Nach Verhaftung in Berlin: al-Jazeera-Journalist Mansour wieder frei

Dieser Artikel wurde vor der Freilassung des bekannten ägyptischen Journalisten Ahmed Mansour für die englischsprachige World Socialist Web Site geschrieben. Wir veröffentlichen ihn an dieser Stelle unverändert. Die Einschätzung des Artikels hat sich voll bestätigt.

Mittlerweile ist klar, dass die Entscheidung, Mansour zu verhaften, auf höchster politischer Ebene getroffen wurde. Medienberichten zufolge haben sich das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei vor der Verhaftung mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesamt für Justiz abgestimmt. Nach Informationen von Zeit Online wurde „die Entscheidung zur Fahndung [...] nach diesen Beratungen von der Bundesregierung getroffen“.

Die Partei für Soziale Gleichheit hat die Ereignisse in einem Statement auf das Schärfste verurteilt und „warnt, dass diese Festnahme direkt Bestandteil der Vorbereitung auf Polizeistaatsmaßnahmen in Deutschland ist.“ 

* * *

In einer beispiellosen Aktion verhaftete die deutsche Polizei am Samstag den bekannten Journalisten Ahmed Mansour von al-Jazeera auf der Grundlage eines Haftbefehls, den das blutige Regime des ägyptischen Militärmachthabers Abdel Fattah al-Sisi ausgestellt hatte.

Mansour wurde am Flughafen Tegel in Berlin verhaftet. Am Sonntag wurde er aus einem Gerichtsgebäude in die Haftanstalt Moabit überführt, wie Gerichtssprecher Martin Steltner berichtete. „Heute ging es nur um Formalien“, sagte Steltner und fügte hinzu: „Nächste Woche wird die Tragfähigkeit des Haftbefehls überprüft.“

Am Montag werde das deutsche Gericht mit der Prüfung des Auslieferungsbegehrens des al-Sisi-Regimes beginnen, so Mansours Anwalt Fazli Altin. Mansour, ein ägyptisch-britischer Doppelstaatsbürger, erhält konsularischen Beistand der britischen Behörden.

„Dieser Fall hat zweifellos eine politische Dimension, und gegenwärtig finden jede Menge Gespräche im Hintergrund statt. Mehrere Konsulate sind involviert“, erklärte Patrick Teubner, ein weiterer Anwalt Mansours.

Die deutsche Regierung, die einem Haftbefehl der al-Sisi-Junta Folge leistet, stellt sich damit hinter das ägyptische Regime und seine Schauprozesse gegen Journalisten. Die Junta, die nach einem Putsch gegen den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi vor zwei Jahren an die Macht kam, hat Tausende Demonstranten erschossen. Die Verhaftung eines Journalisten im Auftrag dieses Regimes ist ein unverhüllter Angriff auf die Pressefreiheit und auf grundlegende demokratische Rechte.

Erst vor wenigen Monaten marschierte Kanzlerin Angela Merkel nach dem Terroranschlag auf das rassistische Magazin Charlie Hebdo Seite an Seite mit anderen europäischen Führern durch Paris und pries die Bedeutung der Pressefreiheit und der Rechte von Journalisten.

Am Sonntag versammelten sich dutzende Demonstranten, darunter viele Ägypter, vor dem Berliner Polizeipräsidium, um gegen die Verhaftung Mansours zu protestieren.

Im vergangenen Jahr verurteilten ägyptische Gerichte drei Journalisten von al-Jazeera zu Gefängnisstrafen. Angeblich sollten die Journalisten das Ansehen der al-Sisi-Junta beschädigt haben. Der Nachrichtensender al-Jazeera wird von Katar finanziert, dessen Regierung Mursis Muslimbruderschaft nahe steht.

Der Korrespondent Peter Greste, der Kairoer Bürochef Mohammed Fahmy und der Nachrichtenchef Baher Mohammed wurden zu sieben bis zehn Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl die Staatsanwälte keinerlei nachprüfbare Beweise gegen sie vorlegen konnten. Zeugen der Anklage widersprachen allen Behauptungen der Staatsanwaltschaft und erhoben den Vorwurf der Beweisfälschung. Der Prozess wurde international verurteilt, und schließlich musste Kairo Greste im Februar freilassen.

Das Ansehen der al-Sisi-Junta ist derart miserabel, dass Interpol sich im vergangenen Jahr weigerte, den auf Mansour ausgestellten Haftbefehl der Junta anzunehmen, weil er, wie es hieß, „den Regeln von Interpol“ nicht entspreche.

Mansour erklärte am Samstag: „Ich habe die deutsche Polizei darüber informiert, dass die internationale Polizeiagentur den ägyptischen Haftbefehl nicht anerkennt, und dass ich ein Dokument von Interpol besitze, das beweist, dass ich wegen gar nichts gesucht werde. Ich sagte ihnen auch, dass alle Vorwürfe gegen mich in Ägypten konstruiert sind. Sie bestanden aber darauf, mich für weitere Untersuchungen festzuhalten. Sie sagten, sie würden mich einem Untersuchungsrichter vorführen, der über meinen Fall entscheiden werde.“

Die Beschuldigungen gegen Mansour sind offensichtlich ohne jede Substanz, genau wie die Vorwürfe gegen Greste, Fahmy und Mohammed.

