Angesichts der jüngsten Warnstreiks von Eisenbahnern und Piloten hat sich der neue DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann demonstrativ auf die Seite der Konzernvorstände, Politiker und Medien gestellt, die seit Tagen gegen die Streikenden hetzen.
Am vergangenen Samstag streikten zum zweiten Mal die Lokführer und Zugbegleiter für drei Stunden, um ihren Forderungen nach fünf Prozent Lohnerhöhung und einer zweistündigen Arbeitszeitverkürzung auf 37 Wochenstunden Nachdruck zu verleihen. Auch die Piloten der Lufthansa legten erneut die Arbeit nieder, um ihr betriebliches Frührentensystem zu verteidigen. Am vergangenen Freitag streikten sie sechs Stunden lang am Flughafen Frankfurt am Main und diesen Mittwoch acht Stunden am Münchner Flughafen.
Die Arbeitskämpfe, die von den kleineren Gewerkschaften GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokführer) und der Vereinigung Cockpit (VC) organisiert werden, lösten von Anfang an eine koordinierte Hetzkampagne von Bahn- und Lufthansa-Vorstand, Regierungsmitgliedern und Medien aus (wir berichteten). Auch vergangenen Montag erschien wieder ein wütender Angriff in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, deren Wirtschaftsredakteurin Corinna Budras schrieb, Lokführer und Piloten hätten „mit ihrem gleichzeitigen Ausstand die Grenzen des guten Geschmacks überschritten“.
In diesen Chor stimmte nun der neue DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann ein.
In einem Brief an Klaus Dauderstädt, den Vorsitzenden des Dachverbands „DBB Beamten-Bund und Tarifunion“ (früher Deutscher Beamtenbund), zu dem auch die GDL gehört, forderte Hoffmann Dauderstädt auf, die GDL „an die Leine zu nehmen“. Dies berichtet die Süddeutsche Zeitung vom letzten Samstag, der der Brief des DGB-Chefs vorliegt.
Hoffmann beklagt sich, dass die Streiks zu einem Imageschaden für die Gewerkschaften führen würden. „Der aggressive Abgrenzungs- und Konfliktkurs der GDL ist (...) nicht vereinbar mit einer solidarischen Interessenvertretung aller Arbeitnehmer.“ Die GDL verweigere sich allen Kooperationsangeboten der DGB-Gewerkschaft EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) und wolle „ohne Rücksicht auf öffentliche Ansehensverluste der deutschen Gewerkschaften in ihrer Gesamtheit die eigene Einflusssphäre ausbauen“. Nötig sei in den gegenwärtigen Tarifverhandlungen stattdessen „ein konstruktives Miteinander“. Dies sei der einzige Weg, „um auch den Interessen von Millionen von Bahnkunden gerecht zu werden“.
„Sollen weitere Reputationsschäden für die Gewerkschaften abgewendet werden, so ist es meines Erachtens höchste Zeit, dass Du (…) mäßigend auf die GDL einwirkst“, fordert schließlich Hoffmann ultimativ vom Chef der Beamtengewerkschaft DBB Klaus Dauderstädt.
Reiner Hoffmann, der im Mai die Nachfolge von Michael Sommer antrat, ist die Personifizierung der „Sozialpartnerschaft“ der deutschen Gewerkschaften. Wie sein Brief deutlich macht, dient diese heute dazu, gemeinsam mit den Unternehmen gegen die Belegschaften vorzugehen. Streiks passen schon lange nicht mehr ins Bild des DGB-Vorstands.
Allerdings entspricht dieser Brief, wie die SZ bemerkt, nicht den bisherigen Gepflogenheiten bei Tarifauseinandersetzungen. Bisher hat die Gewerkschaftsdachorganisation die Angriffe auf Spartengewerkschaften zumindest offiziell ihren Einzelgewerkschaften überlassen, so auch in der Vergangenheit in dem langen Lokführerstreik der GDLvon 2008.
