Einen Tag vor der Bundestagswahl organisierte die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) in Berlin eine Kundgebung gegen die drohende Militärintervention in Syrien.
Mitglieder und Unterstützer der PSG versammelten sich auf dem Alexanderplatz, und mehrere Kandidaten der Partei wiesen in kurzen Beiträgen darauf hin, dass die Gefahr einer Intervention in Syrien unter Führung der USA trotz der diplomatischen Manöver der letzten Wochen nicht geringer geworden sei.
Sie erklärten, deutsche Politiker seien sich über den massiven Widerstand gegen eine Militärintervention bewusst. Mit Vorbedacht hätten deshalb alle Parteien das Thema Syrien-Krieg aus ihrem Wahlkampf ausgeklammert, um am Sonntag bloß keine Stimmen zu verlieren.
Die US-Marine hat eine gewaltige Kriegsflotte vor der syrischen Küste zusammengezogen, und auch Russland hat mehrere Kriegsschiffe dorthin verlegt. Als Teil der imperialistischen Flotte kreuzt auch ein Kriegsschiff der deutschen Marine in der Region.
Auf dem Alexanderplatz blieben viele Passanten stehen, folgten der Kundgebung aufmerksam und nahmen sich Informationsmaterial mit. Einige besuchten noch am selben Nachmittag die Wahlabschlussversammlung der PSG.
Ceesay aus Bremen stieß zufällig auf die Kundgebung am Alexanderplatz und unterstützte sie spontan. „Der Angriff auf Syrien ist ein imperialistisches Verbrechen“, sagte er, „genau wie es auf eurem Plakat steht. Sie wollen diesen Krieg, um Zugang zum Iran und Kontrolle über das Öl zu bekommen. Dafür haben sie die Rebellen unterstützt, damit diese das Land in den Bürgerkrieg stürzen. Genau wie beim Irak ist dieser Krieg auf Lügen aufgebaut.“
Ceesay hat Heizungsbau gelernt und arbeitet in der Montage von Windkraftanlagen. Er setzt seine Hoffnungen auf das Internet: „Wir jungen Leute sind alle im Internet vernetzt. Die Mächtigen haben diese Technik entwickelt, ohne zu wissen, dass wir sie jetzt gegen sie nutzen können.“ Wie Ceesay berichtete, lebt er seit 23 Jahren in Deutschland, doch er sei immer noch mit Gambia, wo er geboren ist, verbunden: „Wir sind weltweit verbunden.“
Eine junge Frau, Shahed aus dem Irak, blieb stehen und erklärte sich spontan mit der Kundgebung solidarisch. Im Irak hatte sie die Invasion von 2003 miterlebt. „Ich bin vollkommen gegen jeden Krieg, ich hasse Krieg!” sagte Shahed und erzählte: „Ich habe den Bombenkrieg auf Bagdad miterlebt. Ich träume heute noch von den Leichen in den Straßen und den Trümmer, die ich immer noch vor mir sehe. Bis heute bin ich als Folge dieses Kriegs in Behandlung.”
Die Kundgebung löste bei vielen Passanten und Beobachtern Diskussionen aus und weckte Erinnerungen.
