil der Hauptanklagepunkt die Ermordung Tausender Geiseln in Jugoslawien, Albanien und Griechenland betraf.
Von den zwölf Angeklagten beging einer im Vorfeld Selbstmord, ein zweiter schied wegen Krankheit aus und zwei wurden freigesprochen. Die restlichen acht Angeklagten erhielten mehrjährige Freiheitsstrafen oder lebenslänglich. Doch schon Anfang der fünfziger Jahre waren sie allesamt wieder auf freiem Fuß. Sie wurden auf Betreiben der amerikanischen Alliierten begnadigt, die mit Beginn des Kalten Kriegs die Bundesrepublik zu einem Bollwerk gegen die Sowjetunion aufbauten.
Unter ihnen befand sich Wilhelm List, der zu lebenslanger Haft verurteilt, aber schon 1952 entlassen wurde und bis 1971 unbehelligt in Garmisch-Partenkirchen lebte. Ihm unterstand als Oberbefehlshaber der 12. Armee die Leitung der Bodenoperationen in Griechenland und Jugoslawien. Anschließend war er Wehrmachtsbefehlshaber Südost. Im Oktober 1941 ließ er in Serbien und Griechenland Lager für Geiseln errichten, die im Fall von Partisanenaktionen erschossen werden sollten.
Auch der deutsche Fliegergeneral Hellmuth Felmy spielte eine führende Rolle bei den Kriegsverbrechen auf griechischem Boden. Er erhielt eine Strafe von 15 Jahren, von denen er nur drei absitzen musste. Bis zu seinem Tod 1971 leitete er die militärische Traditionsgemeinschaft „Alter Adler“.
Hubert Lanz, General der Gebirgstruppe, war Befehlshaber beim Massaker auf Kefalonia am 21. und 22. September 1943. Nach der Kapitulation Italiens ermordeten die Deutschen auf der Insel über 5.000 italienische Soldaten. Nur eine Woche nach diesem Massaker ordnete Lanz eine Vergeltungsaktion im Dorf Lingiades an. Die Wehrmacht nahm das Dorf unter Artilleriebeschuss und massakrierte anschließend 82 Bewohner.
Im Geiselmord-Prozess wurde Lanz zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, kam aber 1951 frei und wurde Berater für militär- und sicherheitspolitische Fragen in der FDP. Auch er engagierte sich noch lange Jahre ungestört im Kameradenkreis der Gebirgstruppe und saß dem Traditionsverband der 1. Gebirgsdivision vor.
Zusammen mit Lanz verließ Wilhelm Speidel 1951 das Kriegsverbrechergefängnis Landsberg, wo er eigentlich eine Haftstrafe von 20 Jahren verbringen sollte. Speidel war ab 1943 Militärbefehlshaber in Griechenland und dort für zahlreiche Anweisungen zu Massenmorden verantwortlich, unter anderem zum Massaker in Kalavryta.
Andere Nationalsozialisten, die für Verbrechen verantwortlich waren, standen niemals vor Gericht – zum Beispiel Karl Student, der auf Kreta gewütet hatte. 1945 festgenommen, wurde er wenig später freigelassen und verbrachte den Rest seines Lebens unbeschwert in der Bundesrepublik, wo er zu einem führenden Kopf der Traditionsverbände der ehemaligen Wehrmachtsangehörigen avancierte.
Und was wurde nach dem Krieg aus den „Meistern aus Deutschland“, die die griechischen Juden deportierten? Nur einer von ihnen musste für seine Verbrechen büßen: Dieter Wisliceny, 1945 Zeuge in den Nürnberger Prozessen, wurde an die Tschechoslowakei ausgeliefert und dort 1948 hingerichtet.
Alois Brunner hingegen lebte und arbeitete zunächst unter falschen Namen in München und Essen. Als seine wahre Identität aufzufliegen drohte, flüchtete er mithilfe alter Kameraden nach Syrien. Einer seiner Fluchthelfer war Reinhard Gehlen, der im Krieg die Ostspionage der Wehrmacht leitete und in der Nachkriegszeit im Auftrag der US-Geheimdienste den Bundesnachrichtendienst aufbaute. Brunner übermittelte an Gehlen geheimdienstliche Informationen aus dem Nahen Osten und soll vor wenigen Jahren in Damaskus verstorben sein.
