Neue Belege für Zusammenarbeit der Geheimdienste mit dem NSU

Am Montag sagte Siegfried Mundlos, der Vater des mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos, vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des thüringischen Landtags aus. Seine Aussagen bestätigen, dass der Verfassungsschutz eng mit den Rechtsextremisten zusammenarbeitete.

Mundlos ging detailliert auf das Untertauchen der drei mutmaßlichen Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos im Januar 1998 ein. Das Trio soll in den folgenden Jahren mindestens zehn rassistisch motivierte Morde verübt und 14 Banken überfallen haben.

Der pensionierte Informatik-Professor aus Jena beharrte in seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss darauf, dass die drei Rechtsextremisten beim Untertauchen vom Verfassungsschutz unterstützt worden seien. „Man hat gewusst, dass sie in Chemnitz sind“, sagte er. „Man hätte sie in den ersten Wochen fassen können. Alles andere ist Unsinn.“ Er selbst habe gewusst, dass das Trio enge Kontakte nach Chemnitz gehabt habe, und dies der Polizei auch mitgeteilt.

Ferner gab Mundlos zu Protokoll, er habe die Zielfahnder der Polizei darauf aufmerksam gemacht, dass sein Sohn wahrscheinlich mit dem Auto Ralf Wohllebens geflohen sei. Wohlleben war zu Beginn der Terrorserie wahrscheinlich der wichtigste Verbindungsmann des NSU und beschaffte der Gruppe die erste Tatwaffe. Er ist derzeit vor dem Oberlandesgericht München wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Auch diese Spur wurde von der Polizei offenbar niemals ernsthaft verfolgt.

Den Grund dafür lieferte Mundlos ebenfalls. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes hätten ihn nach dem Verschwinden seines Sohns gebeten, sie zu kontaktieren, sobald er etwas von Uwe höre, sagte er. Die Beamten hätten ihn aufgefordert, dabei einen öffentlichen Fernsprecher zu benutzen, da sein Telefon von der Polizei abgehört werde. Demnach hat der Verfassungsschutz die Ermittlungen der Polizei bewusst und systematisch behindert.

Siegfried Mundlos war jahrelang bemüht, die Behörden zur Suche nach seinem Sohn zu veranlassen. Noch 2005 gab er bei der Polizei eine Vermisstenanzeige auf, um sie zu zwingen, weitere Schritte einzuleiten.

Diese Aussagen sind von großer Bedeutung. Sie legen nahe, dass das Trio von Anfang an vom Verfassungsschutz geschützt wurde und dass dieser beim Untertauchen mindestens behilflich war.

Siegfried Mundlos zog Verbindungen zur bereits bekannten Verstrickung der Geheimdienste mit der rechtsextremen Szene. „Der Thüringer Heimatschutz (THS) wäre nie, nie so gediehen, wenn der Thüringer Verfassungsschutz da nicht tüchtig Steuergelder reingesteckt hätte.“ Dieser habe „eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme betrieben“, sagte Mundlos und verwies auf den V-Mann Tino Brandt, der vom Verfassungsschutz insgesamt mindestens 200.000 DM erhalten hatte, die er nach eigenen Angaben vollständig für den Aufbau des THS verwandte.

Die NSU war aus dem THS hervorgegangen. Auf einer Adressenliste, die 1998 bei einer Razzia in Uwe Mundlos‘ Wohnung gefunden wurde, befanden sich mindestens fünf V-Leute von Geheimdiensten. Das sei „doch kein NSU-Netz, das ist ein Verfassungsschutz-Netz“, kommentierte dies Mundlos vor dem Untersuchungsausschuss. Kurz nach dem Verschwinden seines Sohnes habe er zudem einen anonymen Brief erhalten, in dem es hieß, Zschäpe sei eine V-Frau gewesen.

Mundlos zog aus der Faktenlage den Schluss, dass zumindest Böhnhardt als Spitzel angeworben und gedrängt worden sei, abzutauchen, um illegale, rechtsextreme Strukturen zu überwachen. „Lieber in den Untergrund zum Spitzeln als in den Knast“ sei seine Motivation gewesen, vermutete er.

Viele Medien bemühten sich, Mundlos' Aussagen als Verschwörungstheorie abzutun. So erklärte der Spiegel, Mundlos habe sich eine „Theorie zurechtgelegt“. Die Thüringer Allgemeine warf ihm gar vor, er habe „aus moralischem Selbstschutz an seiner ganz persönlichen Legende“ gebastelt. Tatsächlich sind Mundlos‘ Überlegungen gut begründet und allemal wahrscheinlicher als die dreisten Lügen, Verschleierungen und Manipulationen der Behörden.