Ein älteres Ehepaar blieb stehen. „Wir sind prinzipiell gegen Krieg“, sagten die beiden spontan. „Der US-Imperialismus will in Syrien einmarschieren. Dazu wurden die Rebellen künstlich aufgebaut.“ Der Mann erzählte, er habe als Schüler den Bombenangriff auf Dresden miterlebt. „Wir müssen es den Jungen, unsern Kindern und Nachkommen klarmachen: So etwas darf nie wieder geschehen.“
Eine Lehrerin ergänzte: „Wir müssen aus der Geschichte lernen. Die offiziellen Parteien blenden die historischen Fragen vollkommen aus.“ Ein älterer Mann sagte: „Richtig, dass Ihr gegen den Krieg auf die Straße geht. Aber man darf die sozialen Fragen nicht vergessen. Der Krieg ist ja teuer, da haben sie rasch kein Geld für die Rente mehr übrig.“
Eine Frau aus Leipzig erinnerte sich: „Genau, wir haben vor 42 Jahren bei der Wende die Erfahrung gemacht, wozu die Kapitalisten fähig sind. Bei uns wurden sämtliche Dienstleistungen gesprengt, die vorher, zu DDR-Zeiten, das soziale Leben ausmachten. Dafür war auf einmal kein Geld mehr da.“
„Wissen Sie“, sagte sie zum Abschied, „die Wende und die ganzen Angriffe, die damit verbunden waren, sind bei mir so präsent, als ob es gestern gewesen wäre.“
Vassilis, ein griechischer Lehrer, der in Deutschland unterrichtet, war eigens nach Berlin gefahren, um die Kundgebung zu unterstützen. Er erläuterte: „Die PSG ist die einzige Partei, die gegen Krieg auf die Straße geht. Dabei ist die akute Kriegsgefahr nicht gebannt. Wahrscheinlich ist der Krieg nur verschoben. Dahinter stecken dieselben Kräfte, die auch Griechenland seit drei Jahren zerstören“, fuhr er fort. „Ich bin sehr enttäuscht darüber, was die Regierung zusammen mit der EU alles durchgesetzt hat. Was wir von Griechenland hören, ist schrecklich. Das soziale Elend nimmt zu.“
Er erzählte vom fünftägigen Lehrerstreik seiner Kollegen in Griechenland. „Über neunzig Prozent der Lehrer haben daran teilgenommen. Sie kämpfen nicht nur um ihre Löhne, sondern um das ganze Erziehungssystem. Der Unterricht wird durch die Kürzungen und Entlassungen von Lehrern zerstört. Es kommt sogar vor, dass ein Kind mitten im Unterricht vor Hunger umkippt.“
Vassilis arbeitet an einer griechischen Schule in Deutschland. „Wir spüren auch hier die Kürzungen“, berichtete er weiter. „Lehrer wurden entlassen, und im letzten Jahr wurde die Klassengröße auf über dreißig erhöht. Dieses Jahr hatten wir keine Englischlehrer, auch Mathematik- und Informatiklehrer fehlen. Wir sind personell stark unterbesetzt und können die Fächer nur mit großen Schwierigkeiten abdecken. Dabei haben wir durch die Auswanderungswelle jetzt mehr Schüler bekommen. Oftmals herrscht ein solches Chaos, dass man kaum unterrichten kann.“
Der griechische Lehrer findet es wichtig, dass alle Arbeiter sich zusammenschließen und gemeinsam demonstrieren. „Vor zehn Jahren sind fünfzehn Millionen Menschen gegen den Irakkrieg auf die Straße gegangen, aber heute hört man nichts gegen Krieg, auch nicht von den so genannten Linken.“
Marwin, der die Kundgebung aktiv unterstützte, erklärte: „Ich halte nichts von diesen Kriegsvorbereitungen gegen Syrien. Diese Intervention gegen ein Land dient nicht den Menschen, die dort leben, sondern nur den Interessen der Nato-Mächte und der großen Politik, die diese Region ausbeuten wollen. Dazu sind sie bereit, Hunderttausende umzubringen.
Die Medien haben jetzt eine massive Hetze eingeschlagen. Das hat schon fast faschistoide Untertöne. Diese offene Kriegshetze hat das Ziel, bei den Menschen Zustimmung zum Krieg zu erreichen. Auch die so genannten linken Zeitungen zeigen, wo sie stehen und wessen Lied sie singen. Sie vertreten nicht die Interessen der einfachen Menschen.”