Der NS-Verwaltungsleiter Thessalonikis Max Merten wurde 1945 festgenommen. Die USA schlugen seine Auslieferung an Griechenland vor, doch die griechische Regierung lehnte ab. Andreas Ypsilantis, griechischer Militärgesandter in Berlin, sprach sich sogar für Mertens Freilassung aus und betonte dessen „tadelloses Verhalten“ und seine „wertvollen Dienste“ in Griechenland.
Merten hatte während der Besatzung in Thessaloniki Kontakte zur politischen Elite Griechenlands geknüpft. Verstrickt in die Kollaboration mit den Nazis kooperierten viele griechische Nachkriegspolitiker allzu gerne mit ihren deutschen Kollegen, wenn es darum ging, eine Aufarbeitung der Verbrechen zu verhindern.
So konnte Merten zu seinem Rechtsanwaltsberuf zurückkehren. Neben seiner Tätigkeit im Justizministerium versuchte er auch politisch Karriere zu machen und wurde Mitgründer der Gesamtdeutschen Volkspartei, die sich gegen eine enge Westbindung und für ein starkes, wiedervereinigtes Deutschland aussprach.
1957 reiste Merten nach Griechenland, wo er unerwartet festgenommen und nach zwei Jahren Haft zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren verurteilt wurde. Doch hinter den Kulissen des Merten-Prozesses fanden geheime Absprachen zwischen der griechischen und deutschen Regierung statt. Noch vor der Urteilssprechung 1959 unterschrieben sie einen Wirtschaftsvertrag, der eine geheime Zusatzklausel enthielt. Darin versprach Premierminister Konstantinos Karamanlis der deutschen Adenauer-Regierung die Einstellung aller Anklagen und eine Übergabe Mertens an Deutschland.
Nach nur sechs Monaten Gefängnisaufenthalt konnte Merten wieder nach Deutschland zurückkehren, wo man ihn für die kurze Haftzeit sogar entschädigte, sein Verfahren einstellte und 1968 endgültig beendete. (19)
Hunderte deutsche Ermittlungsverfahren wegen griechischer Kriegsverbrechen verliefen im Sand; nur ein Hauptverfahren schaffte es vor das Augsburger Landsgericht.
Bei dieser Verhandlung über eine Hinrichtung von sechs Zivilisten auf Kreta stellte sich das Gericht auf den Standpunkt der Wehrmacht, „daß mit dem Begriff Partisanen, wie er auf deutscher Seite im Jahr 1944 gebraucht wurde, alle Zivilpersonen im besetzten Gebiet verstanden wurden, welche der Begehung feindseliger Handlungen gegen Personen und Sachgüter der deutschen Kriegsmacht auch nur in etwa verdächtig waren“. Das Erschießen der Verdächtigen „ohne Standgerichtsurteil auf Befehl von Offizieren“ sei deshalb als „völkerrechtliche Notwehr“ einzustufen. Der angeklagte Wehrmachtsoffizier Richard Sand wurde freigesprochen.
Mit dieser Argumentation wurden weitere Verfahren blockiert, unter anderem eines in Bochum gegen den Kampfgruppenführer Franz Juppe, der am Kalavrita-Massaker teilgenommen hatte. Die Staatsanwaltschaft bezeichnete die Verbrechen als notwendige Repressalien und „zulässige völkerrechtsmäßige Mittel“, um die Partisanen „zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen“. (20)
Auch führende NS-Industrielle wie Hans-Günther Sohl, die maßgeblich für die Ausbeutung Griechenlands verantwortlich waren, setzten in der Bundesrepublik unbeschadet ihre Karriere fort.Sohl hatte die Chrom-Beschaffung für die Rüstung organisiert. Schon 1933 war er der NSDAP beigetreten und hatte zwei Jahre später die Leitung des Rohstoff-Ressorts der Friedrich Krupp AG übernommen. Als Vorstandsmitglied der Vereinigten Stahlwerke und Wehrwirtschaftsführer der Reichsvereinigung Eisen gehörte er zu den Hauptverantwortlichen der Zwangsarbeit und des Rohstoffraubs in den besetzten Gebieten.
Nach 1945 geriet er zunächst in Gefangenschaft. Doch unmittelbar nach seiner Entlassung 1947 nahm er wieder unbekümmert seinen Platz im Vorstand der Vereinigten Stahlwerke ein und stieg nach fünf Jahren zum Vorstandsvorsitzenden der Thyssen AG auf. In den siebziger Jahren war er Vorsitzender des Bundesverbands der Deutschen Industrie.
