Lufthansa-Piloten setzen Streik fort

Seit Wochenbeginn verschärft sich erneut der Streik der Lufthansa-Piloten. Am Mittwoch entschied die Piloten-Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), den Streik auch am Donnerstag, Freitag und Samstag fortzusetzen. Es handelt sich um die zwölfte Streikrunde seit dem Beginn der Tarifauseinandersetzung vor einem Jahr.

Am Mittwoch wurden zunächst die Kurz- und Mittelstreckenflüge bestreikt. Am Donnerstag betraf der Streik dann auch die Langstrecke und Frachtflüge der Lufthansa Cargo. Am Freitag wurden erneut die Kurz- und Mittelstreckenflüge bestreikt. Die Piloten der beiden großen Lufthansa-Töchter Germanwings und des im vergangenen Herbst gegründeten Langstrecken-Billigfliegers Eurowings wurden nicht in den Streik einbezogen.

An den großen Drehkreuzen fielen hunderte Flüge aus. In Frankfurt wurden am Mittwoch 480 Flüge abgesagt; in München fanden 129 Starts und 143 Landungen nicht statt. An vielen anderen Flughäfen fielen die Inlandsflüge nach Frankfurt und München aus, so etwa 50 Flüge am Berliner Airport Tegel. Insgesamt wurden bereit am Mittwoch mit 750 mehr als die Hälfte der 1400 Flüge gestrichen.

Zuvor hatte die Lufthansa eine für Dienstag geplante Verhandlungsrunde zum Gehaltstarifvertrag der rund 5.400 Piloten im Konzerntarifvertrag abgesagt. Seit Monaten beißen die Piloten mit ihren Forderungen auf Granit. Die Konzernleitung will sie in die Knie zwingen und ein Exempel statuieren, um massive Verschlechterungen für die übrigen 110.000 Beschäftigten durchzusetzen.

Vor einem Jahr, am 20. März 2014, hatten die Piloten in einer Urabstimmung mit 99,1 Prozent für Streik gestimmt, um ihr Einkommen und ihre Altersversorgung gegen radikale Kürzungspläne zu verteidigen. Seitdem verweigert die Konzernleitung ernsthafte Verhandlungen und versucht die Piloten zu isolieren und massiv unter Druck zu setzen.

In Politik und Medien findet eine systematische Hetzkampagne gegen den Tarifkampf der Piloten statt, denen vorgeworfen wird, Privilegien zu verteidigen. Es ist daher notwendig, erneut deutlich zu machen, dass die Forderungen der Piloten in vollem Umfang gerechtfertigt sind.

Beim aktuellen Streik geht es der Piloten-Gewerkschaft nach eigenen Angaben erneut um die Vorruhestandsregelung der Piloten. Diese Übergangsversorgung ist in den vergangenen Jahrzehnten systematisch ausgehöhlt worden. Ursprünglich ermöglichte die Regelung den Piloten, im Alter von 55 Jahren in den Vorruhestand oder in Teilzeit zu gehen. Im Jahr 2013 lag die Schwelle laut Cockpit jedoch bereits bei über 59 Jahren, obwohl es nach dem Tarifvertrag von 2012 nicht möglich sei, über das 60. Lebensjahr hinaus zu arbeiten. Für neu angestellte Piloten soll die Übergangsversorgung ganz wegfallen.

Der Ärger der Piloten richtet sich jedoch vor allem gegen die Sparpläne von Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Bereits vor Monaten hatte Spohr sein Vorhaben, das Unternehmen umzubauen und die Kosten für Personal durch die Ausgliederung von Stammpersonal zu senken, mit dem verschärften Preiskampf unter den internationalen Airlines begründet. Der Absturz des Ölpreises während der vergangenen Monate erhöhte den Druck auf die Lufthansa.

Man müsste eigentlich annehmen, dass niedrige Ölpreise auch die Treibstoffkosten senken. Doch die Lufthansa hat sich mit komplizierten Finanzgeschäften gegen steigende Kosten für Kerosin abgesichert, die nun teuer zu Buche schlagen. Angesichts des großen Anteils, den die Treibstoffkosten in der Gesamtbilanz einer Airline ausmachen, ergeben sich vor allem für Fluggesellschaften mit Sitz in ölreichen Regionen, wie den arabischen Branchenriesen Emirates, deutliche Vorteile, die den Konkurrenzkampf verschärfen.

So musste Konzernchef Spohr bei der Veröffentlichung der vorläufigen Jahresbilanz im Februar bekannt geben, dass der Lufthansa-Konzern im vergangenen Jahr trotz eines operativen Gewinns von 954 Millionen Euro nach deutscher Rechnungslegung 732 Millionen Euro Verlust gemacht hat. Als Spohr daraufhin erklärte, der Konzern werde den Aktionären die Dividende streichen, rutschte der Wert der Lufthansa-Aktien um 5,4 Prozent ab.

Im Preiskampf gegen Billigflieger wie etwa die irische Gesellschaft Ryanair sowie gegen die staatlich subventionierten Fluggesellschaften der arabischen Halbinsel sollen laut Lufthansa-Vorstand die Tochterunternehmen Germanwings und Eurowings ausgebaut und um eine Langstrecken-Gesellschaft ergänzt werden. Für letztere will der Konzern sieben Maschinen vom Typ Airbus A330 anmieten. Diese drei Gesellschaften sollen dann über eine Holding außerhalb Deutschlands gesteuert werden und den internationalen Konkurrenten Paroli bieten. Der Preiskampf wird dabei auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.