Auf die Frage, was er von der Linkspartei halte, sagte Marwin: „Jetzt im Wahlkampf reden alle Parteien ganz anders als sonst. Das ist auch bei der Linkspartei nicht anders. Heute behauptet sie, sie sei gegen Krieg, – aber man braucht nur ein wenig zurückzuschauen, dann entlarvt sie sich ganz schnell. Sie hat bisher diesen Krieg mit angeheizt und die gewaltbereite Opposition unterstützt, und jetzt äußert sie sich aus wahltaktischen Gründen gegen den Krieg. Die Interessen der Arbeiter sind international die gleichen, deshalb müssen sie sich übe die Grenzen hinweg zusammenschließen.”
Jamal hatte im Internet von der Kundgebung erfahren und kam her, um sie zu unterstützen. Er sagte: „Es ist selten genug, dass jemand gegen diesen Krieg auf die Straße geht. Man bekommt so gut wie keine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, und deshalb bin ich hier, um das zu unterstützen.”
Er stammt selbst aus Syrien und ist deutscher Staatsbürger. Er sagte: „Was dort abläuft, ist im Grunde offensichtlich. Es geht um nationale Vorteile und geostrategische Interessen. Die offizielle Behauptung, dass es in Syrien um Menschenrechte ginge, würde ich höchstens abkaufen, wenn Deutschland nicht gleichzeitig Panzer und Waffen an Saudi-Arabien liefern würde, ein Land, in dem Menschen noch gesteinigt und ausgepeitscht werden.”
Jamal hat Verwandte in Damaskus und anderswo. Es war ihm wichtig, klarzustellen: „Meine syrischen Freunde und Nachbarn und wir, wir wussten früher gar nicht voneinander, ob jemand Sunnit oder Schiit ist. Das war überhaupt kein Thema. Der Westen hat es geschafft, unser Land – und nicht nur unser Land – dazu zu bringen, dass sich die Leute nicht nur mit Religion identifizieren, sondern auf dieser Grundlage Freundschaft und Feindschaft bestimmen.”
Denis (18), der die Partei für Soziale Gleichheit seit sechs Wochen kennt, kam aus dem Ruhrgebiet zur Kundgebung und zur PSG-Wahlversammlung. Er sagte: „Die Kriegsdrohung gegen Syrien ist eine große Gefahr. Sie ist auch nach den jüngsten UN-Beschlüssen nicht gebannt, höchstens aufgeschoben. Vieles erinnert an den Irak: Auch dort hatten die Imperialisten selbst erst Chemiewaffen geliefert und das Regime aufgerüstet. Dann setzten sie es unter Druck. Auch dem Hussein-Regime half es nichts, all seine Waffen zu deklarieren, es konnte den Krieg nicht abwenden. Die kapitalistischen Interessen des Imperialismus waren stärker.“
Er sei aber nicht nur wegen Syrien hier, sagte Denis weiter. „Es geht nicht nur um Syrien und den Krieg.“ Er habe Trotzki über das Internet kennengelernt und dessen Autobiographie „Mein Leben“ gelesen, das Buch, das Trotzki nach seinem Ausschluss aus der Partei und aus der Sowjetunion im Exil in der Türkei geschrieben hatte. „Obwohl Trotzki ausgeschlossen und verbannt wurde, kämpfte er für den Kommunismus“, sagte Denis.
Und weiter: „Ich sehe, wie sich nach Ägypten auch in Brasilien und in der Türkei eine Aufstandsbewegung entwickelt. In dem Zusammenhang kann nur die Idee einer Weltrevolution überzeugen. Es ist klar, dass man dafür etwas tun muss.“
Er habe sich nach einer Partei umgesehen und sei zuerst über Wikipedia auf die Vierte Internationale und die PSG gestoßen. „Alle anderen Parteien befassen sich, wenn überhaupt, nur mit Teilfragen. Ich habe aber eine Bewegung gesucht, die die soziale Revolution vorbereitet. Die Vierte Internationale verteidigt eine Tradition, die einzigartig ist.“