Die Kulturpropagandisten der NS-Verbrechen in Griechenland nisteten sich ebenso wieder ein, als hätte es ihre antigriechischen und antisemitischen Hetzschriften nie gegeben. Die Südosteuropa-Gesellschaft gründete sich 1952 einfach neu – unter demselben Namen wohlgemerkt (nur die Kurzform änderte sich in SOG). Bis vor zwei Jahren setzte sie sich überhaupt nicht mit ihren braunen Wurzeln auseinander.
Auf ihrer Website erklärt die SOG zu ihren „Aufgaben und Zielen“, dass sie „seit ihrer Gründung 1952 zu den wichtigen Trägern der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik“ gehöre und „ein Forum für den Dialog zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den südosteuropäischen Ländern und für die politikberatende wie politikbegleitende Diskussion“ biete.
Eine erstaunliche Aussage, denn Gründer der SOG e.V. im Jahr 1952 war Fritz Valjavec, ein ungarisch-deutscher Historiker und eifriger Blut- und Boden-Propagandist, der ab 1935 das Südost-Institut in München geleitet hatte und später Professor an der Deutschen Auslandswissenschaftlichen Fakultät (DAI) der Universität Berlin wurde, die dem Reichssicherheitshauptamt unterstellt war. Er war im Krieg SS-Untersturmführer, spielte eine wichtige Rolle bei der „Gegnerforschung“ – so erstellte er beispielsweise zusammen mit Walter Schellenberg ein „Handbuch für Jugoslawien und Griechenland“ mit Listen von zu verhaftenden Personen – und beteiligte sich im Juli 1941 als „politischer Berater“ und „Dolmetscher“ an den Massakern des berüchtigten Sonderkommandos 10b der Einsatzgruppe D im ukrainischen Czernowitz, dem Tausende Juden und Kommunisten zum Opfer fielen.
In der neuen SOG tummelten sich noch andere alte Kollegen. Dazu gehörte Franz Ronneberger – 1939 Chef einer Dienststelle zur Erforschung des südosteuropäischen Pressewesens und Herausgeber der Vertraulichen Wirtschaftsnachrichten im Auftrag der SOEG, in denen während des Kriegs die Ausbeutungs- und Vernichtungspolitik auf dem Balkan vorbereitet und legitimiert wurde. Ronneberger, der außerdem regelmäßiger antisemitischer Hetzautor im Völkischen Beobachter gewesen war, saß nach dem Krieg im Präsidium und Wissenschaftlichen Beirat der SOG.
Lange Jahre war der Journalist Rudolf Vogel Vorsitzender der SOG. Als stellvertretender Chef einer NS-Propagandakompanie in Thessaloniki hatte er haarsträubende antisemitische Hetzartikel verfasst. Nach dem Krieg machte er Karriere bei der CDU. 1966 stiftete die SOG ihrem treuen Ex-Nazi die sogenannte „Rudolf-Vogel-Medaille“, die bis heute an herausragende deutsche Journalisten zu Südosteuropa-Fragen verliehen wird. Als Vogels NS-Vergangenheit 2013 öffentliches Aufsehen erregte, benannte man die Auszeichnung einfach in „Journalistenpreis“ um.
Die Liste ließe sich fortsetzen. „Kein Deutscher“, resümiert Hagen Fleischer, „wurde wegen an Griechen begangenen Kriegsverbrechen von einem bundesdeutschen Gericht verurteilt.“ (21)
Siebzig Jahre nach dem Vernichtungskrieg in Griechenland versucht die deutsche Elite heute erneut, sich als Großmacht in Europa und in der Welt zu etablieren und dabei Länder der Peripherie wie Griechenland zu unterjochen. Das EU-Spardiktat, das in diesen Tagen auf Betreiben der deutschen Regierung durchgesetzt wird, hat bereits wieder zu Hunger und Elend auf den Straßen Griechenlands geführt. Mit dem jetzt vereinbarten Privatisierungsfonds knüpft das deutsche Wirtschafts- und Finanzkapital an die alte Politik an, die Infrastruktur Griechenlands zu zerstören und alle Wirtschaftszweige, die lukrativ sind, der deutschen Kontrolle zu unterstellen und auszuplündern.