Der ägyptische Außenminister Badr Abdelattie sagte zu Associated Press, die ägyptischen Justizbehörden und der Generalstaatsanwalt in Kairo seien in Kontakt mit den deutschen Behörden und hätten sich noch nicht entschieden, was Mansour eigentlich vorgeworfen werde. Jedoch sollen die Vorwürfe beinhalten, dass Mansour durch seine Berichterstattung „das Ansehen Ägyptens massiv geschädigt“ habe. Auch habe er während der Massenproteste von 2011 einen unbekannten Anwalt gefoltert.

„Es ist für die Pressefreiheit unakzeptabel und peinlich für die deutsche Regierung, dass Mansour hier aus offensichtlich politischen Gründen festgehalten wird“, sagte Mansours Anwalt Altin.

Die Entscheidung der deutschen Regierung, aufgrund politisch motivierter Anschuldigungen gegen Mansour vorzugehen, ist eine Schande. Die Festnahme eines Journalisten unter der Beschuldigung, dem Ansehen einer Junta geschadet zu haben, die unbewaffnete Demonstranten ermordet und Tausende politische Gefangene foltert, läuft auf Zensur hinaus. Falls Mansour nach Ägypten ausgeliefert werden sollte, würde er mit Sicherheit zu einer hohen Gefängnisstrafe verurteilt werden und möglicherweise sogar zum Tode.

Mehrere Medienorgane haben Mansours Inhaftierung einhellig verurteilt. Reporter ohne Grenzen nannte die Festnahme „Ägyptens schreckliche Rache an Journalisten, die dem Regime in die Quere gekommen sind“. Die Organisation erklärte, sollte Berlin Mansour ausliefern, „dann würde Deutschland sich in den Dienst eines diktatorischen Regimes stellen und sich der Schande preisgeben“.

Der Generaldirektor von al-Jazeera, Mostefa Souag, erklärte: „Dass die ägyptischen Behörden Journalisten unterdrücken, ist bekannt. Unser Sender, der in der arabischen Welt am meisten gesehen wird, kann ein Lied davon singen. Andere Länder dürfen sich nicht zum Werkzeug dieser Unterdrückung der Medien machen lassen, vor allem nicht ein Land wie Deutschland, das die Freiheit der Medien respektiert.“

Die europäische Finanzaristokratie unterstützt die al-Sisi-Junta nicht weniger als Washington. Sie sieht in ihr die einzige Kraft, die in der Lage ist, die revolutionären Kämpfe der ägyptischen Arbeiterklasse zu unterdrücken, die 2011 ausbrachen. Anfang des Monats besuchte al-Sisi Berlin, wo ihm der rote Teppich ausgerollt wurde und er Rüstungsdeals und Wirtschaftsverträge in Milliardenhöhe abschließen konnte. Bei Besuchen in Paris und Rom wurde er ebenso umschmeichelt.

Mit Mansours Verhaftung hat die Dreistigkeit, mit der die EU-Mächte das al-Sisi-Regime unterstützen, trotz allem einen neuen Höhepunkt erreicht.

Die Berliner Regierung zeigt damit in voller Absicht, dass sie bereit ist, mit einer repressiven Diktatur wie Ägypten öffentlich zusammenzuarbeiten, um die Presse zum Schweigen zu bringen und den Widerstand der Arbeiterklasse zu zerschlagen, obwohl dies in Europa selbst auf große Opposition stößt.

Zweifellos wollen die deutschen Eliten damit auch ein Signal an den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras senden. Er hat in letzter Zeit versucht, die von Berlin und der EU diktierten Sparmaßnahmen neu zu verhandeln, aber die europäischen Mächte drohen damit, die Kredite für Griechenland ganz zu streichen. Sie drohen, Griechenland in den Bankrott zu treiben, obwohl dies einen neuen globalen Finanzcrash auslösen und die ganze EU auseinanderjagen könnte.

In Griechenland herrschte von 1967–1974 die Obristenjunta, die sich mit Unterstützung der CIA an die Macht geputscht hatte Folter und Massenmord verübte, um den Widerstand in der Bevölkerung zu unterdrücken.

Wenn Berlin so offen mit der ägyptischen Junta zusammenarbeiten kann, dann wird es sich erst recht mit einer neuen griechischen Militärjunta arrangieren, um der Arbeiterklasse den Sparkurs aufzuzwingen. Tsipras kann das Schicksal, das ihm in einem solchen Fall blühen würde, leicht erkennen. Er braucht nur über das Mittelmeer gen Süden blicken, wo Mursi in einem ägyptischen Gefängnis sitzt und aufgrund erfundener Beschuldigungen die Todesstrafe erwartet.

Loading