Der bisherige Konzerntarifvertrag wird ausgehöhlt. Die Altersvorsorge für neueingestellte Piloten soll abgeschafft werden. Sie sollen in Zukunft selbst für ihren Vorruhestand Geld ansparen, was einer massiven Lohnsenkung gleichkommt. Durch die Erweiterung der Zwei-Klassen-Belegschaft unter den Piloten würde die Gruppe derjenigen, die jetzt noch nach dem Konzerntarifvertrag bezahlt werden, nach und nach schwinden. Schon heute werden von den mehr als 9.000 Piloten des Lufthansa-Konzerns nur noch knapp 5.400 nach dem Konzerntarifvertrag vergütet.

Aber die Sparpläne gehen noch weiter. Bei der Lufthansa sollen unter der Bezeichnung „Jump“ bis zu vierzehn geleaste Maschinen Ziele bedienen, die die Lufthansa sonst nicht mehr anfliegen würde. Die geleasten Flugzeuge sollen von den beim Leasinggeber beschäftigten Piloten geflogen werden – zu deren niedrigeren Gehältern. Außerdem soll weniger Kabinenpersonal eingesetzt werden. Darüber hinaus hat der Konzern die Eurowings-Piloten massiv unter Druck gesetzt, noch schlechtere Tarifbedingungen als bislang zu akzeptieren.

Es ist abzusehen, dass Konzernchef Spohr darauf hinarbeitet, alle Piloten auf das Lohnniveau ihrer Kollegen bei Eurowings und noch tiefer zu drücken. Im Februar hatten die Vorstandsmitglieder Karl Ulrich Garnadt und Bettina Volkens den Beschäftigten in einem offenen Brief erläutert, welches Lohnniveau der Vorstand anpeilt. Sie beklagten, dass das Lohnniveau der Beschäftigten, die nach dem Konzerntarifvertrag bezahlt werden, bis zu 40 Prozent über dem ihrer Kollegen bei EasyJet und Turkish Airlines liege. „Natürlich dürfen auch unsere Personalkosten nicht dauerhaft und deutlich über dem Niveau der Wettbewerber liegen“, heißt es in dem Brief.

Cockpit beschwert sich über diese Erpressung, hat ihr aber nichts entgegenzusetzen. Laut VC-Sprecher Jörg Handwerg geht es der Spartengewerkschaft nicht um die „Verhinderung strategischer Unternehmensentscheidungen“. „Wer jeden Tarifvertrag als Einschränkung unternehmerischer Freiheiten sieht, unterliegt einem Fehlverständnis, das den Abschluss neuer Vereinbarungen de facto unmöglich macht“, fügte er hinzu.

Immer wieder bietet die Pilotengewerkschaft der Konzernleitung die Zusammenarbeit an. So half Cockpit dem Lufthansa-Konzern dabei, die Niedriglöhne bei Eurowings zu zementieren. Nach dem Tarifvertrag verdient ein junger Eurowings-Kapitän 77.000 Euro im Jahr und damit fast 60.000 Euro weniger als sein Lufthansa-Kollege. Insgesamt liegen die Gehälter bei Eurowings etwa 40 Prozent unter dem Lufthansa-Niveau.

Die Vereinigung Cockpit unterstützt die Kapitalmarktorientierung der Konzernleitung, verlangt aber eine „tarifliche Partnerschaft“. Diese national beschränkte und auf Unternehmenspartnerschaft beruhende Sichtweise der VC führt dazu, dass sie es nicht wagt, die Dinge beim Namen zu nennen und offen zu erklären, dass der Angriff der Lufthansa auf die Piloten Teil der internationalen Angriffe der Fluggesellschaften auf ihre Beschäftigten im Auftrage der Finanzmärkte sind.

In allen Ländern Europas und weltweit finden vergleichbare Auseinandersetzungen statt. Gegenwärtig organisieren Fluglotsen in Italien Streikmaßnahmen. Im vergangenen Jahr führten die Piloten in Frankreich einen erbitterten Arbeitskampf, der genau in dem Moment von der Pilotengewerkschaft abgebrochen wurde, als er sich zu einer Konfrontation mit der Hollande-Regierung entwickelte.

Anstatt alle Beschäftigen der europäischen und internationalen Fluggesellschaften zu einem gemeinsamen Kampf zu mobilisieren, versucht die Vereinigung Cockpit, durch eine begrenzte Nadelstich-Taktik und durch Schwerpunktstreiks die Konzernleitung der Lufthansa zu einer engeren Zusammenarbeit und „Tarifpartnerschaft“ zu bewegen.

Zwei ihrer Funktionäre sitzen im Aufsichtsrat. Im vergangenen Jahr waren es Ilona Ritter, die Vorsitzende der VC-Tarifpolitik, und Stefan Ziegler, die dafür 110.000 bzw. 100.000 Euro an Aufsichtsratstantiemen erhielten.

Insgesamt spielen die zehn Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eine Schlüsselrolle beim Verabschieden und Durchsetzen von Spohrs Sparplänen. Stellvertretende Aufsichtsratschefin ist Christine Behle (SPD), die im Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sitzt und vor eineinhalb Jahren Verdi-Chef Frank Bsirske (Grüne) im Lufthansa-Aufsichtsrat abgelöst hat. Bsirske hatte alle Kürzungen mitgetragen.

Ein Jahr nach Beginn des Tarifkampfs der Piloten und zwölf befristeten Streikaktionen ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Die national beschränkte Politik der Sozialpartnerschaft der Vereinigung Cockpit verhindert einen notwendigen europaweiten, bzw. internationalen Arbeitskampf von Piloten gemeinsam mit allen Beschäftigen der Fluggesellschaften.

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