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Anmerkungen:
1) Hagen Fleischer, „Die deutsche Besatzung(spolitik) in Griechenland und ihre ‚Bewältigung‘“, überarbeitete Fassung eines Vortrags beim Symposium der Südosteuropa-Gesellschaft Vor- und Gründungsgeschichte der Südosteuropa-Gesellschaft, München (16./17. Dezember 2013), S. 6.
2) Stavros B. Thomadakis, „Black Markets, Inflation, and Force in the Economy of Occupied Greece“, in: John O. Iatrides (Hg.), Greece in the 1940s. A Nation in Crisis, University Press of New England: Hannover/London 1981, S. 61-80, hier: 72.
3) Fleischer, „Die deutsche Besatzung(spolitik)“, S. 1.
4) Martin Seckendorf, „Zur Wirtschaftspolitik der deutschen Besatzer in Griechenland 1941-1944“, Überarbeitete Fassung eines Redebeitrages vom 3.12.2005 auf einem Symposium der Athener Ökonomischen Universität über die Entschädigung griechischer Opfer deutscher Besatzungspolitik
5) Zu SOEG und MWT siehe auch: Carl Freytag, Deutschlands „Drang nach Südosten“: der Mitteleuropäische Wirtschaftstag und der „Ergänzungsraum Südosteuropa“ 1931-1945, Universität Wien. Zeitgeschichte im Kontext 7, 2012.
6) Zitiert nach: Fleischer, „Die deutsche Besatzung(spolitik)“, S. 2.
7) Funk, Walther, 25.7.1940, „Die wirtschaftliche Neuordnung Europas“, in: Quellen zur Neuordnung Europas 1, 12–21
8) John L. Hondros: „The Greek Resistance, 1941-1944. A Reevaluation“,in: Iatrides (Hg.), Greece in the 1940s, S. 37-47, hier: S. 40.
9) Fleischer, „Die deutsche (Besatzungs)politik“, S. 2.
10) Thomadakis, S. 78f.
11) Zitiert nach: Hagen Fleischer, "Deutsche 'Ordnung' in Griechenland 1941-1944" in: Loukia Droulia und Hagen Fleischer (Hg.), /Von Lidicie bis Kalavryta. Widerstand und Besatzungsterror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg/, Metropol: Berlin1999, S. 151-212, hier: S. 172
12) Hagen Fleischer, „Deutsche ‚Ordnung‘ in Griechenland 1941-1944“ in: Loukia Droulia und Hagen Fleischer (Hg.), Von Lidice bis Kalavryta. Widerstand und Besatzungsterror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, Metropol: Berlin 1999, S. 151-212, hier: S. 151.
13) Ebd., S. 202-4.
14) Ebd., S. 154-6.
15) Manfred Ertel, „Blutbad im Bergstädtchen“, in: Der Spiegel 1/1998. In einer aktuellen deutschen Videodokumentation erzählt ein Überlebender des Massakers über das Grauen.
16) Fleischer, „Deutsche ‚Ordnung‘ in Griechenland“, S. 192.
17) Gavriela Etmektsoglou, „To Olokavtoma ton Ellinon Evraion“, in: Istoria tis Elladas tou 20ou aiona. B’ Pangosmios Polemos, Katochi, Antistasi 1940-1945 [„Der Holocaust der griechischen Juden“, in: Geschichte Griechenlands im 20. Jahrhundert: Zweiter Weltkrieg, Besatzung, Widerstand 1940-1945] Vivliorama: Athen 2007, S. 175-95, hier: 176. Die folgenden Fakten zum Judenmord in Griechenland wurden diesem Aufsatz entnommen.
18) Hagen Fleischer, „Die deutsche Besatzung(spolitik)“, S. 8.
19) Susanne-Sophia Spiliotis, „‘An Affair of Politics, Not Justice’: The Merten Trial (1957–1959) and Greek-German Relations“, in: Mark Mazower (Hg.), After the War Was Over: Reonstructing the Family, Nation, and State in Greece, 1943–1960, Princton/Oxford 2000, S. 293-302.
20) Norman Peach, „Wehrmachtsverbrechen in Griechenland“, in: Kritische Justiz 3 (1999), S. 380-97, hier: 381.
21) Fleischer, „Die deutsche Besatzung(spolitik)“, S. 10.