Mundlos‘ Berichte decken sich etwa mit den Aussagen Sven Wunderlichs, der 1998 Zielfahnder des Landeskriminalamts (LKA) Thüringen war. Laut Wunderlich hat der Geheimdienst die Arbeit der Polizei massiv behindert. Entweder habe der Verfassungsschutz schon Kontakt zu dem Trio gehabt, schloss er, oder sie habe ihn herstellen wollen, „um mit denen bestimmte Dinge ohne Polizei und Justiz zu klären“.

Nach bisherigem Ermittlungsstand umfasste der Unterstützerkreis des NSU 129 Personen. Davon wurden über 20 als Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden enttarnt. Um die eigenen Spuren zu verwischen, hatten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes nur eine Woche nach Auffliegen des NSU mindestens sechs Akten zu diesen V-Leuten vernichtet. Darunter jene von Michael See, der im Sold des Geheimdienstes stand und das Terror-Konzept entwickelt hat, auf das sich der NSU stützte.

Es kommen ständig neue Fakten ans Licht, die belegen, dass der NSU von den Behörden mindestens gedeckt wurde. Bei dem NSU-Prozess in München sagten Frau und Tochter des Dortmunder Opfers Mehmet Kubasik aus, sie hätten die Polizei nach dem Mord an ihrem Vater und Ehemann auf einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund hingewiesen. „Das kann man ausschließen“, sei die Antwort der Beamten gewesen.

Letzte Woche ging es im NSU-Prozess auch um den Tod von Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach. Ihr Wohnwagen war nach einem Banküberfall von zwei Polizisten aufgespürt worden. Die Beamten sagten aus, sie hätten zwei Schüsse gehört, als sie sich dem Fahrzeug näherten. Sie hätten sich deshalb hinter einer Mauer versteckt und Verstärkung gerufen. Wenige Minuten später sei der Wagen in Flammen aufgegangen. Als die Feuerwehr eintraf, fand sie die beiden verbrannten Männer, die jeweils mit einem Kopfschuss aus einer Pump-Gun getötet worden waren.

Auch wenn nach den Löscharbeiten der Feuerwehr keine relevanten Schmauchspuren gefunden werden konnten, lautet die offizielle Version, Mundlos habe zunächst Böhnhardt und dann sich selbst erschossen. Dem widersprechen zahlreiche Indizien.

Eine Reportage des Senders N24 wies darauf hin, dass angesichts des Funds zweier Patronenhülsen am Tatort der Schütze die Waffe nach dem zweiten Schuss noch einmal durchgeladen haben muss – was bei einem Selbstmord mit einer großkalibrigen Waffe nur schwer möglich sein dürfte. Auch gibt es glaubhafte Zeugenaussagen von Nachbarn, es habe unmittelbar vor dem Brand keine Schüsse gegeben.

Einige Nachbarn bezeugten ferner, dass vor dem Brand noch eine dritte Person am Wohnwagen gewesen sei. Die Polizei hat am Tatort nicht nur die DNA der beiden mutmaßlichen Terroristen sichergestellt, sondern auch die eines dritten Mannes. Dessen DNA war schon im Zusammenhang mit Einbrüchen in den Jahren zwischen 2002 und 2005 sichergestellt worden. Seine Identität ist allerdings unbekannt. Die DNA könnte auf ein weit größeres Netzwerk des NSU bzw. der Geheimdienste hinweisen.

All diese Fakten bestätigen die Aussagen von Siegfried Mundlos. In jedem Fall waren die deutschen Geheimdienste über das Treiben des NSU informiert und schützten deren Mitglieder. Viele offene Fragen und die endlosen Vertuschungsversuche der Behörden lassen die Vermutung zu, dass es sich beim NSU um eine Operation des Verfassungsschutzes handelte.

Jedes neue Indiz, dass an die Oberfläche kommt, belastet nicht nur die Geheimdienste, sondern auch ihre Unterstützer in Politik und Medien. Noch im August hatte das Mitglied der Linkspartei im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, Petra Pau, das Märchen, die Geheimdienste hätten „versagt “ verteidigt. Die Aussagen Mundlos' strafen diese Behauptung Lügen.

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