Der Terrorangriff auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris hat viele Menschen entsetzt und erschüttert. Unmittelbar nach Bekanntwerden versammelten sich einige Hundert Menschen vor der Pariser Botschaft am Brandenburger Tor in Berlin. Als Zeichen ihrer Solidarität und Trauer legten sie Blumen nieder und zündeten Kerzen an.
In Politik und Medien wird die Betroffenheit und der Schock in der Bevölkerung umgehend für sehr reaktionäre politische Ziele ausgenutzt. Dabei stehen gegenwärtig zwei Forderungen im Zentrum: Erstens, der Ruf nach Einheit aller Parteien und zweitens, die Forderung nach Stärkung des Sicherheitsapparats durch Ausbau der Geheimdienste, verstärkte Polizeipräsenz und Aufrüstung nach außen und innen.
Ähnlich wie in Frankreich, wo Präsident Hollande unmittelbar nach dem Angriff seine Rede an die Nation hielt und immer wieder betonte, Frankreich stehe „vereint gegen seine Feinde“, erklärten auch hier alle Politiker von Staatspräsident Gauck bis Linkenfraktionschef Gysi, alle demokratischen Kräfte müssten nun zusammenrücken.
Der Terroranschlag sei „ein Angriff auf die Freiheit“ gewesen, sagte Gauck und fügte hinzu: „Wir lassen uns durch Hass nicht spalten.“ Das „freie Wort“ müsse nun von allen politischen Lagern gemeinsam verteidigt werden. „Wir sind weder ohnmächtig, noch hilflos“, betonte Gauck und drohte: „Wir haben Gesetze und Institutionen, um Fanatismus und Gewalt zu bekämpfen.“
SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel schickt am Donnerstag einen persönlichen Brief an die Vorsitzenden aller Bundestagsparteien und die FDP in dem er zu einem „Bündnis aller gesellschaftlichen Kräfte“ aufrief. Er forderte eine gemeinsame Demonstration aller Parteien, aller Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden „und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft“. Weiter heißt es in dem Brief, aus dem der Spiegel zitiert: „Der perfide Plan von Terroristen, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben darf nicht aufgehen.“
In Wirklichkeit hat die Spaltung der Gesellschaft bereits lange vor dem Terroranschlag von Paris stattgefunden. Seit Wochen pumpen Politik und Medien rassistisches Gift von Ausländerfeindschaft und Anti-Islamismus in die Bevölkerung. Führende Politiker unterstützen die rechtsradikalen Aufmärsche von Pegida, die sich als „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ bezeichnen und gegen Ausländer hetzen.
Die Mobilisierung des braunen Bodensatzes der Gesellschaft steht in direktem Zusammenhang zur Wiederkehr des deutschen Militarismus. Seit Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen Anfang vergangenen Jahres ankündigten, dass die Zeit der militärischen Zurückhaltung Deutschlands vorbei sei, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht die Verbesserung der militärischen Ausrüstung und mehr Unterstützung für die Armee gefordert wird.
Die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven imperialistischen Außenpolitik geht Hand in Hand mit Sozialabbau, Massenarmut und einer rapiden Verschlechterung der Lebensbedingungen für immer mehr Menschen. Der Widerstand gegen diese Politik nimmt ständig zu. Bei den jüngsten Landtagswahlen beteiligten sich weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten und von diesen wenigen stimmte die Mehrheit gegen die Regierungsparteien.
Das schreckliche Attentat in Paris wird nun benutzt, um hinter dem Slogan der „Einheit“ genau die Regierungspolitik zu verschärfen, die diese blutige Gewalttat hervorgebracht hat.
Die Attentäter von Paris werden, beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen, der al-Qaida zugeordnet. Der Zulauf und wachsende Einfluss von al-Qaida ist ein direktes Ergebnis der imperialistischen Kriegspolitik im Nahen Osten und Mittleren Osten. Der völkerrechtswidrige Überfall der USA und Großbritanniens auf den Irak hat den islamischen Terrorismus nicht geschwächt, sondern gestärkt. In Libyen und Syrien haben sich die Nato-Mächte direkt auf islamistische Gruppierungen gestützt, um unliebsame Regierungen zu stürzen. Die modernen Waffen über die al-Qaida und der Islamische Staat verfügen, stammen nicht selten aus US- oder Nato-Beständen.