Hoffmanns Brief an den Chef des Beamtenbunds steht im Zusammenhang mit einem Gesetzentwurf zur Verankerung der Tarifeinheit, den Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) noch in diesem Herbst vorlegen will. Mit diesem Gesetz soll das Prinzip durchgesetzt werden, dass in jedem Unternehmen nur der Tarif gelte, den die mitgliederstärkste Gewerkschaft abschließt. Kleinere Gewerkschaften würden damit nicht mehr als Tarifpartner anerkannt, und von ihnen organisierte Streiks wären künftig illegal.
Hoffmanns Brief an den DBB klingt in diesem Zusammenhang wie eine Drohung: Die Streiks der GDL-Lokführer würden die Arbeitgeberseite stärken, behauptet er, „die in dem Tarifeinheitsgesetz in erster Linie einen Hebel zur Vereinheitlichung der Friedenspflicht sieht“. Mit anderen Worten, sie seien verantwortlich, wenn das Streikrecht insgesamt eingeschränkt würde.
In Wahrheit drängen der DGB und seine Gewerkschaften selbst seit Jahren auf eine Tarifeinheit und auch auf die damit einhergehende Friedenspflicht. Sie versuchen damit, ihre Konkurrenten in den Spartengewerkschaften zurückzudrängen, vor allem aber jeden von der DGB-Bürokratie unabhängigen Kampf der Arbeiter zu unterdrücken.
Hoffmann unterstützt demonstrativ die EVG, die Nachfolgerin von GdED und Transnet, bei ihrem Versuch, die GDL auszuschalten. Letztere hatte in den letzten Jahren unter den Lokführern viele Mitglieder gewonnen, weil die Eisenbahnergewerkschaft EVG und ihre Vorgängerin Transnet als verlängerter Arm der Bahn AG aufgetreten und dem Streik der Lokführer 2008 in den Rücken gefallen waren. Der damalige Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen wurde dafür mit dem Wechsel in den Bahnvorstand belohnt, wo er ein Gehalt von monatlich 150.000 Euro und millionenschwere Boni bezog.
Auch der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats der Deutschen Bahn, Jens Schwarz von der EVG, attackiert die streikenden Lokführer der GDL und wirft ihnen eine Spaltung der Belegschaft vor. Mit unterschiedlichen Tarifverträgen könne man die Arbeiter nicht gleich behandeln, sagte er der Nachrichtenagentur dpa am Montag.
Was von der „Gleichbehandlung“ der Arbeiter bei der Bahn zu halten ist, zeigt die Tatsache, dass die zum DGB gehörende Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di seit Jahren für die rund 20.000 Beschäftigten in der Logistiktochter DB Schenker und bei den Fernbus- und Nahverkehrsunternehmen der Deutschen Bahn unterschiedliche und unabhängige Niedrig-Tarife abgeschlossen hat. Dazu zählen Firmentarifverträge, verschiedene regionale Flächentarife der Verkehrsbranche oder auch der Logistikbranche. Ver.di hat für diese Belegschaften Tarife abgeschlossen, die sowohl bei den Löhnen als auch bei den Arbeitszeiten und -bedingungen in der Regel bedeutend niedriger liegen als im Gesamtkonzern.
Das ist der wahre Kern von Hoffmanns „konstruktivem Miteinander“: Es geht darum, die Arbeiter zu spalten, um Angriffe gegen sie durchzusetzen, und so die Profite der Bahn zu sichern.
Allerdings nimmt auch die GDL keine prinzipielle Position ein. Sie gibt sich zwar militanter: Zum Beispiel drohte GDL-Chef Claus Weselsky mit einer Urabstimmung und anschließenden unbefristeten Streiks, falls die Bahn nicht „endlich ein substanzielles Angebot zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen“ vorlege. Jedoch hat sie die gleiche beschränkte pro-kapitalistische und nationale Perspektive wie der DGB.
Die zunehmenden Privatisierungen und die Auswirkungen der globalen Konkurrenz im Flug- und Bahnverkehr, die zu immer verheerenderen Angriffen auf die Bahnbeschäftigten führen, kann sie daher nicht zurückschlagen. Dazu wird ein gemeinsamer, europaweiter Kampf aller Beschäftigten im öffentlichen Verkehrswesen nötig sein, der sich gegen die Profitinteressen der Flug- und Bahngesellschaften richtet. Einen solchen Kampf lehnen GDL wie DGB gleichermaßen ab.