Ende Oktober berichtete der britische Daily Telegraph darüber, dass umfangreiche Waffenbestände, die von den USA an so genannte „moderate Einheiten“ in Syrien geliefert wurden, an die Nusra-Front weitergegeben wurden. Darunter hätten sich nicht nur moderne Handfeuerwaffen, sondern auch schweres Kriegsgerät wie panzerbrechende Raketen und Grad-Raketen befunden. Der Daily Telegraph kommentierte die Nachricht mit den Worten: „Für die Vereinigten Staaten wird mit der Übergabe der von ihnen gelieferten Waffen an al-Qaida ein Alptraum war.“
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zu Folge hat Deutschland die Sicherheitsvorkehrungen nach dem Terroranschlag in Paris erhöht. „Wir sind in engem Kontakt mit den Ländern und haben einen Plan für solche Fälle, den haben wir hochgefahren“, erklärte de Maizière am Freitag in Hamburg ohne auf Einzelheiten einzugehen.
Er sprach sich gegen eine vorschnelle Bewertung der französischen Polizeiarbeit und politische Forderungen aus. Französische Spezialkräfte haben bei ihrem Großeinsatz am Freitag drei mutmaßliche Terroristen erschossen. Dabei kamen auch vier Geiseln ums Leben. Zuvor hatte die Französische Regierung die Führerin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, zu „demokratischen Konsultationen“ im Elysée empfangen. Le Pen fordert als Reaktion auf den Terroranschlag die Wiedereinführung der Todesstrafe in Europa.
Am Sonntag ist ein EU-Innenministertreffen in Paris geplant an dem Medienberichten zu Folge auch der Chef der CIA, Michael Hayden teilnehmen wird. Laut de Maizière wolle man „gemeinsam beraten, ob und gegebenenfalls was es Neues zu tun gibt“. Der Innenminister, der sich als einer der ersten hochrangigen deutschen Politiker hinter Pegida stellte, nutzt die Situation, um die ausländerfeindliche Politik weiter voranzutreiben und einen Polizeistaat zu errichten.
De Maizière bekräftigte seine Unterstützung für die Forderung der CSU nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Nur so könne man kriminelle Netzwerke im Internet ausfindig machen. Darüber hinaus brüstete er sich damit, dass die Bundesregierung mit dem Verbot des „Islamischen Staats“ in Deutschland und den geplanten Reisebeschränkungen bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen habe.
Einflussreiche Medien und Politiker fordern bereits mehr. In einem Kommentar mit dem Titel „Sanktionen statt Lyrik“ beklagt sich die FAZ: „Auf den 'Islamischen Staat' und seine Sympathisanten im Westen wirken die Staaten, deren Bürger sie angreifen, nicht gerade wie wehrhafte Demokratien. Dschihadisten können frei herumlaufen.“ Der ehemalige Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, fordert in einem Interview im Fokus, die Ausweisung von Islamisten und das Verbot der Verschleierung. In Deutschland dürfe „es keine Sonderrechte für den Islam geben“.
Pegida selbst bezeichnete den Angriff auf Charlie Hebdo als Beweis, dass Islamisten „eben nicht demokratiefähig sind, sondern auf Gewalt und Tod als Lösung setzen“. Für Montag ruft die rechtsradikale und von Neonazis durchsetzte Bewegung zu Solidaritätsmärschen mit Charlie Hebdo und den „Terror-Opfern von Paris“ auf.
Eine der bemerkenswertesten Entwicklungen ist die Einbindung der Linkspartei in die reaktionäre „Einheits- und Solidaritätspolitik“. Ein Statement der Linksfraktion unter dem Titel „#Je suis Charlie – Der harte Kampf für Freiheit“ erklärt, „die Herausforderung, 'Charlie' zu sein, ist groß“ und fragt: „Haben wir den Mut, die Entschlossenheit, immer wieder unsere Finger in die Wunden unserer Gesellschaft zu legen?“ Darunter versteht die Partei im Kern nichts anderes als die Bundesregierung und Pegida. Sie verteidigt die anti-muslimischen Karikaturen von Charlie Hebdo als Kampf „für die Freiheit des Gedankens“ und fordert „Unnachgiebigkeit in der Verfolgung der Verbrecher, Gerechtigkeit in ihrer Verurteilung vor ordentlichen Gerichten zu verdienten Strafen.“